Titel: | Die XIII. Hauptversammlung der Bunsengesellschaft. |
Fundstelle: | Band 321, Jahrgang 1906, S. 397 |
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Die XIII. Hauptversammlung der
Bunsengesellschaft.
Die XIII. Hauptversammlung der Bunsengesellschaft.
Auf der diesjährigen Hauptversammlung der Deutschen
Bunsengesellschaft für angewandte physikalische Chemie (früher „Deutsche
elektrochemische Gesellschaft“ genannt), die in Dresden stattfand, bildete den ersten
Verhandlungsgegenstand sowohl der Zeit als der Wichtigkeit nach die „Aktivierung des Stickstoffes“. Prof. Förster (Dresden)
erläuterte in einigen einleitenden Worten an der Hand hübscher Experimente in
allgemein verständlicher Weise zunächst, dass die „Aktivierung“ des im allgemeinen trägen Stickstoffes bedeutet,
ihn in Verbindungen mit anderen Elementen überzuführen, aus denen er leicht zu
technisch wichtigen Stoffen z.B. Salpetersäure weiter verarbeitet werden kann.
Zur Zeit sind die wichtigste Quelle von Stickstoffverbindungen die riesigen
Salpeterlager im nördlichen Chile, die trotz ihres Reichtums in etwa 40 Jahren
erschöpft sein dürften, da namentlich die Landwirtschaft erstaunliche Mengen von
Chilesalpeter verbraucht. Eine weit kleinere Quelle ist der Stickstoffgehalt der
Kohlen, der bei der Leuchtgasgewinnung als Ammoniak in das Gaswasser übergeht. Viel
Stickstoffverbindungen enthalten auch die Fäkalien und damit die Abwässer; indessen
wird diese Qualle oft nur sehr mangelhaft ausgenutzt.
Unter diesen Umständen ist es eine technisch und volkswirtschaftlich hervorragende
Aufgabe, die unermesslichen Vorräte in unserer Luft, die ja zu ⅘ aus Stickstoff
besteht, nutzbar zu machen. In der Natur wird die Aktivierung des Luftstickstoffes
durch Bakterien besorgt, die an den Wurzeln von Schmetterlingsblütlern (Erbsen,
Bohnen usw.) wohnen. Rein chemisch kann man den Stickstoff an gewisse Metalle, wie
Magnesium und Calcium binden, die in der Rotglut mit dem Stickstoff zu
„Nitriden“ zusammentreten, die in Wasser geworfen ihn als Ammoniak wieder
abgeben. Dieser Weg über die Nitride ist aber zu kostspielig. Aehnliches
Stickstoffbindungsvermögen wie das Metall besitzt auch die Kohlenstoffverbindung des
Calciums, das bekannte Calciumkarbid, von dem Prof. Frank zeigte, dass es im Stickstoffstrom erhitzt Calciumcyanamid bildet,
eine Substanz, die unter dem Namen „Kalkstickstoff“ als Düngemittel benutzt
wird.
Als interessantestes Verfahren zur Stickstoffaktivierung stellt sich die Vereinigung
von Stickstoff und Sauerstoff im elektrischen Flammenbogen dar. Im allgemeinen nimmt
man an, dass es sich um eine reine Wärmewirkung des Bogens handelt, da auch bei
anderweitig erzeugter sehr hoher Temperatur diese Verbindung zu Stickoxyd (NO)
eintreten kann, z.B. bei der Explosion von Knallgas, dem Stickstoff beigemengt
ist.
Nach dieser Einleitung sprach Geh. Rat. Prof. Nernst
(Berlin) über „Gleichgewicht und Bildungsgeschwindigkeit von Stickoxyd“.
Bei Betrachtung der Reaktion:
N2 +
O2
= 2NO
die bei hoher Temperatur vor sich geht, bieten sich die
Fragen, wie das Gleichgewicht und wie die Reaktionsgeschwindigkeit bei verschiedenen
Drucken und verschiedenen Temperaturen sich gestaltet. Für das Gleichgewicht
gilt nach dem Massenwirkungsgesetze die Gleichung:Vergleiche dazu z.B. meinen Vortrag: Die
moderne Chemie technischer Gasreaktionen; Verhandlungen des Vereins z. Bef.
d. Gewerbefleisses, Sitzungsbericht vom 5. 2. 1906, S. 24 ff.
