Titel: | Zur Theorie der Wechselstromkreise. |
Autor: | Leo Lichtenstein |
Fundstelle: | Band 321, Jahrgang 1906, S. 118 |
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Zur Theorie der Wechselstromkreise.
Von Leo Lichtenstein,
Berlin.
(Schluss von S. 112 d. Bd.)
Zur Theorie der Wechselstromkreise.
Die Beeinflussung des Voltmeters bei naheliegendem Draht (Formel 21) ist
geringfügig, die bei weit abliegendem Draht (Formel 20) kann sehr bedeutend
ausfallen.
Textabbildung Bd. 321, S. 118
Fig. 11.
Um die Richtigkeit der Formel 19 und daher auch der aus dieser abgeleiteten Formeln
20 und 21 zu prüfen, ist folgender Versuch ausgeführt worden. Durch die in Fig. 11 abgebildete Schleife ABCD wurde Wechselstrom geschickt und Spannung, Strom und Verbrauch an der Maschine gemessen. Dann wurde die Spannung an
dem Leiter AB
„direkt“ gemessen, während als Spannungsleiter nacheinander die Drähte EF, E1F1 und E2F2 dienten. Die
gemessenen Werte sind:
Strom = 98,8 Amp.
Spannung der Maschine = 55,75 Volt
Spannung
an
AF
(Spannungsleiter
EF) = 27,1
Volt
„
„
AF
1
( „
E1F1) =
28,2
„
„
„
AF
2
( „
E2F2) = 29,0
„
Verbrauch = 3920 Watt.
Frequenz = 29,1 ∾/sek.
Der Wechselstromwiderstand eines Leiters ist 1/2\cdot \frac{3920}{(98,8)^2}\mbox{ Ohm}=0,201\mbox{ Ohm }(\mbox{bei }12,4^{\circ}\mbox{ C}). Der Gleichstromwiderstand ist
\frac{1}{55,0}\cdot \frac{1050}{100}\mbox{ Ohm }0,1910\mbox{ Ohm}.
Der „ohmsche Spannungsabfall“ pro Leiter
E0 =
0,201 Ohm. 98,8 Amp. = 19,85 Volt.
Diese Spannung würde man mit einem dicht an den Leiter
AB (oder CD) gelegten
Spannungsleiter messen.
Statt dessen messen wir mit den Spannungsdrähten EF,
E1F1, E2F2 Spannungen, die um 40 v. H. grösser sind!
Wie aus obigen Zahlen ersichtlich, ist die gemessene
Spannung um so grösser, je weiter der Spannungsdraht von dem Leiter CD
abliegt.
Je weiter also der Spannungsdraht entfernt ist, um so grösser wird die induktive
Beeinflussung.
Rechnen wir die mit dem Draht EF gemessene Spannung
nach.
Die durch die Schleife ABEF gehende Kraftlinienzahl
ist nach 19)
N=98,8\cdot \left\{2\mbox{ log nat }\frac{200\cdot 0,565}{100\cdot 100}+1,0\right\}\cdot 1,05\cdot 10^4\,(C\,G\,S)
Die induzierte elektromotorische Kraft ist
\begin{array}{rcl}E_{ind}&=&2\,\pi\,\sim\cdot N\cdot 10^{-8}\mbox{ Volt}=\\&=&2\,\pi\cdot 29,1\cdot 98,8\cdot \left\{2\mbox{
log nat }\frac{200\cdot 0,565}{100\cdot 100}+1,0\right\}\cdot 1,05\cdot 10^{-4}\mbox{ Volt}\\&=&20,1\mbox{ Volt}.\end{array}
Die gesamte Spannung ist
E=\sqrt{{E_0}^2+(E_i)^2}=\sqrt{(19,85)^2+(20,1)^2}=28,2\mbox{ Volt}.
Der gemessene Wert war 27,1 Volt.
Die Uebereinstimmung ist als gut zu bezeichnen.
Die Kraftlinienzahl TV wächst nicht mit der Entfernung des Spannungsleiters ins
Unendliche, sondern strebt einem endlichen Grenzwerte zu.
Wird d1 = ∞, so wird
auch d2
= ∞, \frac{d_1}{d_2}=1, und folglich, wie wir bereits gefunden
haben,
N=J\,\left\{2\mbox{ log nat }\frac{r}{d_3}+1,0\right\}\cdot l\cdot 10^4;\ (C\,G\,S) 20)
Da in der Formel 19) das Verhältnis \frac{d_1}{d_2} unter dem Zeichen des Logarmthmus
steht, so wird der Grenzwert 20) nahezu erreicht, wenn \frac{d_1}{d_3} nur einigermassen
gross ist.
