Titel: | Die Wärmekraftmaschinen der Jubiläums-Landesausstellung in Nürnberg 1906. |
Autor: | H. Meuth |
Fundstelle: | Band 321, Jahrgang 1906, S. 628 |
Download: | XML |
Die Wärmekraftmaschinen der
Jubiläums-Landesausstellung in Nürnberg 1906.
Von Dr.-Ing. H. Meuth,
Karlsruhe.
(Fortsetzung von S. 583 d. Bd.)
Die Wärmekraftmaschinen der Jubiläums-Landesausstellung in Nürnberg
1906.
Die Dampfturbinen.
Die im vorangegangenen Abschnitt besprochenen Kolbendampfmaschinen geben Zeugnis von
der erreichten hohen Entwicklungsstufe des Dampfmaschinenbaues. In die Bewunderung
des Scharfsinnes ihrer Konstrukteure und der Tüchtigkeit der Werkstätten, aus denen
solche wundervolle Erzeugnisse hervorgegangen sind, mischt sich gewiss bei manchem
eine Art von Bedauern, wenn er sieht, wie dieser alten treuen Dienerin unserer
technischen Arbeit im Augenblick ihrer thermischen und mechanischen Vollendung eine
Rivalin erwachsen ist, die sie auf dem Gebiete der zentralen elektrischen
Krafterzeugung schon nach wenigen Jahren rücksichtslos verdrängt hat und sie auch in
manchen anderen Betriebszweigen zu verdrängen beginnt. Auf Seiten der
Grossdampfturbine liegen in der Tat höchst wichtige Vorteile gegenüber der
Dampfmaschine gerade für den Betrieb grosser elektrischer Kraftzentralen: die
erheblich kleineren Abmessungen der Maschinen und der ganzen Kraftwerke, die hohe
Dampfökonomie, die geringe Zahl von Bedienungsmannschaften, die grosse
Uebersichtlichkeit; demgemäss die erhöhte Sicherheit, Einfachheit und
Billigkeit des Betriebes; das alles sichert der Dampfturbine zunächst in diesem
Anwendungsgebiet die volle wirtschaftliche Ueberlegenheit. Davon bekommt auch der
Besucher der Ausstellung im Rahmen der in der Maschinenhalle im Betrieb befindlichen
grossen Kraftmaschinen einen ungefähren Begriff besonders durch die grossen Turbinen
der Maschinenbaugesellschaft Nürnberg und von Gebrüder Sulzer in Ludwigshafen a. Rh.
1. Die Maschinenbaugesellschaft Nürnberg hat eine 700
PSe-Dampfturbine ausgestellt, welche mit einem
Gleichstromgenerator der Siemens-Schuckert-Werke von
2500 Umdrehungen i. d. Minute direkt gekuppelt und nach dem System Zoelly gebaut ist. Die Zoelly-Turbine ist bekanntlich eine achsiale Druckturbine mit derartiger
Abstufung des zur Verfügung stehenden Druckgefälles, dass das Druckverhältnis
zwischen den einzelnen Stufen den kritischen Wert, etwa 1,7, nicht überschreitet.
Das Laufrad jeder Stufe wird aus dem davor liegenden Leitrad nahezu voll
beaufschlagt. Der Dampf durchströmt die Laufräder jeweils mit gleichbleibendem
Druck, durch die Abgabe seiner
Textabbildung Bd. 321, S. 629
Fig. 15. 700 PSe-Zoelly-Dampfturbine der
Maschinenbau-Gesellschaft Nürnberg.
Bewegungsenergie Arbeit leistend; in den zwischenliegenden Leiträdern wird die
Geschwindigkeit des Dampfes durch Expansion wieder auf den anfänglichen Wert
gebracht und im nächsten Laufrad durch weitere Arbeitsleistung wieder verringert.
