Titel: | Schnellbetrieb auf den Eisenbahnen der Gegenwart. |
Autor: | M. Richter |
Fundstelle: | Band 320, Jahrgang 1905, S. 590 |
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Schnellbetrieb auf den Eisenbahnen der
Gegenwart.
Von Ingenieur M. Richter,
Bingen.
(Fortsetzung von S. 576 d. Bd.)
Schnellbetrieb auf den Eisenbahnen der Gegenwart.
2. Die Schnellzuglokomotive der Pfalzbahn, erbaut
seit 1898 bei Krauss-München, im ganzen zwölf Stück,
war die erste ⅖-gekuppelte Lokomotive Deutschlands, und wies auch sonst eine Reihe
von bisher nicht gesehenen Neuigkeiten auf: breite Feuerkiste, wagon-top-Kessel und
Luftschneiden, so dass sie, abgesehen von der hohen Kessellage einen entschiedenen
Fortschritt im deutschen Lokomotivbau bedeutete (Fig.
3).
Der grosse Kessel von 175 qm Gesamtheizfläche liegt 2,475 m über S. O. und besitzt
eine breite, tiefe Feuerkiste mit zwei Feuerlöchern, die abwechselnd beschickt
werden; Feuergewölbe ist nicht vorhanden. Zur Verbreiterung der Kiste und
Vergrösserung des Dampfraumes ist der geschweisste Schuss zwischen Langkessel und
Kiste konisch gestaltet, besitzt also wagon-top-Form.
Die Rahmenbauart entspricht der Kesselform. In einem bis zur Feuerkistenvorderwand
durchgehenden Innenrahmen sind die Triebachsen gelagert. Ausserhalb der Triebräder
ist noch ein Aussenrahmen vorhanden, welcher vom Hinterende der Lokomotive bis vor
die Triebachse zum Gleitbahnträger reicht und die Feuerbüchse in sich aufnimmt,
sowie die Lagerung der hintersten Achse trägt, welche als freie Lenkachse nach allen
Seiten Spiel hat.
Die Hauptversteifung der beiden Rahmen ist eine senkrechte Querwand vor der Feuerkiste, ferner eine
ebensolche am Gleitbahnträger.
Textabbildung Bd. 320, S. 590
Fig. 3a. Pfalzbahn.
Das Drehgestell besitzt Innenrahmen, welche noch den eingeschnürten Hauptrahmen
überragen. Der Radstand des Gestelles ist mit 1700 mm sehr kurz bemessen. Es ist
Seitenverschiebbarkeit (40 mm) vorgesehen mit Rückstellung durch wagerechte
Blattfedern. Die Achsbüchsen jeder Gestellachse sind durch Querfedern unter sich
verbunden. Die Druckauflage ist seitlich durch halbkugelige Zapfen in Rotgusspfannen
hergestellt.
Die Zwillingsmaschine hat innen liegende, geteilt ausgeführte (verschraubte)
Zylinder, deren auswärts geneigte Schieberkästen als Rauchkammersattel ausgeführt
und vom Laufblech aus zugänglich sind. Da die beiden Kurbelhälse der Kröpfachse
miteinander unmittelbar durch einen geradlinigen Querbalken verbunden sind
(Querschnitt 190/260 mm), so blieb bei den grossen Abmessungen der Hälse usw. kein
Platz für Exzenter übrig; es wurde deshalb zum Antrieb der Schwinge der Heusinger-Steurung die Joysche Lenkeranordnung in der Pleuelstange eingehängt, eine Kombination, die
wohl als Hawthorn-Kitson-Steuerung zu bezeichnen und
hier zum ersten Mal angewendet worden ist. – Zwischen den beiden Triebachsen ist zum
Nachsehen ein während der Fahrt besteigbarer Einsteigkasten angebracht.
Der Tender ist dreiachsig und hat verhältnismässig grosse Fassung. Die Schleifersche Luftdruckbremse wirkt auf die Treib- und
Tenderräder.
Zur Verminderung des Luftwiderstandes ist die Rauchkammer und die Vorderwand des
Führerhauses als Luftschneide ausgebildet.