Vergleicht man die Formel 20) mit der Gleichung 5), so sieht man sofort, dass N gleich der Hälfte der Zahl der Kraftlinien ist, die
von dem Strom in ABCD durch die Schleife ABCD selbst geschickt worden. Daraus kann man folgenden
interessanten Schluss ziehen:
Textabbildung Bd. 321, S. 119
Fig. 12.
Nehmen wir an, dass wir eine Messung nach der in Fig.
12 dargestellten Schaltung ausführen. Es ist dies nebenbei bemerkt die
Schaltung, die bei Messungen an Freileiteranlagen sehr häufig zur Anwendung gelangt.
J, E, A mögen die dabei gemessenen Werte des
Stromes, der Spannung und des Verbrauches bedeuten. Da in dem Spannungsdraht und im
Voltmeter der Verbrauch praktisch gleich Null ist, so folgt zunächst
J2w1 = A,
wo w1
= Widerstand des Leiters AB bedeutet.
Weiter ist
E=\sqrt{(J\,w_1)^2+\left(\frac{d\,N}{d\,t}\right)^2},
wofür man nach dem, was wir über den Wert der Kraftlinienzahl
bemerkt haben, schreiben kann
E=\sqrt{(J\,w_1)^2+(\pi\,\sim\,J\,L)^2}.
E ist offenbar die Hälfte der Spannung, die man mit dem
zwischen A und D
eingebauten Voltmeter messen würde. A ist die Hälfte
des Verbrauchs der Stromschleife ABCD. Daraus folgt
weiter, dass der nach der in Fig. 12 abgebildeten
Schaltung gemessene Leistungsfaktor demjenigen der Stromschleife ABCD gleich ist. Man kann also aus den durch die
Messung nach Fig. 12 gelieferten Daten die
Konstanten des untersuchten Stromkreises ohne weiteres ableiten. Die wesentliche
Voraussetzung für die Richtigkeit der Ergebnisse bildet die Forderung, dass der
Spannungsleiter EF zu den Stromleitern AB und CD räumlich
parallel in einer im Verhältnis zu CB und AD grossen Entfernung liegt.
Bestehen die Leiter AB und CD aus Eisen und ist die Stromverteilung über den ganzen Querschnitt
vollkommen gleichmässig, so gelten dieselben Regeln. Bei Wechselstrom ist aber die
Stromdichte in eisernen Leitern nicht konstant, und da man in der Praxis meist mit
den Schienen (also nicht kreiszylindrischen Leitern) zu tun hat, so würden Messungen
nach Fig. 12 meist sehr ungenaue Resultate liefern.
Ganz falsche Ergebnisse würde man jedenfalls erhalten, wenn man die Schaltung nach
Fig. 12 auf die Untersuchung der aus Fahrleitern
(Kupfer) und Schienen (Eisen) gebildeten Schleifen anwenden wollte.
Wir haben im vorhergehenden bewiesen, dass, wenn der Spannungsdraht dicht an einem
der Stromleiter liegt, von dem Voltmeter der ohmsche Spannungsabfall in jenem Leiter
gemessen wird. Dieser Satz gilt nicht mehr mit genügender Genauigkeit, wenn der
betrachtete Leiter ferromagnetisch ist. Ist die „äquivalente Permeabilität“
des Leiters AB (Fig.
11) gleich μ, so erhält man für die
Kraftlinienzahl N statt der Gleichung 21) die
Formel
N = J . l . μ . 104 (CGG).
Da μ wesentlich grösser als 1
ist, so wird man N in der Regel nicht vernachlässigen
können.
Textabbildung Bd. 321, S. 119
Fig. 13.
Die Schaltung mit Benutzung eines Spannungsleiters (Fig.
12) wird häufig bei der Untersuchung verketteter Stromkreise (z.B.
Drehstromleiter-Systeme) angewendet (Fig. 13). Die
Messung nach Fig. 13 führt stets zu falschen
Resultaten. Dies hat der Verfasser in einer in der „Zeitschr. für
Elektrotechnik“ veröffentlichten Arbeit bewiesen (s. „Zeitschr. für
Elektrotechnik“, Wien, 1904, Heft 17 u. 18). Wie man in diesem und in
ähnlichen Fällen die Messungen auszuführen hat, ist an der bezeichneten Stelle
ausführlich auseinandergesetzt worden.
II.
Nachdem wir im ersten Teile dieser Arbeit einige Eigentümlichkeiten der
Wechselstromkreise hervorgehoben haben, gehen wir dazu über, einige für die
Berechnung von Wechselstromnetzen massgebende Gesichtspunkte zu entwickeln.
Textabbildung Bd. 321, S. 120
Fig. 14.