\frac{[N\,O]^2}{[N_2]\cdot [O_2]}=K.
worin [NO] usw. die Konzentration
von Stickoxyd usw. bedeutet. Wir können uns das Gleichgewicht in zwei
entgegengesetzt gerichtete Vorgänge, die Bildung und die Zersetzung von Stickoxyd
zerlegt denken, für deren Reaktionsgeschwindigkeiten je eine einfache
Differentialgleichung gilt. Die ersten Messungen dieses Gleichgewichtes stellten Muthmann und Hofer an;
ihre Zahlen sind aber noch mit erheblichen Fehlern behaftet. Durch Nernst wurde in Gemeinschaft in Jellinek und H. Finkh für ein weites
Temperaturgebiet das Gleichgewicht der Stickoxydbildung festgelegt. Zur Erhitzung
des Gases wurde bei 1500° C ein elektrisch geheiztes Platinrohr von Pipettenform
benutzt. Damit die hindurchgeleitete Luft einerseits genügend lange der konstanten
Ofentemperatur ausgesetzt, andererseits rasch abgekühlt werde (um Verschiebungen des
Gleichgewichtes beim Abkühlen zu verhindern), wurde der mittlere Teil des
Platijrohres weit, die Enden eng gehalten, so dass hier die Strömungsgeschwindigkeit
viel grösser als in der Mitte ausfällt. Für noch höhere Temperaturen bis gegen 2000°
C wurde ein Iridiumrohr benutzt, während für die höchsten Temperaturen
Explosionsversuche dienten. Indem bei diesen der Druck verschieden hoch gewählt
wurde, liessen sich gewisse Fehler in der Auswertung der Explosionsergebnisse
vermeiden.
Auf diesem Wege gelang es jetzt mit erheblicher Sicherheit folgende Daten für die Gleichgewichtskonstante K und den Prozentgehalt x der Luft an Stickoxyd zu finden.Um an Stelle von K selber bequemere Zahlenwerte zu setzen, ist 1000 \sqrt{K} in
die Tabelle aufgenommen worden. (Die Temperatur T ist in absoluter Zählung (T =
t° c + 273°) gegeben.)
Tabelle 1.
T
\sqrt{K}\cdot 10^3
x
1500
2,48
0,10
1600
3,92
0,16
1700
4,88
0,23
1800
8,51
0,34
1900
11,5
0,46
2000
15,3
0,61
2100
19,9
0,79
2200
24,9
0,99
2300
31,2
1,23
2400
38,0
1,50
2500
45,5
1,79
2600
59,6
2,09
2700
62,5
2,44
2800
72,0
2,82
2900
82,4
3,18
3000
93,0
3,57
3200
117
4,39
Die zweite Frage nach den Geschwindigkeitskoeffizienten
der Stickoxydbildung K1
und der Stickoxydzersetzung K2 ist durch die trefflichen Messungen von Jellinek erledigt worden.
Die Zunahme des Geschwindigkeitskoeffizienten mit steigender Temperatur wird durch
die von van't Hoff aufgestellte Gleichung gegeben:
log K1
= A . T + B
(worin A und B Konstante sind).
Bei niederen Temperaturen tritt noch ein Korrektionsglied \frac{C}{T^2} hinzu, das hier
vernachlässigt werden kann.
Nach der Theorie wird das Gleichgewicht vollständig erst nach unendlich langer Zeit
erreicht; als Mass der Geschwindigkeit, mit der eine Reaktion dem
Gleichgewichtszustande zustrebt, kann man die Zeit nehmen, in der die Hälfte der dem Gleichgewicht entsprechenden Menge des
Reaktionsproduktes gebildet ist.
Die Messungen von Jellinek ergeben, dass in unserem
Falle die Hälfte des theoretmsch möglichen Stickoxyds bei den verschiedenen
(absoluten) Temperaturen T in folgenden Zeiten
entsteht:
T
Zeit
1000°
81
Jahre
1500°
30
Stunden
1700°
1
Stunde
1900°
2
Minuten
2100°
5
Sekunden
2300°
⅕
Sekunde
2500°
1/100
Sekunde
2900°
3
Hunderttausendstel Sekunde.
Infolge der grossen Geschwindigkeit bei den höchsten Temperaturen erscheint es nicht
möglich, dem Lichtbogen das entstandene Stickoxyd so rasch zu entziehen, dass keine
erhebliche Rückzersetzung eintritt. Wir werden also schwerlich Ausbeuten von 3–4 v.
H. Stickoxyd aus der Luft im technischen Betriebe erzielen können.
Wird statt Luft ein Gemenge gleicher Teile von Stickstoff und Sauerstoff angewandt,
so erhöht sich die theoretische Ausbeute nur um 25 v. H.
