Titel: | Das maschinen-technische Unterrichtswesen auf der Jubiläums-Landesausstellung in Nürnberg 1906. |
Autor: | Karl Drews |
Fundstelle: | Band 321, Jahrgang 1906, S. 770 |
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Das maschinen-technische Unterrichtswesen auf der
Jubiläums-Landesausstellung in Nürnberg 1906.
Von Karl Drews,
Ingenieur.
Das maschinen-technische Unterrichtswesen auf der
Jubiläums-Landesausstellung in Nürnberg 1906.
Einen besonders anziehenden Punkt der diesjährigen Landesausstellung in Nürnberg
bildete die Unterrichtsausstellung im Gebäude des Bayrischen Staates.
Diese Ausstellung bezweckte, einen Ueberblick über das unter der Leitung der
staatlichen Unterrichtsverwaltung stehende oder von ihr beaufsichtigte und
unterstützte technische, realistische, gewerbliche und kunstgewerbliche
Unterrichtswesen zu geben. Privatunternehmungen mit geschäftlichem Charakter waren
nicht vertreten.
Die Ausstellung umfasste 16 Gruppen, die in 32 mehr oder minder grossen Räumen recht
übersichtlich untergebracht waren.
Ein Sonderkatalog mit Grundrissplan erleichterte wesentlich die Besichtigung.
Von dem reichhaltigen ausgestellten Material soll hier in Hinblick auf die Mehrzahl
der Leser dieser Zeitschrift nur dasjenige der maschinen-technischen Schulen
besprochen werden.
Als Aussteller kommen dann in Betracht die Maschinenbauabteilung der technischen
Hochschule in München, die vier Industrieschulen, mehrere Maschinenbauschulen, die
Fachschulen für Handwerker und die Fortbildungsschulen.
Von den Schulen mit gleicher Organisation hatte immer nur eine den Typus des
Lehrganges vollständig dargestellt; die anderen waren nur mit Einzelleistungen
vertreten.
Besonders hergestellte Paradeleistungen waren streng untersagt.
1. Die Technische Hochschule in
München.
Die Abteilungen für Maschinenbau und Elektrotechnik hatten eine reichhaltige
Lehrmittelsammlung von Modellen und Photographien, Laboratoriumsapparate, und zur
Illustrierung der konstruktiven und zeichnerischen Tätigkeit der Studierenden eine
Anzahl von Skizzen und Studienzeichnungen aus den verschiedenen Gebieten des
Maschinenbaues ausgestellt.
Der interessantere Teil dieser Ausstellung war zweifellos die Lehrmittelsammlung.
Diese enthielt eine grosse Anzahl sehr schön ausgeführter Modelle von
Maschinenteilen, Arbeits-, Wasserkraft- und Dampfmaschinen teils in Naturgrösse,
teils in verkleinertem Masstabe; einige im betriebsfähigem Zustande. Zu den
Lehrmitteln gehörten auch verschiedene photographische Bilder in grossem Format von
Maschinenteilen, z.B. Riderschieber in verschiedenen Ansichten.
Das mechanisch-technische Laboratorium hatte gleichfalls eine Reihe von
Gegenständen, die sich auf Materialprüfungen und deren Methoden bezogen,
ausgestellt.
Die Tätigkeit der Studierenden war, wie dies ja nicht anders möglich ist, durch
Konstruktionszeichnungen und Skizzen (teils diese selbst in Mappen, teils deren
Photographien unter Glasrahmen) veranschaulicht.
Von diesen Zeichnungen auf die Leistungen der einzelnen Studierenden schliessen zu
wollen, wäre etwas gewagt; denn wie weit hier Vorbilder benutzt worden sind, lässt
sich ja nicht nachweisen. Allerdings könnte der aufmerksame und sachkundige
Beschauer auch von der Wahl der Vorbilder, von der richtigen Verwendung schon
ausgeführter Konstruktionseinzelheiten für den vorliegenden Zweck auf die
Urteilsfähigkeit und das technische Verständnis des betr. Studierenden
schliessen.
Auf Seite 19 des Sonderkataloges wird darauf hingewiesen, dass die Studierenden bei
ihren Konstruktionsübungen Anregung besser durch Modelle und Photographien
ausgeführter Konstruktionen als durch Zeichnungen empfangen; weil in letzterem Falle
leicht die Selbstständigkeit des Entwurfes leidet.