Betrachten wir ein irgendwie zusammenhängendes Leitersystem (Fig. 14). Ist Et die in dem Stromkreise ABCDF wirkende momentane elektromotorische Kraft, Jt der Momentanwert des Stromes in einem
Leiter der Schleife, w der Widerstand dieses Leiters,
Nt die durch die
betrachtete Stromschleife gehende augenblickliche Kraftlinienzahl, so gilt für jede Stromschleife eine Gleichung
E_t=\Sigma\,J_t\cdot w+\frac{d\,N_t}{d\,t} . . . . 1)
Sind weiter J1t, J2t – – – Jnt Momentanströme in
den zu einem Knotenpunkt gehörigen Leitern, so besteht die Relation
∑Jt =
0 . . . . . . . . . . 2)
Sind alle elektromotorischen Kräfte Et gegebene Funktionen der Zeit, so ergeben die
Gleichungen 1) und 2) zur Bestimmung aller Ströme J ein
System von gewöhnlichen linearen Differentialgleichungen. Integriert man diese, so
findet man sämtliche J als Funktionen der Zeit. Sind
insbesondere alle Et
Sinusfunktionen der Zeit, hat man also mit sinusförmigen Spannungen zu tun, so
werden nach dem Eintritt des Beharrungszustandes die Ströme Jt sinusförmig. Die Gleichungen 1) und 2)
liefern eine Reihe endlicher Gleichungen, nach deren
Auflösung man Jt als
Funktion der Zeit erhält. Sind die Ströme Jt einmal bekannt, so macht die Bestimmung der
ohmschen und der induktiven Spannungsabfälle natürlich keine Schwierigkeiten
mehr.
Textabbildung Bd. 321, S. 120
Fig. 15.
Wir wollen das Problem der Stromverteilung in seiner ganzen Allgemeinheit nicht
angreifen und lediglich einen Spezialfall, der für die Praxis von besonderer
Wichtigkeit ist, einer näheren Betrachtung unterziehen.
Wir betrachten ein System paralleler kreiszylindrischer Stromleiter (Fig. 15) und bezeichnen
die momentanen Werte der Ströme mit
J1t, J2t – – – – Jut,
die Leiterhalbmesser mit
r1, r2– – – rn,
die gegenseitigen Entfernungen der Lei- terachsen
mit
dl2d13d23
usw.,
die „äquivalenten Permeabilitäten“ der Leiter
mit
μ1, μ2 usw.
Die Ströme gelten als positiv, wenn sie die in Fig.
15 durch Pfeile angegebene Richtung haben.
Wir betrachten jetzt eine Stromschleife ABCD von der
Länge l, die von den beiden Leitern 1 und 2 und den
Querverbindungen AD und BC
(z.B. Generator und Motor) gebildet wird. Die Momentanspannung des Generators AD sei Et, sie gilt als
positiv, wenn sie für sich betrachtet einen Strom in der Richtung DCBA durch die Stromschleife schicken würde. Wie gross
ist nun die Spannung Et' an CB? Sind
die Ströme und die Klemmenspannung des Generators Et bekannt, so lässt sich die Gegenspannung des
Motors Et' eindeutig bestimmen. Die Aufgabe kann man aber auch
anders formulieren.
Sind die Ströme in dem Leitersystem bekannt, wie gross ist der in der Stromschleife
ABCD auftretende Spannungsabfall?
Es ist dies eine Aufgabe, die bei der Projektierung von Bahnleiternetzen für
Wechselstrom von der grössten Wichtigkeit ist.
Die Gegenspannung Et' gilt als positiv, wenn sie, für sich betrachtet, den
Strom in der Richtung CDAB erzeugen würde.
Ist der Leiter 1 ein Fahrleiter, Leiter 2 die Schiene, so haben wir es mit der Bestimmung des
Spannungsabfalles in einer normalen Wechselstrombahnschleife zu tun.
Ueber die Form der Strom- und Spannungskurve machen wir zunächst keine beschränkenden
Voraussetzungen, da die Gleichungen sich auf die Momentanwerte der Zeitfunktionen
beziehen.
Wir bemerken noch, dass, da die Summe aller Ströme zu jeder Zeit verschwindet,
J1t +
J2t + – – – – – Jnt = 0.
Nach den Fundamentalformeln von Kirchhoff und Helmholtz ist
E_t-E'_t=J_{1^t}\,w_1-J_{2^t}\,w_2+\frac{d\,N_t}{d\,t}.
