Titel: | Entwurf einer Schwebebahn für Berlin. |
Fundstelle: | Band 320, Jahrgang 1905, S. 705 |
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Entwurf einer Schwebebahn für
Berlin.
Entwurf einer Schwebebahn für Berlin.
Von der „Continentalen Gesellschaft für elektrische
Unternehmungen“, welche sich bekanntlich an dem lebhaften, die
Erweiterung der Schnellverkehrsmittel Berlins betreffenden Wettbewerb durch den
Antrag zur Herstellung einer Schwebebahnlinie beteiligt hat, wurde kürzlich eine
Denkschrift ausgegeben, in welcher die Nützlichkeit der Errichtung einer solchen
Bahn unter Vorführung einer reichen Menge ebenso interessanter als geschickt
beleuchteter Unterlagen und statistischer Ziffern erläutert wird. Nach dem
Endergebnis dieser Darstellungen würde die Hauptaufgabe der künftigen Berliner
Schnellverkehrs-Anlagen zuvörderst in der Entlastung der Leipziger Strasse
vermittels einer Nordsüdlinie liegen, deren Endpunkte
durch den geeigneten, nämlich durch einen dem gegenwärtigen und voraussichtlich
künftigen Vorortverkehr angepassten Anschluss an die Stadtbahn gegeben erscheinen.
Geleitet von dieser Erwägung sowie auf Grund der eingehendsten Vorerhebungen über
die verschiedenen örtlichen Bauhindernisse und Untergrundverhältnisse liess die
genannte Gesellschaft den in Fig. 1 und 2 näher ersichtlich gemachten Entwurf ausarbeiten. Er
hat allerdings für ihre Kostenanschläge und Rentabilitätsberechnung als Unterlage
gedient, ist dabei aber selbstverständlich in den Einzelheiten keineswegs als
unabänderlich anzusehen, da ja erst nach der behördlichen Prüfung oder bei der
Ausführung den sich herausstellenden Anforderungen Rechnung zu tragen sein wird.
Vorläufig zog man in letzterer Beziehung lediglich in Betracht, dass allenfalls
anstatt der Linienführung durch die Prinzenstrasse jene über den Luisenstädtischen
Kanal gewählt werden könne, in ähnlicher Weise, wie auf der Schwebebahn Barmen–Elberfeld–Vohwinkel der Lauf der Wupper
ausgenützt ist; doch wird vorläufig auf diese mögliche Abweichung im vorliegenden
Entwurf kein Bezug genommen.
Nach letzterem soll die Schwebebahnlinie vom Bahnhof Gesundbrunnen der Stadtbahn ausgehend, natürlich zweigleisig, ihren Weg
durch die Brunnen- und Lothringer Strasse, das Scheunenviertel, die
Kaiser Wilhelm-, Dickens-, Neue Ufer-, Ohm-, Neander-,
Prinzen-, Lade-, Wilms-, Dieffenbach-Strasse, dann über den Hohenstaufenplatz, den Kottbuser Damm, den Hermannplatz sowie
schliesslich durch die Berliner- und Berg-Strasse bis zur Britzer
Grenze nehmen, wo der zweite Endbahnhof seinen Platz erhält. Da die Enden
dieser Linie als Kehrschleifen angeordnet sein werden, bilden die beiden Gleise der
Bahn eine in sich geschlossene, ununterbrochene Fahrbahn, welche, soweit sie von
Reisenden benutzt wird, keine einzige Weiche enthält. Im ganzen sind 17
Anhaltestellen vorgesehen, nämlich: Gesundbrunnen,
Lortzing-Strasse, Bernauer Strasse, Invaliden-Strasse, Rosenthaler Thor,
Schönhauser Thor, Alexanderplatz, Jannowitz-Brücke, Schmid-Strasse, Moritzplatz,
Prinzen-Strasse, Grimmstrasse, Hermannplatz, Amtsgericht,
Hohenzollernplatz, Rixdorf und Britzer
Grenze.
