Titel: | Die Weltausstellung in Lüttich 1905. |
Autor: | M. Richter |
Fundstelle: | Band 321, Jahrgang 1906, S. 506 |
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Die Weltausstellung in Lüttich 1905.
Das Eisenbahnwesen, mit besonderer
Berücksichtigung der Lokomotiven.
Von Ingenieur M.
Richter, Bingen.
(Fortsetzung von S. 486 d. Bd.)
Das Eisenbahnwesen auf der Weltausstellung in Lüttich
1905.
12. ⅗ gek. Personenzuglokomotive der französischen
Westbahn, mit vierzylindriger Verbund-Nassdampfmaschine, gebaut von der Société de Constructions Des Bâtignolles (ehemals E. Gouin & Cie), Paris, 1904, Fabriknummer 1532, Betriebsnummer 2722 (Fig. 22a, b).
Textabbildung Bd. 321, S. 505
Vierzylindrige Verbund-Personenzuglokomotive der französischen
Westbahn.
Diese Gattung gleicht in der Gesamtanordnung den beiden vorigen. Sie ist entstanden
im Jahre 1898, wo die Elsassische
Maschinenbaugesellschaft der Westbahn zehn Stück der allgemein üblichen
Bauart mit Triebrädern von 1,72 m Durchmesser und Flachschiebern für alle Zylinder
lieferte; mit weiteren 30 Stück von anderen Baufirmen bildete sich so die erste
Serie No. 2501 bis 2540. In den Jahren 1900 bis 1903 schritt man dann zu einer
Verstärkung; der Kesseldruck wurde auf 15 at erhöht, die Triebräder auf 1,92 m
vergrössert, um auch für mehr ausdauerndes Schnellfahren geeignet zu sein. Dies
waren die Lokomotiven No. 2701 bis 2720, denen endlich mit No. 2721 bis 2750 die 30
Stück folgten, von denen die Ausstellungslokomotive einen Vertreter darstellt.
Es möge wegen der Aehnlichkeit dieser Bauart mit den vorigen nur auf die Unterschiede
aufmerksam gemacht werden, soweit dieselben nicht in den Abmessungen begründet
sind, welche teilweise genau mit denjenigen der Ostbahnlokomotive
übereinstimmen.
Der Regler ist ein senkrechter Zugschieber mit Hilfsdeckschieber, ähnlich dem in
Preussen üblichen. Die Sicherheitsventile sind Lethuilber-Pinelsche. Die Rauchkammer hat Aschfall; das in dieselbe
trichterförmig hineinragende Kamin trägt Windschirm ohne Deckel und als Funkenfänger
ist eine Siebplatte wagerecht zwischen dem Froschmaulblasrohr und der Kaminöffnung
ausgespannt. Der Fussboden des Führerstandes ist gefedert. Das Häuschen selbst
bietet bei der sehr hohen Lage von 1,84 m über SO gute Aussicht, zu der seine
luftige Kleinheit beiträgt; aber gerade deshalb gewährt es wohl der Mannschaft
schlechten Schutz; wenn man bedenkt, dass der Westwind nach Deutschland stets das
schlechteste Wetter zu bringen pflegt, so lässt sich ein Schluss ziehen auf die
Unbill, der die Mannschaft auf der Rückfahrt nach Paris in dem offenen kurzen
Häuschen häufig ausgesetzt sein muss. Uebrigens ist das Muster desselben englischer
Herkunft (Midland-Railway), wie denn überhaupt seit 20 Jahren in gewissen
Aeusserlichkeiten ein englisch-nachbarlicher Einfluss auf die Westbahn nicht zu
verkennen ist.
Der Radstand zwischen Drehgestell und Vordertriebachse ist so verkürzt, dass die
Hochdruckzylinder ebenfalls wie die Niederdruckzylinder etwa unter 1/13 geneigt
angebracht werden mussten.
