Titel: | Der heutige Stand der Motorfahrräder. |
Autor: | Oscar Koch |
Fundstelle: | Band 321, Jahrgang 1906, S. 347 |
Download: | XML |
Der heutige Stand der Motorfahrräder.
Von Oscar Koch,
Gross-Lichterfelde, West.
(Fortsetzung von S. 331 d. Bd.)
Der heutige Stand der Motorfahrräder.
b) Mehrzylindrige
Fahrzeuge.
Textabbildung Bd. 321, S. 347
Fig. 54. Zweizylinder-Motorfahrrad der Cito-Fahrradwerke.
Während die Einzylindertype für etwa 50 km Geschwindigkeit in der Stunde vollständig
genügt, ist für Geschwindigkeiten zwischen 60–100 km, sowie für die Benutzung von
Beiwagen die Zweizylindertype zu empfehlen. Die allgemeine Anordnung des Motors und
seiner Organe zeigt Fig. 54 an einem Fahrzeug der
Cito-Fahrradwerke. Der 3¾ oder 5 PS.-Zedel-Motor
ist in der bekannten ∨form angeordnet. Der Vergaser sitzt in der Mitte der beiden
Zylinder, also genügend warm, um auch bei kalter Witterung die richtige Vergasung zu
liefern. Ein weiterer Vorteil dieser Anordnung ist der, dass die langen
Gaszuführungsrohre vermieden werden, und jeder Zylinder die gleiche Gasmenge erhält,
so dass auch bei kleinster Gaszuführung gleichmässiges Arbeiten beider Zylinder
erzielt wird. Zur Regelung der Zusatzluft dient der rechts vor dem Sattel am
Rahmenrohr drehbare Hebel, während der vordere, auf derselben Seite sitzende, auf
die Gasdrosselung einwirkt. Ein- und Ausschalten der Zündung sowie Verstellen des
Zündzeitpunktes erfolgt wie bei Fig. 41 S. 313.
Bei dem 3 und 4 PS.-Fahrzeug (Fig. 55) der Adler-Fahrradwerke
vorm. H. Kleyer ist der Drosselhahn zwischen den
beiden Zylindern untergebracht. Der Vergaser sitzt hinter dem zweiten Zylinder und
ist mit der auf S. 314 erwähnten Luftmischvorrichtung versehen. Der in Fig. 9 S.
295 abgebildete Rahmen ist dahingehend abgeändert, dass das mittlere Horizontalrohr
nicht gekröpft, sondern gerade ist. Ermöglicht ist dieses, ohne den Rahmen höher zu
bauen oder den Benzinbehälter zu verkleinern, durch die schräge Lage beider
Zylinder.
Textabbildung Bd. 321, S. 347
Fig. 55. Zweizylinder-Motorfahrrad der Adler-Fahrradwerke.
Auch die Progress-Motoren- und Apparatebaugesellschaft m. b.
H. in Charlottenburg bringt eine Luftmischeinrichtung an, aber vom Vergaser
getrennt in Form eines Kolbenschiebers, Dieser sitzt (Fig.
56) zwischen den beiden Zylindern. Der Vergaser mündet in diesen
Kolbenschieber, wo sich das Gasgemisch mit der Zusatzluft mengt und gleichmässig in
beide Zylinder eintritt. Der Motor besitzt hier gesteuerte Ansaugventile und
magnetelektrische Abreisszündung mit Aussenabschlag. Der Innenabschlag, D. p. J.
1905, 320, S. 331, Fig. 51, ist verlassen, da der
Aussenabschlag sich einfacher gestaltet, auch kann die Abreisstange jetzt ohne
weiteres sofort vom Zündflansch gelöst werden. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass
diese Abreisszündung jetzt verstellbar ist, während die alte auf einen festen
Zündzeitpunkt eingestellt war. Um die Tätigkeit des Motors zeitweilig zu
unterbrechen oder eine Bremsung des Fahrzeuges hervorzurufen, ist an der Lenkstange
ein kleiner Druckausschalter für die Zündung angeordnet. Der Hebel vor ihm dient zum
Anheben der Auspuffventile. Das übrige ist aus der Abbildung zu ersehen. Das
Gesamtgewicht des 3½ und 5½ PS.-Fahrzeuges beträgt etwa 60 kg und die
Geschwindigkeiten bis 70 km, mit Rennübersetzung 80–90 km in der Stunde.
