Titel: | Die Kraftmaschinen und Dampfkessel auf der Weltausstellung in Lüttich 1905. |
Autor: | Fr. Freytag |
Fundstelle: | Band 320, Jahrgang 1905, S. 598 |
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Die Kraftmaschinen und Dampfkessel auf der
Weltausstellung in Lüttich 1905.
Von Fr. Freytag,
Chemnitz.
Die Kraftmaschinen und Dampfkessel auf der Weltausstellung in
Lüttich 1905.
Allgemeines.
Die am 27. April ds. Js. von dem Prinzen
Albert, einem Neffen des Königs der
Belgier, in zum Teil noch recht unfertigem Zustande eröffnete „Exposition
universelle et internationale de Liege 1905“ verdient diesen Namen
keineswegs, insbesondere nicht auf dem Gebiete der Kraftmaschinen und der
Dampfkessel. Gleich wie die in den letzten Jahrzehnten in Belgien, und zwar
abwechselnd in Brüssel und Antwerpen abgehaltenen sogenannten Weltausstellungen ist
auch die Lütticher Ausstellung vorzugsweise nur von belgischen Firmen mit
Kraftmaschinen und Dampfkesseln beschickt worden. Deutschland, das übrigens auf der Ausstellung nicht amtlich vertreten ist,
hat eine immerhin grössere Zahl zum Teil sehr beachtenswerter Dampfturbinen und
Gaskraftmaschinen geliefert, Frankreich dagegen nur
wenige Kraftmaschinen zur Ausstellung gebracht. England
und Amerika sind auf dem Gebiete der Kraftmaschinen und
Dampfkessel überhaupt nicht vertreten – wenigstens sind Berichterstatter keine
bezüglichen Ausstellungsgegenstände dieser Länder vor Augen gekommen und von einem
offiziellen Ausstellungskatalog, aus dem die Namen und Plätze der Ausstellungsfirmen
hätten entnommen werden können, war bis Ende Juni d. J. noch nichts zu hören!Dieser Katalog ist nunmehr – Mitte August –
erschienen!
Schweden hat eine grössere Zahl von Laval-Turbinen zur Ausstellung geliefert.
Was die Ausdehnung des gesamten Ausstellungsgeländes anbetrifft, so erheben sich auf
einem in vier Teile geschiedenen Gebiete von 70 ha, am Zusammenfluss der Maas und
Ourthe, über 100 Paläste und Pavillons. An. Umfang steht die Lütticher Ausstellung
also nur um weniges hinter derjenigen in St. Louis zurück. Die Hauptindustriehalle
nebst der dahinterliegenden Maschinenhalle erstrecken sich auf einer Grundfläche von
100000 qm; hiervon nehmen die Gebäude der internationalen Ausstellung für
Maschinenwesen, Dampfkessel, Gaserzeugung und Eisenbahnwesen einen Flächenraum von
rd. 30000 qm ein, während auf der letzten Brüsseler Weltausstellung die
Maschinenhalle nur 19000 qm in Anspruch nahm. Bei der Düsseldorfer Ausstellung 1902
hat die überdachte Fläche insgesamt 129000 qm betragen; hiervon entfielen 14532 qm
auf die Maschinenhalle und 1390 qm auf das Kesselhaus. Ein unmittelbarer Vergleich
der Lütticher und Düsseldorfer Maschinenhalle lässt sich aber nicht anstellen, da in
der ersteren auch viele andere, eigentlich nicht hinein gehörige Gegenstände zur
Schau gestellt sind.
Die Lütticher Maschinenhalle besteht aus drei Galerien – einer mittleren von 25
und zwei seitlichen von je 15 m Breite; sie bedeckt einen gesamten Flächenraum von
20400 qm. Alle Galerien sind von elektrisch betriebenen Laufkranen bedient. Die
Dachträger, System Polenceau, sind auf Formeisen gebaut
und durch Spanngestänge aus Rundeisen verstärkt. Die Zusammensetzung erfolgte
mittels gusseiserner Schuhe in der Weise, dass in dem Eisengerippe weder die
Säulenträger, noch die Dachstuhlsäulen durchlocht wurden, wodurch ihre
Weiterverwendung nach der Ausstellung ermöglicht wird.
Die Bedachung wird durch rautenförmige Zinkplatten von 75 cm Seitenlänge gebildet,
die auf dünne Bretter aufgenagelt sind.
Der Fussboden befindet sich durchgehends 1,50 m über dem Erdboden und ruht auf
Tragbalken, die in 40 cm Entfernung voneinander auf hölzernen Böcken befestigt sind.
Die Tagesbeleuchtung erfolgt zum Teil durch senkrechte Glasfenster von 4,5 m Höhe,
zum Teil durch verglaste Kuppellaternen mit verhängten Tüchern zur Dämpfung des
Oberlichtes.
