Titel: | Das mechanische Blasen von Tafelglas nach P. Th. Sievert. |
Autor: | Wendler |
Fundstelle: | Band 320, Jahrgang 1905, S. 681 |
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Das mechanische Blasen von Tafelglas nach
P. Th.
Sievert.
Von Dr. Wendler.
Das mechanische Blasen von Tafelglas nach P. Th.
Sievert.
Eine eingehende Darstellung des Glasblaseverfahrens von P. Th. Sievert ist in D. p. J. 1901, Bd. 316, S. 261, gegeben worden. Von
einem eigenartigen technologischen Grundgedanken ausgehend, entwickelt sich das
Verfahren]n vielseitiger Weise und zeigt sich der Anpassung an die verschiedensten
Zwecke fähig. Sein eigentliches Gebiet bildet die Herstellung solcher Glasgefässe,
welche eine verhältnismässig weite Mündung haben und hier entfaltet es eine solche
Leistungsfähigkeit, dass es mit derselben Leichtigkeit das kleine Gerät, z.B.
Becher, Schalen, Teller usw., wie Glasbehälter von bisher unerreichten Abmessungen,
Akkumulatorenkästen, Badewannen, Bottiche liefert. Es ist aber klar, dass die
Möglichkeit, der Industrie Glasbehälter von bisher ungekannten Grössen zu
liefern, nur langsam nutzbar gemacht wird, da die Fälle, in denen bisher aus
anderen Materialien hergestellte Behälter mit Vorteil durch gläserne zu ersetzen
sind, erst nach und nach erkannt werden. Der Erfinder war aber in der glücklichen
Lage, diese Entwicklung nicht abwarten zu müssen, sondern sah sich vor die lohnende
Aufgabe gestellt, sein Verfahren für einen besonderen Fall weiter auszubilden, in
welchem schon früher sehr grosse Glashohlkörper gebraucht und hergestellt wurden,
nicht zum Selbstzweck, als Enderzeugnis, sondern als Zwischenglied, nämlich für die
Fabrikation von Tafelglas oder Fensterglas. Es dürfte bekannt sein, dass unser
Fensterglas in der Weise gewonnen wird, dass an der Glasbläserpfeife die Glaswalze
geblasen wird, ein zylindrischer oben und unten durch runde Kappen geschlossener
Glaskörper, je nach der Arbeitsweise von durchschnittlich etwa 0,3 m Durchmesser und
1,5 m Länge oder 0,5 m Durchmesser und 1,2 m Höhe. Die untere Kappe wird im Feuer
geöffnet und zur Zylinderform ausgeweitet, die obere Kappe abgeschnitten, darauf der
Hohlzylinder kalt der Länge nach aufgeschnitten und in einem Wärmeofen (Streckofen)
soweit erweicht, dass er zu einer Tafel, der Fensterscheibe, ausgestreckt werden
kann. Dieses seit altersher ausgebildete Verfahren hat sich bekanntlich bis in die
Jetztzeit neben dem jüngeren Walzverfahren behauptet, bei welchem die Glasschmelze
auf einen Stahltisch ausgegossen und durch eine Walze zur Tafel ausgebreitet wird.
Dieses Walzverfahren liefert aber einmal nur Platten von beträchtlicher Dicke (von
mindestens 5 mm), welche für Flügelfenster zu schwer und für Schaufenster deshalb
nicht ohne weiteres verwendbar sind, weil ihre Oberfläche der des getriebenen
Metalles gleicht. Das Rohglas ist daher nur durchscheinend und muss, um die
mächtigen und blitzblanken Scheiben unserer Aus:
lagen zu liefern, einer zeitraubenden und kostspieligen Schleif- und Polierarbeit
unterworfen werden. Das geblasene Tafelglas aber vereinigt von Haus aus Hochpolitur
mit geringer Dicke und geringem Gewicht.