Textabbildung Bd. 321, S. 348
Fig. 56. Zweizylinder-Motorfahrrad der Progress-Motoren- und
Apparatebaugesellschaft m. b. H.
Textabbildung Bd. 321, S. 348
Fig. 57. Zweizylinder-Motorfahrrad von Puch
Eine 4 PS.-Zweieizylindertype von Joh. Puch in Graz
zeigt Fig. 57. Auch hier sind die beiden Zylinder in
∨-Form angeordnet, jedoch um der Luft mehr Zutritt zu beiden Zylindern zu gestatten,
der eine senkrecht, der andere halb liegend. Bedeutend bessere Kühlung des
schrägliegenden Zylinders würde zweifellos erreicht, wenn seine Kühlrippen wagerecht
in Fahrtrichtung, wie bei Fig. 50 und 51 S. 330 liegen würden. Auch hier besitzt die
Zündung Abreissgestänge, jedoch sind die Ansaugventile selbsttätig, während sie bei
Progress mechanisch gesteuert sind. Die Regelung
der Zündung ist dieselbe wie bei Fig. 46 S. 329. Aus
Fig. 57 sind auch noch die eingangs erwähnten,
verschliessbaren Oeffnungen in den Auspuffrohren in der Nähe der Zylinder zu
ersehen, die mittels der rechts zum oberen Rahmenrohr führenden Stange betätigt
werden.
Textabbildung Bd. 321, S. 348
Fig. 58. Zweizylinder-Motorfahrrad der Neckarsulmer-Fahrradwerke A.-G.
Auch die Neckarsalmer-Fahrradwerke ordnen bei ihrer
5 PS.-Type den einen Zylinder senkrecht an, jedoch liegen beide innerhalb des
Rahmens (Fig. 58). Vergaser, Luftzuführung,
Drosselhahn sowie die Betätigung des Fahrzeuges bieten nichts neues, es gilt das D.
p. J. 1905, 320, S. 314–316 Gesagte.
Textabbildung Bd. 321, S. 349
Fig. 59. Zweizylinder-Motorfahrrad von Opel.
Textabbildung Bd. 321, S. 349
Fig. 60. Vorsteckwagen vom Göricke.
Um gleich gute Kühlung beider Zylinder zu erreichen, stellt sie Adam Opel in Rüsselsheim a. M. senkrecht nebeneinander
(Fig. 59). Der Magnet-Apparat steht wie bei Fig. 41 S. 313 über dem Motor und stützt sich auf das
mittlere Horizontalrohr, das gleichzeitig für die Gaszuführung dient. Zwei
Rohrstutzen stellen dabei die Verbindung mit den Zylindern her. Der Behälter für
Benzin und Oel ist, um für den Magnet-Apparat Raum zu schaffen, in zwei Teile
getrennt worden, doch ist durch Kröpfung des mittleren Horizontalrohres der
Benzinbehälter immer noch gross genug ausgefallen. Der Antrieb des Zündapparates
erfolgt durch Kegelräder; er soll später eingehender beschrieben werden.
Um die Zündung in beiden Zylindern zu sichern, ordnet die Motorenfabrik „Magnet“ bei ihrer 5
PS-Zweizylindertype vorn und hinten am Motorgehäuse je einen Magnetapparat an. Beide
werden durch Zahnräder gemeinsam von der Kurbelwelle angetrieben. Die Anordnung
zweier Magnetapparate hat noch den Vorteil, dass die Zylinder unabhängig von
einander arbeiten, so dass bei eventl. Störungen an einem Zylinder dieser
ausgeschaltet werden kann, worauf der andere immer noch, wenn auch nur
vorübergehend, allein zu Antrieb des Fahrzeuges dient.
c) Kombinierte Fahrzeuge.