Die Kraftlinienzahl Nt berechnet sich aus der Zahl der Kraftlinien, die
von jedem Strom einzeln betrachtet, durch ABCD
durchgeschickt werden. Es ist nun
N_{1t}=J_{1t}\,\left[2\mbox{ log nat }\frac{d_{12}}{r_1}+\frac{1}{2}\,\mu_1\right]\cdot lN_{2t}=-J_{2t}\,\left[2\mbox{ log nat }\frac{d_{12}}{r_2}+\frac{1}{2}\,\mu_2\right]\cdot lN_{3t}=-J_{3t}\,\left[2\mbox{ log nat }\frac{d_{13}}{d_{23}}\right]\cdot l=J_{3t}\,\left[2\mbox{ log nat }\frac{d_{23}}{d_{13}}\right]\,l.N_{4t}=J_{4t}\,\left[2\mbox{ log nat }\frac{d_{24}}{d_{14}}\right]\cdot l
– – – – – –
N_{nt}=J_{nt}\,\left[2\mbox{ log nat }\frac{d_{2n}}{d_{1n}}\right]\cdot l
3)
folglich
\begin{array}{rcl}N_t&=&J_{1^t}\,\left\{2\,\mbox{log nat}\,\frac{d_{12}}{r_1}+\frac{1}{2}\,\mu\right\}\cdot l-J_{2^t}\,\left\{2\,\mbox{log
nat}\,\frac{d_{12}}{r_2}\right\\&+&\left\frac{1}{2}\,\mu_2\right\}\cdot l+J_{3^t}\,\left\{2\,\mbox{log nat}\,\frac{d_{23}}{d_{13}}\right\}\cdot
l\\&+&J_{4^t}\,\left\{2\,\mbox{log nat}\,\frac{d_{24}}{d_{14}}\right\}\cdot l+\_\,\_\,\_\,\_\,\_\\&+&J_{n^t}\,\left\{2\,\mbox{log
nat}\,\frac{d_{n2}}{d_{n1}}\right\}\cdot l.\end{array}
Wir erhalten also
\begin{array}{rcl}E_t&-&E'_t=J_{1^t}\,w_t-J_{2^t}\,w_2+\frac{d\,J_{1^t}}{d\,t}\cdot \left\{2\,\mbox{log nat}\,\frac{d_{12}}{r_1}+\frac{\mu}{2}\right\}\cdot
l\\&-&\frac{d\,J_{2^t}}{d\,t}\,\left\{2\,\mbox{log nat}\,\frac{d_{12}}{r_2}+\frac{\mu_2}{2}\right\}\cdot l\\&+&\frac{d\,J_{3^t}}{d\,t}\,\left\{2\,\mbox{log
nat}\,\frac{d_{23}}{d_{13}}\right\}\cdot l+\frac{d\,J_{4^t}}{d\,t}\,\left\{2\,\mbox{log nat}\,\frac{d_{24}}{d_{14}}\right\}\,l\end{array}
+\_\,\_\,\_+\frac{d\,J_{nt}}{d\,t}\,\left\{2\,\mbox{log nat}\,\frac{d_{n2}}{d_{n1}}\right\}\cdot l . . . . . . 4)
Den Ausdruck rechts können wir, wie folgt, umformen:
E_t-E_t'=\left\{J_{1t}\,w_1+\left(-2\mbox{ log nat }r_1+\frac{\mu_1}{2}\right)\cdot l\cdot \frac{d\,J_{1t}}{dt}\right
+(-2\mbox{ log nat }d_{21})\cdot l\cdot \frac{d\,J_{2t}}{dt}+
+(-2\mbox{ log nat }d_{31})\cdot l\cdot \frac{d\,J_{3t}}{dt}+..........
\left+(-2\mbox{ log nat }d_{n1})\cdot l\cdot \frac{d\,J_{nt}}{dt}\right\}\cdot l-
-\left\{J_{2t}\,w_2+\left(-2\mbox{ log nat }r_2+\frac{\mu_2}{2}\right)\,l\,\frac{d\,J_{2t}}{dt}\right
-(2\mbox{ log nat }d_{12})\cdot l\cdot \frac{d\,J_{1t}}{dt}+(2\mbox{ log nat }d_{32})\cdot l\cdot \frac{d\,J_{3t}}{dt}
\left+.....+(-\mbox{ log nat }d_{n2})\cdot l\cdot \frac{d\,J_{nt}}{dt}\right\}.
5)
Durch Oeffnen der Paranthesen und Zusammenziehen der Logarithmen überzeugt man sich
leicht von der Identität der Ausdrücke 4) und 5).
Die beiden durch das Minuszeichen getrennten Glieder rechter Hand bezeichnen wir im
folgenden mit ΔV1 und
ΔV2.
Wir finden also
Et– Et' = ΔV1t
– ΔV2t . . . . . . . . . .
6)
ΔV1 nennen wir zur
Vereinfachung „Spannungsabfall des Leiters 1“,
ΔV2
„Spannungsabfall des Leiters 2“.