Beim Entwurf dieser Lokomotive wurde nebenbei verschiedenen seitens der Bahn
gestellten Bedingungen Rechnung getragen: Verfeuerung langflammiger Kohle
(Saarkohle) und möglichst geringe störende Bewegungen. Zu letzterem Zweck wurde der
ungewöhnlich kleine Hub von 570 mm angenommen, die Zylinder nach innen verlegt und
die vordere Achse zur Treibachse gemacht.
Textabbildung Bd. 320, S. 590
Fig. 3b. Pfalzbahn.
Das Betriebsprogramm der Maschine war die Beförderung eines Zuges von 220 t h. T. mit
90 bis 100 km/St.
auf wagerechter Strecke und mit 60 km/St. auf der Steigung von 1 : 100; die dabei
verlangte Höchstleistung ist 1000 bis 1100 PS. Nachdem die 2/4-gek.
Lokomotive (D. p. J. 1902, 317, S. 651) aus dem
Schnellzugsdienst hinausgedrängt war, übernahm die ⅖ die Beförderung der wichtigsten
Durchgangszüge, wie des D-Zuges Basel–Berlin auf der Strecke
Strassburg–Lauterburg–Ludwigshafen, sowie des manchmal bis 40 Achsen starken D-Zuges
Basel–Rotterdam auf der Strecke Strassburg–Weissenburg–Neustadt–Bingerbrück, welche
zwischen Neustadt und Bad Münster a. St. die Haardt überschreitet und etwa 60 km
weit zahlreiche Kurven von 400 m Halbmesser und Steigungen von 1 : 100 aufweist.
Textabbildung Bd. 320, S. 590
Fig. 4. Ueberhitzer von Pielock.
Neuerdings wird auch diese Gattung wieder durch die grossen ⅖-gek. vierzylindrigen
Verbundlokomotiven in den Hintergrund gedrängt.
Im Jahre 1904 wurde die zwölfte Lokomotive, genannt „v. Neuffer“, dieser
Bauart von Krauss-München geliefert, welche sich von
den vorherigen in allerhand Einzelheiten, vor allem aber durch den Einbau des Pielockschen Ueberhitzers unterscheidet.
Der Ueberhitzer von Pielock (Fig. 4)Zur Wahrung der
Vollständigkeit ist die Darstellung des Ueberhitzers (s. D. p. J. 1904, Bd.
319, S. 1) auf Wunsch des Verfassers hier
nochmals gegeben.Die Redaktion. ist ein Kasten, welcher das
Rohrbündel im Langkessel eine Strecke weit derart umfasst, dass die Heizrohre die
parallelen Endwände desselben durchdringen, in welche sie leicht eingewalzt sind; da
innerhalb und ausserhalb des Kastens derselbe Druck herrscht, genügt diese
Befestigung. Durch eine Reihe von parallelen, in der Rohrrichtung durchgehenden
senkrechten Wänden ist der Innenraum in schmale Kammern zerlegt, welche der durch
zwei Rohre aus dem Dom von oben eintretende Kesseldampf nacheinander im Zickzack
durchströmt. Er kommt dabei mit der äusseren Rohrheizfläche in Berührung und
überhitzt sich auf 250 bis 350°, worauf er in eine den Reglerkopf umschliessende
Kappe austritt, um von da zu den Zylindern zu kommen. Der Kasten wird so weit von
der Feuerbüchsrohrwand entfernt eingebaut, dass infolge der auf 700 bis 800° C.
gesunkenen Temperatur der Heizgase ein Erglühen der Rohre nicht stattfinden kann.
Trotzdem ist es sehr fraglich, ob die Rohre nicht stark leiden werden, da beim
Zusammentreffen von Wasserdampf mit glühendem Eisen der Prozess stattfindet:
3 Fe + 4 H2O = Fe3O4 + 8 H.
Eine Gewichtsvermehrung der Lokomotive ist mit dem Einbau nicht vorhanden, da der
Kasten im Kessel schwimmt, auf Kosten des Wasserraumes desselben.
Von dem Ueberhitzer aus erhalten auch die Luftpumpe, die Injektoren, die Dampfheizung
des Zuges, die Rauchverzehrung überhitzten Dampf. Bei Undichtheiten, die durch
Ablasshahn festzustellen sind, wird nur der Ueberhitzer selbst ausgeschaltet, die
Lokomotive aber weiter nicht beeinträchtigt. Die Kohlenersparnis beträgt 15 bis 18,
die Wasserersparnis bis 20 v. H. Ein grosser Vorteil ist auch, dass der Ueberhitzer
beim Oeffnen des Reglers sehr rasch in volle Tätigkeit kommt, dass aber beim
Schliessen die Temperatur nur sehr langsam (1 ½ °C in einer Minute) sinkt.