Sämtliche vier Schieber sind auch hier durch Heusinger-Steuerung angetriebene Kolbenschieber, von entgegengesetzter
Konstruktion, mit innerer Einströmung und äusserer Ausströmung bei den
Hochdruckzylindern und umgekehrter Anordnung bei den Niederdruckzylindern, was bei
einem Kurbelwinkel von 180° jederseits infolge der Aufhängung des inneren
Kreuzkopfhebels an einem zweiarmigen Zwischenhebel und der dadurch hergestellten
Gleichläufigkeit der Schieber einer Seite erforderlich war. Die Umsteuerungen sind
mit einander gekuppelt und auf einen Füllungsunterschied von etwa 10 v. H.
eingestellt; es genügt daher die gewöhnliche Steuerschraube.
Das Drehgestell ist nach dem amerikanischen „swingbolster type“ mit Wiege
ausgerüstet, welche beiderseits in zwei starken Pendeln aufgehängt ist und 40 mm
Seitenverschiebung zulässt. Von den Pendeln überträgt sich der Druck mittels
Querträgers auf den Drehgestellrahmen, der aber als Führung, nicht als Träger dient,
da die beiden Achsbüchsen einer Seite gemeinsame, umgekehrte Längsfeder haben,
welche an einem Druckbalken angreift. Die Federn der beiden hinteren Triebachsen
sind durch Ausgleichhebel verbunden, so das die Stützung der Lokomotive in fünf
Punkten erfolgt.
Die Westinghouse-Bremse, deren Kompressor mit Kühlrippen
versehen ist, wirkt nur auf die Triebräder, und zwar einseitig. Der Sandstreuer geht
vor das erste und zweite Triebräderpaar. – Der Tender war nicht mit ausgestellt.
Diese Lokomotive bot einen bedeutend einfacheren Anblick als die vorige und ist auch
tatsächlich in bezug auf möglichste Beschränkung der Ausstattungsstücke sehr
übersichtlich gehalten. Der Gesamteindruck war sehr gut; der Anstrich wav glänzend
schwarz, die Verzierung bestand nur in blanken Messingbändern nebst schmalen, gelben
gemalten Streifen, was zur ruhigen Uebersicht wesentlich beitrug.
Die Hauptabmessungen sind:
Zylinderdurchmesser
mm
350/550
Kolbenhub
„
640
Zylinderraumverhältnis
–
1 : 2,46
Triebraddurchmesser
mm
1940
Kesselüberdruck
at
15
Heizrohre
AnzahlLänge (zw. Wänden)Durchmesser
–mm„
113 + 4450070/45
Heizfläche
Rohre (innen)Feuerbüchseim ganzen
qm„„
188,7812,20200,98
Rostfläche
„
2,45
Dienstgewicht
t
65,0
Reibungsgewicht
„
46,0
Zugkraft (α =
0,4)
kg
6000
Grösste Geschwindigkeit
km/St.
100
13. ⅗ gek. Schnellzuglokomotive der Paris-Orléans-Bahn,
mit vierzylindriger Verbund-Nassdampfmaschine, gebaut von der Société Alsacienne de Constructions mécaniques,
Beifort, 1903, Fabriknummer 5471, Betriebsnummer 4003. (Fig. 23a. b.)
Die Gattung, zu welcher diese mächtige Lokomotive gehört, besteht mit No. 4001
bis 4044 aus 44 Stück, und ist die Schwester der aus derselben Bauanstalt vom Jahre
1902 stammenden ⅖ gek. Gattung, die mit 14 Stück durch No. 3001 bis 3014 vertreten
ist, und von welcher die (unter „No. 7“ beschriebene) Schnellzuglokomotive
der belgischen Staatsbahn ein Abbild ist. Infolge der äusserlichen Uebereinstimmung
mit der letzteren, sowie mit den drei vorigen, kann man sich auch hier auf die
Besonderheiten beschränken.
Textabbildung Bd. 321, S. 506
Vierzylindrige Verbund-Schnellzuglokomotive der Paris-Orleansbahn.
