Titel: | Der heutige Stand der Motorfahrräder. |
Autor: | Oscar Koch |
Fundstelle: | Band 321, Jahrgang 1906, S. 363 |
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Der heutige Stand der Motorfahrräder.
Von Oscar Koch,
Gross-Lichterfelde, West.
(Fortsetzung von S. 351 d. Bd.)
Der heutige Stand der Motorfahrräder.
II. Lastenfahrzeuge.
Wenn auch die ersten Warentransport-Motorfahrräder die an sie gestellten
Anforderungen nicht in vollem Masse befriedigten, so ist das eine naturgemässe
Erscheinung, die stets da beobachtet wird, wo ein Entwicklungsstadium durchzumachen
ist. Ebenso wie das Motorzweirad nichts weiter als ein Tretrad mit eingehängtem
Motor war, so war auch das Transportdreirad nur ein Motorzweirad mit Vorsteckwagen, bei dem der
Personensitz durch den Warenkasten ersetzt ist. Dass solche Kombinationen nur
ungenügend ihren Zweck erfüllen, ist klar. Von dieser Erkenntnis ausgehend, sind nun
auch die Lastenfahrzeuge zweckentsprechend umkonstruiert.
Textabbildung Bd. 321, S. 364
Fig. 69. Motor-Gepäckdreirad der Brennabor-Fahrradwerke.
Textabbildung Bd. 321, S. 364
Fig. 70. Motor-Gepäckdreirad der Maschinenfabrik „Magnet“.
Die Brennabor-Fahrradwerke Gebr. Reichstein in
Brandenburg a. H. haben ein Fahrzeug geschaffen, das nicht etwa eine Umkonstruktion
des gewöhnlichen Motorrades darstellt, sondern durch seinen Gesamtaufbau und
Anordnung im einzelnen den Ansprüchen des motorischen Warentransportes in vollem
Umfang Rechnung trägt. Fig. 69 zeigt ein solches
Fahrzeug mit sogenannter Hintersteuerung, so benannt wegen des Sitzes hinter dem
Kasten. Letzterer ist verhältnismässig tief angeordnet, so dass nicht nur eine gute
Uebersicht der Fahrbahn erzielt ist, sondern es kommt dabei auch der Schwerpunkt
tief zu liegen, was gleichzeitig Erhöhung der Fahrsicherheit bedeutet. Eine
zweckmässige Neuerung besteht in der Anwendung einer Reibungskupplung, mit der die
Riemenscheibe des Hinterrades verbunden ist (also nicht wie üblich mit dem hinteren
Laufrad). Der Fahrer kann somit den Motor antreten und dann die jetzt frei sich
drehende Riemenscheibe mit dem hinteren Laufrad kuppeln. Auf diese Einrichtung soll
später näher eingegangen werden.
Aehnlich in der Anwendung ist das Fahrzeug (Fig. 70)
der Motorenfabrik „Magnet“ in Berlin-Weissensee.
Die Reibungskupplung liegt jedoch nicht in der Hinterradnabe, sondern wie beim
Zweirad, Fig. 45 S. 328, an Stelle des
Tretkurbellagers. Der 3¼–3½ PS.-Motor mit Magnet-Apparat und Vergaser, der Antrieb
und die Betätigung des Fahrzeuges sowie die Anordnung des Ventilators usw. sind
ebenfalls wie dort.
Beim Adler-Transportdreirad (Fig. 71) war die Steuerung von grundlegender Bedeutung für die gesamte
Anordnung. Sie ist als sogenannte Schwungsteuerung ausgebildet, d.h. die beiden
Vorderräder mit dem Kasten drehen sich beim Befahren von Kurven um eine
gemeinschaftliche senkrechte Achse. Die Verwendung von Schwungsteuerung bietet vor
allem den Vorteil, dass durch sie die Möglichkeit gegeben ist, den Warenkasten sehr
tief anzuordnen; auch gestattet sie eine bessere Lagerung der Vorderradachse als bei
Anwendung der Achsschenkelsteuerung. Vollständig abweichend von dem jetzt allgemein
üblichen Fahrzeuggestell ist der Rahmen; sämtliche Rohre sind doppelt vorhanden, die
eine ungewöhnliche Festigkeit und Stabilität, insbesondere seitlichen
Kräitewirkungen gegenüber, ergeben.
