Titel: | Eisenbahnunterquerung der Leidener Strasse bei Utrecht. |
Autor: | F. Kerdijk |
Fundstelle: | Band 322, Jahrgang 1907, S. 9 |
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Eisenbahnunterquerung der Leidener Strasse bei
Utrecht.
Von F. Kerdijk, Ingenieur, Laren N.
H. (Holland).
Eisenbahnunterquerung der Leidener Strasse bei Utrecht.
Im Jahre 1902 wurde zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in der Umgebung
des Hauptbahnhofs Utrecht zu einer Unterquerung des Bahnhofgeländes durch die
Leidener Straße beschlossen. Die Ausführung der verschiedenen hiermit verbundenen
Arbeiten wurde von A. W. C. Dwars in „De Ingenieur“ (1906, No. 16
und 33)eingehend besprochen, welcher Abhandlung wir im folgenden das
wichtigste entnehmen wollen. Daß die zu besprechenden Arbeiten einem hohen Bedürfnis
entsprechen, zeigen die folgenden Zahlen, welche das Mittel aus den Beobachtungen an
drei Wochentagen (von denen ein Markttag) zwischen morgens 7 und abends 10 Uhr
wiedergeben. Die Verkehrsbewegung umfasste täglich 20000 Fußgänger, 1800 Wagen, an
gewöhnlichen Tagen 4 bis 500, am Markttage 1100 Stück Vieh, während die mittlere
Schlußdauer der damaligen Eisenbahnkreuzung 60 v. H. betrug, wobei die größten
Schlußperioden zwischen 8 und 22 Minuten schwankten. Dieser unhaltbare Zustand wird
durch die in Ausführung begriffenen Arbeiten in folgender Weise beseitigt.
Unmittelbar neben der alten Niveaukreuzung der Leidener Straße befindet sich über dem
mit dieser parallel verlaufenden Kanal eine Eisenbahnbrücke mit zwei Oeffnungen von
je 6 m Breite, welche durch einen 1,80 m dicken Pfeiler getrennt sind (Fig. 3 und 14). Der
Verkehr durch den genannten Kanal hat durch die Ausführung anderer Kanalbauten
dermassen abgenommen, dass eine Durchfahrtöffnung
vollkommen genügt, infolgedessen die zweite Brückenöffnung nun für eine
Straßenunterquerung verfügbar war. Dieselbe ist nur für den Wagenverkehr bestimmt,
während nach Fertigstellung die jetzige Niveaukreuzung aufgehoben und an deren
Stelle ebenfalls ein Doppeltunnel mit Oeffnungen von 6 m und 5,40 m erbaut wird, für
Handkarren, Fahrräder und Fußgänger. Da die frühere südliche Kanalöffnung einen
kleinen Fußsteg enthielt, welcher den fortdauernden freien Verkehr zwischen den
beiden Stadtteilen herstellte, so mußte vor Inangriffnahme des Umbaues für die
Fahrwegunterquerung eine Hilfsbrücke für den Personenverkehr über das
Eisenbahngelände geschlagen werden.
Personenbrücke.
Die Brücke, welche eine Spannweite von 31,80 m und eine Breite von 2 m erhielt, wurde
auf eine bewegliche Belastung von 500 kg f. d. qm berechnet. In Hinsicht auf die
noch zu beschreibende Lanzierung und auf die Wahrscheinlichkeit daß die senkrechten
Konstruktionsteile bei hinüberziehenden Menschenmengen auch seitliche Kräfte
aufnehmen müssen, da die genannten Teile zugleich als Brückenlehne dienen, wurde das
Vertikal- und Diagonalgestänge sehr steif entworfen, durchgehend aus doppeltem
Winkeleisen 75 × 75 × 10, während die Versteifungsplatten auf 12 mm angenommen
wurden. Diese verhältnismäßig schweren Versteifungsplatten ergeben den doppelten
Vorteil grosser Steifheit in den Verbindungspunkten und kleiner Oberfläche der
Konstruktionsteile, was sehr erwünscht war, um eine gute Durchsichtigkeit der ganzen Konstruktion
in Hinsicht auf die Eisenbahnsignale zu erreichen. Der großen Steifheit wurde viel
Aufmerksamkeit gewidmet, da im gegebenen Fall die bewegliche Belastung auf das
doppelte des Eigengewichts der Brücke angenommen werden mußte, wodurch die
Möglichkeit von beträchtlichen Schwingungen vorhanden war.
