Titel: | Einfluss des wechselweisen Verdrehens auf die elastischen Eigenschaften von Metallen. |
Autor: | E. L. Hancock |
Fundstelle: | Band 321, Jahrgang 1906, S. 646 |
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Einfluss des wechselweisen Verdrehens auf die
elastischen Eigenschaften von Metallen.Vortrag,
gehalten vor der American Society for Testing Materials, Juni 1906. Nach dem
Originalbericht bearbeitet.
Von Professor E. L.
Hancock, La Fayette.
Einfluss des wechselweisen Verdrehens auf die elastischen
Eigenschaften von Metallen.
Es ist allgemein bekannt, dass beim Verdrehen eines zylindrischen Stabes die
äussersten Fasern die grössten Spannungen erleiden und dass die Spannung der inneren
Faser mit deren Abstand von der Achse des Stabes abnehmen. Bei hinreichend grosser
Torsions- oder Drehspannung werden die äussersten Fasern bis zur Elastizitätsgrenze
des Materials beansprucht und bei weiterer Steigerung der Spannung gestreckt. Die
Dicke der gestreckten Zone hängt davon ab, wie weit die Torsionsbeanspruchung die
Elastizitätsgrenze überschritt.
Wenn jetzt die drehende Kraft entfernt wird, kehrt der Stab nicht in seinen
ursprünglichen Zustand zurück, sondern er zeigt eine bleibende Formänderung und
besitzt in diesem neuen Zustande andere Eigenschaften als ursprünglich. Sein
Widerstand gegen Verdrehen ist jetzt in der Richtung der erstmaligen Beanspruchung
grösser als in der entgegengesetzten Richtung. Nach Ansicht von James Thompson (Cambridge and Dublin Math. Journal
November 1848) und Lord Kelvin, (Elasticity, Encycl.
Britannica) besitzt der Stab in dem neuen Zustande zwei Elastizitätsgrenzen,
von denen die eine höher, die andere niedriger liegt, als die ursprüngliche.
Das Fehlen von Versuchsergebnissen über diesen Gegenstand veranlasste den Verfasser
eine Reihe von Versuchen (insgesamt über 150) anzustellen, um die Richtigkeit der
theoretischen Bestimmungen für Eisen und Stahl festzustellen und zu ermitteln, ob
die bekannten Erscheinungen, welche beim Ueberlasten von Metallen durch Zug und
Druck eintreten, auch für Torsionsbeanspruchung gelten.
Das Material.
Untersucht sind: Nickelstahl, Kohlenstoffstahl, gewöhnliches Schmiedeisen und
Stehbolzeneisen. Sämtliche Proben blieben unabgedreht und ungeglüht. Sie waren etwa
508 mm (20 Zoll) lang, bei 254 mm (10 Zoll) Messlänge; ihr Durchmesser schwankte
zwischen 12 und 25 mm (½–1 Zoll).
Prüfungsverfahren.
Die Versuche wurden in dem Materialprüfungslaboratorium der Purdue-Universität auf
einer Riehle-Torsionsmaschine mit 392 mkg (30000
Zollpfund) grösster Leistungsfähigkeit ausgeführt, (s. Fig.
1.) Das mit der Wage verbundene Querhaupt dieser Maschine ist so
aufgehängt, dass die Probestäbe bei der Drehbeanspruchung ihre Länge, ohne
Nebenspannung zu erleiden, frei ändern können, wodurch genauere Werte erzielt
werden, als mit Maschinen ohne derartige Einrichtung.
Textabbildung Bd. 321, S. 647
Fig. 1. Riehle-Torsionsmaschine.
Um dieselbe Probe nach einander in beiden Richtungen beanspruchen zu können, wurde
das aufgehängte Querhaupt nach Fig. 2 mit einem
Hebel verbunden, der an seinem freien Ende ein Gefäss zur Aufnahme der Gewichte
trug. Durch Umsteuerung des Maschinenantriebes, der Bewegungsrichtung, konnte dem
Stabe die jeweilig gewünschte Drehungsrichtung erteilt werden. Das Eigengewicht des
Hebels mit dem Belastungsgefäss wurde an dem Hebel der Wage ausgeglichen, nachdem
der Stab sorgfältig eingespannt war.
Textabbildung Bd. 321, S. 647
Fig. 2. Riehle-Torsionsmaschine, Anordnung für die Verdrehung nach beiden
Richtungen.
