Titel: | Der Wettstreit zwischen Geschütz und Panzer. |
Autor: | W. Treptow |
Fundstelle: | Band 321, Jahrgang 1906, S. 246 |
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Der Wettstreit zwischen Geschütz und
Panzer.
Von W. Treptow,
Charlottenburg.
Der Wettstreit zwischen Geschütz und Panzer.
Im Nachfolgenden soll der Versuch gemacht werden, eine Uebersicht über den
Wettstreit zwischen Geschütz und Panzer in den letzten Jahrzehnten zu geben. Dabei
soll weniger der militärische, speziell artilleristische oder schiffbautechnische
Standpunkt betont werden, von dem aus das Thema meistens in den Zeitschriften
behandelt wird, die sich überhaupt damit beschäftigen, es sollen vielmehr diejenicen
Gesichtspunkte in den Vordergrund gerückt werden, die den Techniker in erster Linie interessieren. Dazu ist es notwendig, den
jetzigen Zustand, der nach menschlichem Ermessen für einige Zeit stabil sein wird,
nicht als etwas Fertiges hinzustellen, sondern es soll nach Möglichkeit die Entwicklung all der Faktoren dargestellt werden, durch
deren Zusammenwirken jener Wettstreit zu Stande gekommen ist. Insbesondere soll
besprochen werden die Materialfrage der Geschütze, Geschosse und Panzer und – soweit
dies möglich – der Bau der Geschützrohre und ihre Lafettierung, die Konstruktion der
beiden Hauptgattungen von Verschlüssen, die mit dem gesamten Fortschreiten des
Eisenhüttenwesens auf das Innigste verknüpfte Entwicklung in der Fabrikation der
Panzerplatten und nicht zuletzt die Umwälzung auf dem Gebiete der Treibmittel.
Gerade das moderne Schiesspulver ist es ja hauptsächlich, das die Fortschritte im
Rohrbau, die gesteigerte Leistungsfähigkeit des einzelnen Schusses und damit
indirekt auch die immer mehr gesteigerte Widerstandsfähigkeit der Panzerplatten
bewirkt hat.
Es liegt in der Natur der Sache, dass bei einer Arbeit gerade auf diesem Gebiete
absolut Neues, den speziellen Fachleuten etwa noch Unbekanntes, nicht gebracht werden kann. Dagegen dürfte eine
Uebersicht über das, was in vielen Literaturstellen über Jahre hinaus zerstreut ist,
dem grossen Kreise der Ingenieure, denen das hier behandelte Gebiet beruflich fern
liegt, schon in der Darstellung der Wechselwirkung der einzelnen Faktoren doch
manches Neue bieten.
Den Kern des im Nachfolgenden Besprochenen bildet das auf der Düsseldorfer Ausstellung des Jahres 1902 und auf der Weltausstellung in
Lüttich im Jahre 1905 zur Schau gestellte
Kriegsmaterial, soweit dort die Schiffs- und Küstenartillerie im Kampf mit ihrem
Gegner, dem Panzer, einem grösseren Kreise näher gerückt wurde. Im übrigen ist nach
Möglichkeit alles benutzt, was die deutsche „Marine-Rundschau“ und die österreichischen „Mitteilungen aus dem Gebiete des Seewesens“,
was ferner besonders „Engineer“ und „Engineering“ im letzten Jahrzehnt an
bemerkenswerten Angaben gebracht haben.
1. Geschütze.
Rohrbau; Verschlüsse; Lafetten.
