Titel: | Ueber die Formänderung von Drahtseilen. |
Autor: | Hirschland |
Fundstelle: | Band 321, Jahrgang 1906, S. 209 |
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Ueber die Formänderung von
Drahtseilen.
Von Diplom-Ingenieur Hirschland, Essen.
Ueber die Formänderung von Drahtseilen.
I. Allgemeines über die Formänderung von Drahtseilen.
Festigkeit und Elastizität des Drahtseiles waren trotz seiner sehr verbreiteten
Anwendung in technischen Anlagen bis vor wenigen Jahren nur in geringem Masse
geklärt. Erst in neuerer Zeit ist man an die eingehende Untersuchung des Drahtseiles
herangetreten und durch Arbeiten von RudeloffMitteilungen aus den Kgl. Technischen
Versuchsanstalten zu Berlin. 1889. Rudeloff.
Untersuchungen über die Beziehungen zwischen der Zugfestigkeit von
Drahtseilen einerseits und deren Konstruktion und Material andrerseits.desgl. 1897. Rudeloff. Bericht über die
Ergebnisse von Voruntersuchungen mit Drähten und Litzen zur Feststellung des
Einflusses der Konstruktion auf die Festigkeitseigenschaften von
Drahtseilen., HrabákHrabák. Die
Drahtseile, 1902., DivisJahrbuch der k. k. Bergakademien zu Leoben und
Pribram. 1904. Divis. Der Elastizitätsmodul von
Förderdrahtseilen; und Oesterreichische Zeitschrift für Berg- und
Hüttenwesen,1900. Divis. Einiges über Seildraht und
Drahtseile, sowie desgl.1903. Divis. Die Beanspruchung der
Litzenseelendrähte., KásJahrbuch der k. k. Bergakademien zu Leoben und
Pribram. 1901. Kás. Beanspruchung der
Schachtförderseile mit Rücksicht auf die bei dem Betrieb vorkommenden
Stossäusserungen. und BenndorfZeitschrift des österreichischen Ingenieur-
und Architektenvereins. 1904/05. Benndorf
Beiträge zur Theorie der Drahtseile. sind viele der bisherigen
Unklarheiten und Widersprüche bei der Beurteilung der Drahtseile beseitigt worden.
Die Untersuchungen dieser Forscher beschäftigen sich mit der Bestimmung der
Zerreissfestigkeit, der Beanspruchung und des Elastizitätsmasses der Drahtseile,
sowie des einzelnen Drahtes.
Die Grösse der Arbeit, die bei einem auf Zug oder Biegung beanspruchten Drahtseile
zur Aenderung der Form aufgewendet wird, ist in neueren Forschungen nicht in die
Betrachtung einbezogen.
Ueber diese Fragen liegen nur ältere Untersuchungen von Weisbach„Der
Ingenieur“, Zeitschrift für das gesamte Ingenieurwesen von Bornemann, Bruckmann und Köling. 1848. 1. Bd., S. 3 u. f. und Weisbach, Lehrbuch der Ingenieur- und
Maschinenmechanik, 1855, 1. Teil, S. 297 u. f., GrashofGrashof. Theoretische Maschinenlehre. 1883. Bd.
2, S. 319 u. f. und RedtenbacherRedtenbacher. Der Maschinenbau. 1862. 1. Bd. S.
296. vor. Weisbach suchte auf Grund
von Versuchen, die er mit ziemlich einfachen Mitteln anstellte, die Kraft zur
Ueberwindung der Seilsteifigkeit zu bestimmen. Er stellte dafür die Gleichung
auf:
S=0,49+0,238\,\frac{Q}{R}.
Hierin bedeutet
R den Krümmungsradius eines über eine Rolle gelegten
Drahtseiles in cm.
Q die an jedem Seilende befindliche Last in kg.
S die an einem Seilende befindliche Zusatzlast in kg,
welche unter der Annahme reibungsloser Zapfenanordnung eine gleichmässige Drehung
der Rolle herbeiführt.
Auf Grund derselben Versuche kam Grashof zu der
Beziehung:
S=\left(0,204+0,054\,\frac{Q}{R}\right)\,d^2,
worin d den Durchmesser des
Seiles in cm bezeichnet.