Der Abstand zwischen dem Aufhängungspunkt der Gewichtsschale und Mitte Probe war
bekannt, so dass jedes gewünschte Drehmoment durch Vermehrung der Gewichte erzielt
werden konnte.
Beim Aufbringen der Belastung stieg der Hebel der Wage an. Nach dem Ingangsetzen der
Maschine in Richtung bIm nachstehenden ist
der Kürze wegen mit „a“ die Drehrichtung
nach rechts (den Beschauer im Bilde Fig. 2
links stehend gedacht) und mit „b“ die
Drehrichtung nach links bezeichnet. Dementsprechend lauten die Zeichen für
die Proportionalitätsgrenzen in den beiden Richtungen τPa und τPb. wurde die Belastung nach und nach auf den Probestab
übertragen und die Gleichgewichtslage des Wagebalkens zeigte schliesslich an,
dass die gesamte Last als Drehmoment auf den Stab wirkte.
Die Formänderungen wurden, wie Fig. 2 erkennen lässt,
mit einem Troptometer von Olsen gemessen.
Textabbildung Bd. 321, S. 647
Fig. 3. Versuche mit Nickelstahl.
Erstmalige Belastung in Richtung a
bis zur Proportionalitätsgrenze;Belastung nach 24 Std. in Richtung b; Belastung
nach 151 Tagen in Richtung a bis zur Streckgrenze; Belastung nach 6 Tagen in
Richtung b bis zur Streckgrenze; Belastung nach 6 Tagen in Richtung a bis zum
Bruch; Bruchstück von 5, nach 2 Tagen in Richtung b bis zum Bruch belastet.
Um die Genauigkeit der Kraftmessungen festzustellen, wurden vergleichende
Torsionsversuche angestellt. Die Kraftmessung erfolgte hierbei entweder mit dem
Zusatzhebel und Gewichtsschale oder in gewöhnlicher Weise mit der Laufgewichtswage,
wobei der Zusatzhebel mit Gewichtsschale teils fehlte, teils eingebaut war. Zu jedem
Versuch wurde ein neuer Stab benutzt. Alle Versuche lieferten das gleiche
Ergebnis.
Textabbildung Bd. 321, S. 647
Fig. 4. Versuche mit Nickelstahl.
Erstmalige Belastung in Richtung a
15 Stunden lang; Sofort in Richtung b; Belastung nach 158 Tagen in Richtung a
bis zur Streckgrenze; Belastung nach 5 Tagen in Richtung b bis zur
Streckgrenze.
Umfang der Untersuchung.
Wie oben bereits angedeutet ist, bezweckte die Untersuchung, den Einfluss elastischer
und bleibender Verdrehung oder des Fliessens der äusseren Zone in der einen Richtung
auf das elastische Verhalten bei Beanspruchung in entgegengesetzter Richtung
festzustellen.
Hierzu gelangten folgende Versuche zur Ausführung:
Textabbildung Bd. 321, S. 648
Fig. 5. Versuche mit Nickelstahl.
Erstmalige Belastung in Richtung a
bis zur Streckgrenze; Belastung nach 30 Tagen in Richtung b bis zur
Streckgrenze; Belastung nach 151 Tagen in Richtung a bis zur Streckgrenze;
Belastung nach 113 Tagen in Richtung b bis zur Streckgrenze; Belastung nach 4
Tagen in Richtung a bis zur Streckgrenze.
I. Die Stäbe wurden zunächst in Drehrichtung a bis unterhalb der Proportionalitätsgrenze belastet und dann unmittelbar darauf in Richtung
b.
II. Die Stäbe wurden zunächst in Richtung a bis zur
Proportionalitätsgrenze belastet und dann in Richtung b und zwar:
1. unmittelbar darauf und
2. nach einer bestimmten Ruhezeit.
Textabbildung Bd. 321, S. 648
Fig. 6. Mittelwerte für Nickelstahl.
Erstmalige Belastung in Richtung a,
dann; Sonstige Belastung in Richtung b.
III. Die Stäbe wurden zunächst in Richtung a bis zur
Streckgrenze belastet und dann in Richtung b
und zwar wieder:
1 unmittelbar darauf und
2. nach einer bestimmten Ruhezeit.
Versuchsergebnisse.
