Titel: Die Kraftmaschinen und Dampfkessel auf der Weltausstellung in Lüttich 1905.
Autor: Fr. Freytag
Fundstelle: Band 320, Jahrgang 1905, S. 651
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Die Kraftmaschinen und Dampfkessel auf der Weltausstellung in Lüttich 1905. Von Fr. Freytag, Chemnitz. (Fortsetzung von S. 628 d. Bd.) Die Kraftmaschinen und Dampfkessel auf der Weltausstellung in Lüttich 1905. 3. Société anonyme des anciens ateliers de construction van den Kerchove in Gand. Die ausgestellte, für die Werkstätte der Belgischen Staatsbahn in Malines bestimmte, mit Kondensation arbeitende Tandem-Verbunddampfmaschine (Fig. 16 und 17) von 600 PSe hat Zylinder von 495 bezw. 855 mm Durchmesser für 1000 mm Hub und läuft normal mit 110 minutlichen Umdrehungen. Die Spannung des Einströmdampfes kann bis zu 10 Atm. betragen, ohne dass die Einzelteile der Maschine aussergewöhnlichen Abnützungen ausgesetzt sind. Beide Zylinder sind von Mänteln umgeben, die beim Hochdruckzylinder von Frischdampf, beim Niederdruckzylinder von dem aus dem ersteren kommenden Abdampf durchströmt werden. Die Kurbelwelle trägt eine Gleichstromdynamo. Das Gewicht des zweiteiligen, aus Gusseisen gefertigten Schwungrades sichert einen Ungleichförmigkeitsgrad von etwa \frac{1}{100}. Das zu den Zylindern und anderen wichtigeren Teilen der Maschine verwendete Gusseisen besitzt nach den in. der Königl. Belgischen Prüfungsanstalt in Malines angestellten Versuchen eine Zugfestigkeit von 2100 kg/qcm. Als Steuerorgane verwendet die Firma seit einigen Jahren Kolbenventile, die, wie Fig. 17 erkennen lässt, in den Zylinderdeckel untergebracht sind und sich hier in eingesetzten Führungsbüchsen auf- und abwärts bewegen. Letztere haben schlitzartige Oeffnungen, welche durch einen ringförmigen Kanal mit dem Zylinder in Verbindung stehen; dieselben werden bei der Aufwärtsbewegung der oberen Einlassventile mit doppelter Einströmung – es sind hier zwei Reihen Oeffnungen in jeder Führungsbüchse vorhanden – freigelegt, so dass der Dampf, welcher den Deckel des Zylinders anfüllt, nunmehr durch die oberen und unteren Oeffnungen der Führungsbüchsen auch in den Zylinder selbst treten kann. Bei der Abwärtsbewegung des Ventils kommen die Oeffnungen ausser Verbindung mit dem ringförmigen Einströmkanal und es wird die Zufuhr frischen Dampfes in den, Zylinder abgeschnitten. Die Ausströmung des im Zylinder wirksam gewesenen Dampfes wird in ähnlicher Weise durch Kolbenventile geregelt, die sich in Führungsbüchsen mit nur einreihigen Oeffnungen bewegen. Behufs Dichthaltens in ihren Laufbüchsen sind die Kolbenventile von je zwei federnden Ringen umgeben. Der äussere Steuerungsmechanismus (Fig. 18) ist demjenigen einer auslösenden Sulzer-Steuerung mit Einstellung des passiven Mitnehmers durch den Regulator nachgebildet; der charakteristische Unterschied im vorliegenden Falle liegt darin, dass die Kolbenventile nicht auf ihre Sitze auftreffen; sie überschreiten ungehindert die betreffenden Durchströmöffnungen des Arbeitsdampfes und überdecken dieselben, behufs genügenden Dichthaltens, um einen gewissen Betrag. Textabbildung Bd. 320, S. 652 Fig. 16. Tandem-Verbunddampfmaschine von Kerchove. Die Einströmungsventile erlangen infolgedessen, bei Vermeidung jeglichen Stosses und plötzlicher Einrückung der betreffenden Steuerorgane, fortschreitend eine gewisse Geschwindigkeit für den Augenblick des Oeffnens der schlitzartigen Durchbrechungen in den Führungsbüchsen, und umgekehrt fallen sie nach erfolgtem Auslösen der Steuerung geräuschlos zurück und schneiden die Zufuhr frischen Dampfes vollkommen ab; ihre Bewegung wird nicht durch Luftpuffer behindert, deren Wirkung je nach Stellung eines Luftventils usw. abgeschwächt oder verstärkt werden kann; sie ist ein für alle Mal festgestellt und bei allen