Titel: | Ueber die Formänderung von Drahtseilen. |
Autor: | Hirschland |
Fundstelle: | Band 321, Jahrgang 1906, S. 264 |
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Ueber die Formänderung von
Drahtseilen.
Von Diplom-Ingenieur Hirschland, Essen.
(Fortsetzung von, S. 252 d. Bd.)
Ueber die Formänderung von Drahtseilen.
Biegungsversuche.
Durch die Biegungsversuche sollte die Arbeit festgestellt werden, welche bei Biegung
der Drahtseile aufzuwenden ist.
Geschichtliches. Zur Bestimmung dieser Arbeit bei
Hanfseilen hatte schon gegen Ende des 17. Jahrhunderts AmontonsHistoire de
l'Académie royale des Sciences année 1699. M.
Amontons, De la Résistance causée dans les Machines, de la roideur
des cordes. Versuche angestellt, die in späteren Zeiten
verschiedentlich einer PrüfungThéorie des
Machines simples par Coulomb, Paris
1821. unterzogen sind. Mit Drahtseilen hatte Weisbachs. Anm. 6 S.
8. derartige Versuche unternommen.
Zwei verschiedene Versuchseinrichtungen wurden dabei verwendet.
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Fig. 12. Versuchsanordnung von Amontons und Coulomb nach Coulomb, Théorie des
Maschines simples.
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Fig. 13. Versuchsanordnung von Coulomb und Weissbach.
Amontons (Fig. 12) hatte
das Versuchsseil zweimal um eine Walze geschlungen und dann belastet. Er liess die
Walze an dem zu untersuchenden Seil entlang rollen und suchte die dazu nötige Kraft.
Dieselbe Anordnung wurde von Coulomb verwendet, der
sich noch folgender Einrichtung bediente (Fig. 13).
Eine Rolle R, aufweicher das zu untersuchende Seil d auflag, war mit zwei Rädern C verbunden. Dieses Räderpaar stand auf einer wagerechten Schienenbahn.
Die Seilenden wurden derart belastet, dass infolge des Uebergewichtes an einer Seite
der Apparat fortrollte. Um Fehler zu vermeiden, die sich durch eine nicht genau
wagerechte Einstellung der Schienenbahn ergeben könnten, wurden die Versuche nach
beiden Seiten hin vorgenommen. Dieser Anordnung bediente sich auch Weisbach.
In beiden Versuchsanordnungen wird die Arbeit bestimmt, die zu leisten ist, um Seile
zum Kreise zu krümmen und wieder gerade zu richten. Mein Bestreben, diese beiden
Grössen getrennt festzustellen, war erfohglos.
Versuchsanordnung. Für meine Versuche ist ebenso wie bei
den alten Anordnungen festgehalten worden: dass das Seil kreisförmig gebogen wird,
und dass die Biegung vorgenommen wird, während das Seil einem messbaren Zug
unterworfen ist.
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Fig. 14. Schematische Anordnung der eigenen Biegungsversuche.
Die Ueberlegungen führten mich zu einer Versuchsanordnung, die denselben
Grundgedanken wie die von Amontons hat. Durch die
Anwendung von Federdynamometern, Kugellagern usw. war es möglich, einen genaueren
Apparat herzustellen.
Das Drahtseil S (Fig.
14), das an einem Balken befestigt ist, ist um eine Rolle R geschlungen und mit dem Gewichte P belastet. Die Rolle R
ist in einem Rahmen A drehbar gelagert. Dieser hängt an
einem Hanfseil H, das über die Entlastungsrolle E geschlungen und mit dem Gegengewicht G belastet ist. An dem Rahmen A ist ein Dynamometer D befestigt, das durch
eine Schnur mit einer Winde W verbunden ist.
Dreht man die Winde, so wird sich die Rolle R heben oder
senken und dabei zugleich drehen. Dieselbe Seillänge wird sich auf der einen Seite
auf- und auf der andern Seite abwickeln. Die Gesamtlast des Gewichts P wird im wesentlichen von dem Balken aufgenommen, an
dem das Seil befestigt ist.
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Fig. 15.
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Fig. 16.
