Titel: | Die XIII. Hauptversammlung der Bunsengesellschaft. |
Fundstelle: | Band 321, Jahrgang 1906, S. 426 |
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Die XIII. Hauptversammlung der
Bunsengesellschaft.
(Fortsetzung von S. 399 d. Bd.)
Die XIII. Hauptversammlung der Bunsengesellschaft.
Ueber: „Die Frage der technischen Ueberführung
nitroser Gase in Salpetersäure oder Salpetersäure Salze“ sprach
Prof. Klaudy (Wien). Der Vortragende legt seinen
Rechnungen einen Gehalt der nitrosen Luft von 2 v. H. und eine Ausbeute von 600 kg
wasserfreier Salpetersäure für das Kilowattjahr zu Grunde. Der Preis eines
Kilowattjahres (= 1,36 PS-Jahre) ist am niedrigsten an einigen Orten Norwegens, wo
es dank der billigen Wasserkraft nur rund 20 M. kostet. Für grosse Wasserkräfte in
Oesterreich und der Schweiz wird der Preis doppelt so gross sein, am Niagarafall
viermal so gross. Kleinere Wasserkräfte in Oesterreich erfordern den sechsfachen
Preis, während zu kleine Wasserkräfte gar nicht in Betracht kommen können. Was die
mit Brennstoffen betriebenen Kraftanlagen betrifft, so wird der Preis dort, wo
grosse Mengen von Gicht- oder Generatorgasen abfallen, nicht höher sein als in
Norwegen oder gar noch geringer; für die Generatorgas- oder Mineralölmotoren (⅔
Pfennig für die PS-Stunde) erreicht er die vierfache Höhe. Bei. Kohlen wird er unter
aussergewöhnlichen Umständen bei grossen Maschinenanlagen auf den sechsfachen,
zumeist aber auf den zwölffachen Wert steigen (2 Pfennig auf die PS-Stunde).
Unter den günstigsten Umständen kann also 1 kg aktivierter Stickstoff in Form
von Stickstoffdioxyd (NO2) mit einem Aufwand von 15 Pfg., was den Kraftbedarf anlangt, erzeugt
werden. In Form von Chilesalpeter kostet heute der Stickstoff 1,15 M. in Form von
Salpetersäure zu 36° B und 1,91 M. in der Salpetersäure von 48° B.Chilesalpeter nach dem billigsten Marktpreise
zu 19 M., Salpetersäure von 36° B zu 20 M. und Salpetersäure von 48° B zu 40
M. für 100 kg gerechnet.
Unter den verschiedenen technischen Verwendungen der nitrosen Luft liegt es am
nächsten, sie direkt als Ersatz des Salpeters im Bleikammerbetriebe zu verwenden. In gutgeleiteten Schwefelsäurefabriken
verbraucht man 0,7 kg NaNO3 auf 100 kg H2SO4. Dieser
Menge NaNO3 entsprechen
rund 10 cbm nitroser Luft von 2 v. H. Volumenprozent NO2. Der Kammerraum, der für eine tägliche
Erzeugung von 100 kg H2SO4
gebraucht wird, beträgt 40 cbm. Durch die Zuführung der nitrosen Luft würde daher
eine Verdünnung der Kammergase von 4 auf 5 eintreten, welche Kiesröstgase (von
normal 7–8 v. H. SO2)
nicht ohne wesentliche Betriebsstörung ertragen würden (ihr Gehalt sänke
auf 5,6–6,4 v. H. SO2).
Wenn es gelänge eine fünfprozentige nitrose Luft zu erzeugen, dann könnte diese ohne
weiteres in die Kammer geleitet werden.
Der Ausweg, schon den Kiesbrennern nitrose Luft zuzuführen, ist nicht gangbar, weil
in ihnen die Stickoxyde vollständig zersetzt würden. Ebenso dürfte es nicht angängig
sein, die Röstgase zwischen den Kiesbrennern und dem Glover-Turm zu nitrosieren.
