Titel: | Die geplante Untergrundbahn der Stadt Berlin. |
Fundstelle: | Band 321, Jahrgang 1906, S. 335 |
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Die geplante Untergrundbahn der Stadt
Berlin.
Die geplante Untergrundbahn der Stadt Berlin.
Die Stadtverwaltung von Berlin beabsichtigt als Schnellverkehrsmittel für die
Personenbeförderung und zur Entlastung der Hauptstrassen eine vollspurige,
zweigleisige Untergrundbahn mit elektrischem Betriebe zu erbauen, die den Süden der
Reichshauptstadt (Kreuzberg) mit dem Norden (Müllerstrasse) verbinden und die
Bezeichnung „Süd-Nordbahn“ erhalten soll. Die allgemeine Richtung der Bahn
ist durch folgende Strassenzüge festgelegt: Kreuzberg, Belle-Alliancestrasse,
Belle-Allianceplatz, Lindenstrasse, Markgrafenstrasse, Gensdarmenmarkt,
Charlottenstrasse, Prinz Louis Ferdinandstrasse, Friedrichstrasse, Chausseestrasse,
Wedding, Müllerstrasse (Endbahnhof Seestrasse).
Der Begutachtungs-Ausschuss der Stadtverordneten hat indessen vom Belle-Allianceplatz
aus die Richtung durch die Friedrichstrasse vorgeschlagen, die in ihrem nördlichen
Teil eine der verkehrsreichsten Strassen der Reichshauptstadt bildet und durch die
Untergrundbahn merkbar entlastet werden könnte. Es steht zu erwarten, dass die
Untergrundbahn nach dem Vorschlage des Begutachtungs-Ausschusses durch die
Friedrichstrasse geführt werden wird, falls nicht die staatliche Aufsichtsbehörde
Einwendungen gegen diese Richtung erhebt.
In der Richtung von Süden nach Norden wird die Untergrundbahn den Landwehrkanal, die
Siemenssche Hochbahn, die Stadtbahn, die Spree und
die Ringbahn unterfahren und in Zukunft einige Untergrundbahnen kreuzen, die zur
Zeit von der Aktiengesellschaft Siemens & Halske,
von der Gr. Berliner Strassenbahngesellschaft und von der Stadtverwaltung geplant
werden. Mit Rücksicht auf diese Linien besteht die Absicht, schon während des Baues
der Süd-Nordbahn, an den Kreuzungsstellen für die geplanten Untergrundbahnen
Untertunnelungsbauwerke zu errichten, Die Decke des Tunnels der Süd-Nordbahn wird
etwa 0,80 m unter der Strassenoberfläche liegen, nur an den Kreuzungsstellen mit dem
Landwehrkanal, der Spree und mit den geplanten Untergrundbahnen muss das Bauwerk
entsprechend tiefer gelegt werden. Der Tunnel wird in seiner ganzen Länge im
Grundwasser liegen und mit Ausnahme einiger Stellen, die Moor- und Torfschichten
aufweisen, in Sand- und Grandschichten des umliegenden Erdreichs eingebettet. Diese
Einbettung soll in offener Baugrube zwischen Spundwänden unter beständigem Absenken
des Grundwassers, die Unterfahrung des Landwehrkanals und der Spree mit Hilfe von
Senkkasten unter Anwendung von Pressluft bewerkstelligt werden.
Da die Süd-Nordbahn in ihrem Zuge fast bei jeder Strassenkreuzung das städtische
Leitungsnetz schneidet, müssen die Gas- und Wasserleitungsröhren, die Kabel und
Entwässerungskanäle teils über den Tunnel hinweggeführt, teils in die Tunneldecke
eingebettet oder seitlich verlegt werden. Eine Unterführung unter dem Tunnel ist nur
für die Notauslässe der Kanalisation und für kleinere Gewässer (Panke und
Schönhauser Graben) in Aussicht genommen. Sohle und Decke des Tunnels sollen aus
Beton, die Wände teils aus Beton, wo der Aussenraum beschränkt ist, aus Beton mit
Eiseneinlagen oder aus senkrecht eingetriebenen eisernen Trägern mit
zwischenliegenden Kappen aus Beton gebildet werden. Die Betonkappen der Decke ruhen
auf eisernen Trägern, die in Entfernungen von etwa 1,50 m angeordnet sind. Als
Schutz des Bauwerks gegen das Eindringen des Grund- und Niederschlagwassers wird der
Tunnel ausserhalb ringsum mit einer in sich geschlossenen, wasserdichten Schicht aus
Asphaltfilz mit Bleieinlagen umhüllt. Zwischen beiden Gleisen liegt innerhalb der
Bettung die mit einer durchlöcherten Schutzkappe abgedeckte Entwässerungsrinne, die
das in den Tunnel etwa eindringende Sickerwasser tiefer gelegenen Stellen (sog.