1. Der Rohrbau.
Nach dem Vorhergehenden bedarf es kaum noch der ausdrücklichen Feststellung, dass
wir es im Folgenden nur mit der Entwicklung der schweren, panzerbrechenden Geschütze der Schiffs- und Küstenartillerie
zu tun haben. Nur diese bringen nach der jetzt allgemein auf Grund der
Erfahrungen des ostasiatischen Krieges vertretenen Ansicht („Marine-Rundschau“ vom Januar 1906 und „Nauticus“, Jahrbuch für Deutschlands
Seeinteressen 1905) die Entscheidung. Die Mittelartillerie im Sinne der Jahre um
die Wende des neunzehnten Jahrhunderts, wo jedes normale Linienschiff 4 schwere
und 12–18 mittlere Geschütze hatte, scheidet für die Schlachtschiffe der
Zukunft aller Voraussicht nach ganz aus. Diese Zukunftslinienschiffe, von denen
fast jede Marine schon einige im Bau oder wenigstens geplant hat, werden
voraussichtlich nur eine möglichst grosse Zahl ganz schwerer Geschütze (Kaliber
30,5 oder mindestens 28 cm) und eine, gegen früher allerdings im Kaliber
bedeutend verstärkte Torpedo-Abwehrartillerie erhalten, die in der Tragweite der
Geschosse und zugleich in der Durchschlagswirkung der grösser gewordenen
Schussweite des Fischtorpedos angepasst ist.
Bis in die sechziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts waren die Rohre der
mittleren und schweren Geschütze ganz allgemein entsprechend dickwandig aus
einem Stück in Gusseisen oder Bronze gegossen. Mit der Einführung der gezogenen
Geschütze als Folge des Strebens nach grösserer Treffgenauigkeit und
Schussweite, das Hand in Hand ging mit dem Verlangen nach Ueberwindung des eben
eingeführten Schiffspanzers, wuchsen die Spannungen beim Schuss derart, dass
auch das stärkste homogene Rohr nicht mehr genügte. Man griff zunächst in
England und Frankreich, besonders auch wegen der hohen Kosten neuer Geschütze zu
dem Aushilfsmittel der Verstärkung der vorhandenen
Rohre und schlug hierbei zwei Wege ein. Man verstärkte das massive gusseiserne
oder bronzene Rohr entweder durch Aufziehen von
Schmiedeisen- oder Stahlringen, oder durch Einziehen von Seelenrohren aus gleichem Material. Bei letzterem
Verfahren nahm man unter Umständen sogar eine entsprechende Verkleinerung des
Kalibers in den Kauf. Im ersteren Verfahren sehen wir übrigens die Vorläufer der
späteren Ringkanonen, in dem zweiten Verfahren können wir die Anfänge der
Mantelkonstruktion erkennen. Man versuchte ferner massive Rohre beim Giessen
dadurch in einen günstigen Spannungszustand zu versetzen, dass man die inneren
Schichten durch einen Wasserstrom rasch abkühlte. Man versuchte weiter die
Wandungen der Seele bei Bronzerohren dadurch zu komprimieren, dass man durch das
zunächst etwas zu enge Rohr nacheinander Stahldorne von wachsendem Durchmesser
hindurchpresste. Bald aber erkannte man, dass nur eine gründliche Aenderung zum
Ziele führen konnte und ging zum „künstlichen Rohrbau“ über. Dabei nahm
man in England das Schmiedeisen als Rohrmaterial an
und blieb nach vielen fehlgeschlagenen Versuchen mit Hinterladekanonen bis an
das Jahr 1880 beim Vorderlader stehen. Als man dann endlich wieder zum
Hinterladesystem zurückkehrte, hatte man auch erkannt, dass das Schmiedeisen
hauptsächlich wegen zu geringer Festigkeit und ungenügender Homogenität zu
verwerfen sei. In Preussen dagegen führte Alfred
Krupp den Gusstahl in den Rohrbau ein. Er
hatte schon im Jahre 1851 auf der Londoner Weltausstellung eine Gusstahlkanone
ausgestellt und hielt unentwegt an diesem Material und in richtiger Erkenntnis
der Vorzüge des Hinterladeprinzips auch daran fest. Als Krupp dann Ende der sechziger Jahre unter Beibehaltung des Gusstahls
zum künstlichen Rohrbau überging, als es ferner gelang, die Sprödigkeit des
Stahles durch Beimischung anderer Metalle, insbesondere von Nickel, zu
beseitigen und dabei gleichzeitig die Festigkeit des Materials zu erhöhen, da
war der Sieg der Gusstahlkanone entschieden und seit mehr als zwei Jahrzehnten
wird in erster Linie für die schwersten Kaliber, aber auch für alle mittleren
und selbst für die Feldgeschütze in allen Heeren und Flotten Tiegelgusstahl
allein verwendet. Nur für die Wurfgeschütze (Haubitzen und Mörser), bei denen
die Gasspannungen und demnach auch die Materialbeanspruchung erheblich niedriger sind, hat
man vielfach Bronze beibehalten. Dass Oesterreich allein von allen Staaten auch
no ch für seine Flachbahnfeldgeschütze die allerdings ganz vorzügliche
sogenannte Uchatius-Stahlbronze beibehalten hat, sei nur kurz erwähnt. Die
Gründe sind nicht ganz klar, jedenfalls entziehen sie sich der Erörterung an
dieser Stelle.