Bei dieser Abstufung des Druckes wird eine massige Geschwindigkeit der Laufräder
erzielt bei guter Ausnutzung der Strömungsenergie des Dampfes; denn die Leiträder
bedürfen bei dem angewendeten Druckverhältnis jeder Stufe keiner konischen
Erweiterung, wie es bei denjenigen Turbinen der Fall ist, welche schon vor dem
Eintritt des Dampfes in das erste Rad die gesamte Spannungsenergie in
Geschwindigkeit umsetzen. In diesen erweiterten Düsen aber entstehen wegen der hohen
Geschwindigkeiten nicht unbeträchtliche Verluste, während die Umsetzung in
kinetische Energie bis zum engsten Querschnitt fast verlustlos erfolgt. Die Zoelly-Turbine hat wie alle Druckturbinen den Vorteil,
dass infolge des Gleichdruckes vor und hinter den Laufrädern der Spielraum zwischen
Laufrad und Leitapparat ohne Spaltverlust so gross gemacht werden kann, dass ein
Streifen der Räder auch nach eingetretener Wärmedehnung ausgeschlossen ist. Ferner
tritt kein achsialer Druck auf die Laufradscheiben auf, der dieselben ungünstig
beansprucht und, wie bei Ueberdruckturbinen, durch besondere
Entlastungsvorrichtungen aufgehoben werden muss.
Textabbildung Bd. 321, S. 630
Fig 16. Laufrad.
Die ausgestellte Turbine arbeitet mit zehn Druckstufen. Die Gesamtanordnung der
Maschine ist aus der Fig. 15 ersichtlich. Die
abgebildete Maschine entspricht zwar einer etwas grösseren Leistung (1000 PSe), ist aber im übrigen von genau der gleichen
Bauart in allen Einzelheiten wie die ausgestellte Turbine. Die zehn Laufräder sind
in einem einzigen Gehäuse untergebracht und auf einer Welle aufgekeilt, die in vier
Lagern gestützt ist, zwei zu beiden Seiten der Turbine vollständig unabhängig
von derselben und zwei für den angekuppelten Teil der Welle, welche den Dynamoanker
trägt. Diese Anordnung entspricht den neueren Ausführungen der Maschinenbaugesellschaft Nürnberg auch bei grösseren
Einheiten, während man früher zur besseren Lagerung der Welle noch ein weiteres
Lager zwischen die in zwei Gehäuse gespaltene Turbine unterbrachte. Damit wurde aber
die achsiale Baulänge vergrössert und eine Ueberführung des Dampfes von einem
Gehäuse zum andern nötig; ausserdem waren gegenüber der neueren eingehäusigen Bauart
zwei Stopfbüchsen mehr erforderlich. Ausser den Traglagern ist am Ende der Welle
noch ein Kammlager angeordnet zur Sicherung der Lage der beweglichen Teile gegenüber
den feststehenden. Auf der einen Seite desselben befindet sich das Schneckengetriebe
zum Antrieb des Regulators, auf der anderen eine Zentrifugalpumpe, welche das für
die Lagerschmierung und für die Reguliervorrichtung nötige Drucköl liefert.
Textabbildung Bd. 321, S. 630
Fig. 17. Leitapparat.
Die Laufräder haben einen mittleren Beaufschlagungsdurchmesser von 850 mm. In Fig. 16 ist ein Laufrad abgebildet. Die Radscheibe
a ist aus Siemens-Martin-Stahl geschmiedet und zur
Verminderung der Reibung poliert und mit Nut und Feder auf der Welle befestigt. Die
aus Nickelstahl hergestellten und auf ihrer ganzen Oberfläche polierten Schaufeln
c sind in einer ⊤-förmigen Nut mit Hilfe eines
aufgenieteten Deckringes b befestigt. Die Schaufeln
nehmen in radialer Richtung an Stärke ab und erleiden deshalb an ihrer Wurzel eine
geringere Beanspruchung durch die Zentrifugalkraft als Schaufeln von
gleichbleibender Stärke. Mittels der Beilage d werden
die Schaufeln in dem erforderlichen Abstand gehalten; sie sind nach der
Dampfaustrittsstelle hin schräg abgefräst; das ergibt eine Vergrösserung des
Austrittsquerschnitts und damit einen günstigeren Austrittswinkel für die Schaufeln.