Zur Zeit bleibt also nur übrig das Stickstoffdioxyd durch Schwefelsäure zu
absorbieren und die entstandene Nitrose in Kochtrommeln oder den Glover-Turm einzuführen. Zweckmässig wendet man zur
Absorption eine Schwefelsäure von 60° B an, von der 1 Liter 41 g NO2 aufnehmen kann. Bei
einem Salpeterverbrauch von 0,7 kg sind dann für 100 kg H2SO4
= 128,8 kg von 60° B. 9,24 Liter = 15,8 kg
Absorptionssäure von 60°B erforderlich. Diese Menge Nitrose kann unbedenklich
eingeführt werden. Ebenso hat die Absorption im Turm keine Schwierigkeiten; der
freistehend zu bauende Gay-Lussac-Turm kann mehr als 8
mal kleiner sein als der des Systems; die Mehrarbeit des Glover-Turms spielt keine Rolle. Weil der Gehalt der Nitrose an
Nitrosylschwefelsäure und Salpetersäure schwanken kann, sind Vorratsgefässe und
analytische Kontrolle der Nitrose wünschenswert. Uebrigens wollen Birger und Halvorsen durch
direkte Behandlung von nitrosen Dämpfen mit SO2 und H2O krystallisierte
Nitrosulfonsäure bezw. eine konzentrierte Lösung derselben gewinnen und, wenn
gewünscht, aus dieser konzentrierte reine Säuren herstellen. Da eine grosse
Kammeranlage von 10000 cbm und 25000 kg H2SO4 täglicher Produktion 175 kg Salpeter zu 33,25 M.
verbraucht, an deren Stelle die nitrosen Gase bei einem Kraftpreise von 20 M. nur
4,37 M. und bei einem Kraftpreise von 80 M. 17,48 Mark kosten; bei einem Kraftpreise
von 152 M. werden die Kosten beiderseits gleich.
Andere direkte Verwendungen nitroser Luft z.B. in der organischen Chemie kommen zur
Zeit nicht in Betracht. Es lassen sich wohl Nitrosoverbindungen gewinnen, nicht aber
wertvolle Nitrokörper. Für Oxydationswirkungen (vielleicht auch Desinfektionen)
können nitrose Gase benutzt werden, indes konntinuierlich nur bei Zuführung von
reinem Sauerstoff. Bei der Stickoxydregeneration durch Luftzufuhr werden die Abgase
fortschreitend verdünnt und können schliesslich nur mit Belästigung der Umgebung
entlassen werden.
Was die Verarbeitung der nitrosen Gase zu Handelsprodukten anlangt, so kommt in
erster Linie die Düngerfabrikation und in zweiter Linie die Salpetersäureerzeugung
in Frage. In Deutschland verbraucht die Landwirtschaft jährlich 400000 Tonnen
Salpeter, die chemische Industrie 100000 Tonnen; Deutschland nimmt fast die Hälfte
alles Chilesalpeters auf, der nach Europa eingeführt wird. Um den deutschen
Salpeterbedarf zu decken, müssten nach dem heutigen Stande der
Luftverbrennungstechnik rund 1⅛ Millionen Pferdekräfte arbeiten. Ferner brauchte man
zur Herstellung des Natronsalpeters, den allein die deutsche Landwirtschaft
benötigt, 25000 Waggons Soda, doppelt so viel als heute in Deutschland hergestellt
wird.
Hinderlich ist "ür die Weiterverarbeitung der geringe Prozentgehalt der nitrosen
Luft. Um das Gas billig zu konzentrieren, könnte man es
mit Schwefelsäure von 60° B absorbieren, die entstandene Nitrose durch Verdünnung
mit Wasser auf 50° B wieder zersetzen und die Schwefelsäure durch Eindampfen wieder
auf 60° B bringen. Für 100 kg HNO3 im Werte von 3 M. an Kraftkosten würden 3042 kg
Schwefelsäure von 60° B erforderlich sein, deren Eindampfen von 50° auf 60° B 6,09
M. (20 Pfg. auf 100 kg) kosten würde. Es soll unentschieden bleiben, ob dieser Weg
lohnt.
Sieht man von einer Anreicherung der nitrosen Luft ab, so müssen alle
Absorptionsapparate wesentlich grösser gehalten werden oder es müssen die gewonnenen
Lösungen so lange durch diese Apparate kreisen, bis sie genügenden Gehalt haben.