Kessel, Rauchkammer, Blasrohr, Kamin, Funkenfänger, Dom, Regler, Heizrohre,
Feuerkiste, Rost usw. sind denjenigen der Westbahn bezw. Nordbahn beinahe gleich;
ebenso entspricht die Anordnung des Drehgestells dem auf der Nordbahn üblichen, mit
dem Unterschied, dass bei ziemlich verlängertem Radstand der Rahmen nach innen
verlegt ist; im übrigen ist alles gleich: getrennte Federn, halbkuglige
Seitenauflagen, gewölbter Mittelzapfen zur Führung, zylindrische Zapfenbüchse mit
Seitenverschiebung von je 45 mm, sehr lange Schraubenfedern zur Rückstellung in
Gehäusen, welche ausserhalb des Rahmens weit hervorragen.
Die Rauchkammer hat ebenfalls keinen Aschfall, das Kamin keinen Windschirm, jedoch
einen Drehdeckel; die Rauchkammertür ist stark gewölbt.
Die Anfahrvorrichtung, die Umsteuerung und die Steuerungen sind dieselben wie bei der
Nordbahn; die Niederdruckzylinder haben gewöhnliche nicht entlastete Flachschieber,
die Hochdruckzylinder entlastete Trickschieber, deren Entlastung der v. Borriesschen sehr ähnlich ist; ebenso sind auch hier
für die drai hinteren Achsen die Federn miteinander durch Ausgleichhebel verbunden;
folglich ruht das Ganze auf vier Punkten.
Nur die Triebachsen werden gebremst und zwar einseitig, die Luftpumpe hat die
Bauart von Fives-Lille. Der Sandkasten befindet sich
vor dem Radkasten der vorderen Triebräder und geht vor beide vorderen Triebachsen.
Bei der Umsteuerung der Hochdruckmaschine sind zum Ausgleich der Gewichte der
Gestänge nicht Gegengewichte, sondern nach amerikanischer Art starke Schraubenfedern
angewendet. Der Führerstand befindet sich links. Die Schubstangen allein haben
⌶-Querschnitt, und die Kolbenstangen sind nur bei den Niederdruckzylindern
durchgeführt. In ihrer äusseren Erscheinung bot diese Lokomotive etwas vorzügliches:
sehr einfach, geschmackvoll und majestätisch. Der Anstrich war etwa stahlblaugrau
(Nachahmung von Blaublech), nur Rauchkammer und am Radgestell dunkler, und mit
keiner Verzierung ausser den blanken Stangen.
Der Dienst dieser Gattung besteht in der Beförderung schwerer Schnellzüge auf der
Strecke Paris–Tours–Angoulème. Die Dauerleistung am Triebradumfang beträgt 1600 PS,
die höchste Leistung 1900 PS, ersteres für eine Strecke von 73 km Länge beobachtet.
Die zu befördernden Züge sind 350 t auf wechselndem Gelände mit 90 km/Std.
Grundgeschwindigkeit, und die erwähnten Leistungen werden erzielt mit 375 t h. T.
auf I: 100 bei 60 km/Std. und mit 492 t h. T. bei 77 km/Std. im Flachland, und die Hauptforderung liegt bei
solchen Zügen, die häufig halten, im scharfen Anfahren.
Folgendes sind die Hauptabmessungen:
Zylinderdurchmesser
mm
360/600
Kolbenhub
„
640
Zylinderraumverhältnis
–
1 : 2,78
Triebraddurchmesser
mm
1850
Kesselüberdruck
at
16
Heizrohre(Serve)
AnzahlLänge (zw. Wänden)Durchmesser
–mm„
139440065/70
Heizfläche
Rohre (innen)Feuerbüchseim ganzen
qm„„
223,2316,17239,4
Rostfläche
„
3,1
Dienstgewicht
t
74,5
Reibungsgewicht
„
52,5
Zugkraft (α =
0,38)
kg
75,80
Grösste Geschwindigkeit
km/Std.