Die Ergebnisse sind in Fig. 3–10 durch Schaulinien dargestellt, ihre Bedeutung ist
unter den Figuren angegeben. Die Proportionalitätsgrenze ist durch ein Kreuz
gekennzeichnet.
Textabbildung Bd. 321, S. 648
Fig. 7. Mittelwerte für weichen Kohlenstoffstahl.
Erstmalige Belastung in Richtung a;
Belastung in Richtung b, 7 Tage nach Versuch 1; Belastung in Richtung b, sofort
nach Versuch 1.
Die Ergebnisse von Reihe I, in der die Verdrehung bei der erstmaligen Belastung nicht
bis zur Proportionalitätsgrenze (τPa) gesteigert wurde, zeigen, dass diese
Beanspruchung keinen sichtbaren Einfluss auf die elastischen Eigenschaften des
Materials bei nachheriger Beanspruchung in entgegengesetzter Richtung hat. Wenn aber
die Beanspruchung bei der erstmaligen Belastung bis zu oder über τPa gesteigert wird, so
werden hierdurch die elastischen Eigenschaften verändert. Fig. 3 zeigt an der Lage der Kreuze, dass τPb bei der zweiten Belastung (in Richtung
b) durch die erste, die in Richtung a bis zu τPa ging, nur wenig verändert war. Dagegen liegt τPb bei der vierten
Belastung infolge Streckens bei der dritten Belastung (Richtung a) wesentlich niedriger, und zwar selbst nach einer
Ruhepause von sechs Tagen. Bei der fünften Belastung lag τPa wieder etwas höher als bei der
vierten; nach Ansicht von Hancock wahrscheinlich
deshalb, weil die Beanspruchung bei der fünften Belastung in derselben Richtung
erfolgte, wie bei der ersten.
Textabbildung Bd. 321, S. 648
Fig. 8. Versuche mit weichem Kohlenstoffstahl.
Erstmalige Belastung in Richtung a
bis zur Proportionalitätsgrenze; Sofort in Richtung b belastet.
Alle Linien sind nahezu parallel. Hieraus folgt, dass die Aenderung des
Elastizitätsmoduls, wenn solche überhaupt eintritt, sehr gering ist.
Fig. 4 zeigt, dass die erstmalige Beanspruchung bis etwa über τPa unter
Erzeugung einer geringen bleibenden Verdrehung, (s. die Entlastungslinie zu 1) die
Proportionalitätsgrenze τPb bei sofort folgender Beanspruchung in der entgegengesetzten Richtung
etwas herunterdrückte. Die bleibende Verdrehung (s. Entlastungslinie zu 2) wurde hierbei weiter
getrieben als bei der vorhergegangenen Beanspruchung und darauf ergab sich, sogar
nach einer Ruhezeit von 158 Tagen, dass τPa bei der Belastung 3 noch beträchtlich tiefer lag
als τPb bei Belastung
2. Bei der vierten Belastung in Richtung b, fünf Tage
nach der dritten, bei der die Streckgrenze erreicht wurde, ausgeführt, lag τPb nur noch etwa halb
so hoch wie ursprünglich.
Wenn der Probestab bei der erstmaligen Belastung bis zur
Streckgrenze beansprucht wurde, (Linie 1
Fig. 5), so lag τPb (Linie 2) sogar nach
einer Ruhepause von 30 Tagen bei der Beanspruchung in entgegengesetzter Richtung
weniger als halb so hoch, wie τPa. Nach Strekkung in dieser Richtung (b) und darauf folgender 151-tägiger Ruhe zeigte die
Probe bei der abermaligen Belastung in Richtung a
(Linie 3) wieder höheres τPa.
Der gleiche Wert ergab sich nach 113 Ruhetagen bei der wiederholten Prüfung in
Richtung b (Linie 4). Vier
Tage nach dieser Prüfung lag aber auch für Richtung a
(s. Linie 5) τPa wesentlich tiefer.
Tab. 1 zeigt das Verhalten verschiedener Nickelstahlstäbe.
Tabelle 1.
Einfluss wechselnder Verdrehung auf die Spannung an der
Proportionalitätsgrenze.