Sucht man zu Salpetersäure von möglichst hoher Konzentration dadurch zu gelangen,
dass man der nitrosen Luft Wasserdampf beimischt, so kann man nicht höher als zu
Salpetersäure von 63,63 v. H. HNO3 kommen (40,6 B). Tatsächlich erreicht man dies in
den sogenannten Plattentürmen von Lunge und Rohrmann; indessen braucht man verhältnismässig grosse
Türme und muss mehrmals hochpumpen. Billiger ist die Absorption der nitrosen Gase
durch flüssiges Wasser; indessen stört hier die Bildung von salpetriger Säure. Auch
hier kann man theoretisch nur zur gleichen Säurestärke gelangen wie beim
Plattenturm, praktisch kommt man meist nur bis auf 50 v. H. HNO3 (spez. Gew. 1,315 = 34,6° B).
Versucht man durch Einleiten von Stickstoffdioxyd weiter zu konzentrieren, so
vermehrt sich der Salpetersäuregehalt auf Kosten der salpetrigen Säure bis auf 50–60
v. H. und es entweicht Stickoxyd, das mit überschüssigem Sauerstoff Dioxyd
zurückbildet und in den folgenden Absorptionsstellen sich von neuem mit Wasser zu
Salpetersäure und salpetriger Säure umsetzt. Ist schliesslich der überschüssige
Sauerstoff verbraucht, so bleibt ein Gasgemisch von NO
und NO2, das mit Wasser nur salpetrige Säure gibt. Jede
Verdünnung mit sauerstoffreien Gasen führt früher zu reiner salpetriger Säure. Die
verdünnten Säuren der letzten Türme sind in den ersten Türmen zu verwenden. Zum
Schluss wird man, um alles zu absorbieren, wohl Kalkmilch einschalten müssen.
In den ersten Türmen wird man vermutlich 60 v. H. Salpetersäure mit wenig salpetriger
Säure, in den weiteren Türmen schwächere Säure mit mehr salpetriger Säure erzielen;
im Durchschnitt dürfte die Salpetersäure 50 v. H. haben und etwas salpetrige Säure
enthalten, die man durch eingeblasene Luft einigermassen entfernen kann. Künstliche
Oxydationsmittel für die salpetrige Säure, wie Ozon usw., sind noch zu teuer. Durch
Destillation oder durch Einsieden lässt sich der Gehalt an Salpetersäure theoretisch
nicht über 68 v. H. (spez. Gew. 1,412 = 42,15° B) steigern.
Vielleicht wäre es zweckmässiger mit heissem Wasser zu
absorbieren, das ja in dem abfliessenden Kühlwasser des elektrischen Ofens geboten
wird. Ebenso wäre es vielleicht nützlich die Gase vorher mit Wasserstaub zu
befeuchten.
Die Salpetersäure kommt heutzutage mit zwei Konzentrationen in den Handel, mit 36–42°
B (52,8–67,5 v. H. HNO3) als Scheidewasser zum Grosspreise von 20 M. und mit 48° B (86–94 v. H. HNO3) zum Grosspreise
von 40 M. Verdünntere Säuren sind kaum verkäuflich bezw. transportfähig. Die Säure
von 36–42° B wird etwa 40 v. H. des deutschen Verbrauches decken (10 v. H. für
Schwefelsäuredarstellung, der Rest hauptsächlich für die Metallindustrie). Bei
dieser Säure dürfte der Nitritgehalt nicht stören und diesen Bedarf könnte die
Luftverbrennungsindustrie wohl leicht decken.
Die konzentrierte Säure dient im wesentlichen zur Herstellung organischer
Nitroprodukte (Sprengstoffe, Farbstoffe usw.); diese Säure darf höchstens 1 v. H.
salpetriger Säure enthalten. Der deutsche Bedarf beträgt etwa 60000 t jährlich.
Um die verdünntere Säure auf 48° B einzuengen, können wasserentziehende Mittel dienen, z.B. konzentrierte Schwefelsäure. Um 100
kg HNO3 aus
50prozentiger Säure derart herzustellen, wären 500 kg Schwefelsäure von 62° B
erforderlich, welche sich durch das Wasser, das sie der Salpetersäure entziehen, auf
54° B verdünnen. Diese Konzentrationsgrenzen erweisen sich am günstigsten für das Verfahren.