Textabbildung Bd. 321, S. 364
Fig. 71. Motor-Gepäckdreirad der Adler-Fahrradwerke.
Als Triebkraft dient entweder ein luftgekühlter 3 PS.-Einzylinder- oder ein 4
PS-Zweizylinder-Adler-Motor, je nach Bedarf kann
auch ein 2½ PS wassergekühlter Motor Anwendung finden. Im ersteren Falle wird der
übliche Ventilator erforderlich.
Textabbildung Bd. 321, S. 365
Fig. 72. Motor-Gepäckdreirad von Ortmann.
Textabbildung Bd. 321, S. 365
Fig. 73. Motor-Gepäckdreirad von Contal.
Die Uebertragung der Kraft auf das Hinterrad erfolgt durch kräftige Ketten und zwar
unter Einschaltung eines Zwischen vorgeleges, das mit Reibungskupplung und
Doppelübersetzungsmechanismus versehen ist. An diesem Zwischenvorgelege ist anstatt
der üblichen Tretkurbeln eine Handkurbel angeordnet. Das Ein- und Ausrücken der
Reibungskupplung erfolgt durch leichten Tritt auf einen an der rechten Seite
angebrachten Fusshebel; durch weiteres Niederdrücken desselben setzt sich die
Hinterradbandbremse in Tätigkeit. Die Betätigung der Vorderradbackenbremse, die
gleichzeitig beide Vorderräder bremst, geschieht durch den auf der Abbildung links
unten sichtbaren Fusshebel mit Hilfe eines Drahtseiles. Letzteres ist so
angeordnet, dass Längenänderungen beim Steuern nicht eintreten können, die Bremsung
ist also auch beim Befahren von Kurven bei beiden Vorderrädern gleich. Alle
Handgriffe für die Regulierungseinrichtungen des Motors, die während der Fahrt
betätigt werden müssen, wie Vorzündung, Drosselung und Luftzufuhr befinden sich oben
am Rahmenrohr, desgleichen der Hebel zum Umschalten der Doppelübersetzung. Das
Fahrzeug ist für Belastungen von 250–300 kg berechnet.
Textabbildung Bd. 321, S. 365
Fig. 74. Motor-Gepäckdreirad von Contal.
Der Unterbau des Rahmens beim Warentransportrad (Fig.
72), von Max Ortmann in Berlin, ist derselbe
wie beim Personenfahrrad Fig. 67 S. 351. Der Oberbau
musste insofern geändert werden, als hier wieder Sattel und Lenkstange in Anwendung
kommen. Auch der Benzinkasten ist wieder in üblicher Weise aufgehängt, während er
sich bei Fig. 67 unter den hinteren Sitz befindet.
Alles dort über den Antrieb usw. Gesagte gilt auch hier.
Textabbildung Bd. 321, S. 366
Fig. 75. Kühlvorrichtung zum Motor-Gepäckdreirad von Contal.
Textabbildung Bd. 321, S. 366
Fig. 76. Motor-Gepäckdreirad der Brennabor-Fahrradwerke.
Vollständig abweichend von diesen Konstruktionen ist das Fahrzeug des Ateliers Contal in Neuilly-sur-Seine und
Levallois-Perret gebaut. Wie Fig. 73 und 74 zeigen, besitzt der 4 PS-Motor Wasserkühlung nach
den Thermo-syphonprinzip durch Radiatoren. Diese befinden sich links und rechts an
dem vor der Lenkstange sitzenden Behälter, dessen oberer Teil 8 Liter Wasser
aufnimmt, während im unteren Teil die Wasser- und Oelleitungen, sowie der
Akkumulator und die Induktionsspulen sich befinden. Im übrigen dient diese untere
Kastenhälfte noch zur Unterbringung von Ersatzteilen und des Werkzeuges (Fig. 75).