Pumpsümpfen) zuführt, wo die Entleerung durch seitlich aufgestellte, selbsttätige
Pumpen bewerkstelligt wird.
Im Tunnelraum der freien Strecke, dessen Breite 6,90 m misst, werden Mittelstützen
nicht errichtet, dagegen müssen die eisernen Deckenträger der Haltestellen wegen der
grossen Breite durch Säulen unterstützt werden. Zwischen Schienenoberkante und
Unterkante der Deckenträger beträgt die Höhe 3,50 m. Die Breite des Tunnels ist so
bemessen, dass zwischen den Tunnelwänden und der Wagenflucht ein Zwischenraum von je
0,60 m, zwischen den Wagen, deren Breite 2,60 m beträgt, von 0,50 m bestehen bleibt
Obgleich während des Vorbeifahrens der Züge die Streckenwärter im Raum von 0,60 m
Breite keiner Gefahr ausgesetzt sein dürften, besteht die Absicht, in bestimmten
Entfernungen noch Schutznischen in die Seitenwände einzubauen. Die Stromzuleitung
und die Stromabnahmevorrichtung werden an der Decke des Tunnels angebracht.
Für die Untergrundbahn, deren Betriebslänge im Zuge der Lindenstrasse,
Markgrafenstrasse usw. 8,034 km beträgt, sind 14 Haltestellen vorgesehen. An jeder
Haltestelle sind zwei gegenüberliegende Bahnsteige angeordnet, die mit dem Fussboden
der Wagen gleich hoch liegen und durch Treppen mit der Strassenfläche in Verbindung
stehen. Die Einrichtungen für den Fahrkartenverkauf und für die Bahnsteigsperre
liegen im Tunnel am Eingang der Haltestellen. Jeder Zug der Untergrundbahn wird aus
zwei bis vier Wagen, bei starkem Verkehr aus sechs Wagen gebildet, die auf
zweiachsigen Drehgestellen ruhen. Alle Wagen eines jeden Zuges werden nach dem
Abteilsystem mit einem Längsgang in der Mitte erbaut und nach Art der D-Züge durch
Lederbalgen gangartig miteinander verbunden. Die Längswände eines jeden Wagenabteils
erhalten Schiebetüren, die untereinander selbsttätig gekuppelt sind, vom Führerstand
aus und auch von jedem Reisenden geöffnet und geschlossen werden können, wodurch die
Leerung und Füllung der Züge bedeutend schneller als auf der Siemensschen Hoch- und Untergrundbahn bewerkstelligt werden dürfte. Jeder
Wagen wird 52 Sitz- und 48 Stehplätze, zusammen 100 Plätze enthalten. Die
durchschnittliche Reisegeschwindigkeit einschliesslich des auf etwa 15 Sekunden
angesetzten Aufenthaltes auf den Stationen soll 26,7 km, die grösste
Zuggeschwindigkeit 40 km in der Stunde betragen. Im übrigen ist die
Leistungsfähigkeit der Motoren so bemessen, dass die Zuggeschwindigkeit bis auf 50
km in der Stunde erhöht werden kann. Als Zugfolge sind fünf bis drei Minuten
angesetzt. Die Fahrt vom Kreuzberg im Süden bis zur Seestrasse im Norden der
Reichshauptstadt wird in Zukunft bei einer mittleren Reisegeschwindigkeit von 26,7
km/Std. auf
der Untergrundbahn nur etwa 18 Minuten in Anspruch nehmen. Für den Betrieb sind zwei
Wagenklassen in Aussicht genommen und die Fahrpreise vorläufig so angesetzt, dass
für 10 Pf. in der III. Klasse und für 15 Pf. in der II. Klasse eine Strecke von fünf
Stationen zurückgelegt werden kann; darüber hinaus soll die Fahrt 20 bezw. 30 Pf.
betragen.
Die Baukosten für die betriebsfähige Herstellung und Ausrüstung der Süd-Nordbahn im
Zuge der Linden-, Markgrafenstrasse usw. sind auf 51 Millionen Mark oder rund 6
Millionen Mark für 1 km Baulänge veranschlagt, als Bauzeit vier Jahre in Aussicht
genommen. Im Zuge der Friedrichstrasse wird die Untergrundbahn geradlinig geführt
und etwas verkürzt werden können, voraussichtlich aber grössere Bauschwierigkeiten
und auch grössere Baukosten verursachen.