Die Schwefelsäure vor 54° B gibt alle nitrosen Verbindungen in der Wärme ab. Die
Eindampfung von 100 kg Schwefelsäure von 54° B auf 92° B kostet 25 Pfennig, für 600
kg demnach 1,50 M. Die bei der Eindampfung frei werdenden Stickoxyde können wieder
verwertet werden. Schätzt man den Verlust an Schwefelsäure auf 1 v. H., so ergeben
sich alles in allem die Kosten der Salpetersäure zu 4,70 M. gegenüber einem
Grossverkaufspreis von 40 M.Wieder der
Kraftpreis zu 20 M. für das Kilowattjahr angenommen und der Preis der
Schwefelsäure zu 3,30 M. für 100 kg von 62° B. Indessen ist noch
nicht erwiesen, ob sich dieses Verfahren durchführen lässt und ob dabei alle
Salpetersäure herauszubekommen ist.
Auf einem Umwege kann man konzentrierte Salpetersäure
herstellen, indem man aus verdünnter Säure salpetersaure Salze erzeugt (etwa Magnesiumnitrat) und diese durch Schwefelsäure
zersetzt. Hierbei würde die Beseitigung des abfallenden Magnesiumsulfats
Schwierigkeiten machen. Stellte man Calciumnitrat her, so würde die Bildung des
unlöslichen Gipses stören. Beide Sulfate könnten nur unter Oeffnung der Retorte
entfernt werden.
Was schliesslich das wirtschaftlich wichtigste Erzeugnis, den Dungsalpeter anlangt, so kommt bei einem Grosspreise von 19 M. für 100 kg
Chilesalpeter 1 kg Stickstoff auf 1,15 M., während die entsprechende Menge nitroser
Luft von 2 v. H. bei einem Kraftpreise von 20 M. nur 0,15 M. kostet. Es können also
erhebliche Arbeitskosten gedeckt warden, besonders wenn man die billigste Base, den
Kalk, zur Bindung der Salpetersäure verwendet. Wesentlich störend würde hier der
Nitritgehalt wirken; indessen legen diesem Einwände Lepel u.a. keine ausschlaggebende Bedeutung bei.
Zu der Herstellung dieser salpetersauren Salze wird man am zweckmässigsten die
Karbonate mit der verdünnten Salpetersäure versetzen und zur Verminderung des
Nitritgehaltes mit stärkerer und reinerer Säure nachbehandeln. Die entweichenden
Stickoxyde kehren in den Kreislauf zurück. Das Eindampfen der Salzlösungen kostet je
nach den Kohlenpreisen 1 M. bis 1,80 M. für das Kubikmeter, für 1 kg Stickstoff rund
1 Pfennig, fällt also wenig ins Gewicht. Nimmt man zur Bindung der Salpetersäure
Soda, so kostet sie auf 1 kg Stickstoff 0,42 M. (100 kg Soda zu UM. gerechnet). Der
Kalkstein kostet samt gebranntem Kalk (um basisches Nitrat herzustellen, 0,15 M. der
Magnesit 0,30 M. Demnach würde sich 1 kg Dungstickstoff beim Kraftpreise von 20 M.
in Form von künstlichem Natronsalpeter auf 0,64 M., von basischem Kalksalpeter auf
0,36 M. und von Magnesiasalpeter auf 0,51 M. stellen. Dazu kommen noch die kleinen
Betriebsspesen, die Löhne und die Generalunkosten, so dass bei höherem Preise der
Kraft der Gewinn nur klein ausfällt, was allerdings durch grossen Umsatz wettgemacht
werden kann.
Ein basisches Nitrat des Calciums wird deshalb hergestellt, weil dieses nicht Wasser
anzieht und sich darum erheblich besser handhaben lässt.
Nach den obigen Ausführungen des Vortragenden scheint die beschriebene neue Industrie
eine gute Zukunft zu besitzen. Allerdings, betont er zum Schluss, spielen dabei
andere Umstände eine grosse Rolle, die Lage der Fabrik, die Transportbedingungen und
vor allem die Frage, ob die Kraft wirklich so billig kommt, wie sie oft berechnet
wird, geradeheraus, ob bei den sehr billigen Preisen die unvermeidlichen
Ausbesserungen und Fehlprodukte richtig mit eingeschätzt sind. Der Vortragende
verneint diese Frage, erwartet aber sicher die entsprechenden technischen
Fortschritte.