Bisher ist folgender Umstand nicht erwähnt worden. Das Seil ist nach einer
Schraubenlinie über die Rolle gewunden. Infolgedessen liegen das auf- und ablaufende
Ende des Seiles in zwei verschiedenen Ebenen senkrecht zur Achse der Rolle und
suchen die Rolle zu kippen (Fig. 15). Dadurch ergibt
sich die
Notwendigkeit, die Rolle R an der einen Seite mit
Linksgewinde und an der andern Seite mit Rechtsgewinde zu versehen und das Seil
zweimal um die Rolle zu schlingen (Fig. 16).
Dadurch dass nun beim Senken der Rolle R sich die beiden
Seile auf der Rolle R symmetrisch von einander
entfernen, wodurch eine Schiefstellung der ursprünglich lotrecht hängenden Seile
veranlasst wird, wird das Gewicht P um ein geringes
Mass gehoben und infolgedessen Arbeit geleistet. Beim Heben der Rolle R nähern sich die Seilwindungen wieder, und die Arbeit
wird wiedergewonnen.
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Fig. 17. Biegungsrolle.
Beim Heben und Senken der Rolle R
werden geleistet:
Die Arbeiten der Schwere der zu beiden Seiten der Entlastungsrolle
hängenden Lasten,
die Reibungsarbeiten in den Zapfen der beiden Räder und die
Biegungsarbeiten des Hanfseiles,
die Arbeit zum Senken und Heben des Gewichtes P,
die Seilbiegungsarbeit des Drahtseiles, d. i. die Arbeit,
welche zum Biegen und gleichzeitigen Geraderichten des Drahtseiles zu leisten ist
und
die durch das Dynamometer gemessene Arbeit.
Bei der Auf- und Abwärtsbewegung der Rolle R werden zwei
Drahtseile gleichzeitig in gleicher Weise gebogen und gerade gerichtet, und es ist
deshalb die Seilbiegungsarbeit für zwei Seile zu leisten. Beim Heben der Rolle R ist die Seilbiegungsarbeit mit nur ganz geringen
Unterschieden die gleiche, wie beim entsprechenden Senken der Rolle R. Infolgedessen sind sie als gleich angenommen, da der
hierdurch entstehende Fehler innerhalb der Genauigkeit der Versuche liegt.
In Fig. 14 wirke an dem über die Rolle E gelegten Hanfseil
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Fig. 19.
auf der rechten Seite ein Gewicht in kg
G
auf der linken Seite die Summe der hier hän- genden
Lasten (Rolle R mit Rahmen A, Dynamo- metergewicht,
Hanfseilübergewicht) in kg
R
und der Dynamometerzug, beim Senken der Rolle R von der Grösse in kg
D
1
beim Heben der Rolle R von
der Grösse in kg
D
2
Zur Ueberwindung der Zapfenreibungsarbeit der
Räder R und E sowie der Biegungsarbeit des Hanf- seiles H ist beim Senken der Rolle R am Um- fange der letzteren die Kraft
in kg notwendig
V
1
Beim Heben der Rolle R die Kraft
in kg
V
2
Die zu leistende Biegungsarbeit eines Drahtseiles wird im vorliegenden Fall überwunden
durch die Ar- beit einer am Umfange von R wirkenden Kraft in kg
S.
S iwt gleich der sogenannten
Seilsteifigkeit, d. i. gleich der Differenz der in den oberen und unteren
Drahtseilstücken auftretenden Kräfte.
Zur Aufstellung der Arbeitsgleichung unter Voraussetzung gleichförmiger Drehbewegung
werde die Rolle R um 1 m gesenkt oder gehoben, und
dabei das Gewicht P um den Wert x gehoben oder gesenkt.
Es ergibt sich beim Senken der Rolle R die
Arbeitsgleichung:
G(– 1) + R(1) + D1(1)
+ V1(– 1) + 2S(– 1) + P(– x) = 0
beim Heben die Arbeitsgleichung:
G(1) + R(– 1) + D2(– 1)
+ V1(– 1) + 2S(– 1) + P(x) = 0
Durch Addition gewinnt man die Gleichung:
(D1 –
D2) – (V1 + V2) – 4S = 0.
Die Dynamometerkräfte D1
und D2 wurden durch ein
Federdynamometer mit selbsttätiger Schreibvorrichtung D
(Fig. 18) aufgezeichnet. Seine Eichung wurde in
der in den Ergebnissen aus dem Ingenieur-Laboratorium I der Technischen Hochschule
zu Hannover Heft VII Jahrgang 1902/03 besclriebenen Weise vorgenommen. Es ergaben
sich dabei für das gleiche Dynamometer die gleiche mittheren Werte wie dort. Der
mittlere Masstab ist:
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Fig. 18. Anordnung bei den Versuchen zur Bestimmung der Formänderungsarbeit
der Drahtseile bei Beanspruchung auf Biegung.