Dass eine solche Gefahr vielfach vorliegt, weiss ja ein jeder aus seiner eigenen
Studienzeit; dies konnte man z.B. auch an einem der ausgelegten Blätter aus dem
Lasthebezeugbau nachweisen, wo eine Sperradbremse ohne wesentliche Aenderungen aus
den ebenfalls ausgelegten Skizzenbüchern des akademischen Ingenieurvereins entnommen
war. Einige Studierende hatten sich auch im Bau von Dampfturbinen versucht.
Interessant war ferner die Gegenüberstellung der Zeichnungen und Skizzen aus dem
ersten Studienjahre bezüglich der Vorbildung der Studierenden, ob Gymnasium,
Realgymnasium oder Industrieschule.
Dass durchschnittlich der Industrieschüler dem Gymnasiasten weit überlegen ist, kann
natürlich nicht Wunder nehmen.
Aber jene Gegenüberstellung zeigt auch, dass der Absolvent eines Realgymnasiums
demjenigen eines humanistischen Gymnasiums hinsichtlich der zeichnerischen
Fertigkeit und des Raumvorstellungsvermögens immer noch überlegen ist.
Wer so recht Einblick darin haben wollte, wie viel noch für die Entwicklung des nicht
nur für den Ingenieur, sondern auch für jeden Menschen so überaus wichtigen
Anschauungsvermögens auf unseren Gymnasien zu tun bleibt, der brauchte nur die Mappe
mit den Handskizzen der von einem Gymnasium kommenden Studierenden durchzusehen. Es waren
teilweise böse, sehr böse Sachen darunter.
2. Die Industrieschulen.
Da Schulen dieser Art nur noch in Bayern bestehen und ihre jetzige Organisation wohl
in absehbarer Zeit verschwinden wird, um einer zweckmässigeren Platz zu machen, so
erscheint ein näheres Eingehen auf die Eigenart, die Ziele und Leistungen dieser
Anstalten auch im Rahmen dieses Berichtes wohl gerechtfertigt.
Die Industrieschulen sind Mittelschulen mit maschinen-, bau- und chemisch-technischen
Abteilungen.
Sie unterscheiden sich nun von ähnlichen ausserbayrischen technischen Mittelschulen
darin, dass ihr Lehrziel ein doppeltes ist. Sie bereiten nämlich ihre Schüler
erstens in zwei Jahreskursen zur technischen Hochschule, zweitens in drei
Jahreskursen unmittelbar für den Eintritt in die Praxis vor. Dieses ist so zu
verstehen, dass dem Schüler die Wahl bleibt, nach zweijährigem Schulbesuch die
Anstalt zu verlassen und zur Hochschule zu gehen, oder noch ein weiteres Jahr auf
der Anstalt zu verbleiben.
Dieses dritte Jahr ist dann dem eigentlichen Fachstudium gewidmet.
Die Aufnahme erfolgt auf Grund des Reifezeugnisses einer sechsklassigen Realschule
oder auf Grund einer entsprechenden Aufnahmeprüfung.
Die Berechtigung zum Studium an einer technischen Hochschule wird durch Ablegung
einer Reifeprüfung erworben.
Die Schüler des dritten Jahreskursus können ebenfalls eine sogenannte
Absolutorialprüfung ablegen.
Mit den Anstalten sind Lehrwerkstätten verbunden, deren Besuch für die Schüler der
maschinentechnischen Abteilung obligatorisch ist.
Sie enthalten die hauptsächlichsten Metall- und Holzbearbeitungsmaschinen, eine
Schmiede, eine Modellschreinerei und eine Giesserei.
Was bietet nun die Industrieschule ihren Schülern und welches ist deren Besitz an
positiven Kenntnissen, wenn sie die Anstalt verlassen?
Wir müssen nach dem doppelten Lehrziel zwei Gattungen von Abiturienten unterscheiden:
1. die nach zweijährigem Kursus zur Hochschule übertreten, 2. die nach dreijährigem
Kursus unmittelbar in die Privatpraxis eintreten.
Beide Ziele der Schule sind gleichwertig; nicht etwa, dass die vorbereitende Bildung
für die technische Hochschule Hauptziel und die Vorbereitung für die Praxis
Nebenziel ist, wenngleich die Anzahl der Schüler des dritten Kursus an den vier
Industrieschulen zusammen im letzten Jahre nur 28 betrug, wovon auf die Nürnberger
Schule allein 14 entfallen.