Ein Leitapparat ist in Fig. 17 abgebildet. Er besteht
aus der gusseisernen Scheibe a, in welche die
stählernen polierten Leitschaufeln c eingegossen sind,
Wie aus Fig. 15 ersichtlich, legt sich die
Stirnfläche des einen gegen den vorspringenden Rand des benachbarten Leitrades. Auf
diese Weise wird der auf den einzelnen Scheiben lastende Druck auf die letzte und
von dieser auf das Gehäuse übertragen. Die Leiträder sind an ihrem Umfang dampfdicht
eingepasst; wo sie auf den Naben der Laufräder aufsitzen, sind Büchsen eingesetzt,
welche mit Weissmetall ausgegossen sind und durch eine Labyrinthdichtung bei
geringem Spiel einen nahezu dampfdichten Abschluss benachbarter Druckstufen
herstellen. Die Leiträder sind geteilt wie das Gehäuse. Die oberen Hälften sind mit
dem Gehäusedeckel verschraubt, die Teilflächen auf geschliffen. Die Turbine kann
durch Abheben des oberen Gehäuseteiles mitsamt den Leitradhälften vollkommen frei
gelegt werden; bei diesen zweckmässigen Anordnungen stehen freilich die
Dichtungsflächen der Leiträder nicht unter Kontrolle.
Die Einrichtung der Stopfbüchse zeigt Fig. 18. Eine
Reihe von mehrteiligen Ringen b aus schwer schmelzbarem
Metall werden durch Schlauchfeldern leicht auf die Welle gepresst; sie sind auf die
Flächen der Abstandsringe c aufgeschliffen und
gestatten der Welle eine allseitige Beweglichkeit. Aus a wird durch Bohrung g und Zwischenlage d Kühlwasser zugeführt, das je nachdem gegen äusseren
oder inneren Druck abzudichten ist, den durch die Ringe etwa noch durchgedrungenen
Dampf kondensiert oder das Eindringen der Luft von aussen verhindert.
Die Wellen der Turbine und der Dynamomaschine sind durch eine elastische, aber rein
metallische Kupplung verbunden, welche in jeder Richtung kleine Verschiebungen
gestattep. Sie ist, wie Fig. 19 zeigt, eine
Klauenkupplung, bei der zwischen die treibenden und getriebenen Klauen genau
eingepasste, gehärtete Stahlkugeln eingeschaltet sind.
Die Regulierung der Turbine erfolgt durch Drosselung des Eintrittsdampfes durch einen
Kolbenschieber, der mit Hilfe eines Servomotors auf die in Fig. 20 ersichtliche Weise verstellt wird. Auf der Spindel des
Kolbenschiebers sitzt der Kolben g, der im Zylinder f unter dem Drucke des eingeleiteten Pressöles auf- und
abbewegt wird. Das Pressöl tritt aus der in Fig. 15
ersichtlichen Zentrifugalpumpe in das Steuergehäuse i
und von dort je nach der Stellung der kleinen Steuerkolben l durch eine der beiden Leitungen m über oder
unter den Kolben des Kraftzylinders. Im Beharrungszustand der Maschine befinden sich
die Steuerkolben in Mittelstellung; beide Leitungen sind dann abgesperrt. Sobald die
Regulatorhülse sich hebt oder senkt, bildet der Punkt 2
den festen Drehpunkt des Hebels 2 3 1; dadurch wird die
Steuerspindel h bewegt und es kann Drucköl aus i zum Kolben treten und gleichzeitig das auf der andern
Kolbenseite befindliche Oel abströmen. Während sich nun der Kolben g und damit der Drosselschieber a hebt und senkt, bildet Punkt 1 den
augenblicklichen Drehpunkt für den Hebel 2 3 1, so dass
sich jetzt die Steuerspindel in die alte Lage zurückbewegt und die Kolben das
Drucköl wieder absperren.