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Fig. 1. 21 cm-Ringgeschütz.
Der gründlich durchgeschmiedete Nickelstahl genügt allen Anforderungen, die an
ein Rohrmetall gestellt werden müssen. Dies sind in erster Linie möglichst hohe
Festigkeit und Zähigkeit, ebenso hochliegende Elastizitätsgrenze. Die
Bruchgrenze des Materials kann mit mindestens 70–80 kg auf das
Quadratmillimeter, die Proportionsgrenze mit mindestens 30–40 kg angenommen
werden. Nickelstahl von etwa 15 v. H. Nickelgehalt hat je nach der Art der
Bearbeitung 150–180 kg/qmm (gehärtet) und 75–100, ja 110 kg/qmm
Proportionsgrenze. Dass der Nickelstahl gerade auch der Forderung grösster
Zähigkeit vollständig genügt, dass er demnach durchaus sprengsicher ist, das
haben Sprengproben gezeigt, bei denen man eine Granatladung und zwar von
brisantem Sprengstoff (z.B. Pikrinsäure) im Rohr zur Detonation gebracht hat.
Derartige Probestücke von Feldgeschützrohren waren z.B. in Düsseldorf 1902 ausgestellt und zwar, wenn ich
nicht irre, sowohl von Krupp wie auch von der „Rheinischen Metallwaren- und
Maschinenfabrik“. Diese Sprengproben, die die denkbar schwerste
Beanspruchung des Materials darstellen, ergeben wohl eine Ausbauchung des
Rohres, aber das Material zeigt keine Risse. Die Gefahr des Platzens eines
Nickelgusstahlgeschützes bei einem „Rohrdetonierer“ liegt also nicht vor.
– Das Rohrmetall muss ferner genügend hart sein, damit sich das Seelenrohr nicht
zu rasch abnutzt; es muss der, besonders beim Schnellfeuer, auftretenden hohen
Temperatur und den chemischen Einwirkungen der heissen Pulvergase nach
Möglichkeit widerstehen können und es muss schliesslich unter den
atmosphärischen Einflüssen nicht oder möglichst wenig leiden. Bronze genügt
allen diesen Anforderungen zwar in hohem Masse, doch ist sie im Vergleich zu
Gussstahl nicht hart und nicht fest genug, um mit ihm wetteifern zu können.
Beste geschmiedete Phosphor- oder Hartbronze hat höchstens 40–65 kg/qmm
Festigkeit und höchstens 26 bis 40 kg/qmm Proportionsgrenze. Auch kommen trotz aller
Sorgfalt beim Guss Ausschmelzungen oder Ausbrennungen vor, wenn die Bronze nicht
durchaus gleichmässig ist, sondern etwa gerade im Seelenrohr zinnreichere
Stellen hat. Der einzige Nachteil des Nickelstahles ist sein hoher Preis, der
noch dadurch vermehrt wird, dass er nicht wie die Bronze nach Abnützung des
Rohres ohne weiteres wieder verwendet, d.h. umgegossen werden kann.