Diese Definition eines Spannungsabfalles f. d. Leiter ist offenbar rein formell. Wie wir bereits
bewiesen haben, kamen einzelnen Leitern einer Stromschleife bei Wechselstrom ein
Spannungsabfall nicht zu. –
Unter Spannungsabfall f. d. Leiter wird hierbei stets eine fingierte Differenz des
Potentials am Leiteranfang und Leiterende verstanden. Es ist leicht einzusehen, dass
die Gleichung 6) so verstanden, formell vollkommen richtig ist. Sind nämlich die
fingierten Potentiale der Punkte A, B, C, D
Va,
Vb, Vc, Vd,
so ist
E
t
= V
d
– V
a
Et' =
Vc– Vb
ΔV1t =
Vd
– Vc
ΔV2t =
Va – Vb,
folglich
Et– Et' = ΔV1t
– ΔV2t.
Betrachten wir den Ausdruck
ΔV1t = Spannungsabfall des Leiters l
\begin{array}{rcl}&=&J_{1^t}\,w_1+\left(-2\,\mbox{log nat}\,r_1+\frac{\mu}{2}\right)\cdot l\cdot \frac{d\,J_{1^t}}{d\,t}+\\&+&(-2\,\mbox{log
nat}\,d_{21})\cdot l\cdot \frac{d\,J_{2^t}}{d\,t}+\_\,\_\,\_\,\_\,\_\\&+&(-2\,\mbox{log nat}\,d_{v1})\cdot l\cdot \frac{d\,J_{nt}}{d\,t}\end{array} . . . . . . 7)
etwas näher. Bezeichnen wir
\left(-2\mbox{ log nat }r_1+\frac{\mu_1}{2}\right)\cdot l=L_1
\left(-2\mbox{ log nat }r_2+\frac{\mu_2}{2}\right)\cdot l=L_2
\begin{array}{rcl} \left(-2\mbox{ log nat }d_{21}\right)\cdot l&=&\left(-2\mbox{ log nat }d_{12}\right)\cdot l\\ &=&M_{12}=M_{21},\end{array}
\begin{array}{rcl} \left(-2\mbox{ log nat }d_{31}\right)\cdot l&=&\left(-2\mbox{ log nat }d_{13}\right)\cdot l\\ &=&M_{13}=M_{31},\end{array}
\begin{array}{rcl} \left(-2\mbox{ log nat }d_{32}\right)\cdot l&=&\left(-2\mbox{ log nat }d_{23}\right)\cdot l\\ &=&M_{32}=M_{23}.\end{array}
8)
und überhaupt
\left(-2\mbox{ log nat }d_{pq}\right)\cdot l=\left(-2\mbox{ log nat }d_{qp}\right)\cdot l=M_{pq}=M_{qp},
so nimmt die Gleichung 7) die Gestalt an:
\Delta\,V_{1^t}=J_{1^t}\,w_1+L_1\,\frac{d\,J_{1^t}}{d\,t}+M_{21}\,\frac{d\,J_{2^t}}{d\,t}+M_{31}\,\frac{d\,J_{3^t}}{d\,t}+\_\,\_\,\_\,\_+M_n\,\frac{d\,J_{n^t}}{d\,t} . . . . . . . . . . 9)
und analog
\Delta\,V_{2^t}=J_{2^t}\,w_2+L_2\,\frac{d\,J_{2^t}}{d\,t}+M_{12}\,\frac{d\,J_{1^t}}{d\,t}+M_{32}\,\frac{d\,J_{3^t}}{d\,t}+\_\,\_\,\_\,\_+M_{n2}\,\frac{d\,J_{nt}}{d\,t} . . . . . . . . . . 10)
Betrachten wir jetzt vorübergehend ein System getrennter Stromkreise 1, 2, – – – – n und
bezeichnen
die
Widerstände mit w1, w2 – – – wn,
„
Koeffizienten
der
Selbstinduktion mit
L1, L2– – – Ln,
„
„
„
gegenseitigen Induktion
M12, M13,
M23 – – – – Mm – 1, n,
„
Momentanströme mit J1t, J2t – – – – Jnt.
Sind die im Stromkreise 1
wirkenden elektromotorischen Kräfte Et und – Et'
(gegenelektromotorische Kraft), so gilt die Relation
Spannungsabfall des Stromkreises (1) \Delta\,V_{1^t}=E_t-E'_t=J_{1^t}\,w_1+L_1\,\frac{d\,J_{1^t}}{d\,t}+M_{21}\,\frac{d\,J_{2^t}}{d\,t}+M_{31}\,\frac{d\,J_{3^t}}{d\,t}+\_\,\_\,\_\,\_+M_{n1}\,\frac{d\,J_{nt}}{d\,t}.