Die Länge der ganzen Linie einschliesslich der Haltestellen Gesundbrunnen und Britzer Grenze, jedoch
ungerechnet die Kehrschleifen und Betriebsbahnhöfe, beträgt fast genau 11,900 km,
wovon 3,335 km in Krümmungen und 8,565 km in Geraden, sowie 4,885 km in Gefälle und
7,015 km wagerecht liegen. Insgesamt sind für die Richtungsänderungen der laufenden
Bahn 33 Bogen in Aussicht genommen, von denen die vier schärfsten den Halbmesser von
50 m erhalten sollen. Das stärkste in der Fahrbahn vorkommende Gefälle ist mit 1 :
30 vorgesehen. Die Schienenoberkante liegt an den niedrigsten Stellen der Bahn 10 m,
an der höchsten 21,5 m hoch über der Strassenoberfläche und ist die letztgenannte
ausserordentliche Höhe im Kilometer 4,292 bis 4,407 bedingt, wo die Schwebebahn in
einem schiefen Winkel die Westlinie der Stadtbahn übersetzt, weil daselbst gemäss
Anforderung der Königl. Eisenbahn-Direktion soviel Raum oberhalb des
Stadtbahnkörpers frei bleiben muss, als es geboten erscheint, um für spätere Zeiten
den allenfalls nötig werdenden Aufbau eines zweiten Stockwerkes der Stadtbahn nicht
zu behindern. Eben infolge dieser Bahnübersetzung ergibt sich auch die
Notwendigkeit, zunächst derselben auf eine Strecke von 230 m das weiter oben
erwähnte stärkste Gefälle von 1 : 30 einzulegen. Nebst dieser Bahnübersetzung zählt
zu den bedeutendsten Bauwerken der offenen Strecke die Ueberbrückung der Spree
zwischen Kilometer 4,670 und 4,680, vergl. Fig. 3,
wo der Fluss durch einen einzigen aus parabolischen Trägern gebildeten Bogen
überspannt werden soll, dessen Scheitel etwa 16 m über dem mittleren Wasserstand der
Spree liegt, während ihn das die Fahrschienen und die Station Jannowitzbrücke tragende Brückengerüst noch um 5 m
überragt. An zwei Stellen, nämlich zwischen der Neuen
Uferstrasse und der Ohmstrasse sowie zwischen
letzterer und der Neander-Strasse nimmt die
Schwebebahnlinie ihren Verlauf durch Häuserblocks und sind sonach auch an diesen
Punkten besonders schwierige Bauausführungen zu gewärtigen.
Was die Anhaltestellen und Bahnhofanlagen betrifft, so geht die Absicht dahin,
vorläufig den Bahnsteighallen und Bahnsteigen mindestens eine Länge von 48 m zu
geben, d. i. soviel, als für Züge, welche aus drei Wagen bestehen, erforderlich ist,
diese Baulichkeiten aber derart anzulegen, dass sie künftighin gesteigerten
Bedürfnissen angepasst und ohne Schwierigkeiten verlängert werden können. Für die
Endbahnhöfe liegt zuvörderst bloss der in Fig. 4
wiedergegebene Grundriss des Endbahnhofes Gesundbrunnen
vor, dem im wesentlichen auch der andere Betriebsbahnhof in Rixdorf bezw. Britz nachgebildet werden soll.
Wie sich zeigt, sind sämtliche Gleise derart angeordnet, dass sie bei der Benutzung
durch Fahrzeuge für
alle Fälle nur das Vorwärtsfahren der letzteren bedingen. Als Abschluss des
Doppelgleises der laufenden Linie gliedert sich ersterem eine Kehrschleife an, von
der sich in einem Aste zwei Nebengleise abzweigen, welche den Zweck haben, ohne
jegliche Störung des Betriebes das Anhalten von Fahrzeugen behufs Untersuchung der
Treibwerke oder Wagen durchführen zu lassen oder auch die Einschiebung von
Ersatzfahrzeugen oder von frisch auslaufenden Erforderniszügen zu gestatten, sei es
um etwaige Unregelmässigkeiten in der Zugfolge auszugleichen oder die Anzahl der
Züge beliebig und ohne Zeitverlust zu vermehren.
Textabbildung Bd. 320, S. 706
Fig. 1. Lageplan der Linie.
Die an die Kehrschleife anschliessenden Schuppengleise dienen
zur Aufstellung der Reservewagen und sind namentlich auch dazu bestimmt, die
Aenderungen in den
Zuglängen, nämlich die Vermehrung oder Verminderung der zu einem Zug vereinigten
Wagen zu ermöglichen. Welche Weichengattung auf den Betriebsbahnhöfen in Anwendung
kommen soll, ist leider im Entwürfe nicht ersichtlich und auch im Texte nicht
erwähnt, doch werden für die Wahl derselben natürlich die auf der Linie Barmen–Elberfeld–Vohwinkel
gemachten Erfahrungen, wo dreierlei Weichengattungen in Verwendung stehen,
massgebend sein.