Die Gründe, die zur künstlichen Metallkonstruktion führten, sind früh erkannt. So
findet sich schon D. p. J. 1865, Bd. 177 eine
Abhandlung des Hauptmanns Darapsky, in der er die
Grundlage für eine mehrfache Schichtung der Rohrwandung im Gegensatze zu den
einfachen Massivrohren unter Zusammenfassung früherer Veröffentlichungen
durchaus zutreffend darlegt. Sogar die Drahtkonstruktion ist auf ihren Wert
rechnerisch untersucht. Die Sache – später z.B. auch von Reuleaux ausführlich behandelt – lässt sich kurz wie folgt
zusammenfassen:
Wird ein röhrenartiges Gefäss, beispielsweise der Zylinder einer hydraulischen
Presse, hohem inneren Druck ausgesetzt, so werden in jedem Ringquerschnitt die
innen liegenden Fasern unverhältnismässig stärker auf Zug beansprucht als die
aussen liegenden. Würde also bei festgelegtem lichtem Durchmesser mit steigendem
innerem Druck die massive Wandung stärker gemacht
werden, so würde gerade an der Stelle, nämlich aussen, Material hinzugefügt
werden, wo es am wenigsten ausgenutzt wird. Schon die ersten Untersuchungen
zeigten, dass eine viel bessere Wirkung erzielt wird, wenn der vorhandene
Zylinder druckfrei mit besonderen Ringen umlegt wird. Darauf sind die ersten
oben erwähnten Verstärkungen massiver Rohre zurückzuführen. Bald aber erkannte
man, dass es noch vorteilhafter sei, die später stark auf Zug beanspruchten
inneren Schichten durch Warmaufziehen der äusseren Ringe unter Druck zu setzen.
Als Beispiel sei das in Fig. 1 gegebene 21
cm-Ringgeschütz benutzt. Es hat über dem noch
verhältnismässig dickwandigen Seelenrohr um die Explosionskammer herum zwei
übereinanderliegende, aufgezwängte Ringschichten b.
Der äussere mittlere Ring c, der die (punktiert
angedeuteten) Schildzapfen trägt, ist etwa doppelt so breit wie die anderen.
Hinten sind die Ringschichten nach dem massiven, selbstverständlich gezogenen
Kernrohr hin abgetreppt und durch einen kräftigen Aussenring d abgeschlossen. Nach vorne laufen die
Ringschichten in einschichtige, der Dicke nach abgestufte Ringe aus, die an
passender Stelle, z.B. bei a, mit dem Kernrohr
verdübelt sind. Dieses tritt nach hinten aus den Ringschichten frei heraus und
trägt allein den Verschluss, der als Rundkeil gedacht ist. Das Kernrohr nimmt
also auch allein den auf den Verschlusskeil beim Schuss ausgeübten Druck auf,
der auf Abreissen des frei überstehenden Endes wirkt.
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Fig. 2. Spannungsdiagramm eines Rohres mit zwei Ringschichten.
Zu diesem zweigeschichteten Ringrohr ist das Spannungsdiagramm (Fig. 2) zu vergleichen. Wäre das Rohr bei
gleicher Wandstärke massiv, so wäre es im Ruhezustand als spannungslos
zubetrachten. (Nulllinie wagerecht.) Beim Schuss würde die in Fig. 2 (rechts) punktiert angedeutete Spannung
auftreten, durch welche die inneren Schichten bis zu 40 kg auf das
Quadratmillimeter, die äusseren fast garnicht beansprucht würden. Die
punktierte Linie zeigt den raschen Spannungsabfall von innen nach aussen. Es ist
klar, dass trotz, oder gerade wegen der starken Wandung eine sehr ungünstige
Ausnutzung des Materials vorliegen würde. Ganz anders gestalten sich die
Verhältnisse, wenn auf das innere Rohr Ringschichten warm aufgezogen sind. Dann
herrschen in dem Rohr im Ruhezustande die in Fig.