Nach dem Vortrage von Prof. Klaudy machte an Stelle
des nicht anwesenden Prof. Frank (Charlottenburg) Dr. Erlwein (Charlottenburg) einige neue
Mitteilungen über die Stickstoffaktivierung durch
Kalkstickstoff, in denen er unter anderem auch einen Apparat zur
Ammoniakherstellung im Lichtbilde vorwies, bei dem Wasserdampf auf den
Kalkstickstoff einwirkt. Die bereits seit ½ Jahr arbeitende Kalkstickstoffabrik in
Piano d'Orta stellt sich ihren Stickstoff aus verflüssigter Luft zum Preise von 3–4
Pf. für das Kilo dar und erzeugt auf das PS-Jahr 330 kg gebundenen Stickstoff.
In der Diskussion warf Erlwein die Frage auf, warum ein
Zusatz von Calciumchlorid günstig auf die Bildung von Kalkstickstoff wirkt; die
Meinungen waren geteilt darüber.
Geh. Rat Hempel machte schliesslich auf eine bisher arg
vernachlässigte Quelle von Stickstoff, das Wasserkloset, aufmerksam und hält eine Umwälzung auf dem Gebiete der
modernen Fäkalienbeseitigung für höchst wichtig.
Nachdem so die Frage der Verwertung des Luftstickstoffs auf das ausführlichste
erörtert war, folgte am Nachmittage des 21. Mai ein Vortrag von Geh. Rat Will (Berlin): Technische Methoden der Sprengstoffprüfung. Zunächst
gab der Vortragende eine kurze geschichtliche Uebersicht, in der er darauf hinwies,
wie man früher sich beim alten Schwarzpulver mit sehr rohen Prüfungen begnügt hat,
indem man einfach bei Schiessversuchen die Schussweite bestimmte oder durch
Explosionen Gewichte heben liess. Grundlegend für die exakte Forschung sind die
Arbeiten von Berthelot, der zuerst die kalorimetische
Bombe zur Untersuchung der Verbrennungswärme von Sprengstoffen anwandte. Die
Wärmeentwicklung allein ist aber noch kein rechtes Mass der Wirkung, denn sie sagt
ebenso wenig wie der Quotient Kalorien × spez. Vol.: spez. Wärme der Explosionsgase
etwas über die Geschwindigkeit aus, mit der die spezifische Wärme verläuft. Gerade
die Zeitdauer ist wichtig, weil bei langsamer Verbrennung Wärmeverluste eintreten;
wenn die Explosion sehr rasch verläuft, erhält man ausserdem grössere Anfangsdrucke.
So sehr hängt die Reaktionsgeschwindigkeit von der physikalischen Beschaffenheit des
Sprengstoffes ab, dass z.B. Nitrocellulose je nachdem 40 m bis 6000 m
Explosionsgeschwindigkeit haben kann. Zahlreiche Forschungen haben sich mit der
Aufklärung dieser Verhältnisse beschäftigt und auch das Auftreten von katalytischen
Einflüssen bemerkt.
Für die Fortschritte der Sprengtechnik sind die Untersuchungen von Jäger besonders wichtig. Den bei der Explosion
entwickelten höchsten Druck kann man durch die Stauchung eines Kupferzylinders
messen. Die Verbrennung des Sprengstoffes geht in konzentrischen Schichten vor sich;
durch die Aenderung der Oberflächengrösse lässt sich die Explosionsgeschwindigkeit
regeln. Durch die Forschungen von Dixon, Berthelot und
Le Chatelier sind unsere Kenntnisse über die
Explosionsvorgänge wesentlich erweitert worden. Unter anderem wurde gefunden, dass
mit dem Druck die Explosionsgeschwindigkeit wächst. Der Explosionsdruck bietet ein
Mass der Arbeitsfähigkeit eines Sprengstoffes. In der Praxis bedient man sich
selbsttätiger Registrierapparate. Die Geschwindigkeit des Geschosses im Rohr wird
durch Rücklaufmesser, seine Geschwindigkeit auf der Flugbahn durch das Zerreissen
elektrischer Kontakte aufgezeichnet. Je nach der Verwendung des Sprengstoffes ist
auch seine Prüfung verschieden zu gestalten. Im Bergwerksbetrieb ist zum Beispiel
das spezifische Gewicht von Bedeutung, da sich hiernach die Grösse der Bohrlöcher
richtet. Ferner ist die Empfindlichkeit eines Sprengstoffes gegen Schlag, seine
Gefrierbarkeit usw. wichtig. Ein Mass der Sprengwirkung gibt die Ausbauchung von
Löchern bei der Explosion in Bleiklötzen, in denen sich, indem das Blei bis zum
Schmelzen erwärmt
wird, eine runde flaschenförmige Ausbauchung bildet. Die Brisanzwirkung wird am
freiliegenden Sprengstoff gemessen, indem entweder die Stauchung eines
Kupferzylinders zwischen Stahlplatten oder die Durchschlagskraft auf Metallplatten
ermittelt wird. Weiter ist der Siemenssche
Funkenphotograph und das ballistische Pendel (ein Mörser, der frei pendelnd
aufgehängt ist) zu erwähnen. Die genannten Methoden geben Mittel, die Sprengstoffe
ausreichend zu beurteilen; aber man soll das Urteil immer erst auf die Ergebnisse
mehrerer Methoden gründen.