1 kg = 1,37 mm, oder 1 mm = 0,73 kg.
Die Verlustkräfte (V1
+ V2) wurden in
folgender Weise bestimmt. An Stelle des Drahtseiles wurde ein dünner Draht von 0,15
mm Dicke in derselben Weise wie bisher das Drahtseil über die Rolle R geschlungen, und mit einem Gewicht von etwa 250 g
belastet. Hebt und senkt man jetzt die Rolle R, so wird
eine Biegungsarbeit des Drahtes nicht geleistet, da die Arbeit, einen homogenen
Körper unterhalb der Elastizitätsgrenze zu biegen und wieder auf seine alte
Gestalt zu bringen, gleich Null ist. Es ergibt sich mithin die Kraftgleichung:
(D'1
– D'2) – (V'1
+ V'2) = 0,
wobei zum Unterschied von den beim Drahtseil auftretenden
Kräften die entsprechenden Zeichen mit Strich versehen sind.
Da das Gewicht G (Fig.
14) bei diesen Versuchen unverändert geblieben ist, behält die
Zapfenreibungsarbeit des Rades E und die Biegungsarbeit
des Hanfseiles ff dieselbe Grösse wie in den vorigen
Versuchen. Die an der Rolle R auftretende Zapfenreibung
kann bei den Versuchen mit dem dünnen Draht mit grosser Genauigkeit als nur vom
Eigengewicht der Rolle abhängig betrachtet werden.
Bei den Versuchen mit den Drahtseilen ist die Zapfenreibung ausser vom Eigengewicht
nur noch von dem Steifigkeitswiderstand S der beiden
Drahtseile abhängig. Im übrigen haben die Belastungen P
und der Dynamometerzug keinen Einfluss auf die Zapfenreibung. Beim Senken der Rolle
wird der Lagerdruck im Zapfen um 2S verkleinert, beim
Heben um 2S vermehrt. Das arithmetische Mittel der
Zapfenreibungsarbeit beim Heben und Senken der Rolle ist also nur vom Eigengewicht
der Rolle abhängig. Es ist demnach das Mittel aus den Verlustkräften beim Heben und
Senken bei Verwendung des dünnen Drahtes gleich dem bei Verwendung des Drahtseiles.
Es ergibt sich also:
\frac{(D'_1+(-D'_2))}{2}=\frac{(V'_1+V'_2)}{2}=\frac{V_1+V_2}{2}
Auch diese Werte wurden durch Diagramme bestimmt.
Die Versuchsanordnung ist aus den Fig. 17, 18 und 19
ersichtlich. Um die Verlustkräfte (V1 + V2) möglichst niedrig zu halten, wurden die beiden
Räder R und E auf Kugeln
laufend angeordnet, und zwar wurden Fahrradnaben verwendet. Die Nabe der Rolle R war derart ausgeführt, dass Rollen mit verschiedenen
Durchmessern leicht aufgesetzt werden konnten. Um das Gewicht P auf die beiden von oben kommenden Seile gleichmässig
zu verteilen, war, wie schon bei Amontons, die
Anordnung so getroffen, dass die beiden Seile ein einziges über eine feste Rolle
gelegtes Seil bildeten. Die Belastung P wurde durch
Gewichte am Hebel a hervorgerufen.
Das Flacheisen a ist in einem Bolzen drehbar, der durch
den Bock d festgelagert ist. Durch diesen Hebel ist
eine Stange c gesteckt, auf welche die Gewichte P gehängt werden. Unter den Hebel greift mit einem
Einschnitt das Flacheisen b, das anderseits in zwei
Dynamometern hängt. Die Dynamometer sind an Lasthaken befestigt, die an losen Rollen
angebracht sind. Um diese Rollen sind die unteren Enden der Seile geschlungen und
mittels Seilschlössern befestigt. Um eine gleichmässige Belastung der beiden
Seilenden zu ermöglichen, hat das eine Dynamometer einen Bügel, der durch Schrauben
eine Längung und Kürzung zulässt.
(Schluss folgt.)