Redtenbacher spricht vom Steifheitswiderstand der
Drahtseile und hat für ihn aus einigen Versuchen gefunden, dass er durch
0,58\,Q\,\frac{d^2}{D}
ausgedrückt werden kann, worin
D den Krümmungsdurchmesser des Seiles in cm
bedeutet.
Diese drei Formeln können auf die heutigen Drahtseile mit anderem Geflecht und
anderem Material nicht mehr angewandt werden.
Ausserdem hat Grashof noch versucht, die elastische
Biegungsarbeit der Drahtseile durch Rechnung festzustellen. Zu dem Zweck nimmt er
an, dass das Drahtseil aus einzelnen geraden, unabhängigen Drähten besteht. Er setzt
dann die elastische Biegungsarbeit des Drahtseiles gleich der Summe der elastischen
Biegungsarbeiten dieser geraden unabhängigen Drähte, ohne auf den Einfluss der
wechselseitigen Einwirkungen zwischen den Drähten Rücksicht zu nehmen. Da diese
Annahmen nicht zutreffend sind, können die Ergebnisse den wirklichen Verhältnissen
nicht entsprechen.
Das Fehlen brauchbarer Werte zur Bestimmung der Formänderungsarbeit der Drahtseile
wird in der Fachliteratur vielfach hervorgehoben.
Zufolge einer Anregung von Professor Klein an der
Königl. Technischen Hochschule zu Hannover habe ich daher versucht, einen Beitrag
zur Aufklärung über die Formänderungsarbeit von Drahtseilen bei Beanspruchung auf
Zug und Biegung zu bringen. Gleichzeitig wurde der Dehnungskoeffizient der
Drahtseile in die Untersuchung einbezogen.
Es sei mir gestattet, Herrn Professor Klein für diese
Anregung und für die Unterstützung, durch die er meine Untersuchungen gefördert hat,
auch an dieser Stelle meinen ehrerbietigen Dank auszusprechen. Ebenso bin ich
Herrn Professor Frese zu grossem Dank verpflichtet,
weil er mich stets durch seinen Rat unterstützt und mir in liebenswürdigster Weise
für die Versuche die Benutzung des Ingenieur – Laboratoriums der Königl. Technischen
Hochschule zu Hannover gestattet hat. Auch möchte ich es nicht unterlassen, den
Herren Studierenden Katz und Trinks nochmals hier meinen verbindlichsten Dank auszusprechen dafür, dass
sie mir bei Anstellung der Versuche und beim Ablesen der Ergebnisse Hilfe geleistet
haben.
Das Drahtseil ist ein Zugorgan, bei dem Metalldrähte, meist in Verbindung mit
Hanffäden, schraubenförmig nach einem bestimmten Gesetz um eine gerade Achse
gewunden sind. Wirken Kräfte auf das Drahtseil ein, so wird es seine Form ändern.
Diese Formänderung besteht aus einer elastischen Umformung des Materials, zu der
eine Verschiebung der einzelnen Drähte gegeneinander hinzukommen kann.
Ausser der Belastung und dem Material sind Art des Geflechts, ob Rund-, ob Kabelseil,
ob mit Hanf- oder Metallseele, ob Albert- oder Kreuzschlag, Ganghöhe, Druck der
Drähte gegeneinander, Reibung zwischen den Drähten u.a. auf die Formänderung von
Einfluss.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Steigungswinkel des einzelnen Drahtes an
verschiedenen Stellen nicht gleich sind. Bei einem Drahtseil mit Kreuzschlag
verläuft der an der Seiloberfläche liegende Teil des Drahtesdfast parallel zur
Seilachse, also mit sehr grosser Steigung, während der Draht, je mehr er sich der
Achse des Seiles im weiteren Verlauf nähert, immer geringere Neigung annimmt. Mit
dem Steigungswinkel ändert sich der Querschnitt, der bei der Verteilung der Kräfte
für die Grösse der Beanspruchung massgebend ist. Von dem Steigungswinkel des
einzelnen Drahtes ist auch die Zerlegung der beanspruchenden Kräfte in Zug-,
Biegungs-, Drehungs- und Schiebungskräfte abhängig. Also wird diese Zerlegung für
den einzelnen Draht nicht überall gleich sein. Dazu kommt noch, dass im Drahtseil
verschiedene Materialien mit verschiedenen Dehnungskoeffizienten verwendet werden,
die je einen Teil der beanspruchenden Kräfte übernehmen.