Dieser Ausdruck ist mit demjenigen, den wir für den Spannungsabfall im Leiter 1 abgeleitet haben, identisch. Daraus ergibt sich die
formelle Berechtigung der Einführung der Konstanten
L und M (Formel 8) als
Koeffizienten der Eigen- und der gegenseitigen Induktion gestreckter Drähte.
Daraus ergibt sich weiter folgende Regel zur Bestimmung des Spannungsabfalles in
einem Leiter des Stromsystems Fig. 15. Man berechne die Koeffizienten der Selbst- und der
gegenseitigen Induktion aller Leiter des Systems nach den Formeln 8) und verfahre so, wie wenn die Leiter in Stromschleifen,
deren Konstanten die gefundenen Werte haben, umgewandelt worden wären.
Dass die nach Formel 8) bestimmten Koeffizienten der Selbst- und gegenseitigen
Induktion nur rein formelle und keine physikalische Bedeutung haben, erhellt daraus,
dass man, wie wir an einem Spezialfall gesehen haben, mit einem ganz anderen
System der elektromagnetischen Konstanten ebenfalls zu richtigen Resultaten kommen
kann. Die Formeln 8) bis 10) gelten für Wechselströme beliebiger Kurvenform und
Phasenverschiebung. Sind die Ströme sinusförmig, so kann man für J die Ausdrücke von der Form
Jpt =
Ap cos (ωt + αp) . . . . . . .
. . . 11)
einsetzen. Sind alle Ströme gleichphasig, so kann man
α1 =
α2 = – – – = αn = 0
setzen.
Für die weitere Anwendung nehmen wir jetzt alle Ströme sinusförmig und gleichphasig
an und setzen den Effektivwert des Stromes in dem Leiter p gleich Jp.
Den Effektivwert des Spannungsabfalles in den Leitern 1
und 2 bezeichnen wir mit ΔV1 und ΔV2. Offenbar tritt jetzt an Stelle der algebraischen
Addition in den Formeln 9) und 10) die geometrische ein und wir erhalten
\left.{{\Delta\,V_1=J_1\,w_1\,\overset{\wedge}{+}\,\left\{2\,\pi\,\sim\,(L_1\,J_1+M_{21}\,J_2+M_{31}\,J_3+\_\,\_\,\_+M_{n1}\,J_n)\right\}}\atop{\Delta\,V_2=J_2\,w_2\,\overset{\wedge}{+}\,\left\{2\,\pi\,\sim\,(L_2\,J_2+M_{12}\,J_1+M_{32}\,J_3+\_\,\_\,\_+M_{n2}\,J_n)\right\}}}\right\}\
11\mbox{ a})
Die Glieder J1w1 und J2w2 können wir als die
ohmschen, die Klammerausdrücke als die induktiven Spannungsabfälle der Leiter 1 und 2 bezeichnen.
Den gesamten Spannungsabfall der Schleife 1 2 erhält man
durch graphische Konstruktion oder Berechnung.
Die Formeln 8) bis 10) sind zuerst von A. Blondel in der
„Éclairage électrique“ tome I im Jahre 1894 unter Aufwendung von ziemlich
beträchtlichen mathematischen Hilfsmitteln abgeleitet worden. Blondel ging bei seinen Untersuchungen von den
allgemeinen Maxwellschen Feldgleichungen aus.
Die im obigen gegebene Ableitung lässt den Zusammenhang mit den Grundgleichungen von
Kirchhoff-Helmholtz deutlich erkennen.
Wir wollen die Formeln 8) bis 10) auf einige einfache Fälle anwenden. Wir betrachten
zunächst eine einfache Wechselstromschleife (Fig.
1). In diesem Falle ist
J2= – J1,
J3= – – – – = Jn = 0.
Da die beiden Ströme gleichphasig sind, so können wir die Formeln 11) zur Anwendung
bringen.
Wir finden
\Delta\,V_1=J_1\,w_1\,\overset{\wedge}{+}\,\{2\,\pi\,\sim\cdot (L_1\,J_1+M_{21}\,J_2)\}=J_1\,w_1\,\overset{\wedge}{+}\,\{2\,\pi\,\sim\,(L_1-M_{21})\,J_1\}
und analog
\Delta\,V_2=-J_1\,w_2\,\overset{\wedge}{+}\,\{2\,\pi\,\sim\,(M_{12}-L_2)\,J_1\}=-[(J_1\,w_2\,\overset{\wedge}{+}\,\{-2\,\pi\,\sim\,(L_2-M_{12})\,J_1\}]
\Delta\,V-\Delta\,V_2=J_1\,(w_1+w_2)\,\overset{\wedge}{+}\,\{2\,\pi\,\sim\,[L_1+L_2-2\,M_{12}]\,J_1\}.