Dieses sowie das Folgende gilt nur für die maschinentechnische Abteilung; bei der
bautechnischen Abteilung der Nürnberger Schule betrug im Schuljahre 1904/1905 die
Schülerzahl im dritten Kursus 5 gegen 18 im zweiten Kursus.
Bei der Betrachtung des Lehrplanes müssen wir die Tätigkeit der Schüler in der
mechanischen Werkstätte ausschliessen, da diese nur als ein Anhängsel, als ein
Verlegenheitsprodukt betrachtet werden muss.
Der Unterricht in den beiden ersten Jahren ist in der Hauptsache allgemein bildender
Natur, indem die Industrieschule nach dem Wortlaut ihres Programms den Zweck hat,
die erziehliche Aufgabe der Realschule fortzusetzen.
An sprachlichen Fächern weist der Lehrplan auf: Deutsch, Französisch, Englisch. Dazu
kommt noch Geschichte und Religion.
Die Stundenzahl für diese Fächer gegen diejenige für die
naturwissenschaftlich-mathematischen und zeichnerischen scheint mir im grossen
ganzen dem Zweck der Schule entsprechend richtig abgewogen zu sein.
Im ersten Jahre verhalten sie sich wie 12 : 19, im zweiten wie 1 : 2. Im dritten
Jahre fallen natürlich die sprachlich-historischen Fächer ganz fort.
Dem eigentlichen Fachstudium auf der Hochschule ist durch den Unterricht in den
Maschinenteilen und im Maschinenzeichnen vorgegriffen, wozu man auch wohl die
Mechanik rechnen kann.
Dass eine solche Vorbildung für das Studium der technischen Wissenschaften wohl
geeignet erscheint, kann ohne weiteres zugegeben werden.
Im Hinblick auf ihr erstes Lehrziel schliessen sich die Industrieschulen den anderen
allgemeinbildenden Unterrichtsanstalten an; ein Vergleich mit den technischen
Mittelschulen ist hier nicht angebracht.
Erst mit dem dritten Jahreskursus treten sie aus dem Rahmen allgemein bildender
Anstalten heraus und ergreifen die Aufgaben der eigentlichen Fachschule.
Der Industrieschule als Mittelschule mit dreijährigem Kursus entspricht in Preussen
die höhere Maschinenbauschule mit zweijährigem Kursus.
Denken wir uns die gesamte Unterrichtsdauer auf ein Semester zusammengedrängt, so
erhalten wir für die Anzahl der Wochenstunden in den einzelnen Fächern an beiden
Schulen folgende Zahlen:
Fach
Wöchentl. Stundenzahl
Preuss. höh.Maschinen-bauschule
Industrie-schule
Mathematik
18
18
Physik u. physikalisches Praktikum
6
11
Chemie
4
0
Mechanik
17
6
Darstellende Geometrie
10
7
Elektrotechnik
9
22
Maschinenteile
11
8
Maschinenkunde
20
16
Zeichnen von Maschinenteilen
18
26
„ „ Werkzeugmaschinen
4
0
Konstruktionsübungen aus dem Gebiet der Maschinenkunde
16
14
Bauzeichnen
6
5
Technologie einschl. Werkzeugma- schinen und Hüttenkunde
12
6
Baukonstruktionslehre
6
2
Maschinentechnisches Laboratorium
8
4
Man sieht aus dieser Zusammenstellung, dass beide Anstalten bestrebt sind, ihren
Schülern zum Eintritt in die Praxis ziemlich das gleiche technische Wissen, die
gleiche fachliche Schulbildung zu geben.
Der Industrieschüler ist dem Schüler einer Maschinenbauschule hinsichtlich der
sprachlichen Kenntnisse überlegen; er steht diesem aber weit nach in der praktischen
Werkstattätigkeit, und das ist ein sehr schwerwiegender Mangel.
Die sprachlichen Kenntnisse kann man sich sehr wohl ausserhalb der Schule zum Teil
schneller und besser erwerben. Die praktische Werkstattätigkeit nachzuholen, dürfte
schon schwerer sein.
Die Lehrwerkstätten der Industrieschule bieten dafür weder in qualitativer noch in
quantitativer Hinsicht auch nur annähernd einen Ersatz.
Von dem Schüler einer höheren Maschinenbauschule wird bei seinem Eintritt eine zwei-
bis dreijährige Werkstattpraxis verlangt.
Nehmen wir jährlich 300 Arbeitstage zu je 8 Stunden an, so gibt das 4800–7200
Arbeitsstunden.