Dreh-richtung
a
b
a
b
a
b
StabNo.
belastetbis1)
τPkg/qmm
Vovaufge-gangeneRuhezeitin Tagen
belastet bis
τPkg/qmm
Voraufge-gangeneRuhezeitin Tagen
belastet bis
τPkg/qmm
Voraufge-gangeneRuhezeitin Tagen
belastet bis
τPkg/qmm
Voraufge-gangeneRuhezeitin Tagen
belastet bis
τPkg/qmm
Voraufge-gangeneRuhezeitin Tagen
belastet bis
τPkg/qmm
1 D
P
22,8
2)
–
21,4
158
S
17,5
5
S
9,8
–
–
–
–
–
–
1
P
21,4
7
P
10,1
173
S
21,8
–
–
–
–
–
–
–
–
–
1 C
P
25,2
1
P
24,6
151
S
24,1
6
S
9,3
6
Bruch
9,8
2
Bruch
9,5
1 E
¾ P
–
69
¾ P
–
113
S
22,3
113
S
13,2
4
S
9,8
–
–
–
1 B
P
22,8
0
P
18,6
164
S
21,3
6
Bruch
9,8
–
–
–
–
–
–
2 C
S
23,1
30
S
13,0
151
S
16,8
113
S
16,8
4
S
11,2
71
–
17,7
1) P bedeutet die Proportionalitätsgrenze, S die
Streckgrenze.
2) Belastung wurde bei Reihe a 15 Stunden lang
hochgehalten, unmittelbar darauf erfolgte Drehung in Richtung b.
Textabbildung Bd. 321, S. 649
Fig. 9. Versuche mit gewöhnlichem Schweisseisen.
Erstmalige Belastung in Richtung a;
Belastung in Richtung b.
Die Wirkung unmittelbaren Rückwärtsdrehens in Richtung b
nach Uebersghreitung der Streckgrenze beim Drehen in Richtung a (Fig. 6) äusserte
sich darin, dass die Stäbe nach dem Strecken keine Proportionalitätsgrenze mehr
besassen.
Stahl mit geringem Kohlenstoffgehalt, bis zur Streckgrenze beansprucht (s. Fig. 7) besass beim sofortigen Belasten in
umgekehrter Richtung keine Proportionalität; bei der Ruhe kehrte sie zurück, aber
nach 7 Tagen lag τPb
noch nicht ⅓ so hoch wie ursprünglich.
Wenn die erste Beanspruchung bis etwas über die Proportionalitätsgrenze gesteigert
wurde, so zeigten die Stäbe Proportionalität, wenn sie unmittelbar darauf in
umgekehrter Richtung gedreht wurden (s. Fig. 8).
Gewöhnliches Schmiedeeisen und Stehbolzeneisen verhielten sich ebenso wie der weiche
Stahl (s. Fig. 9 u. 10).
Schlussfolgerung.
Textabbildung Bd. 321, S. 649
Fig. 10. Versuche mit Stehbolzeneisen.
Erstmalige Belastung in Richtung a;
Sofort in Richtung b belastet.
Die Schaulinien zeigen, dass die elastischen Eigenschaften von Schmiedeeisen und
weichem Stahl durch Torsionsspannungen unterhalb der Proportionalitätsgrenze nicht
verändert werden. Durch Beanspruchungen, die über die Proportionalitätsgrenze aber
nicht bis zur Streckgrenze gehen, wird die Proportionalitätsgrenze für die Belastung
in umgekehrter Richtung zwar heruntergedrückt, ist aber auch dann vorhanden, wenn
der Stab in unmittelbarer Folge in umgekehrter Richtung beansprucht wird. Reicht die
erste Beanspruchung bis über die Streckgrenze, so ist bei Beanspruchung in
umgekehrter Richtung keine Proportionalitätsgrenze vorhanden, sie kehrt aber nach
einiger Zeit der Ruhe allmählich zurück. Der Elastizitätsmodul bleibt unverändert,
wenn die Beanspruchung bei der ersten Prüfung unterhalb der Streckgrenze bleibt.
Ueberschreitet sie die Streckgrenze, so ist der Elastizitätsmodul bei
Beanspruchung in umgekehrter Richtung nicht konstant, er nimmt aber nach einiger
Zeit der Ruhe den ursprünglichen Wert wieder an.
Die Ergebnisse, welche bei diesen Prüfungen erhalten sind, stimmen überein mit den
bekannten Beobachtungen aus den Versuchen mit wechselnden Zug- und
Druckbeanspruchungen.