Bei der Lokomotive „von Neuffer“ beträgt im besonderen die Rohrzahl 254, die
ganze innere Rohrheizfläche 135,6 qm, die Ueberhitzfläche 20,3 qm und die ganze
Heizfläche 166,9 qm, während bei den vorausgegangenen 11 Stück die Rohrzahl 259, die
Rohrheizfläche 164 qm und die gesamte innere Heizfläche 175 qm beträgt. Das
Dienstgewicht beträgt bei den früheren 58,5 t, bei „von Neuffer“ 61,0 t.
Ausserdem ist „von Neuffer“ mit Drehgestellbremse versehen (beide Achsen
einseitig von der Mitte aus), was ebenfalls eine Neuerung ist. –
3. Die Schnellzaglokomotive der niederländischen
Zentralbahn, gebaut 1901 von Beyer-Peacock,
Manchester, gleicht der vorigen in mancher Beziehung (Fig.
5).
Auffallend ist die geringe Rohrlänge und die sehr grosse, schmale Feuerbüchse mit Belpaire-Decke.
Der Kessel hat jedenfalls auf Kosten des Kohlenverbrauchs eine sehr rasche,
energische Verdampfung. Die Feuerbüchse reicht bis an die vordere Triebachse und
besitzt die grosse direkte Heizfläche von 16 qm, welche sehr wirksam ist, so dass
die erreichbare Dauerleistung der Maschine wesentlich höher sein muss, als die
in die Tabelle aufgenommene Grösse von 950 PS, die der absoluten Gesamtheizfläche
entspricht. Die Rauchkammertemperatur wird freilich ziemlich hoch sein, da die Länge
der 112 Serve-Rohre nur rund 3,5 m beträgt. Die Feuerkiste besitzt im vorderen Teil
Schrägrost, der ganz vorn kippbar ist, und ein grosses Feuergewölbe; der aus nur
zwei Schüssen zusammengesetzte Langkessel trägt auf dem hinteren Schuss den Dom mit
Federventil.
Der Hauptrahmen ist doppelt durchgeführt, aber vierfache Lagerung ist nur bei der
Kröpfachse vorhanden. Auch das Drehgestell hat Aussenrahmen und ist in Wiege
gelagert. Die Hinterachse besitzt Seitenverschiebung. Die Mittelachse ist unabhängig
gefedert.
Textabbildung Bd. 320, S. 591
Fig. 5a. Holländische Staatsbahn.
Die innen liegende Dampfmaschine treibt die vordere Triebachse an und ist mit
Kolbenschiebern für innere Einströmung ausgestattet, welche durch gewöhnliche Stephenson-Steuerung mit Zwischenhebel bewegt werden
und deren Kästen als Rauchkammersattel ausgebildet sind.
Von der Ausstattung ist hervorzuheben die Doppel-Luftpumpe, sowie der
Zwillingssander. Gebremst werden nur die Triebachsen und zwar einseitig. Der Tender
ist vierachsig.
Textabbildung Bd. 320, S. 591
Fig. 5b. Holländische Staatsbahn.
Diese Maschinen, fünf Stück an der Zahl, sind bestimmt für den Dienst auf der Strecke
Boxtel–Vlissingen, wo sie bis zu 40 Achsen h. T. mit 90 bis 100 km/St. befördern.
Ein Jahr lang musste der Betrieb mit ihnen freilich ganz ausgesetzt werden, bis der
Oberbau gründlich verstärkt war, da sie denselben trotz dem langen Gesamtradstand
und den inneren Zylindern völlig verwarfen.
Die beste Leistung dieser Maschinen ist
Vlissingen–Roosendaal
74,7
km
in
58
Min.,
77,3
km/St
Roosendaal–Boxtel
62,6
„
„
49
„
76,7
„
welche der D-Zug Vlissingen–Basel im Fahrplan aufweist.
(Fortsetzung folgt.)