Der Schüler einer Industrieschule arbeitet in den ersten beiden Jahren vier Stunden,
im dritten Jahr sechs Stunden wöchentlich in den Schulwerkstätten. Da die jährlichen
Ferien ungefähr 12 Wochen betragen, so hat der Schüler in den drei Jahren etwa 560
Arbeitsstunden auf seine praktische Ausbildung verwandt.
Aber diese Unzulänglichkeit der praktischen Tätigkeit besteht nicht nur in
quantitativer, sondern auch in qualitativer Beziehung. Lehrwerkstätten können
niemals dem angehenden Ingenieur die Fabrikwerkstätte ersetzen.
Der Zweck der praktischen Tätigkeit ist für diesen ein ganz anderer als für den
Handarbeiter; für den Handarbeiter ist die manuelle Fertigkeit die Hauptsache, und
diese kann er sich sehr wohl in einer Lehrwerkstätte erwerben.
Für den Ingenieur oder Techniker tritt die manuelle Fertigkeit in hohem Masse zurück
gegen höhere Gesichtspunkte wie allgemeine Kenntnis der Arbeitsmethoden, der
Arbeitsvorgänge, der vorteilhaften Benutzung von Werkzeugmaschinen, der zur
Verwendung kommenden Materialien usw.; alles Dinge, deren Kenntnis seine spätere
schaffende Tätigkeit erst fruchtbar machen.
In den Lehrwerkstätten lernt der Eleve nur handwerksmässige Arbeitsmethoden, in den
Werkstätten der Industrie aber fabrikmässige kennen.
Wohl muss der Eleve, wenn er seine Aufgabe recht erfasst, tüchtig mit zugreifen; „kid gloves are perfect nonconductors of technical
knowledge“, sagte einst sehr hübsch ein hervorragender Ingenieur;
aber die Hauptsache bleibt doch, dass jener sich an den Dunstkreis der
Fabrikwerkstätte gewöhnt, sich gewöhnt, ein Ding nicht nur überhaupt herzustellen,
sondern auch in der kürzesten Zeit und mit den geringsten Kosten herzustellen. Hier
schon soll er die eminent wirtschaftliche Seite seiner späteren Tätigkeit erkennen;
je fester er hier Wurzel schlägt, um so fruchtbarer wird sein späteres Schaffen
sein. Lehrwerkstätten erfüllen diesen Zweck in keiner Weise. Ihr Nutzen steht in
keinem Vergleich zu den Kosten, die sie dem Staat verursachen; sie sind nur ein
Surrogat für die Fabrikwerkstätte.
Wohl steht es dem Abiturienten einer Industrieschule frei, vor dem Eintritt in die
Praxis noch eine Zeitlang in einer Fabrikwerkstätte zu arbeiten. Aber ob dies viele
tun werden, wage ich sehr in Zweifel zu ziehen; man müsste nicht den Widerwillen
vieler unserer jungen Leute gegen körperliche Arbeit kennen. Zudem wird eine solche
Beschäftigung von Jahr zu Jahr kostspieliger für die beteiligten Eltern. Alles in
allem ist demnach die fachliche Ausbildung eines Abiturienten einer staatlichen
Maschinenbauschule eben infolge der viel längeren Werkstattätigkeit eine bessere und
zweckmässigere als diejenige eines Abiturienten einer Industrieschule. Es muss
jedoch hinzugefügt werden, dass die Ausbildung des ersteren vier Jahre gegen drei
Jahre bei dem letzteren dauert.
Einen sehr grossen Vorteil besitzt indes die Industrieschule in der einheitlichen und
zweckentsprechenden Vorbildung ihrer Schüler, ein Vorteil, der nicht in letzter
Linie den Lehrern zugute kommt.
Wenden wir uns nun zu der Ausstellung der Industrieschulen.
Von den vier bestehenden Anstalten dieser Art gab die Nürnberger durch die
ausgestellten Lehrer- und Schülerarbeiten, Modelle, Apparate usw. ein
wohlabgerundetes Bild ihres Lehrganges, ihrer Lehrmittel und, soweit dies im Rahmen
einer Ausstellung möglich ist, auch ein Bild ihrer Leistungen.
Jeder Jahreskursus hatte eine Anzahl von Zeichnungen ausgestellt.
Die Blätter des ersten Kursus enthielten Werkstattzeichnungen nach Modellen.