Unabhängig von der eigentlichen Maschinenhalle ist für Sonderausstellungen auf dem
Gebiete der Mechanik und Elektrotechnik des Berg- und Hüttenwesens in der
Industriehalle ein Raum von 5000 qm vorgesehen; in diesem Raume – gleich rechter
Hand am Haupteingang der grossen Industriehalle – befindet sich u.a. die ganz
hervorragende Sammelausstellung des Rheinisch-westfälischen
Kohlensyndikats zu Essen a. d. Ruhr. Eine Abteilung dieser Ausstellung, die
insbesondere für den Maschineningenieur Beachtenswertes bietet, besteht in einer
Sammlung von Modellen typischer Wasserhaltungs-Maschinen, die in dem
niederrheinisch-westfälischen Kohlenbecken in Anwendung stehen und die von den
Maschinenfabriken von Ehrhardt & Sehmer in
Schleifmühle bei Saarbrücken, A.-G. Humboldt in Kalk,
der Maschinenbau-A.-G. vorm. Schwartzkopf und Gebr. Sulzer in Winterthur herrühren. Diese
Wasserhaltungsmaschinen sind im vorigen Jahre von unparteiischer – dem
Dampfkesselüberwachungs-Verein in Essen a. d. Ruhr – einer Reihe von gleichmässigen,
zusammenhängenden Untersuchungen unterworfen worden. Die Ergebnisse dieser
Untersuchungen, die in dieser Vollständigkeit in keiner anderen Literatur des In-
und Auslandes sich wieder vorfinden, sind gesammelt und werden als besondere Schrift
den dafür Interesse zeigenden Ausstellungsbesuchern überreicht.
Auf dem Gebiete der Dampfturbinen lässt die Ausstellung
den gewaltigen Fortschritt, den die immer weitere Einführung dieser Maschine in den
letzten Jahren angenommen hat, nicht in genügender Weise erkennen. Ausser den
bereits genannten Laval-Turbinen Schwedens haben nur
die Maschinenbau-A.-G. „Union“ in Essen a. d.
Ruhr eine horizontale Aktionsdampfturbine mit angekuppelter Kreiselpumpe von 40 PS
und eine 300 PS Turbine stehender Anordnung mit angekuppelter Gleichstromdynamo als
Vertreter des Klein- bezw. Grossmaschinenbaues, ferner noch Sautter, Harlé & Cie. in Paris eine wagerechte 600 PS Dampfturbine
(System Rateau) zum Betreiben eines
Dreiphasen-Generators für eine Leistung von 400 KW bei 3000 V vorgeführt.
Weiterhin sind durch Modelle in der schon genannten Sammelausstellung des Rheinisch-westfälischen Kohlensyndikats die A.-G. Brown, Boveri & Cie. in Mannheim mit einer
900 PS Parsons – Turbine und die Harpener Bergbau-A.-G. in Dortmund mit einer 600 und
1200 PS-Dampfturbodynamo (System Riedler-Stumpf) der
Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft in Berlin
vertreten.
Grössere Gasmaschinen sind von folgenden deutschen Firmen geliefert worden: Gasmotorenfabrik Deutz in Cöln-Deutz eine 250 PS
Braunkohlenbrikett-Sauggasmaschinenanlage mit Doppelgenerator, sowie noch ein
50 PS Gasmotor; Gasmotorenfabrik A.-G. Cöln-Ehrenfeld vorm.
C. Schmitz in Cöln-Ehrenfeld eine 50 PS Sauggasmotorenanlage; Maschinenbau-A. G. „Union“ in Essen ein 250 PS
Gasmotor (System Reichenbach); ferner sind die Maschinenfabrik G. Luther A.-G. in Braunschweig und die
A.-G. Dresdner Gasmotorenfabrik vorm. Moritz Hille
in Dresden mit grösseren Gasmaschinen vertreten.
Aus Belgien sind zu nennen: Société anonyme John Cockerill in Seraing mit einer liegenden,
doppeltwirkenden Tandemgasmaschine für Hochofengas von 1200 PS zum unmittelbaren
Antrieb einer Walzenstrasse, einer liegenden, doppeltwirkenden Zwillingsgasmaschine
für Koksgas von 500 PS zum unmittelbaren Antrieb einer Dynamo und einer stehenden,
doppeltwirkenden Zwillingsgasmaschine für Hochofengas von 150 PS; Carels Frères in Gand mit einem stehenden
Dreizylinder-Diesel-Motor von 500 PS zum Betreiben
einer Dynamo von Lahmayer & Cie. in Brüssel – wegen
seiner bisher noch nicht ausgeführten Grösse als hervorragender
Ausstellungsgegenstand zu bezeichnen –; Société anonyme St.
Léonard in Lüttich mit einer grösseren liegenden, doppeltwirkenden
Zweitaktgasmaschine und zwei kleineren Viertaktgasmaschinen von je 50 PS; Société anonyme des établissements Fétu-Defize in
Lüttich u.a.