Textabbildung Bd. 321, S. 210
Fig. 1.
Textabbildung Bd. 321, S. 210
Fig. 2.
Sodann ist noch zu berücksichtigen, dass schon in dem unbelasteten Drahtseil
Spannungen herrschen, die zweifellos von Einfluss auf seine Elastizität sind. Bei
der Herstellung der Drahtseile wird in den Flechtmaschinen der Draht
verschiedentlich scharf gebogen und über mehr oder weniger scharfe Kanten gezogen.
Hierdurch müssen sich Festigkeit und Elastizität der Drähte ändern. Sodann entsteht
beim AufwindenAusführliche Angaben
hierüber siehe „Zivilingenieur“ 1880. Wehage S. 81 u. f.
der Drähte zur Litze eine Spirale von verhältnismässig kleinem Durchmesser. Die
Drähte erhalten dabei eine bleibende Formänderung. In der noch nicht im Seil
verwendeten Litze ist jeder Draht in sich kongruent und in jedem Querschnitt
gleichmässig gekrümmt. Biegt man derartige Litzen (Fig.
1 und 2), wie es beim Aufwinden zum Seil
stattfindet, so wird die Krümmung an den aussenliegenden Teilen der Drähte in
den Litzen a grösser werden (der Krümmungsradius
kleiner), während an den innenliegenden Teilen b das
umgekehrte eintritt. Die Spannung der aussenliegenden Drahtteile wird sich dabei
wesentlich vermehren, die der innenliegenden Drahtteile verringern, und es können
hier die Zug- in Druckbeanspruchungen übergehen und umgekehrt. Jedenfalls finden
wieder neue Ueberschreitungen der Elastizitätsgrenze statt.
Dass bei der Herstellung der Drahtseile die Elastizitätsgrenze des Materiales
überschritten wird, und dass Spannungen in den Drähten herrschen, ersieht man klar
bei der Auflösung des Drahtseiles in die Seilelemente. Die Litzen und Drähte streben
auseinander, bilden aber auch noch nach ihrer Auslösung aus dem Seil spiralförmige
Körper.
Diese Beanspruchungen müssen bei rechnerischen Untersuchungen der inneren Vorgänge
der Drahtseile berücksichtigt werden.
Von grossem Einflüsse auf die elastische Formänderung der Drahtseile ist die Reibung
zwischen den Seilelementen. Sie hindert die einzelnen Drähte, unabhängig von
einander ihre Form zu ändern.
Man erkennt, dass der Kräfte- und der Formänderungszustand eines belasteten
Drahtseiles derart verwickelt ist, dass sich einer rechnerischen Verfolgung sehr
grosse Schwierigkeiten entgegensetzen.
II. Eigene Versuche mit Drahtseilen.
Zur Aufhellung dieser Schwierigkeiten sind deshalb von mir mit drei Drahtseilen
Versuche angestellt worden, welche beachtenswerte Einblicke in die Formänderung der
Drahtseile zulassen. Leider geben die Untersuchungen keinen genügenden Anhalt, um
die Spannungsverhältnisse des Drahtes im Seil bestimmen zu können. Die Versuche
wurden im Ingenieur-Laboratorium der Königl. Technischen Hochschule zu Hannover
vorgenommen.
1. Angaben über die
Versuchsseile.
Für die Versuchszwecke sind mir von der Aktien-Gesellschaft für Seilindustrie (vorm.
Ferd. Wolff) Mannheim-Neckarau (Baden) drei Drahtseile (s. Tab. 1 und
Fig.
3–5) bereitwillig zur Verfügung gestellt worden. Die Seile sind
galvanisierte, (verzinkte) Krandrahtseile aus Patent-Tiegelgussstahldraht.
Tabelle 1.