2
links angedeuteten Spannungsverhältnisse – bezogen
auf die dem wagerechten Durchmesser entsprechende Faserschicht: Das Kernrohr ist
durch die Ringschichten stark gedrückt, wie in dem Diagramm angenommen, bis zu
etwa 18 kg auf das Quadratmillimeter. Die Ringlagen sind schon im Ruhezustand
gezogen. Beim Schuss treten die in Fig. 2
rechts in vollen Linien dargestellten Spannungen
auf. Die Zugspannungen steigen in allen Schichten angenähert auf den gleichen
Höchstwert von etwa 25 kg auf das Quadratmillimeter. Die bessere Ausnutzung des
Materials der geschichteten Rohrwandung liegt klar auf der Hand.
Textabbildung Bd. 321, S. 248
Fig. 3. Dreigeschichtetes Mantelrohr.
Das Schrumpfmass, um welches die Ringe enger gedreht werden müssen, wird durch
Rechnung festgestellt und es gehört – so einfach das Warmaufziehen scheinen mag
– eine Unsumme von Erfahrung und Geschicklichkeit dazu, jedes Ringstück bis auf
Hundertstel von Millimetern genau abzudrehen und in allen Teilen gleichmässig
auf die richtige Temperatur zu bringen, denn nur wenn alles genau stimmt hat man
die Sicherheit, dass der Spannungszustand im Rohr wirklich der rechnerischen
Voraussetzung entspricht.
Textabbildung Bd. 321, S. 248
Fig. 4. 28 cm-Geschütz. Mantelringkonstruktion.
Neben der eben besprochenen Ringkonstruktion, die in mannigfachen Varianten lange
Zeit für Rohre aller grösseren Kaliber fast ausschliesslich angewendet wurde,
muss die Bauart der Mantelrohre erwähnt werden. Sie
hat zwar in reiner Form hauptsächlich nur für Rohre kleinen Kalibers,
insbesondere für Feldgeschütze Bedeutung. Da aber hat sie beinahe die
Alleinherrschaft errungen, denn fast alle neueren Feldgeschütze sind
Halbmantelrohre, d.h. das Seelenrohr ist im hinteren Teil von einem kräftigen
Mantelstück umgeben. Diese Bauart muss aber auch deswegen hier kurz besprochen
werden, weil aus ihr die für schwere Rohre heute fast durchweg benutzte Ringmantelkonstruktion hervorgegangen ist. In der
Fig. 3 ist ein dreigeschichtetes Mantelrohr
dargestellt, das aus drei in einander geschobenen Röhren besteht. Das Seelenrohr
a ist im Gegensatz zu der Ringkonstruktion
verhältnismässig dünnwandig, der Verschluss – in der Zeichnung ist ein
Schraubenverschluss angedeutet – wird daher auch von dem kräftigen Mantelstück
b aufgenommen. Das äusserste
Halbmantelstück c trägt in einem
aufgeschraubten Ringe die Schildzapfen.
Denkt man sich bei dem Mantelrohr nach Fig. 3 die
äussere Schicht c ganz, das mittlere Mantelstück
b in seinem vorderen Teile in Ringe aufgelöst,
so ergibt sich die Ringmantelkonstruktion, wie sie
in Fig. 4 beispielsweise für ein Kruppsches 28 cm-Geschütz von 40 Kalibern, also
rund 11,20 m Länge, angedeutet. Es kann nicht mit Bestimmtheit behauptet werden,
dass die Darstellung in allen Einzelheiten mit der von Krupp wirklich gewählten Ausführung übereinstimmt, es ist aber
anzunehmen, dass die Skizze das Wesen der Sache wiedergibt, soweit es für unsere
Betrachtung in Frage kommt. Die benutzten Quellen: Kaiser, Konstruktion der gezogenen Geschütze, Wien 1900, und der
„Leitfaden für den Unterricht in der
Artillerie an Bord des Artillerieschulschiffes“, Berlin 1898/99
geben eine entsprechende Skizze – Kaiser aber nur
unter Vorbehalt etwaiger Detailabweichungen und der genannte „Leitfaden“
mit kleinen Abweichungen gegen die hier gebrachte Skizze. Nach der oben
dargelegten Ableitung dürfte die Konstruktion ohne weiteres klar sein. Das dünne
Seelenrohr a ist im hinteren Teil von einem bis
über die Schildzapfen nach vorne reichenden kräftigen Halbmantelstück b umgeben, das den Verschlusskeil aufnimmt. Mit b verdübelt liegt nach vorne noch ein sehr stark
gehaltenes Mantelstück c, dem nach vorne im langen
Felde des Rohres Ringe d auf dem Seelenrohr folgen.