Hüben, allen Spannungen und bei allen Gangarten der Maschine dieselbe. Textabbildung Bd. 320, S. 653 Fig. 17. Kolbenventile zur Tandem-Verbunddampfmaschine von Kerchove. Die Ausströmventile werden ohne Zuhilfenahme von Daumenscheiben oder Federn von dem äusseren Steuerungsmechanismus (s. Fig. 18) beständig auf- und abwärts bewegt. Der inmitten des Niederdruckzylinders angeordnete Regulator wirkt auf die Auslösvorrichtungen beider Zylinder; sobald er in seine tiefste Lage kommt, wird die Zufuhr frischen Dampfes mittels einer besonderen Vorrichtung selbsttätig abgeschnitten. Die unter Maschinenflur aufgestellte stehende Luftpumpe hat 735 mm Durchmesser; sie wird mittels Schubstange und Schwinghebel von einer Gegenkurbel der Maschine aus betrieben. Versuche, welche Prof. Schröter in München an einer Tandem-Verbundmaschine von 250 PSe der vorbesprochenen Bauart anstellte, ergaben mit gesättigtem Dampf einen Verbrauch von 5,28 kg und mit überhitztem Dampf von 350° C einen solchen von nur 4,02 kg für 1 PSi/Std. (vergl. Z. d. V. d. Ing. vom 3. und 10. Oktober 1903). Diese, in Anbetracht der Grösse der Dampfmaschine verhältnismässig niedrigen Verbrauchsziffern dürften insbesondere auch den verwendeten Kolbenventilen, ihrer Anordnung am Zylinder usw. zuzuschreiben sein. Da die schädlichen Räume, wie auch die Oberflächen, mit denen der Dampf vor seinem Eintritt in den Zylinder in Berührung kommt, nur einen geringen Betrag ausmachen, die letzteren überdies beständig von frischem Dampf umspült werden, der sich in Wirbelungen um die Gehäuse der Einström- und Ausströmventile bewegt und eine fortwährende Erneuerung der Wärmeabgabe bewirkt, fallen die Verluste infolge der Anfangskondensation des Dampfes sehr gering aus. Als weitere Vorzüge, welche sich mit Verwendung derartiger Ventile ergeben, werden noch die folgenden genannt. Zufolge der Bewegungsrichtung des durch die grösseren Oeffnungen in den Führungsbüchsen der Einlassventile tretenden Arbeitsdampfes von unten nach oben wird dieser nur wenig Wasser in den Zylinder mitreissen können; sollten sich dennoch grössere Wassermengen im Zylinder ansammeln, so werden diese bei jedem Kolbenhub durch die Ausströmöffnungen im untersten Teile des Zylinders abgeführt. Die senkrechte Anordnung der Kolbenventile verhütet jegliche Abnutzung derselben infolge Eigengewichtswirkung; die einzige Reibung entsteht durch den leichten Druck, welchen die Dichtungsringe der Kolbenventile gegen die Innenwandungen der Führungsbüchsen ausüben. Die Firma van den Kerchoven hat ferner zwei schnelllaufende einfachwirkende Dampfmaschinen stehender Anordnung, System Willans & Robinson, in Lüttich ausgestellt. Textabbildung Bd. 320, S. 653 Fig. 18. Steuerung zur Tandem-Verbunddampfmaschine von Kerchove. Die aus vier, zu je zwei in Tandem übereinander liegenden Zylindern bestehenden Maschinen haben folgende Hauptabmessungen: Durchmesser der kleinen Zylinder 240 mm grossen 340 Kolbenhub 140 mm Mittlere Umlaufzahl i. d. Minute 470 Die ohne Kondensation arbeitenden Maschinen entwickeln mit 9 Atm. Anfangsspannung des Arbeitsdampfes je 90 PS. Die Regelung der Geschwindigkeit erfolgt durch Drosselung, die Dampfverteilung durch Kolbenschieber, die in bekannter Weise sich im Innern der hohlen Kolbenstangen bewegen. Textabbildung Bd. 320, S. 654 Fig. 19 u. 20. Zwillingsmotor der Société anonyme des moteurs à grande vitesse. Die Maschinen sind mit Dynamos der Compagnie internationale d'Electricité in Lüttich unmittelbar gekuppelt. 