No.desSeiles
Seildurch-messer = din mm
Drahtstärkein mm
Anzahl derLitzen
Anzahl derDrähte in derLitze
Anzahl derDrähte im Seil
Bruchlast lt.Katalog in kg
Gewicht für1 m in kg
I
10
0,65
6
12
72
3300
0,25
II
12
0,65
6
24
144
6600
0,50
III
14
0,65
6
30
180
8200
0,65
Als kleinster Aufwicklungsdurchmesser ist von der Herstellungsfirma für die drei
Seile 260 mm angegeben.
Zur Bestimmung der Zerreissfestigkeit und des Dehnungskoeffizienten der Drähte
stellte ich mit neuem Drahtmaterial und mit Drähten aus den Seilen auf der
Universal-Probiermaschine von Leuner und durch
direkte Gewichtsbelastung Versuche an. Mit neuem Drahtmaterial erhielt ich eine
Zerreissfestigkeit von 15045 kg/qcm, mit Drähten aus den Seilen 15120 kg/qcm.
Der Dehnungskoeffizient, das ist der reziproke Wert des Elastizitätsmasses, ergab
sich, innerhalb des Gültigkeitsbereiches
des Hookeschen Gesetzes, in beiden Fällen zu
1/1950000
kg/qcm (Fig. 6). Dass sich in den beiden Fällen keine
wesentlichen Unterschiede ergeben, widerspricht den Erwartungen. Es kann dies
seinen Grund in einer Verschiedenartigkeit des Materials und in der
Ungenauigkeit der Zerreissmaschine haben.
Textabbildung Bd. 321, S. 211
Querschnitte der Versuchsseile.
Die Seile sind nach dem Kreuzschlag geflochten, und zwar alle Drähte in den
Litzen nach links, die Litzen im Seil nach rechts. Die Steigungswinkel der
Litzen in den Seilen und der Drähte in den Litzen wurden durch Messung der
Ganghöhen bestimmt. Es ergaben sich folgende Werte:
Tabelle 2.
Seil
Ganghöheder Litzenin
mm
Ganghöheder Drähte
Steigungs-winkelder
Litzen
Steigungswinkelder Drähte
äussereLagein mm
innereLagein mm
äussereLage
innereLage
I
85
40
14°
12°
II
100
60
30
14°
10°
12,5°
III
120
80
40
14°
9°
12°
Um die Länge der gestreckten Drähte festzustellen, wurde 1 m von jedem
Drahtseil abgeschnitten und auf beiden Seiten winkelrecht bearbeitet. Dann wurde
das Seil aufgelöst, die Drähte einzeln zwischen Klemmbacken gefasst, durch
geringe Belastung gerade gestreckt und ihre Länge gemessen. In demselben
Verhältnis wie beim Aufwickeln des Drahtes zum Seil die Länge abnimmt, muss der
Drahtquerschnitt wachsen. Bezeichnet man:
Textabbildung Bd. 321, S. 211
Fig. 6. Dehnungsdiagramm des Drahtes δ = 0,65 mm, bei einer Länge l = 300
mm.
die
Drahtlänge
aus
1
m
Drahtseil
der
äusseren
Lage
mit
l
a
„
„
„
„
„
„
„
inneren
„
„
l
1
die
Drahtzahl
der
äusseren
Lage
mit
i
a
„
„
„
inneren
„
„
i
1
die
Gesamtdrahtzahl mit
i
den
Durchmesser der Drähte mit
δ
den
mittleren metallenen Seilquerschnitt mit
q
1
so ist
1\,q^1=(l_a\,i_a+l_1\,i_1)\,\delta^2\,\frac{\pi}{4}=k\,i\,\delta^2\,\frac{\pi}{4}.
Die Summe aus den Drahtquerschnitten ist:
q=i\,\delta^2\,\frac{\pi}{4}
Es ergaben sich folgende Werte:
Tabelle 3.
Seil
Drahtlänge von1 m Drahtseil
Drahtzahl der
k
l\,\delta^2\,\frac{\pi}{4}in qmm
k\,l\,\delta^2\,\frac{\pi}{4}in qmm
äussereLagein mm
innereLagein mm
äusserenLage =ia
innerenLage =l1
I
1,05
72
1,05
23,8
25
II
1,051
1,056
90
54
1,053
47,6
50,1
III
1,045
1,053
108
72
1,048
59,6
62,3
(Fortsetzung folgt.)