Die genannten Aussteller haben, wie noch eine Zahl weiterer Firmen der
Gasmotorenbranche, auch kleinere Gas-, Benzin- und Petroleummotoren zur Ausstellung
gebracht.
Die vorgeführten grösseren Betriebsdampfmaschinen sind
zumeist liegende Tandem-Verbundmaschinen mit Ventilsteuerungen. Hierher gehören die
Maschinen folgender belgischer Firmen: Société anonyme du Phoenix in Gand, Ateliers de construction J. Preud'homme-Prion in Huy,
Carels Frères und van den
Kerchoven in Gand, Ateliers Walschaerts in St.
Gilles-Bruxelles, Société de la Meuse in Lüttich, Société anonyme des ateliers de construction de J. J.
Gilain in Tirlemont, Ateliers du Thiriau in La
Croyere (Hainaut), Société Liègeoise in Lüttich, Jos. Heinrichs in Hodimont-Verviers u.a.
Als bemerkenswerte Tandem-Verbundmaschine mit kettenschlüssiger Steuerung der
Niederdruckventile ist die: jenige der französischen
Firma Weyer & Richemond in Pantin (Seine) zu
bezeichnen.
Stehende Dampfmaschinen sind in Lüttich nur in geringer
Zahl anzutreffen. Es stellten aus: van den Kerchoven
drei schnellaufende Willans-Maschinen: Sclessin in Lüttich drei Maschinen ähnlicher Bauart;
ferner Maison Beer in Jemeppe bei Lüttich eine stehende
Verbundmaschine mit Schiebersteuerung.
Die grösste Dampfmaschine der Ausstellung – eine
dreifache Expansionsmaschine (Drillings-Tandem) von 10000 PS, die später zum Betrieb
eines Trägerwalzwerkes in Seraing dienen soll – führt die Société John Cockerill vor; eine mit Kondensation arbeitende
Verbunddampfmaschine von 300 PS derselben Firma fällt wegen der Kolbenanordnung im
Zylinder und der Dampfverteilung auf.
Zwillingsfördermaschinen haben Gilain in Tirlemont und La Meuse in Lüttich
zur Ausstellung gebracht, Gebläsemaschinen sind von John Cockerill (System Francois), J. J. Gilain (System Köster) und
der Société de la Meuse (eigenes System) geliefert
worden.
Die ausgestellten Kraftmaschinen zeigen zumeist gute Formgebung und grosse Vollendung
in der Herstellung ihrer Einzelteile. Dampfmaschinen mit Hahnsteuerungen, die früher
in Belgien viel gebaut wurden, sind auf der diesjährigen Ausstellung nur vereinzelt
anzutreffen.
Zur Erzeugung des für die Kraftmaschinen erforderlichen Betriebsmittels dienen 19 an
der rückwärtigen Längsseite der Maschinenhalle angeordnete Kessel, die mit Dampfspannungen von
9 at arbeiten. Neben diesen Kesseln sind auch die zum Betrieb der Gasmaschinen
dienenden Generatoren aufgestellt.
Die grösste Zahl von Kesseln, und zwar zwei grosse Wasserraumkessel mit Galloway-Rohren und drei Röhrenkessel mit
Speisewasservorwärmer und Dampfüberhitzer – sämtliche fünf Kessel im Betrieb –,
ausserdem noch einen Röhrenkessel in offengelegtem Zustande hat die Firma de Nayer in Willebroeck bei Brüssel zur Ausstellung
gebracht. Jaques Piedbouef in Jupille bei Lüttich zeigt
drei Kessel, von denen einer in Betrieb ist, während die Firma Bailly-Mathot in Chênée bei Lüttich drei Röhrenkessel
von 250 bezw. 100 bezw. 42 qm Heizfläche unter Dampf ausstellt. Babcok & Wilcox zeigen einen ihrer Landkessel von
etwa 400 qm Heizfläche. Zwei Cornwall-Kessel von 100
und 120 qm Heizfläche und ein kleinerer Röhrenkessel sind von der Société anonyme de Chaudronnerie et Fonderies
Liègeoise (früher Pétry-Chaudoir)
ausgestellt.
Von den ausgestellten Kraftmaschinen dienen etwa sechs von je 600 PS zur Erzeugung
des für Kraft- und Lichtzwecke der Ausstellung erforderlichen elektrischen Stromes;
hiervon werden vier mit Dampf und je eine mit Petroleum bezw. Generatorgas
angetrieben.
In dem nachstehenden Bericht sollen zunächst bemerkenswerte Kraftmaschinen, sodann
die Konstruktionen einiger neuerer Dampfkessel der Ausstellung eingehender
besprochen werden, und zwar in der Weise, dass die von den einzelnen Ausstellern
vorgeführten Kraftmaschinen, wennschon sie sich durch die Art ihres Betriebsmittels
(Dampf oder Gas) voneinander unterscheiden, dennoch unmittelbar aufeinander
folgen.
(Fortsetzung folgt.)