Die beiden Mantelstücke b und c sind von dreifachen Ringlagen e umgeben, die völlig denen bei dem Ringgeschütz
(Fig. 1) entsprechen. Der beim Schuss bei
diesen zusammengebauten Rohren zwischen den einzelnen Teilen auftretende
Längszug, der bei dem Mantelrohr nach Fig. 3 und
bei dem Mantelringrohr nach Fig. 4 z.B. auf
Herausschleudern des den Verschluss aufnehmenden Teiles wirkt, wird ausser durch
Verdübelung vor allen Dingen durch die starke Reibung infolge der Pressung der
einzelnen Schichten gegeneinander aufgenommen. Diese Pressung ist so gross, dass
es in der Regel nicht gelingt, eine Ring- oder Mantelschicht mit Hilfe noch so
starker Pressen herunter zu bekommen, wenn nicht durch Umlegen glühender Reifen
oder Umgiessen mit flüssigem Metall die betreffende Schicht zugleich möglichst
plötzlich auf die Aufstreiftemperatur erwärmt wird.
Es lag nahe – man braucht sich nur das Spannungsdiagramm (Fig. 2) daraufhin anzusehen – dass das Bestreben
hervortrat, die Rohrwand in immer dünnere Schichten zu zerlegen. Wenn man nur dieses Spannungsdiagramm im Auge hat, so ist es
freilich theoretisch richtig, die Rohrwand in möglichst viele Ringschichten zu
teilen, da nur dann jede Schicht in ihrer Zugfestigkeit voll ausgenutzt wird. So
kam in England Longridge, der seit Jahrzehnten an
dieser Konstruktion arbeitet, auf die sogenannten Drahtgeschütze. Auch in Nordamerika sind viele Versuche in dieser
Richtung gemacht. Zur allgemeinen Einführung sind sie aber nur in England
gelangt. Sie haben seit ihrer Einführung viele Umkonstruktionen erfahren; ihre
Konstruktion ist vielfach in den Himmel gehoben und ebenso schroff angegriffen
worden. – Betrachten wir zunächst das in Fig. 5
nach Kaiser dargestellte englische 30,5
cm-Geschütz, so sehen wir im Vergleich mit Fig.
3, dass das Rohr eigentlich nichts weiter ist als ein
viergeschichtetes Mantelrohr, bei dem der eine innere Mantel in neben und
übereinander liegende Drahtwicklungen aufgelöst ist. Ueber dem Seelenrohr a sitzt ein Vollmantelrohr b, auf diesem, in der Zeichnung schwarz angelegt, liegen die
Stahldrahtschichten c als dritte Mantel- oder
Ringschicht, wie man will. Den Abschluss bildet ein zweiteiliges äusseres
Mantelrohr d. Der Draht hat rechteckigen
Querschnitt (6,35 mm mal 1,52 mm) mit einer Zugfestigkeit von 142–189 kg/qmm. – Als
Vorteil der Konstruktion wird neben der guten Ausnutzung der Festigkeit in den
Ringschichten hervorgehoben, dass die scharfe Spannung, mit der der Draht
aufgewickelt wird, die beste Bürgschaft für die Verwendung nur fehlerfreien
Materials sei. Ferner ist bekannt, dass die Drahtform an sich geeignet ist,
infolge der Bearbeitung durch Ziehen, gerade dem Stahl die höchste Festigkeit zu
verleihen. Ausserdem soll in dem Wickeln unter einem bestimmten, von der
Maschine selbsttätig kontrollierten Zug, die Gewähr liegen, dass jede Schicht
die ihr bestimmte Spannung hat. Dagegen scheint die früher stets aufgestellte
Behauptung, dass die Drahtrohre wegen der besseren Materialausnutzung leichter
werden müssten, nicht zuzutreffen. Wiegt doch nach augenscheinlich zuverlässigen
Angaben in den „Schweizerischen Militärischen
Blättern“ vom Oktober 1905 ein englisches Drahtgeschütz von 23,4 cm Kaliber und 11,34 m
Rohrlänge 28 t, während ein Kruppsches Mantelringrohr nach derselben Quelle bei 24 cm
Kaliber und 12 m Rohrlänge nur 25,6 t wiegt. Dabei ist die Mündungsarbeit des
Draht-rohres 6862 m/t, während das Kruppsche Geschütz 8260
m/t
Mündungsarbeit hat. – Das neueste englische 30,5 cm-Drahtgeschütz von 46,7
Kaliber Länge wiegt 59 t und hat eine Mündungsenergie von 15000 m/t; das
schwere Kruppsche 30,5 cm-Ringmantelgeschütz von 45
Kaliber Länge wiegt nur 50,2 t und hat eine Mündungsenergie von 15600 m/t. Das
bedeutet bei dem Drahtgeschütz eine Rohr Verwertung von 260 m/t, beim
Ringmantelgschütz dagegen 311 m/t, bezogen auf die Tonne Rohrgewicht!