4. Société anonyme des moteurs à grande vitesse in Silessin bei Lüttich. Die von der Firma gebauten einfachwirkenden Zwillingsmotoren, System Carels, arbeiten mit ein-, zwei- oder dreifacher Expansion des Frischdampfes und werden dementsprechend mit zwei, drei, vier und sechs neben- oder übereinander liegenden Zylindern bezw. mit zwei, drei oder vier Kurbeln ausgeführt. Fig. 19 und 20 zeigen einen solchen Motor mit zweifacher Expansion des Arbeitsdampfes und mit zwei um 180° gegenseitig versetzten Kurbeln; er hat Zylinder von 175 bezw. 250 mm Durchmesser für 125 mm Hub und läuft normal mit 560 minutlichen Umdrehungen. Die indizierte Leistung dieses Motors – ohne Kondensation – beträgt bei anfänglichen Dampfspannungen von 4,5 bis 10 Atm. etwa 26 bis 55 PSi. Auf dem kastenförmigen, behufs Zugänglichkeit der Innenteile der Maschine mit zwei grossen, durch Deckel verschlossenen Oeffnungen versehenen und auf einer kräftigen, bis zu einer gewissen Höhe mit einer, aus Rizinusöl und reinem Wasser bestehenden Schmierflüssigkeit angefüllten Grundplatte ruhenden Ständer sind die mit den zugehörigen Schieberkasten zusammengegossenen Niederdruckzylinder, auf diesen die ebenso ausgebildeten, zur Verhütung von Wasserschlägen mit besonderen Sicherheitsventilen ausgerüsteten Hochdruckzylinder befestigt. Die den Druck des Arbeitsdampfes aufnehmenden sogenannten schwedischen Kolben sind mittels Druckwasser bezw. Bronzemuttern auf den zugehörigen Stangen befestigt; diese werden in langen Bronzebüchsen mit eingedrehten Ringnuten geführt. Textabbildung Bd. 320, S. 654 Fig. 21. Federregulator zum Zwillingsmotor der Société anonyme des moteurs à grande vitesse. Zur Dampfverteilung dienen zylindrische Drehschieber aus Hartguss, die sich in eingesetzten Büchsen aus Phosphorbronze ihrer inmitten der Zylinder liegenden Gehäuse bewegen. Der Antrieb der Schieberspindel erfolgt durch konische Räder – Bronze auf Gusseisen – von der in langen Lagern mit Schalen aus Phosphorbronze und Weissmetallfutter geführten, aus Schmiedestahl gefertigten Kurbelwelle aus; letztere trägt einerseits das freischwebende Schwungrad von 750 mm Durchmesser und 150 mm Kranzbreite, anderseits einen liegend angeordneten Federregulator mit Touren Verstellung (Fig. 21), der auf einen Drosselschieber wirkt. Zur Stützung der in einer besonderen Büchse mit eingelegtem Ring geführten Schieberspindel samt der mit ihrem oberen Ende verschraubten beiden Schieberhälften dient ein aus gehärteten Stahlscheiben und zwischenliegenden Kugeln gebildetes Spurlager. Der genannte Stopfbüchsenring ist mit Durchbrechungen versehen, die zum Zwecke der Abführung von Kondenswasser aus dem Zwischenbehälter mit dem Auspuffraum der Maschine in Verbindung stehen; damit wird eine stets gleichbleibende Zusammensetzung der in der Grundplatte eingeschlossenen Schmierflüssigkeit erreicht. Die aus geschmiedetem Stahl hergestellten Schubstangen tragen am Kreuzkopfende mit Schmieröffnungen versehene Büchsen aus Phosphorbronze, am Kurbelzapfenende zweiteilige Schalen aus Phosporbronze, deren untere Hälften, behufs Erleichterung der Schmierung, kürzer gehalten sind als die noch mit Weissmetall ausgefütterten oberen Schalenhälften. Die zur Aufnahme der wagerechten Komponente der Schubstangenkräfte dienenden Führungskolben arbeiten, indem sie beständig einen nach abwärts gerichteten Druck auf die Lager der Maschine ausüben, wie Luftpumpenkolben; sie haben gehärtete Stahlzapfen, die – behufs Durchtreten von Schmieröl – hohl ausgeführt sind. Zur Maschine gehört noch ein Dampfüberhitzer, sowie ein zur Entfernung des Kondenswassers aus den Leitungen dienender selbsttätiger Ableiter; ausserdem sind stellbare Vorrichtungen zur selbsttätigen Schmierung der Einzelteile der Maschine, ein zum Anwärmen der grossen Zylinder dienendes Ventil, Lufthähne, Reinigungshähne und dergleichen vorhanden. Die Maschinen werden – je nach den gewählten Abmessungen und anfänglichen Dampfspannungen von 4,5 bis 10 Atm. – für Leistungen von 6,5 bis 176 PSi, sowie mit Umlaufzahlen von 760 bis 370 in der Minute in den Handel gebracht. (Fortsetzung folgt.)