Hinsichtlich der Konstruktion des Traggerüstes sowie der Durchführung der Fahrgleise
und der Stromzuführungen nebst sonstiger Ausrüstung der Fahrbahn wird mit Ausnahme
verschiedener kleiner an Einzelheiten durchzuführender Verbesserungen, wie sich
solche durch die Erfahrung ergeben haben, keine irgendwie wesentliche Abweichung von
den auf der Schwebebahn Barmen–Elberfeld–Vohwinkel
bewährten Formen und Anordnungen in Aussicht genommen. Zum Tragen der Fahrbahn nebst
Untergerüste sollen jedoch in Berlin lediglich sogenannte Mittelstützen,
Fig. 5, wie sie laut Entwurf beispielsweise für die
Prinzenstrasse in Vorschlag gebracht wurden, oder Gabelträger,
Fig. 6, zur Verwendung kommen, es wäre denn, dass
die schon weiter oben erwähnte Variante der Linienführung über den Luisenstädter
Kanal platzgreifen würde, wo natürlich nur schräge Schwebebahnstützen benutzt werden
könnten. Aus den beiden Abbildungen Fig. 5 und 6 lässt sich auch ersehen, dass sowohl die
Mittelstützen als die Gabelstützen für eine mehr oder minder reiche architektonische
Ausstattung keineswegs ungeeignet sind und dass in dieser Beziehung für die
Erzielung befriedigender Erfolge lediglich der gute Geschmack und die für
Verschönerungszwecke verfügbaren Geldmitteln massgebend sein werden. Da ferner in
allen den ausnahmslos schnurgraden und durchweg mindestens 22 m breiten Berliner
Strassen, welche die Schwebebahn durchlaufen soll, immer nur eine einzige
Stützenform zur Verwendung käme, müssten sich Strassenbilder ergeben, gegen welche
vom malerischen Standpunkte eher geringere als nennenswertere Vorwürfe vorgebracht
werden können, als solche von strengen Aesthetikern gegen die in städtischen
Strassen oberirdisch angelegten Schnellverkehrsanlagen im allgemeinen erhoben
werden.
Zur Beförderung von Fahrgästen soll auf der Berliner Schwebebahn ausschliesslich nur
eine einzige Gattung Fahrzeuge Verwendung finden, nämlich mit zwei Motoren
ausgestattete Treib wagen von der in Fig. 7, 8 und 9 im Grundriss, Aufriss
und Querschnitt gekennzeichneten Anordnung, mit einem Fassungsraum für 85 Personen,
von denen 46 Sitzgelegenheit vorfinden. Die vorne wie rückwärts in der Form eines
halben Sechseckes abgeschrägten, 15,0 m langen, 2,60 m breiten und 2,35 m hohen
Wagen gelangen bei der Bewegung, wie Fig. 7 zeigt, in einem
gegenseitigen Abstande von 1,40 m an einander vorüber. Jeder Wagen ist mit einer
besonderen Zugschaltungseinrichtung versehen, welche ihm gestattet, ebensogut
einzeln als in Verbindung mit anderen Wagen zu fahren und letzterenfalls ohne
Rücksicht auf die Reihenfolge, einem Zuge angekuppelt zu werden, wobei die solcher
Art zusammengestellten Züge von dem Führer des jeweilig an der Zugspitze
befindlichen Wagens gelenkt werden.
Textabbildung Bd. 320, S. 707
Fig. 2. Längenprofil.
Als eine wichtige zugehörige Betriebseinrichtung hat noch das zur Sicherung des
Zugverkehrs vorgesehene elektrisch-selbsttätige Natalissche Blocksignal Erwähnung zu finden, welches in D. p. J. 1902, 317, S. 125, 138, 155, ausführlich beschrieben wurde,
sich auf der Schwebebahn Barmen–Elberfeld–Vohwinkel vorzüglich bewährt hat und nun auch in Berlin zur
Anwendung kommen soll. Die Signalgebung wird lediglich durch die fahrenden Züge
gesteuert und geschieht mittels elektrischer Glühlampen, welche für Freie Fahrt grünes, für Halt rotes Licht sehen lassen, das an sämtlichen Haltestellen, sowohl den
Zugführern als den Stationswärtern genau anzeigt, ob die in der Zugrichtung liegende
Strecke bis zur nächsten Haltestelle noch von einem Zuge besetzt oder zugfrei ist.
Da es nur letzterenfalls erlaubt ist, die Fahrt fortzusetzen, werden also die
einzelnen Folgezüge stets mindestens auf Stationsentfernung auseinander
gehalten.
Textabbildung Bd. 320, S. 708
Fig. 3. Spreekreuzung nächst der Jannowitzbrücke.
Textabbildung Bd. 320, S. 709
Fig. 4. Grundriss der Betriebsstation Gesundbrunnen.