In der anschliessenden Besprechung wurde bedauert, dass die Reaktionsgeschwindigkeit
bei ihrer grossen Wichtigkeit noch nicht gut genug messbar ist. Der Leiter der neuen
„Zeitschrift für das gesamte Schiess- und Sprengstoffwesen“ regt an, die
klassischen Werke von Nobel in deutscher Sprache
herauszugeben. Einen interessanten Punkt berührt Geh. Rat Bergmann (Charlottenburg) vom
Militär-Versuchsamt, indem er die Versuche zur Herabsetzung des Mündungsfeuers
erwähnt. Das Mündungsfeuer entsteht, indem das in den heissen Gasen, die aus dem
Rohr entweichen, enthaltene Kohlenoxyd an der Luft verbrennt, vielleicht wirken auch
Funken aus dem Rohre mit. Ein Gegenmittel sucht man in Zusätzen zum Sprengstoff, die
dessen Explosionstemperatur herabsetzen; vielleicht ist das Dicyandiamid ein solches
Mittel, das aber nicht sehr erheblich wirkt. Durch solche Zusätze, die die
Explosionstemperatur herunterdrücken, wird auch die Wirkung auf das Geschoss
geschwächt, so dass man nur geringe Mengen dieser Zutaten nehmen darf.
Geh. Rat Will lenkte weiter die Aufmerksamkeit auf die
Nachexplosionen, die namentlich bei langsam geleiteter Verbrennung eintreten können.
Die Gefährlichkeit der nach dem Schusse im Rohr zurückbleibenden Gase steigt
mit der Verringerung des Explosionsdruckes; deshalb empfiehlt es sich, bei Versuchen
das Gasgemisch vor Oeffnung des Verschlusses zu entfernen, indem man etwas
Kohlensäure durch das Rohr leitet.
Der nun angesetzte Vortrag von Prof. Jäger
(Charlottenburg) über kalorimetrische Messungen mittels des Platinthermometers fiel
aus; statt dessen sprach Dr. von Steinwehr von der
Physikalisch-technischen Reichsanstalt über den Einfluss der
Korngrösse auf die elektromotorische Kraft von Normalelementen. Es folgte
der Vortrag von Prof. Bredig (Heidelberg): Ueber Katalyse im heterogenen System und ein neues
Quecksilberoxyd, der ebenso wie der vorhergehende Vortrag sich hier im
Auszuge nicht wiedergeben lässt. Erwähnen will ich nur, dass Bredig durch Einwirkung von Wasserstoffsuperoxyd auf Quecksilber ein
explosives Quecksilbersuperoxyd von der Formel HgO2 hergestellt hat, einen dunkelgefärbten Stoff, der
in der Kälte sich tagelang halten kann, sich dann aber oft plötzlich unter grosser
Gasentwicklung zersetzt.
Hierauf besprach Prof. Cohen (Utrecht) physikalisch-chemische
Untersuchungen über Silber und Gold und legte dar, dass drei von Thomsen vermeintlich aufgefundene verschiedene
Modifikationen des Goldes in Wirklichkeit ein und dasselbe sind und dass gleiches
auch von fünf allotropen Formen des Silbers gilt, die Berthelot angegeben hatte. In einem Falle war eine Beimengung von Kupfer
die Ursache zu dem anscheinend verschiedenen Verhalten des Silbers. In der
Besprechung wurde von verschiedenen Seiten die theoretische Wichtigkeit der
allotropen Formen für die Anordnung der Elemente im periodischen System
erörtert.
(Schluss folgt.)