Es folgte der Vortrag von Prof. Förster (Dresden): Heber die bisherigen technischen Versuche der
Stickstoff-Verbrennung. Er betont, dass sich aus den wissenschaftlichen
Untersuchungen als Bedingung für eine möglichst grosse Ausbeute an Stickoxyd die
Forderung ergibt, die Luft möglichst hoch zu erhitzen und möglichst rasch
abzukühlen. In einem kurzen geschichtlichen Rückblick weist Förster auf die Untersuchungen von Cavendish und Priesley,
Crookes, Rayleigh,Rayleigh benutzte die Aktivierung des
Stickstoffes zu seiner Trennung vom Argon.
Dougall und Howles,
Muthmann und Hofer hin. Wie Brode gefunden hat, sinkt mit zunehmender
Energieaufwendung im Lichtbogen die Stromausbeute. In einem Versuche führte Prof.
Förster vor, wie sich bei zunehmender Stromstärke
der von einem Wechselstromtransformator erzeugte Entladungsfunke zu einem
Flammenbande erweitert. Diesem Flammenbande kann das Stickoxyd nicht rasch genug
entzogen werden. Das Verfahren von Bradley und Lovejoy suchte deshalb die elektrische Energie auf eine
grosse Zahl von Funkenstrecken zu verteilen und bediente sich dazu einer mit vielen
Platinspitzen versehenen Walze, die innerhalb einer Trommel umlief, die auf ihrer
Innenseite mit ebenso vielen Iridiumhäkchen versehen war. Alle Spitzen der Walze
waren mit dem einen Pol und alle Häkchen der Trommel mit dem anderen Pole einer
Wechselstrommaschine verbunden. Während der Drehung entstanden und verschwanden
zwischen den Spitzen und Häkchen zahllose Lichtbogen. Weil dieser Ofen zu wenig
leistungsfähig war (er konnte nur 10 Kilowatt aufnehmen), weil ferner sein Bau zu
verwickelt war und schliesslich die notwendigen Drosselspulen zuviel Energie
verzehrten, erreichten Bradley und Lovejoy keinen technischen Erfolg.
Moschinski und Kowalski
steigerten die in der Funkenstrecke umgesetzte Energie, indem sie einen Kondensator
einschalteten; indessen scheinen sie mit Schwierigkeiten zu kämpfen, die
Kondensatoren genügend haltbar zu machen. Nach der Ansicht des Vortragenden ist die
Anwendung des elektrischen Funkens das theoretisch
beste Verfahren zur Stickoxydgewinnung aus der Luft.
Indessen geht die Technik gegenwärtig einen anderen Weg. Entweder lässt man nach dem
Prinzip des Hörnerblitzableiters den Bogen wandern – dies tun Siemens & Halske in einem von ihnen konstruierten
Ofen – oder man bläst ihn durch starke Elektromagnete fort. Der Vortragende zeigte
durch ein glänzendes Experiment, wie der Wechselstromlichtbogen, den er durch einen
Transformator mit 24 Kilowatt bei 4000 Volt Spannung vor einer Asbestplatte erzeugt,
durch einen hinter der Platte verborgenen Magneten zu einer grossen Flammenscheibe
auseinandergebreitet wird. Sehr hübsch war auch die exzentrische Lage der beiden
Halbkreise zu sehen.Der Bogen wandert am
negativen Pole rascher zur Seite. Der Vortragende benutzte
hierbei Kohlenelektroden, um die Luft der Aula nicht durch Stickoxyd zu
verderben.Bei Kohlenelektroden
wird die Bildung von Stickoxyd durch das gleichzeitig auftretende
Kohlendioxyd verhütet.
Birkeland und Eyde, deren
Ofen für 500 Kilowatt in einigen Abbildungen gezeigt wurde, können 70–80 g reiner
Salpetersäure auf die Kilowattstunde gewinnen; bei dem ausserordentlich niedrigen
Preise der elektrischen Energie in Notodden kostet das Kilogramm Stickstoff nur 29
Pfennig an Kraftverbrauch, während es in Form von salpetersaurem Natron
(Chilesalpeter) zur Zeit 1,25 M. zu stehen kommt. Gelingt es also, die übrigen
Herstellungskosten genügend niedrig zu halten, so ist das Verfahren von Birkeland und Eyde
aussichtsvoll. In Notodden (Norwegen) wird aus der
stickoxydhaltigen Luft 50prozentige Salpetersäure gewonnen und, da deren Absatz
nicht gross genug ist, salpetersaurer Kalk fabriziert. Wie grosse Luftmengen
verarbeitet werden, erhellt aus den Angaben, dass in jeder Minute jeden dieser Oefen
25 cbm Luft durchlaufen. Trotzdem ist es noch zweifelhaft, ob es auf diesem Wege
einmal gelingen wird, den Ausfall an Chilesalpeter zu ersetzen, da der Weltbedarf
gar zu gross ist. Freilich sind ausser Wasserkräften noch andere Energiequellen zur
Verfügung. So sind im rheinischen Hochofengebiete etwa ½ Million PS in den
Gichtgasen verfügbar.