Um die vorgenannten Einsitzer auch für zwei Personen benutzen zu können, werden sie
mit Vorsteck- oder Seitenwagen versehen (Fig. 60 und
61). Erstere sind letzteren vorzuziehen, da bei
ihnen nicht nur die Lenkung sicherer ist, sondern auch der Rahmen viel
gleichmässiger beansprucht wird. Die Verwendung von Seitenwagen führt durch ihre
einseitige Befestigungsart leicht zu Deformationen des Rahmens, wenn nicht gar zu
Brüchen. In gleicher Weise wie der einrädrige Seitenwagen (Fig. 61) wird auch der zweirä rige (Fig.
62) vkn Alfred Behr in Cöthen (Anhalt) mit
dem Fahrrad verbunden. Dieser Wagen ist mit Wechselgetriebe für die
Geschwindigkeiten, mit Leerlauf, Handankurbelung und Ventilator zur Steigerung der
Kühlung des Motors versehen. Das Wechselgetriebe befindet sich in einem dicht
abgeschlossenen Gehäuse unter dem vorderen Sitze der Karosserie (Fig. 63) und wird mittels Gelenkwelle mit dem Motor
verbunden. Es ist in der bei Automobilen üblichen Weise konstruiert und läuft
vollständig in Fett.
Textabbildung Bd. 321, S. 349
Fig. 61. Einrädriger Seitenwagen von Göricke.
Der Antrieb des Wagens erfolgt vom Wechselgetriebe aus durch einen 50 mm breiten
Riemen, der über die Riemenfelge des Hinterrades geleitet wird. Zur Inbetriebsetzung
wird der Motor über das Wechselgetriebe von Hand angekurbelt. Das Anfahren erfolgt
mit dem langsamen Gang von etwa 8 km in der Stunde. Dass sich dieser zweirädrige
Wagen viel besser fährt als der einrädrige, und grössere Sicherheit gegen Kippen und
Schleudern bietet,
geht aus der ganzen Anordnung hervor.
Textabbildung Bd. 321, S. 350
Fig. 62. Zweirädriger Seitenwagen mit Wechselgetriebe von Behr.
Textabbildung Bd. 321, S. 350
Fig. 63. Obere Ansicht des zweirädrigen Seitenwagens von Behr.
Aehnlich diesem, jedoch ohne Wechselgetriebe, ist der Beiwagen von Roeder & Co. in Hannover konstruiert. Auch er
bildet, wie Fig. 64 zeigt, in Verbindung mit dem
Zweirad einen kleinen Motorwagen, zumal die beiden Vorderräder miteinander verbunden
sind und mittels der Lenkstange gemeinsam gesteuert werden. Der Antrieb erfolgt hier
nicht auf das Hinterrad des Beiwagens, sondern auf dasjenige des Motorrades in
üblicher Weise. Von der Verwendung von Rohren zu dem Wagengestell wurde Abstand
genommen, da diese zu steif sind und daher leicht brechen. Statt der Rohre ist
Winkelstahl verwendet, der sich gut bewährt hat und das Wagengestell recht elastisch
gestaltet. Das Obergestell und die Gabel ist aus Mannesmann-rohren hergestellt.
Textabbildung Bd. 321, S. 350
Fig. 64. Zweirädriger Seitenwagen von Roeder.
Nach denselben Prinzipien baut die Anhaltische
Fahrzeugwerkstätte in Dessau ihren Seitenwagen. Dieses Fahrzeug kommt dem
Motorwagen dadurch noch näher, dass nach Fig. 65 und 66
Lenkstange und Sattel abgenommen werden, und die Bedienung und Handhabung der
Steuer- und Regulierhebel wie beim Motorwagen vom Wagensitz aus erfolgt. Die Vorzüge
dieser Fahrzeuge bestehen darin, dass sie einfacher und billiger sind, als der
Motorwagen; natürlich darf man an ihre Leistungsfähigkeit nicht die Ansprüche
stellen, denen das Automobil genügt, immerhin lassen sich aber solche
Geschwindigkeiten erzielen, die für Gebrauchsfahrzeuge vollauf hinreichen. Das
Gewicht des vollständigen Vierrades beträgt nur etwa 75 kg.