Nun ist
L1 + L2 – 2 M12 = – 2 log nat r1 – 2 log nat r2
\begin{array}{rcl}&+&\frac{\mu_1}{2}+\frac{\mu_2}{2}+4\,\mbox{log nat}\,d_{12}=2\,\mbox{log nat}\,\frac{d_{12}}{r_1}\\&+&\mbox{log
nat}\,\frac{d_{12}}{r_2}+\frac{\mu_1}{2}+\frac{\mu_2}{2}\\&=&\frac{1}{2}\,\left\{\mu_1+\mu_2+4\,\mbox{log nat}\,\frac{{d_{12}}^2}{r_1\,r_2}\right\};\end{array}
\Delta\,V_1-V\,\Delta_2=J_1\,(w_1+w_2)\,\overset{\wedge}{+}\,\left\{+2\,\pi\,\sim\cdot \frac{1}{2}\,\left(\mu_1+\mu_2+4\,\mbox{log
nat}\,\frac{{d_{12}}^2}{r_1\,r_2}\right)\cdot J_1\right\};
Der ohmsche Spannungsabfall der Schleife ergibt sich hieraus zu
J1
(w1
+ w2),
der induktive zu
J_1\cdot 2\,\pi\,\sim\cdot \frac{1}{2}\,\left\{\mu_1+\mu_2+4\mbox{ log nat }\frac{{d_{12}}^2}{r_1\,r_2}\right\}.
Diese Formel stimmt bis auf die stets zulässige Vereinfachung des Ausdrucks im Zähler
mit der eingangs gegebenen (s. Formel 5)) überein.
Textabbildung Bd. 321, S. 122
Fig. 16.
Als zweites Beispiel betrachten wir ein Drehstromsystem (Fig. 16). Wir nehmen an, dass die Leiterströme sinusförmig und um 120°
resp. 240° gegeneinander verschoben sind. Ihre effektiven Werte sollen einander
gleich sein. Der zeitliche Verlauf der Ströme ist also durch folgende Formeln
gegeben:
J_{1t}=J\,\sqrt2\,\mbox{sin}\,\omega t;\ \omega= 2\,\pi\,\sim
J_{2t}=J\,\sqrt2\cdot \mbox{sin}\,(\omega t+120^{\circ})=J\,\sqrt2\,\mbox{sin}\,\left(\omega t+\frac{2\,\pi}{3}\right);
J_{3t}=J\,\sqrt2\cdot \mbox{sin}\,(\omega t+240^{\circ})=J\,\sqrt2\,\mbox{sin}\,\left(\omega t+\frac{4\,\pi}{3}\right);
12)
Bilden die Leiterachsen die Kanten eines regulären Prismas und sind die
Leiterhalbmesser einander gleich, so hat man weiter
d12 =
d23 = d31
= d;
r
1
= r
2
= r
3
= r;
L
1
= L
2
= L
3
= L;
M12 =
M23 = M31 = M.
Aus 12) folgt nun weiter
\frac{d\,J_{1t}}{dt}=J\,\sqrt{2}\cdot \omega\cdot \mbox{cos}\cdot \omega t
\frac{d\,J_{2t}}{dt}=J\,\sqrt{2}\cdot \omega\cdot \mbox{cos}\cdot \left(\omgea t+\frac{2\,\pi}{3}\right)
\frac{d\,J_{3t}}{dt}=J\,\sqrt{2}\cdot \omega\cdot \mbox{cos}\cdot \left(\omgea t+\frac{4\,\pi}{3}\right)
13)
Die Gleichung 9) geht jetzt über in
\Delta\,V_{1^t}=J\,\sqrt{2}\cdot \sin\,\omega\,t\cdot w+J\,\sqrt{2}\cdot \omega\,\left[L\,\cos\,\omega\,t+M\cdot \cos\,\left(\omega\,t+\frac{2\,\pi}{3}\right)+M\,\cos\,\left(\omega\,t+\frac{4\,\pi}{3}\right)\right].