Obgleich aber das Gewicht einer Glaswalze nur wenige Kilogramme (je nach Wandstärke
10–15 kg) beträgt, stellt die Tafelglasbläserei doch ganz ausserordentliche
Anforderungen an die Körperkraft und Gewandtheit des Glasbläsers, welche zusammen
mit der starken Anstrengung der Lungen und den Wirkungen von Ofenhitze und Zug den
Bläser rasch verbrauchen. Wenngleich im Verhältnis hierzu der Lohn der Bläser nicht
hoch ist, stellt er an sich einen bedeutenden Betrag dar und macht einen grossen
Teil der Herstellungskosten aus, Grund genug, um immer aufs neue Versuche anzuregen,
die handwerksmässige Bläserei durch ein mechanisches Verfahren zu ersetzen. Diese
Bestrebungen reichen schon Jahrzehnte zurück, haben aber im Jahre 1902 einen
erneuten kräftigen Anstoss erhalten, als der amerikanische Window Glass Trust in Pittsburg ein von dem Glastechniker LubbersDas
Verfahren geht vielfach unter dem Namen Chambers, der aber nur Leiter des Trusts war, nicht Erfinder
ist. ausgearbeitetes Verfahren zur mechanischen
Fensterglaserzeugung aufnahm und mit wahren Reklamefanfaren in Szene setzte. Die
Zwischenzeit hat erwiesen, dass den grossen Worten eine gleich grosse Tat nicht zur
stand, und die Glasindustrien Europas haben sich von der anfänglichen Verblüffung,
um nicht zu sagen Panik, erholt. Auf dem Schauplatz der Erfindungen aber hat sich
seitdem ein fieberhafter Wettstreit entwickelt, um den Grundgedanken, auf welchem
die Lubberssche Erfindung beruht, zu einem
leistungsfähigen Verfahren auszubilden. Dieser Grundgedanke ist übrigens nicht das
Eigentum von Lubbers, sondern lange vor ihm (mindestens
schon von Thomas Parish, 1881) ausgesprochen worden und
ist folgender:
Wenn man einen metallenen Stab oder einen Ring in wagerechter Lage in geschmolzenes
Glas eintaucht und darauf langsam anhebt, so bleibt an den Metallstücken eine
Schicht Glas hängen von Tafel- bezw. Zylinderform, welche allmählich fester wird –
besonders wenn man die Abkühlung künstlich unterstützt – und imstande ist, am
unteren Rande weiteres Glas aus der Schmelze herauszuheben. Die Glastafel bezw. der
Glaszylinder setzt sich also an der Wurzel, dort wo er die Schmelze berührt, von
selbst fort. Dieses Verfahren wird häufig aber wenig treffend
„Ziehverfahren“, richtiger „Aushebeverfahren“ bezeichnet. Hat man
durch Ausheben einen Zylinder gewonnen, so wird derselbe wie die durch Blasen
gewonnene Glaswalze durch Aufschlitzen und Strecken in Tafelglas verwandelt. Bei dem
Ausheben von Zylindern verwendet man als „Fangstück“ in der Regel nicht einen
Ring, sondern einen runden Deckel mit abwärts gerichteten Rändern, welcher den
oberen Abschluss des mit den Deckelrändern gefangenen und ausgehobenen Zylinders
bildet und mit einer Pressluftleitung versehen ist, um Luft in den Zylinder
einzublasen und das Zusammenfallen oder Zusammengedrücktwerden desselben zu
verhindern. Es würde zu weit führen in die Einzelheiten dieser mit dem Sievertschen Verfahren in Wettbewerb stehenden
Arbeitsweisen einzudringen. Es genüge festzustellen, dass bei dem Verfahren von Lubbers und dem Window Glass
Trust Glaswalzen ausgehoben werden. So widersprechend die Angaben über die
Leistungsfähigkeit des Verfahrens lauten, so scheint doch soviel sicher zu sein,
dass es in den Hütten des Window Glass Trust
industriell ausgeführt wird. A. Jungers berichtet im
„Moniteur de la Céramique“ 1905, No. 4, S. 37, dass der Trust in sieben
Hütten mit vierzehn Wannen, welche sonst mit 717 Bläsern besetzt waren, jetzt 122
Aushebemaschinen im Gange hat, welche ein der Arbeitsleistung von 650 Bläsern
entsprechende Menge Fensterglas liefern.
Diese Erzeugung erfordert bei Handarbeit insgesamt 1950 Mann (650 Bläser und 1300
Hilfsmannschaft), bei Maschinenarbeit 624 Mann. Die Leistung einer Maschine
berechnet sich aus den von Jungers angegebenen Zahlen
auf etwa 2700 qm in sechs Tagen. Mögen diese Angaben verbürgt sein oder nicht, so
ist doch soviel sicher, dass die durchschnittliche Güte des Maschinenerzeugnisses
beträchtlich hinter der des inländischen von Hand gearbeiteten Fensterglases
zurückbleibt.