Textabbildung Bd. 322, S. 9
Fig. 1.Personenbrücke für das Eisenbahngelände in Utrecht auf dem
Gerüst.
Da es sogar zeitweise für die Montierung nicht möglich war, zwischen den Gleisen
einen Stützpunkt zu errichten, so blieb nichts anderes übrig als die Brücke als
Ganzes ausserhalb des Eisenbahngeländes zusammenzubauen und nachträglich
hinüberzuschieben. Die ganze Konstruktion wurde fahrbar auf zwei Eisenbahnachsen in
der erforderlichen Höhe auf einem starken Holzgerüst zusammengestellt (Fig. 1), wobei die Brücke vorne mit einer 10 m langen
Fangnase, hinten mit einer ebenfalls 10 m langen Ballastnase versehen wurde. Vor dem
Ueberschieben wurde die Ballastnase in solcher Weise beschwert, daß der Schwerpunkt
1 m hinter der ersten Achse zu liegen kam. Die Fangnase wurde am gegenüberliegenden
Brückengerüst bei der Lanzierung durch zwei Rollen aufgenommen, welche während der
letzten Strecke zusammen mit der hinteren Eisenbahnachse die Führung des Ganzen
herstellten.
Textabbildung Bd. 322, S. 9
Fig. 2.Brücke nach der Ueberschiebung.
In Fig. 2 ist die überschobene
Brücke wiedergegeben. Nachträglich wurden die Nasen entfernt, das Gerüst abgebrochen
und die Treppen angebracht. Daß ein verhältnismäßig schweres Gerüst notwendig war,
erhellt aus folgenden Angaben:
1. die große Höhe der Brückenunterkante über dem Boden = 8,32
m,
2. das beträchtliche Gewicht der Eisenkonstruktion samt dem
Ballast = 26000 kg,
3. der ungünstige Druck auf die hintere Eisenbahnachse im
Augenblick, wo die Fangnase am gegenüberliegenden Gerüst zu tragen anfängt =
20000 kg.
Allgemeine Beschreibung der Fahrwegunterquerung.
(Fig. 3 und 4.)
In einem Abstand von 160 m östlich von der Achse des Eisenbahngeländes fängt der
Fahrweg an zu fallen unter einer Neigung von 1 : 40, während 65 m, worauf ein
Plateau erreicht wird in einer Höhe von 0,40 + NW (NW =
Rheinwasserstand, gleichbedeutend mit dem normalen Wasserstand der Kanäle in
Utrecht). Dieses Plateau hat eine Länge von 16 m und steigt wieder an bis 0,50 + NW, letzteres zu dem Zwecke, so viel wie möglich zu
verhindern, daß Wasser aus den höher gelegenen Partien in den noch zu beschreibenden
Trog abfliesst. Von dem Plateau ab fällt der Weg wieder während 65 m unter einer
Neigung von 1 : 40 bis unmittelbar vor der Brücke, wo eine Tiefe von 1,15 – NW erreicht wird; hier schliesst sich eine ebene
Strecke von 40 m Länge und 3,85 m freier Durchgangshöhe an, welche sich an der
Westseite so weit an der bestehenden Brücke vorbei fortsetzt, daß diese noch ohne
Hindernis mit zwei Gleisen erweitert werden kann. Die Westseite des Fahrweges gibt
übrigens das gleiche Bild wie die beschriebene Ostseite. Die Neigung von 1 : 40 ist
gewiß nicht wünschenswert zu nennen, jedoch ließen die Terrainverhältnisse ohne zu
grossen Kostenaufwand eine bessere Lösung nicht zu. Zwar hätte man durch Weglaßen
der Plateaus eine Neigung von 1 : 50 erreichen können, wodurch jedoch die wertvollen
Ruheplätze auf halbem Wege und außerdem Haltepunkte bei etwaiger Verkehrsstockung
verloren gegangen wären, während sich auch leicht zu viel Wasser an der tiefsten
Stelle angesammelt hätte. In welcher Weise das Wasser bei der jetzigen Ausführung
entfernt wird, werden wir am Schluss dieser Abhandlung näher besprechen.