Textabbildung Bd. 321, S. 366
Fig. 77. Motor-Gepäckdreirad der Brennabor-Fahrradwerke.
An Stelle der sonst üblichen Tretkurbeln sind Fussständer vorgesehen, an denen
je ein Fusshebel drehbar gelagert ist. Durch Niederdrücken des linken (Fig. 73) wird der Motor, nachdem er mittels
Handkurbel angedreht ist, durch Reibungskupplung mit dem Hinterrad gekuppelt, und
gleichzeitig die kleine Uebersetzung eingeschaltet. Die grosse wird durch Umlegen
des am oberen Rahmenrohr drehbar gelagerten Hebels durch das am Benzinbehälter und
der Hinterradgabel entlanglaufende Gestänge (Fig.
74) eingeschaltet. Zur Ausrückung dieser Geschwindigkeit genügt ein Druck auf
den rechten Fusshebel (Fig. 74), wobei gleichzeitig
der Motor vom Hinterrad entkuppelt wird (Leerlauf). Je nach den erforderlichen
Umständen wird jetzt dieser Fusshebel freigegeben, wobei sich sofort die grosse
Uebersetzung wieder einschaltet, oder aber er wird noch mehr abwärts gedrückt, wobei
er auf die Hinterradbandbremse einwirkt. Um den Motor jetzt vollständig auszurücken,
muss der erwähnte Hebel am Rahmenrohr wieder in seine Anfangsstellung gebracht
werden, eine Handhabung, die sich bereits beim Motorwagen bewährt hat.
Die Reibungskupplung und der Geschwindigkeitswechsel sind an beiden Seiten der Nabe
angebracht, und zwar links diejenige für die kleine Uebersetzung, rechts diejenige
für die grosse. Das Prinzip der Vorrichtung zum Aendern der Geschwindigkeit ist,
dass sich bei der kleinen Uebersetzung Planetenräder abrollen, während sie bei der
grossen stillstehen und die Nabe direkt angetrieben wird. Das Verhältnis ist 1 :
3.
Der Antrieb erfolgt mittels Kette direkt auf die Nabe. Um die Motorkraft in
verstärktem Masstabe auf die Laufräder wirken zu lassen, trägt der Motor ein
Vorgelege. Die Riemenscheibe bezw. hier das Kettenrad sitzt dabei nicht an der
Motorwelle selbst, sondern auf einer besonderen Welle (s. Fig. 74), die an ihrem anderen Ende ein grösseres Zahnrad trägt, das von
einem kleinen, auf der Motorwelle sitzenden, seinen Antrieb erhält (Fig. 73).
Natürlich steht bei dieser Art Fahrzeuge nichts im Wege, den Warenkasten abzunehmen,
und ihn gegen einen Personensitz zu vertauschen, wie dieses auch Fig. 74 zeigt.
Im Gegensatz zu vorbesprochenen Fahrzeugen mit Hintersteuerung, soll bei den
folgenden die sogenannte Vordersteuerung gezeigt werden. Da nun hier zwei Räder
angetrieben sind, so muss, falls Reibungskupplung angewendet wird, diese in
entsprechender Modifikation direkt auf die Achse der beiden Hinterräder gebracht
werden.
Textabbildung Bd. 321, S. 366
Fig. 78. Vorgelege zum Brennabor-Motor-Gepäckdreirad Fig. 76 u. 77.
Wie Fig. 76 an einem Brennaborfahrzeug zeigt, erfolgt der Antrieb auf die Kupplung mittels
Kette. Ventilator kann bei dieser Type in Fortfall kommen, da der Motor unbehindert
dem Luftzug ausgesetzt ist. Ein- und Ausrücken der Kupplung erfolgt durch den links
von der Lenkstange sitzenden grossen Hebel. Die übrige Betätigung ist dieselbe wie
bei Zweirädern.