In Europa ist in neuerer Zeit das Aushebeverfahren durch Fourcault in Belgien wieder aufgenommen und verbessert worden. Fourcault hebt nicht Walzen mit Hilfe eines
ringförmigen Fangstückes, sondern Tafeln mit Hilfe eines stabförmigen Fangstückes
aus. Der erstarrte Anfang der Glastafel wird darauf zwischen Asbestwalzen gefasst
und in einem Kühlschacht emporbewegt, an dessen oberen Ende die Tafel in passenden
Längen abgeschnitten wird, während sie unten aus der Schmelze beständig
herauswächst. Die Hebegeschwindigkeit ist eine sehr geringe, dem Auge kaum
wahrnehmbare. Indessen ist nicht allein die so sehr geringe Leistung der Menge nach
die Schwäche des Verfahrens, als die geringe Güte des Erzeugnisses.
Es liegt nun der Gedanke nahe, dass bei wirklich erheblich herabgesetzten
Gestehungskosten auch ein der geringeren Qualität entsprechend herabgesetzter
Verkaufspreis noch lohnenden Gewinn ergeben könnte. Diese Rechnung trifft indessen
infolge der besonderen Verhältnisse unserer Tafelglasindustrie im allgemeinen nicht
zu. Die Arbeit des Tafelglasbläsers und die anschliessende Streck- und Kühlarbeit
ist so vielen unvermeidlichen Zufälligkeiten ausgesetzt, dass nur ein Teil des
erzeugten Fensterglases auch in der bestgeleiteten Hütte tadellos oder gut ist. Ein
ganz erheblicher Teil der Erzeugung ist durch Schlieren, Buckeln, Luftbläschen,
Kratzer im Glase entstellt und muss wohl oder übel als geringe Qualität zu Preisen
auf den Markt gebracht werden, die einen lohnenden Gewinn nicht lassen oder
überhaupt nichts abwerfen. Die Sache steht also im ganzen so, dass die guten
Qualitäten das Ertrag bringende Erzeugnis darstellen und die geringen einen
Einnahmeausfall erzeugen, der, so gut es geht, niedrig gehalten wird. Mechanische
Verfahren also, welche nur geringe Sorten Fensterglas erzeugen, stehen im Wettbewerb
mit dem Ausschuss der Handbläserei, der unter allen Umständen und schlimmsten Falles
zu jedem Preise losgeschlagen werden muss, ein Verhältnis, das die Preisbildung des nach dem
Aushebeverfahren gewonnenen Glases von Anfang an auf die abschüssige Bahn zu drängen
geeignet ist.
Nur scheinbar führt übrigens diese Erörterung vom Thema ab. Sie ist notwendig, weil
sie den Masstab aufzeigt, der an die Beurteilung eines neuen mechanischen
Tafelglasverfahrens gelegt werden muss, also auch an das hier eigentlich in Frage
stehende Sievertsche Blaseverfahren.
Textabbildung Bd. 320, S. 683
Fig. 1.
Textabbildung Bd. 320, S. 683
Fig. 2.
Wie schon früher angegeben, ist das Sievertsche
Verfahren ein Blaseverfahren, bei welchem aus einer am Ende einer Pressluftleitung
angesammelten Glasmasse durch Einblasen von Luft eine Glasblase, in diesem
besonderen Falle von Walzenform hergestellt wird. Das Besondere des Sievertschen mechanischen Blaseverfahrens gegenüber der
Handbläserei liegt, wie erinnerlich, darin, dass der Glasposten zunächst zu einer
Schicht oder Schwarte ausgebreitet wird, deren Umriss dem Grundriss des zu blasenden
Körpers an der Mündung entspricht. An diesem Umriss wird die Glasschwarte mit einem
kongruenten Rahmen festgehalten und innerhalb des Rahmens durch ein Druckmittel, in
der Regel Pressluft, ausgedehnt. Die aus dem früheren Aufsatz wiederholten Fig. 1 und 2
veranschaulichen das Gesagte.
Die Oeffnung s einer Grundplatte (Fig. 1) ist zunächst durch einen an der Platte
angelenkten Deckel n verschlossen. Die der Oeffnung
entsprechend umrissene, aber etwas grössere feurig-bildsame Glasschwarte wird auf
dem Deckel n ausgebreitet oder anderweit vorbereitet
und über den Deckel gelegt. Darauf wird der Rahmen o
aufgedrückt, so dass seine Ränder die Ränder der Glasschicht festklemmen, und der
Deckel n dann entfernt. Hierbei fängt die Glasschicht
in der entstandenen Oeffnung durchzusinken an und ihre Ausdehnung zu einem
Hohlkörper wird durch Einblasen von Pressluft durch Zuführungen s1 zwischen Deckel o und Glasschicht vollendet.