Mit der Auswahl der als Vorlage dienenden Modelle für diese Stufe kann man sich nur
teilweise einverstanden erklären.
Ich halte wenigstens einen Proellschen Regulator, einen
Dampfzylinder mit Steuerung u.a.m. in dem ersten Unterrichtsjahr, wo doch lediglich
die zeichnerischen Fähigkeiten entwickelt, das richtige, sich eng an den
Arbeitsvorgang anschliessende Einschreiben der Masse gelernt werden soll, für
ungeeignet als Aufnahmeobjekte.
Der Schüler soll doch den Gegenstand, den er zeichnet, auch verstehen, über den Zweck
jedes einzelnen Teiles der Konstruktion im klaren sein. Mit dem Sehen allein ist es
noch nicht getan; der Schüler soll von vornherein schon wissen, was er an dem
Gegenstand sehen muss, wenn die an und für sich mechanische Messarbeit bei einer
Modellaufnahme sich zu einer geistigen Arbeit erheben soll.
Jeder Lehrer wird die Erfahrung gemacht haben, dass, wenn zehn Schüler ein und
dasselbe Modell aufnehmen, die Aufnahmeskizzen auch zehn nach Formgebung und
Abmessungen verschiedene Gegenstände aufweisen. Das Verständnis für das, was der
Schüler an einem Gegenstande sehen muss, muss erst geweckt werden; das geschieht
aber besser an einfachen als an vielfach zusammengesetzten Modellen.
Ob dieses Verständnis schon bei den Schülern, die die beiden obengenannten Blätter
gezeichnet haben, vorhanden war, möchte ich füglich bezweifeln, zumal sie erst am
Beginn ihrer praktischen Werkstattätigkeit standen.
Bei Verzahnungen ist stets ein besonders scharfes und genaues Zeichnen
erforderlich.
Darauf schien mir bei einzelnen Blättern nicht die genügende Sorgfalt gelegt zu sein,
denn an einigen Stellen musste den Zahnflanken Gewalt angetan werden, um nicht
miteinander in Kollision zu kommen.
Der zweite Jahreskursus hatte Zeichnungen von Maschinenteilen ausgelegt von denen man
wohl annehmen kann, dass einzelnes von den Schülern nach Angaben des Lehrers oder
nach einem Vorbilde selbständig konstruiert worden ist. Auch dem Bereiche der
Elektrotecknik waren einige Blätter entnommen, z.B. Bürstenhalter, Schalter,
Messinstrumente usw.
Am meisten interessierten natürlich die Arbeiten des dritten Kursus, die uns, wenn
nicht immer über das Können, so doch über die konstruktive und zeichnerische
Tätigkeit der Schüler vor ihrem Eintritt in die Praxis Aufschluss gaben.
Bei der Beurteilung der Zeichnungen des dritten Kursus muss man stets das Lehrziel
der Industrieschule als Fachschule im Auge behalten. Dieses ist die Fachausbildung
von Technikern für die mittleren Stellen der Praxis. Von diesen wird in erster Linie
verlangt, dass sie Einzelteile von Maschinen sachgemäss berechnen und entwerfen
können.
Damit ist auch dem Konstruktionsunterricht an der Industrie- wie an jeder technischen
Mittelschule Weg und Ziel gegeben.
Keine pompösen Entwürfe ganzer Maschinen oder gar Maschinenanlagen, keine
Bilderstellerei! Dazu ist die Zeit viel zu knapp bemessen und zu kostbar.
Entsprechend den ihnen in der Praxis zufallenden Aufgaben sollten die Schüler
hauptsächlich die Detaillierung von Maschinen durchführen. Saubere Zeichnung,
richtige Formgebung, gewissenhafte und zweckmässige Masseintragung, sichere Rechnung
und nicht zuletzt flottes Arbeiten sind die Tugenden, die der Industrielle in erster
Linie an seinen technischen Hilfskräften zu schätzen weiss nicht „grosse
Ideen“.
Wer da weiss, wieviel Arbeit und Aerger das Fehlen dieser Eigenschaften bei
seinen Hilfskräften dem Vorgesetzten bereitet, der wird es verstehen, wenn diese
über die ungenügende Vorbildung des Nachwuchses klagen. Wohl ist es wünschenswert,
dass der Schüler auch eine oder zwei vollständige Maschinen entwirft, nur ist die
Auswahl so zu treffen, dass sich das meiste an ihnen rechnerisch festlegen lässt,
dass solche Maschinen, die an die praktische Erfahrung des Konstrukteurs besonders
grosse Ansprüche stellen, davon ausgeschlossen sind.