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Fig. 5. Englisches 30,5 cm-Drahtgeschütz.
Gegenüber den oben genannten Vorteilen der Drahtwicklung wird als Nachteil in
erster Linie angeführt die geringe Längsfestigkeit schon allein gegen die
Biegungsbeanspruchung infolge des Eigengewichtes des 14 m langen und 59 t
schweren Rohres des 30,5 cm-Geschützes. Dazu kommt, dass die Drahtschichten
nicht im Stande sind, den beim Schuss im Seelenrohr hinter dem Geschoss
herrschenden Druck mit genügender Sicherheit und Schnelligkeit auf die weiter
vorne liegenden Schichten zu übertragen. Es soll demnach mehrfach vorgekommen
sein, dass Drahtgeschütze nach wenigen scharfen Schüssen, einzelne schon beim
Anschiessen, infolge von Rissen im Seelenrohr ausgewechselt werden mussten.
Selbst in der englischen Presse wurden im letzten Sommer mehrfach Klagen laut,
die in „Nauticus“, Jahrbuch für Deutschlands
Seeinteressen, 1905, und in dem genannten Heft der „Schweizerischen Militärischen Blätter“ ausführlich
besprochen sind. Nun stelle man sich ferner vor, dass bei einer 30,5 cm-Kanone
der besprochenen Art im ganzen 180 Kilometer Draht
mit ganz bestimmter, schichtenweise wachsender Spannung aufzuwickeln sind, und
dass an der Mündung 10–12, am Bodenstück 70 solcher Lagen zu wickeln sind! Die
ganze, für die Uebertragung der Längsfestigkeit fast nutzlose Drahtschicht wiegt
mindestens 12 t. Hierzu kommt an weiterev Schwierigkeit in der Herstellung noch
die mehrfache Abstufung der beiden inneren und äusseren Mantelrohre b und d, wodurch das
Aufschrumpfen dieser Stücke sicherlich nicht erleichtert wird. – Ueber die
Fabrikation der englischen Drahtgeschütze nebst den zugehörigen Maschinen
brachte „The Engineer“ im Jahre 1898 in
einer Reihe von Nummern ausführliche Angaben.
Textabbildung Bd. 321, S. 249
Fig. 6. Blechmantel-Drahtkonstruktion.
Mit der Fig. 6 soll kurz darauf hingewiesen
werden in welcher Richtung die Bestrebungen, die Uebertragung der
Längsspannungen beim Schuss zu verbessern, sich zu bewegen scheinen. In der
gezeigten Konstruktion ist ein Teil der Drahtlagen durch Blechmäntel b ersetzt. Zu beachten ist auch die stufenweise
Befestigung der Mantel, lagen b im Seelenrohr a und die Abtreppung der Drahtlagen c und deren Befestigung durch den äusseren Mantel
d.
(Fortsetzung folgt.)