Der Hauptvorzug dieser Blocksignaleinrichtung liegt in ihrer Zuverlässigkeit
sowie in dem Umstand, dass bei etwa eintretenden Fehlern hierdurch höchstens eine
Verzögerung der Zugfolge, niemals aber eine die Sicherung der Züge beeinträchtigende
Signalfälschung hervorgerufen werden kann. Ausser der selbsttätigen
Blocksignalanlage werden natürlich für die weitere gegenseitige Verständigung der
den Fahrdienst leitenden Stationswärter untereinander oder mit der Betriebsleitung
oder auch mit den Zugführern auf der Strecke, geeignete Fernsprechanlagen vorhanden
sein.
Textabbildung Bd. 320, S. 710
Fig. 5. Prinzenstrasse.
Was endlich die Betriebsführung anbelangt, so ist zuvörderst nur eine einzige gediegen ausgestattete Wagenklasse in Aussicht genommen mit getrennten Abteilen für Raucher und
Nichtraucher; ferner sollen die Züge in der Regel, d.h.
solange es die jeweilige Beanspruchung der Bahnlinie zulässt, nur aus je einem Wagen bestehen und in den frühen Morgen- sowie in
den späten Abendstunden alle 10 Minuten, während der übrigen Tagesstunden jedoch
alle 5 Minuten hintereinander verkehren, welche Aufeinderfolge jedoch nach
Erfordernis bis auf 2 Minuten herabgemindert werden kann. Bei einer grössten
Fahrgeschwindigkeit von 50 km/Std. und einer mittleren Fahrgeschwindigkeit von 30
km/Std. würden
sich – die wichtigsten Bahnstrecken in Betracht gezogen – die Fahrzeit der Züge:
von der Anhaltestation Gesundbrunnen bis zur Anhaltestation Rosenthaler Thor
auf 42/4
Min.
von der Anhaltestation Rosenthaler
Thor bis zur Anhaltestation Alexanderplatz
auf 2¾ Min.
Textabbildung Bd. 320, S. 711
Fig. 6. Brunnenstrasse.
Textabbildung Bd. 320, S. 712
Fig. 7, 8 und 9. Wagen.
von der Anhaltestation Alexanderplatz bis zur Anhaltestation Moritzplatz
auf 5¼ Min.
von der Anhaltestation Moritzplatz
bis zur Anhaltestation Hermannplatz
auf 5 Min.
von der Anhaltestation Hermannplatz
bis zur Anhaltestation Rixdorf
auf 4¾ Min.
zusammen also von Gesundbrunnen
bis Rixdorf auf 22¼ Minuten belaufen.
Der Zweiminuten-Verkehr mit Zügen von drei Wagen vorausgesetzt, für welche Züge, wie
schon bemerkt, die Anlagen der Haltestelle zu vörderst bemessen wurden, liesse sich
täglich die Beförderung von 7500 Fahrgästen in jeder Bahnrichtung, zusammen also von
15000 Personen bewältigen, was mindestens eine Jahresleistung von 40 bis 50
Millionen Einzelfahrten der Fahrgäste bedeuten würde. Sobald sich aber Anforderungen
geltend machen, welche über diese Grenze der ersten Anlage hinaus drängen, werden
die grössten Züge sechs Wagen erhalten und demgemäss die Haltestellen die bereits
vorgesehene bauliche Erweiterung erfahren müssen, wodurch natürlich die
Leistungsfähigkeit der Bahn sich verdoppeln wird. Einer solchen äussersten Leistung
sind übrigens im Entwürfe die Betriebsbahnhöfe bereits angepasst, deren
wohlüberlegte günstige Anlage es eben ist, die ein ganz ausserordentlich schnelles
Zusammensetzen und Zerlegen der Züge gestattet. Letzteres geschieht nämlich in der
Weise, dass der abzuändernde Zug unmittelbar in den Schuppen einfährt, während am
anderen Ende oder von einem anderen Gleise des Schuppens ein die erforderliche
Anzahl Wagen enthaltender Zug ausfährt, um unverzüglich an Stelle des ersteren Zuges
den Dienst in der Linie aufzunehmen bezw. fortzusetzen. Die solcherweise weder durch
Rückfahrten noch durch anderweitige Wagenverschiebungen verzögerte Aufeinanderfolge
der Züge würde es immerhin möglich machen, auch noch mit dem für die Zugfolge
vorläufig vorgesehenen geringsten Zeitabstand unter 2 Minuten herabzugehen, doch
erscheint es vorläufig fraglich, ob hierfür auf die Zustimmung der Behörden
gerechnet werden dürfte.