Bekanntlich ist aber
\cos\,\left(\omega\,t+\frac{2\,\pi}{3}\right)+\cos\,\left(\omega\,t+\frac{4\,\pi}{3}\right)=-\cos\,\omega\,t
und folglich
\Delta\,V_{1^t}=J\,\sqrt{2}\cdot \sin\,\omega\,t\cdot w+J\,\sqrt{2}\cdot \omega\,[L-M]\cdot \cos\,\omega\,t;
Die Gleichung 10) ergibt weiter
\begin{array}{rcl}\Delta\,V_{2^t}&=&J\,\sqrt{2}\cdot \sin\,\left(\omega\,t+\frac{2\,\pi}{3}\right)\cdot w+J\,\sqrt{2}\cdot
\left[L\,\cos\,\left(\omega\,t+\frac{2\,\pi}{3}\right)\right\\&+&M\,\cos\,(\omega\,t)+M\,\cos\,\left\left(\omega\,t+\frac{4\,\pi}{3}\right)\right]=\\&=&J\,\sqrt{2}\cdot
\sin\,\left(\omega\,t+\frac{2\,\pi}{3}\right)\cdot w+J\,\sqrt{2}\cdot \omega\cdot \cos\,\left(\omega\,t+\right\\&+&\frac{2\,\pi}{3}\left\right)\cdot
[L-M].\end{array}
Wir finden weiter
\Delta}\,V_{1t}-\Delta\,V_{2t}=J\,\sqrt2\cdot w\,\left\{\mbox{sin}\,\omega t-\mbox{sin}\,\left(\omega t+\frac{2\,\pi}{3}\right)\right\}
+J\,\sqrt2\cdot \omega\,(L-M)\cdot \left\{\mbox{cos}\,\omega t-\mbox{cos}\,\left(\omega t+\frac{2\,\pi}{3}\right)\right\}
=J\,\sqrt2\cdot \frac{\sqrt3}{2}\cdot 2\,w\cdot \mbox{sin}\,\left(\omega t+\frac{\pi}{6}\right)+
+J\,\sqrt2\cdot \frac{\sqrt3}{2}\cdot 2\,w\,(L-M)\cdot \mbox{sin}\,\left(\omega t-\frac{\pi}{6}+\frac{\pi}{2}\right)
14)
Nun ist
2\,(L-M)=2\,l\,\left(-2\mbox{ log nat }r+\frac{1}{2}\right)-2\,l\,(-2\mbox{ log nat }d)=2\,l\,\left(2\mbox{ log nat }\frac{d}{r}+0,5\right)=\frac{1}{2}\cdot
l\,\left(8\mbox{ log nat }\frac{d}{r}+2,0\right).
Weiter ist \frac{J\,\sqrt{2}}{\sqrt{3}}\,\sin\,\left(\omega\,t-\frac{\pi}{6}\right) der Grösse und der Phase nach der Strom, der bei der
Dreieckschaltung des Drehstromgenerators in dem Zweig 1
2 fliessen würde. Bezeichnen wir diesen mit Jt' so können
wir, da
\frac{d}{d\,t}\,\sin\,\left(\omega\,t-\frac{\pi}{6}\right)=\omega\cdot \cos\,\left(\omega\,t-\frac{\pi}{6}\right)=\omega\,\sin\,\left(\omega\,t+\frac{\pi}{2}-\frac{\pi}{6}\right),
die Gleichung 14) auch schreiben:
\Delta\,V_{1^t}-\Delta\,V_{2^t}=(3\,J'_t)\,w\,\overset{\wedge}{+}\,\frac{1}{2}\,(L-M)\cdot 2\cdot \frac{d\,(3\,J'_t)}{d\,t};
2\,(L-M)=\frac{1}{2}\cdot l\,\left(8\mbox{ log nat }\frac{d}{r}+2,0\right)
ist nach der Formel 5) der Selbstinduktionskoeffizient des
Stromkreises 1122. Bezeichnen wir ihn mit L', so finden wir
\Delta\,V_{1^t}-\Delta\,V_{2^t}=w\cdot (3\,J'_t)\,\overset{\wedge}{+}\,\frac{L'}{2}\cdot \frac{d\,(3\,J'_t)}{d\,t}.
Der Spannungsabfall des Stromkreises 1122 ist gerade so
gross, wie der Spannungsabfall in einem Wechselstromkreise vom Widerstand w und Selbstinduktionskoeffizienten \frac{L'}{2}, der von
dem Strome (3Jt')
durchflössen wird.
Dieses Beispiel mag als Bestätigung der Richtigkeit der Blondelschen Rechnungsmethode genügen. Diese erweist sich in einfachen
Fällen als verhältnismässig kompliziert, leistet aber in verwickelten Fällen gute
Dienste. Auf die verschiedenen Vereinfachungen, die sie zulässt, sowie die
praktische Berechnung der Wechselstrombahnleiteranlagen überhaupt kann hier nicht
weiter eingegangen werden.
Zum Schluss möchte ich zur weiteren Vertiefung der im ersten Teil dieser Arbeit
eingeschnittenen Fragen auf die vorzügliche Abhandlung von Fritz Emde:
„Spannung, Spannungsdifferenz, Potential, Potentialdifferenz, Elektromotorische
Kraft“ in der „Zeitschrift für Elektrotechnik“, Wien, 1905, Heft 50,
verweisen.