120
Denselben Kessel wie die hier besprochene ⅗ gek. Lokomotive hat die ⅖ gek. für
Schnellzüge und die ⅘ gek. für Güterzüge, welche von derselben Firma an
dieselbe Bahn geliefert worden sind und eine besondere Besprechung; verdienen. Der
ganze Streckenverkehr der Paris-Orléans-Bahn wird daher durch fünfachsige
vierzylindrige Verbundlokomotiven von derselben Grösse besorgt, und zwar der
leichtere Schnellzugdienst im Flachland mit 120 km/Std. Beharrungsgeschwindigkeit durch
die ⅖, der schwere Schnellzug- und Personenzugdienst im Hügelland mit 90 km/Std.
Beharrungsgeschwindigkeit durch die ⅗, und der Eilgüterzugdienst mit 60 km/Std.
Beharrungsgeschwindigkeit durch die ⅘ gek. Lokomotive. Die Mehrzahl der Einzelteile
ist zwischen diesen drei Gattungen auswechselbar, so dass Anschaffung, Betrieb und
Unterhaltung derselben möglichst wirtschaftlich ausfällt.
Textabbildung Bd. 321, S. 507
Vierzylindrige Verbund-Schnellzuglokomotive der
Paris-Lyon-Mittelmeerbahn.
14. ⅗ gek. Schnellzuglokomotive der
Paris-Lyon-Mittelmeerbahn, mit vierzylindriger Verbund-Nassdampfmaschine, gebaut von
Schneider & Cie. Creusót, 1905, Fabriknummer
2811, Betriebsnummer 2604. (Fig. 24a, b.)
Mit dieser Gattung hat die erwähnte grosse Bahn etwas Neuartiges eingeführt, nachdem
seit 1889 ausschliesslich die de Glehnsche Bauart in
Henryscher Ausführung an 2/4, ⅗ und ⅘ gek.
Lokomotiven angewendet worden war.
Das Neue besteht darin, dass für den Antrieb die de
Glehnsche, für die Lage der Zylinder ungefähr die v. Borriessche Anordnung gewählt ist. Die Hochdruckzylinder liegen aussen
über der Drehgestellmitte und treiben die mittlere Triebachse, wodurch die
Pleuelstange, zumal bei so hohen Rädern, sehr lang wird. Dies trägt infolge der
geringen Kreuzkopfdrücke zum ruhigen Gang bei; um jedoch die Pleuelstange nicht zu
lang zu erhalten, ist die Kreuzkopfbahn ebenso wie die Kolbenstange stark verlängert
und erst etwa neben der Mitte des vorderen Triebrades an einem besonders dazu
vorgesehenen starken Längsträger aufgehängt. Die Gleitbahn ist übrigens nur einseitig, der
Kreuzkopf selbst sehr einfach, niedrig und leicht; es sind daher günstige Massen-
und Stangenverhältnisse vorhanden, ebenso auch bei der Steuerung.
Die Niederdruckzylinder liegen schwach geneigt innen unter dem Vorderende der
Rauchkammer, treiben naturgemäss die vordere Treibachse an und sind gegen die
Hochdruckzylinder um etwa 500 mm vorgeschoben, um auch hier annehmbare Stangenlänge
zu erhalten. Der Kurbelwinkel beträgt 180° für jede Seite, 90° gegenseitig. (Fig. 25.)
Im Gegensatz zu den Lokomotiven der Ost- und Westbahn, wo an allen Zylindern die
Kolbenstangen durchgeführt sind, während dies bei der Nord- und Paris–Orléans-Bahn
wenigstens an den Niederdruckzylindern der Fall ist, sind hier alle Zylinder vorne
geschlossen.
Die Schieber sind sämtlich Kolbenschieber mit innerer! Einströmung und werden durch
getrennte Heusinger-Steuerungen betätigt;
Einströmrohr und Verbinder sind mit Luftsaugventilen versehen.
Textabbildung Bd. 321, S. 508
Fig. 25. Triebwerk „de Glehn-Baudry“.
(Fortsetzung folgt.)