Grossen Anklang dürfte wohl die neue Konstruktion (Fig. 77) finden, die demnächst von den Brennabor-Fahrradwerken auf den Markt gebracht wird. Zunächst ist die
geschützte und bepueme Anordnung des Sitzes a zu
erwähnen. Die Tretvorrichtung kommt in Fortfall, das Andrehen des Motors erfolgt
mittels Handkurbel. Auch hier kommt die bei Fig. 69
erwähnte Reibungskupplung in Anwendung, und zwar in der Anordnung wie bei Fig. 76. Wie bei Contal
trägt auch hier der Motor ein Vorgelege, das sich von jenem dadurch unterscheidet,
dass das auf der Motorachse sitzende kleine Zahnrad a
(Fig. 78) unmittelbar in die mit Innenverzahnung
c versehene Riemenscheibe b bezw. Kettenrad eingreift. Zur Bedienung des Reibungsgetriebes sowie der
Bandbremse dienen die Hebel b und c. Das Lenken des Vorderrades erfolgt mittels der
einarmigen Lenkstange d mit Griff e. Da diese Gestaltung der Lenkvorrichtung mit einer Hand zu bedienen ist, so bleibt die andere Hand
für die Betätigung der übrigen Organe frei.
Textabbildung Bd. 321, S. 367
Fig. 79. Motor-Gepäckdreirad der Neckarsulmer-Fahrradwerke.
Die Vorderradgabel ist nach Fig. 26 S. 297
abgefedert. Bei etwaigem Federbruch kann das untere Scheidenpaar mit dem oberen
starr verbunden werden, um ein Weiterfahren zu ermöglichen.
Aehnlich diesem ist auch das Fahrzeug (Fig. 79) der
Neckarsulmer Fahrradwerke A.-G. Im Gegensatz zu
vorigem ist hier die lange Kette vermieden, da der Motor etwa in die Mitte des
Fahrzeuges verlegt ist. Der Antrieb erfolgt durch zwei Friktionsscheiben, wie dieses
teilweise bei Motorwagen üblich ist. Diese Einrichtung gestattet selbst das
langsamste Tempo zu fahren, ja im Grosstadtgetriebe bei Stockungen, ohne den
Motor stillzustellen, anzuhalten und rückwärts zu fahren. Die Betätigung dieses
Fahrzeuges ist dieselbe wie bei Motorwagen.
Durch Einschalten des kleinen Uebersetzungsverhältnisses können ganz erhebliche
Steigungen überwunden werden.
Auch hier ist das Vorderrad abgefedert und zwar dadurch, dass das durch
Achsschenkelsteuerung gelenkte Rad auf seinen Achsstummeln, durch Schellen
befestigt, die Enden zweier Blattfedern trägt, die mit ihrem anderen Ende an der
Traverse befestigt sind, die die beiden längsseitigen Rahmenrohre vor dem Rade
verbindet.
Als Triebkraft kommt der 3 PS N. S.U.-Motor D. p. J. 1905, 320, 314, Fig. 38 nebst dem dort beschriebenen und abgebildeten Vergaser
mit Drosselvorrichtung und Luftgemisch-Nachregulierung (Fig. 41 S. 315) in
Anwendung. Die Uebertragung der Kraft erfolgt von der Vorgelegewelle aus auf die
Hinterräderachse. Die Tragkraft beträgt 200 kg.
Textabbildung Bd. 321, S. 367
Fig. 80. Motor-Gepäckdreirad der Cyklon-Maschinenfabrik.
Auch das Transportfahrzeug (Fig. 80) der Cyklon Maschinenfabrik in Berlin ist wesentlich
gegenüber der alten Konstruktion (D. p. J. 1905, 320, S.
300 Fig. 29) verbessert, trotzdem die Anordnung des Motors dieselbe geblieben ist.
Näher auf dieses Fahrzeug einzugehen, erübrigt sich, da es schon D. p. J. 1905, 320, 298, 300 und 332 eingehend beschrieben ist.
Nachzutragen ist nur noch, dass das neue Modell bei einem Gewicht von etwa 270 kg
200 kg Tragkraft ausser dem Fahrer besitzt. Die Hauptabmessungen sind: Länge 2,70 m,
Breite 1,35 m, Höhe 1,35 m, Spurweite 1,20 m.
(Fortsetzung folgt.)