Max Ortman in Berlin baut unter dem Namen
„Securius-Mobil“ ein Fahrzeug, bei dem als Grundlage das Dreirad
gewählt ist. In dem Bestreben, möglichst wenig Lötstellen zu haben, und diese nur an
Stellen, die gegen Durchbiegen gesichert sind, kommt beim Rahmen U-Eisen in Anwendung. Die Steuerung sowie die Betätigung
des Motors erfolgt auch hier mittels Steuerrad vom vorderen Sitz aus (Fig. 67).
Textabbildung Bd. 321, S. 350
Fig. 65 und 66. Zweirädriger Seitenwagen der Anhaltischen
Fahrzeugwerkstätte.
Der Motor ist wie bei andeven Fahrrädern angeordnet; die vorn
angebrachte Motorhaube ist ein leerer Blechkasten, der dazu dient, dem Fahrzeug das
Aussehen eines Motorwagens zu geben. Nebenbei kann dieser Kasten recht
vorteilhaft zum Mitnehmen von Gepäck dienen.
Textabbildung Bd. 321, S. 351
Fig. 67. Motordreirad von Ortmann.
Textabbildung Bd. 321, S. 351
Fig. 68. Antrieb zum Motordreirad von Ortmann Fig. 67.
Die Ankurbelung des mit Leerlauf und zwei Geschwindigkeiten versehenen Motors erfolgt
vom hinteren Sitz aus, jedoch nicht mittels Pedale, sondern nach Fig. 68 durch einen federnden Bügel a, der die Sperrklinke e
trägt. Beim Verschieben des Bügels a mit dem Fuss wird
zuerst mittels des beweglichen Bügelteiles ad die
Sperrklinke e zum Eingriffe in das mit dem grossen
Kettenrad g fest verbundene Zahnrad f gebracht. Dann nimmt das Kettenrad g mittels der Kette das auf der Motorwelle sitzende
kleine Zahnrad i mit, versetzt hierdurch den Motor
infolge der hohen Uebertragung in etwa zwei Umdrehungen, die zum Anspringen bei
Leerlauf genügen. Sobald der Bügel a freigegeben ist,
kehrt er selbsttätig in seine Anfangsstellung zurück, wobei die Sperrklinke e ausgeschaltet ist. Durch nach Aussenstellen des
Hebels qr wird jetzt die kleine und dann durch nach
Innenstellen des Hebels die grosse Uebersetzung eingeschaltet. Die Leerlaufstellung
des Hebels qr (Mittelstellung) arretiert sich selbst,
damit der Fahrer bei Gefahr nicht lange nach dem richtigen Griff suchen muss.
Die Reibungskupplung besteht aus einem Doppelkonus, der innerhalb der als Hohlkonus
ausgebildeten Kettenräder gh mittels des durch die
durchbohrte Achse geführten Stiftes t verschiebbar
angeordnet ist. Der Stift t wird dabei durch Hebel r einmal in das grosse Kettenrad g, das anderemal in das kleine Kettenrad h leicht hineingedrückt, wobei sich die Konusse sofort
festsaugen. Bei Lehrlauf läuft der innere Doppelkonus frei in der Mitte. Die
Hinterradbandbremse wird durch Fusstritt betätigt. Bei Anwendung eines 4 PS.-Motors
kann die Belastung bis 250 kg, bei einem 5 PS.-Motor bis 300 kg ausgedehnt werden;
dabei lässt sich die Fahrgeschwindigkeit auf 12–35 km in der Stunde einstellen.
(Fortsetzung folgt.)