Textabbildung Bd. 322, S. 9
Fig. 3.Lageplan.
a Leidenerstrasse; b Bahnhofplatz;
c Alte Kanalwand; d Kanal; e Personenbrücke; f Eisenbahnbrücke; g Unterquerung;
h Brücke; i Kanal.
Der in Utrecht nur einmal beobachtete höchste Wasserstand beträgt 0,39 + NW. Es ist also selbstverständlich, daß jener Teil des
Fahrweges, welcher tiefer als 0,40 + NW zu liegen
kommt, als Trog ausgeführt werden mußte, dessen Wände dem Wasserdruck bis 0,40 + NW widerstehen können.
Trog aus Betoneisen.
Textabbildung Bd. 322, S. 10
Fig. 4.Längenprofil.
Als Material für den Trog, der eine Länge von 164 m und eine mittlere Breite von 6 m
erhielt, wurde Betoneisen gewählt, da die Konstruktion bei einer zuverlässigen
Wasserdichtheit bei der geringen verfügbaren Breite unter der Eisenbahnbrücke nur
wenig Platz beanspruchen durfte. Ausserdem war die Fundierung der Eisenbahnbrücke
nur teilweise bekannt, da dieselbe an drei verschiedenen Zeitpunkten gebaut und
wieder abgeändert war. Es war unmöglich den Boden neben dem Pfeiler so weit
auszugraben, dass man eine Betonschicht hätte anbringen können, schwer genug um dem
Auftrieb des Trogs das Gleichgewicht zu halten, da deren Unterkante dafür bis 3,50 –
NW hätte reichen sollen.
Textabbildung Bd. 322, S. 10
Fig. 5.Querschnitt I-I.
Durch eine so tiefgehende Ausgrabung wäre die Eisenbahnbrücke
ernstlich gefährdet gewesen. Das Betoneisen bot nicht nur den Vorteil der geringen
Abmessungen, sondern eignete sich zugleich vorzüglich für die Pfahlfundierung.
Textabbildung Bd. 322, S. 10
Fig. 6.Kräfteschema für das Trogprofil unter der Brücke.
Das Einrammen hölzerner Pfähle wäre unter der Brücke unmöglich
gewesen, das Einspritzen ebenfalls, da hierdurch der Boden für den Pfeiler zu sehr
gelockert wäre. Die Pfähle aus Betoneisen, welche nach unten breiter werden (Fig. 5), sind in folgender Weise aufgestellt worden.
Zuerst wurde durch langsames Ausbaggern ein Hilfszylinder aus Eisen in den
Boden versenkt, worauf man den Pfahl in diesen niederliess. Darauf wurde der
Zylinder vorsichtig herauf gezogen und der freie Raum mit grobem Sand
ausgefüllt.
In der Längsrichtung des Trogs wurden die Pfähle unmittelbar unter dem Trogboden
mittels Unterstützungsbalken mit schwerer Armierung verbunden. Trog und
Brückenpfeiler sollten in senkrechter Richtung voneinander unabhängig bleiben, da
etwaige Bewegungen des einen Teiles keinen Einfluss auf den anderen Teil haben
dürfen. Als seitlicher Stützpunkt war der Pfeiler jedoch sehr gut brauchbar, wozu er
denn auch, wie aus Fig. 5 ersichtlich, benutzt
wurde.
In Fig. 6 ist das Kräfteschema wiedergegeben, wonach
die Berechnung ausgeführt wurde, indem man die Gleichung für die Formänderungsarbeit
aufstellte und dann nach den unbekannten Reaktionen H
und A differentiierte. In Fig. 6 gibt q den aufwärts gegen den
Trogboden gerichteten Druck, W den Wasser druck gegen
die Seitenwand, P das Gewicht der Seitenwand wieder,
während die Pfähle mit A, B und A bezeichnet sind. Für den Anfang der Berechnung wurden Trägheitsmomente
angenommen, welche man durch eine Annäherungsrechnung vorläufig bestimmte.