Zum Schlusse kommt der Vortragende auf die Frage zurück, ob die Wirkung des
Lichtbogens eine reine Wärmewirkung ist oder ob, wie manche meinen, die Form der
elektrischen Entladung auch eine Rolle spielt. Dagegen spricht die Angabe von Berthelot, dass mit der stillen elektrischen Entladung
kein Stickoxyd zu erhalten sei. Forster verglich die
Wirkung eines kleinen Gleichstromlichtbogens mit dem Induktionsfunken und fand, dass
bei gleichem Energieverbrauch zwischen 120–140 Watt die gleiche Ausbeute an
Stickoxyd erzielt wurde.
Nach der Berechnung von Haber können unter der Annahme,
dass das Gleichgewicht bei 3200° einfriert, 93 g Salpetersäure für die
Kilowattstunde gewonnen werden, eine Zahl, die praktisch wohl nicht überschritten
werden wird. Vielleicht gelingt es durch Drucksteigerung die Ausbeute zu erhöhen, da
dann die Leitfähigkeit der Luft erhöht wird, so dass dem Lichtbogen mehr Energie
zugeführt werden kann. Zum gleichen Ziele führt die Verwendung eines Gemisches
gleicher Teile von Stickstoff und Sauerstoff, wie es aus der heutzutage so bequem
zugänglichen flüssigen Luft heraussiedet. Der bei dieser Fraktionierung
zurückbleibende Stickstoff kann dann zu Kalkstickstoff verarbeitet werden.
Noch andere wie die beschriebenen Wege zur Stickstoffaktivierung werden in der
Technik erprobt, befinden sich indessen noch im Versuchsstadium.
In der anschliessenden Besprechung des Vortrages ist Geh.-Rat Warburg (Berlin) die Berichtigung zu danken, dass auch bei der stillen
elektrischen Entladung Stickoxyd entstehen kann; es ist ihm gelungen, unter
bestimmten Umständen 3 g Salpetersäure für die Kilowattstunde zu gewinnen, so dass
also eine besondere elektrische Wirkung auch des Lichtbogens wohl möglich ist, eine
Ansicht, der sich auch Nernst anschliesst.
Es folgte der Vortrag von Prof. Le Blanc (Karlsruhe)
über die analytische Bestimmung von Stickoxyd in der
Luft. Das bei der Stickstoffaktivierung durch den Lichtbogen erhaltene
Stickoxyd verbindet sich beim Erkalten mit überschüssigem Luftsauerstoff zu
Stickstoffdioxyd (NO2).
Wird dieses Stickstoffdioxyd in Wasser geleitet, so bilden sich salpetrige Säure
(HNO2) und
Salpetersäure (HNO3)
nach der Gleichung:
2NO2 +
H2O = HNO2
+ HNO3.
In Wirklichkeit ist die Sachlage weniger einfach. Leitete Le Blanc 50 mg Stickstoffdioxyd in 100 ccm Kalilauge,
schüttelte um und titrierte sofort, so erhielt er 27,3 mg des Dioxyds als Nitrit und
27,7 mg als Nitrat. Mit Wasser als Absorptionsflüssigkeit erhielt er ebenso das
Verhältnis 1 : 1 von Nitrit zu Nitrat. Bei längerem Schütteln oder längerem
Stehenlassen nahm die Menge des Nitrates auf Kosten des Nitrites erheblich zu.
Wurden die Gase aus der Hochspannungsflamme selbst durch ein Porzellanrohr
abgesogen, so wurde stets mehr Nitrit als Nitrat erhalten. Zum Verständnis dieser
Unterschiede nimmt Le Blanc an, dass die Reaktion
2NO + O2
= 2NO2
merkliche Zeit erfordert und dass sich zwischen NO und NO2 eine Reaktion vollziehen kann:
NO + NO2= N2O3.
Wird die gebildete sehr kleine Menge N2O3 fortdauernd durch ein Absorptionsmittel entfernt,
so kann diese Umsetzung erheblich werden. Durch die Einwirkung von N2O3 auf das
Absorptionsmittel entsteht Nitrat, durch Einwirkung von NO dagegen Nitrit. Wird das NO sehr rasch
absorbiert, bevor es sich mit NO2 umgesetzt hat, so entsteht vorzugsweise Nitrit in
der Lösung.
(Fortsetzung folgt.)