Einzylinderdampfmaschinen, Kolbenpumpen, Lasthebemaschinen eignen sich hierzu am
besten, schon deshalb weil die meisten Einzelteile derselben den Schülern aus dem
Unterricht in dej Maschinenelementen bekannt sind. Selbstverständlich müssen alle
Details vorher sorgfältig durchkonstruiert werden, wenn die Gesamtanordnung mehr als
eine zeichnerische Uebung sein soll.
Ungeeignet für diesen Zweck sind Gasmaschinen, Dampf- und Wasserturbinen,
Zentrifugalpumpen u.a.m. Bei diesen spielt die Erfahrung und das lang geübte
Konstruktionsgefühl für richtige Abmessungen und Formgebung eine viel zu grosse
Rolle als dass der Schüler – und auch in den meisten Fällen der Lehrer – mit
Bewusstsein die Aufgabe durchführen könnte.
Der Fachmann wird sich durch solche Arbeiten an einer technischen Mittelschule nicht
blenden lassen; er wird sie vielmehr mit sehr skeptischen Augen betrachten. Der
Schulfachmann namentlich wird über solche Blender lächeln; ihm ist die gut und bis
aufs kleinste genau durchgeführte Werkstattzeichnung eines Dampfzylinders,
Kurbelwellenlagers, einer Seiltrommel usw. ein weit höherer Gradmesser für die
Leistungsfähigkeit beider, des Schülers und auch des Lehrers, als der grosstuerische
Entwurf einer Turbine oder dergl.
Nimmt man nun den hier skizzierten Standpunkt ein, so konnten die ausgestellten
Konstruktionszeichnungen des dritten Jahreskursus nur teilweise befriedigen, denn
ich kann mir nicht denken, dass z.B. die Zentrifugalpumpe, die Turbine, der Hartung-Regulator u.a.m. selbständige Arbeiten sind.
Man muss doch bedenken, dass ein Schüler, der nach dem zweiten Kursus zur
Hochschule geht, sich erst nach zwei Studienjahren an solche Sachen wagt, während
sein Mitschüler, der auf der Industrieschule bleibt, dies schon nach kaum einem
halben Jahre tut.
Zu blossem Abzeichnen ist die Zeit aber zu kostbar.
Dass es sich bei einigen Blättern des dritten Kursus nur um rein zeichnerische
Arbeiten, um Bildermalerei handelte, konnte man an zwei Beispielen ohne weiteres
nachweisen.
Blatt 12 des dritten Kursus enthielt eine Einzylinderdampfmaschine 160 Zyl.-Durchm.
Diese Maschine ist nun einfach aus dem von der Schule herausgegebenen Skizzenbuch
für Maschinenkunde, das sich in einem der Glaskästen befand, abgezeichnet und zwar
in derselben Blattanordnung und derselben Massanordnung.
Dasselbe gilt von dem Ringschmierlager auf Blatt 5 des zweiten Kursus.
Das ist Zeitverschwendung. Solches rein mechanische Zeichnen, wobei der Schüler auch
nicht die geringste geistige Arbeit leistet, hat doch wahrlich keinen Sinn.
Man kann es sich ja denken, wie wenigstens die obige Dampfmaschine entstanden ist.
Jedenfalls hatte der betr. Schüler schon mehrere andere Konstruktionen entworfen;
die Zeit war knapp geworden, eine Dampfmaschine oder doch Teile davon gehören
sozusagen zum guten Ton, also flugs ein hübsches Bild gemalt. Den andern
Studienblätter, die aus dem Rahmen der Mittelschule nicht heraustraten, konnte man
nicht die Anerkennung vorenthalten, dass sie sauber und sachgemäss durchgeführt
waren.
Der Elektrotechnik scheint man an der Nürnberger Industrieschule eine Vorzugsstellung
eingeräumt zu haben, was sich schon in der Verteilung der Stundenzahl ausdrückt. Im
ganzen 22 Wochenstunden gegen 9 an den preussischen Maschinenbauschulen.
Dies geschieht namentlich auf Kosten der Technologie; ob dies gerade im Hinblick auf
die geringe praktische Werkstattätigkeit der Schüler richtig ist, kann man stark in
Zweifel ziehen.
(Schluss folgt.)