Bei der Anordnung nach Fig. 2 wird die auf einer
Unterlage a liegende Glasschwarte, welcher z.B. durch
Einebnen in einer flachen Vertiefung die gewünschte Dicke und Umriss gegeben worden
ist, an den abwärts stehenden Rändern f des Blasdeckels
o angeheftet, indem diese Ränder zunächst glühend
gemacht worden sind, damit das Glas daran zu haften vermag. Zur Erhitzung des Randes
ist derselbe in der Figur isoliert gelagert und mit einer Stromzuleitung versehen,
so dass er durch elektrische Widerstandserhitzung zum Erglühen gebracht werden kann.
Selbstverständlich kann das Anwärmen des Rahmens aber auch im Feuer geschehen. – Um
nun dieses Blaseverfahren zur Erzeugung von Tafelglaswalzen brauchbar zu machen,
waren zwei Hauptschwierigkeiten zu überwinden. Einmal musste die in der anfänglichen
Glasschwarte vorhandene Glasmasse zu einem im Verhältnis zu seinem Durchmesser
beträchtlich langen Zylinder ausgedehnt werden, und zwar zu einem Zylinder von ganz
gleichmässiger Wandstärke. Ferner musste dafür gesorgt werden, dass die Walze sich
der reinen Zylinderform möglichst vollkommen annäherte, ohne dass aber eine
Blaseform zu Hilfe genommen wurde, welche die „Feuerpolitur“ des Glases
verdorben haben würde. Im Zylinder etwa vorhandene Beulen usw. liefern beim
Ausstrecken ein entsprechend unebenes, faltiges Tafelglas. Die Versuche ergaben,
dass eine der überlieferten Tafelglasbläserei angenäherte Arbeitsweise Erfolg
versprach, nur dass die Arbeit wegen der zu bewältigenden möglichst grossen
Glasmassen einer Maschine übertragen wurde, welche in Fig.
3 schematisch dargestellt ist. i ist eine
runde Platte, welche um die am unteren Ende des Bügels g befindlichen Zapfen so gedreht werden kann, dass ihre Unterseite nach
oben kommt. In dieser Stellung wird die zu einer Walze nötige Glasmenge aufgegossen
und am Herabfliessen durch den Rand k gehindert. Der
Rand k wird mittels eines hindurchgeschickten
elektrischen Stromes (s. Transformator l) erhitzt, so
dass das Glas daran haftet. Nunmehr wird die Platte i
wieder nach unten gedreht, wobei die vom Rande k
gehaltene Glasschicht sich in der Mitte von der Platte i ablöst und gleich einem Beutel nach unten hängt. Bis hierher entspricht
das Verfahren dem an Fig. 1 und 2 erläuterten. Um den Beutel zu der Walze u auszurecken, wird durch die Plattenmitte in den
Beutel Pressluft eingeblasen und deren Wirkung dadurch unterstützt, dass die Platte
mit dem Beutel in Schwingbewegungen (um die Achse c)
versetzt wird, wodurch die Glasmasse einen Längszug nach unten erfährt. Die genaue
Kreisform des Querschnittes wird dadurch erzielt, dass die Walze während des Blasens
(durch das Getriebe p, q) in Umdrehung versetzt wird.
Alle hierzu nötigen Maschinenbewegungen werden durch elektrische, von einem
gemeinschaftlichen Kontroller y aus beherrschte Motoren
herbeigeführt. Da die Ausdehnung der Walze bis zu ihrer beträchtlichen Endgrösse
Zeit in Anspruch nimmt, ist es nötig, ihre Bildsamkeit durch Anwärmen aufrecht zu
erhalten. Bei der hergebrachten Tafelglasbläserei geschieht dies, indem die an der
Pfeife sitzende Walze wagerecht in das Glutloch eines trommelförmigen Anwärmeofens
eingeführt wird. Hier dagegen ist der Anwärmeofen sehr viel zweckmässiger zu einer
unter der Maschine befindlichen Feuergrube ausgebildet. Zweckmässiger, weil die
Schwere der Glasmasse während des Anwärmens noch weiter streckend und gerade
richtend auf die Walze wirkt. Von Zeit zu Zeit wird der, die Platte i tragende Gleitrahmen c
herabgelassen, wobei die Platte C sich selbsttätig
verschiebt und die Walze in die Feuergrube eingesenkt wird. –
Textabbildung Bd. 320, S. 683
Fig. 3.
(Schluss folgt.)