Mit dieser Reguliervorrichtung wird nach einer Belastungsänderung der neue
Beharrungszustand in kürzester Zeit erreicht; der Hartungsche Federregulator hat nur den kleinen entlasteten, im Oel
bewegten Steuerschieber zu bewegen. Zur Veränderung der Umdrehungszahl wird die
Muffe o durch Schraube q
mittelst Handrad verstellt.
Textabbildung Bd. 321, S. 631
Fig. 18. Stopfbüchse.
Textabbildung Bd. 321, S. 631
Fig. 19. Kupplung.
Am Kopfende der Turbine befindet sich ein Sicherheitsregler, der die Maschine
selbsttätig abstellt, sobald bei einer etwaigen Störung der normalen Regulierung die
Umdrehungszahl um ein bestimmtes Mass überschritten wird. Der Sicherheitsregler
besteht aus zwei um die Hauptwelle rotierenden Gewichten, die bei Ueberschreiten der
höchsten zulässigen Umdrehungszahl ausschlagen und durch Auslösen einer Klinke das
Dampfeinlassventil abschliessen.
Zur Kondensation des Abdampfes dient ein im Kellerraum
aufgestellter Oberflächenkondensator für 5000 kg Dampf i. d. Stunde. Die
gesamte Kühlfläche der 4200 mm langen, natlos gewalzten Messingrohre (40/38 Durchm.)
beträgt 258 qm. Das erforderliche Kühlwasser wird durch eine Zentrifugalpumpe, die
mit einem Elektromotor von n = 750 i. d. Minute direkt
gekuppelt ist, gefördert, während die Luftabsaugung durch eine Schieberluftpumpe von
350 mm Zylinderdurchmesser und 350 mm Hub erfolgt; diese wird von der Welle des
Elektromotors mittelst Zahnradvorgelege angetrieben. Die Umdrehungszahl beträgt 115.
Von der Luftpumpenwelle wird auch die Kondensatpumpe von 110 mm Durchm. und 120 mm
Hub angetrieben. Die Leistung des Elektromotors beträgt bei normalem und
gesteigertem Betrieb mit etwa 90 v, H. Vakuum 36 PS-, so dass der Kraftverbrauch für
die Kondensation 4–5 v. H. der Maschinenleistung beträgt. Die ganze
Kondensationsanlage ist von Klein, Schanzlin &
Becker in Frankenthal geliefert.
Die Dampfverbrauchsergebnisse, die mit einer Turbine von ungefähr gleicher Grösse wie
die ausgestellte im Elektrizitätswerk Mühlhausen i. Th. bei Betrieb mit gesättigtem Dampf gewonnen wurden, seien hier
mitgeteilt:
Nutzleistung in PSe
232,5
349,9
465,6
605,5
707,6
Umdrehungen i. d. Min.
3061
3050
3040
3030
3020
Dampfdruck abs.
8,63
8,84
8,51
8,50
8,53
Druck vor dem 1. Leit- apparat
2,71
3,8
5,0
6,53
7,61
Vakuum v. H.
95,3
94,5
93,8
92,7
91,7
Dampfverbrauch f. d.
PSe/Std.
8,04
7,09
6,96
6,86
6,81
Textabbildung Bd. 321, S. 632
Fig. 20. Regulierung.
Bei einer grösseren Maschine von 2600 PS Leistung im Elektrizitätswerk Mülhausen i.
Eis. wurde bei Betrieb mit um ∾ 85° überhitztem Dampf und 94 v. H. Vakuum ein
Dampfverbrauch von 5,31 kg f. d. PSe/Std.
erzielt.
(Fortsetzung folgt.)