Textabbildung Bd. 322, S. 10
Fig. 7.Beton-Eisenquerschnitt, einfachheitshalber mit durchgehender
Eisenschicht.
Die vollständige Formel für die Formänderungsarbeit lautet:
A=\int\,\frac{M^2\,d\,x}{2\,C\,I_{\mbox{Seitenwand}}}+\int\,\frac{M^2\,dx}{2\,E\,I_{\mbox{Boden}}}+\int\,\frac{(W-H)^2\,dx}{2\,E\,F_{\mbox{Boden}}},
wobei der letzte Ausdruck von geringem Wert ist, wie eine
kleine Berechnung leicht zeigen wird, und daher vernachlässigt wurde. Die beiden
Unbekannten findet man aus den Gleichungen:
\frac{\delta\,A}{\delta\,H}=0 und \frac{\delta\,A}{\delta\,A}=0.
Für die Ausarbeitung fanden die nachstehenden Formeln und
Zahlen Anwendung (vergl. auch Fig. 7).
Ideelles Trägheitsmoment
I_1=\frac{d'3}{3}+n\,F_e\,[p^2+(d'-a)^2].
Ideelle Oberfläche
Fi =
FBeton + n . FEisen
n=\frac{E_{\mbox{Eisen}}}{E_{\mbox{Beton}}}=10.
Widerstandsmoment für das Eisen auf Zug
={W^z_e=\frac{I_i}{n\,p}},
Widerstandsmoment für das Eisen auf Druck
={W_e}^d=\frac{I_i}{n\cdot (d'-a)}.
Widerstandsmoment für den Beton auf Druck
={W_b}^d=\frac{I_i}{d'}.
Die Lage der neutralen Schicht wird bestimmt durch: p=d+2\,n\,F_e-\sqrt{2\,n\,F_e\,(d+n\,F_e+a)}.
Erste Voraussetzung. Vollkommene Einklemmung in den
Punkten O. Lose Auflagerung in A, B und A.
Ergebnisse:
Reaktion
A
=
3300
kg
„
B
=
3300
„
„
H
=
680
„
Max. Momente in der Seitenwand:
auf
0,40 – NW
= –
63800
cm/kg
„
1,60 – NW
= +
105000
„
Max. Moment in dem Boden:
auf 200 cm aus der Mitte = + 109000 cm/kg.
Zweite Voraussetzung. Vollkommene Einklemmung in O. Vollkommene Einklemmung in A, B und A.
Ergebnisse:
Reaktion
A
=
2900
kg
„
B
=
4100
„
„
H
=
700
„
Max. Momente in der Seitenwand
auf
0,44 – NW = –
67000
cm/kg
„
1,60 – NW = +
99000
„
Max. Momente in dem Boden:
auf 300 cm aus der Mitte
=
99000
cm/kg
links von A
=
94600
„
rechts von A
=
82000
„
in B
=
82000
„
Aus obenstehenden Zahlen sieht man sofort, daß links und
rechts von A verschiedene Momente herrschen; der
Unterschied beläuft sich auf 12600 cm/kg, welcher durch die Befestigung von Pfahl und
Längsbalken aufgenommen werden muss.
Textabbildung Bd. 322, S. 11
Fig. 8.Eisenstangen in den Betenpfählen.
Fig. 8 zeigt die Anordnung der Eisenstangen in den
Pfählen. Vernachlässigt man den Beton, so ist das Widerstandsmoment der vier
eisernen Stangen allein = 102 ccm, die max. Spannung 123 kg/qcm. Fügt man
die Zugspannung hinzu, welche durch die negative Reaktion entsteht, so ist die
grösste Zugspannung = 426 kg/qcm, also vollkommen sicher.
Mittlere Ergebnisse:
Reaktion
A
=
3100
kg
„
B
=
3700
„
„
H
=
690
„
Max. Spannung in der Seitenwand auf
0,40 – N W Sez
=
443
kg/qcm
S
b
d
=
19
„
1,60 – N W Sez
=
580
„
S
b
d
=
20
„
Max. Spannung in dem Boden
S
e
z
=
245
„
S
b
d
=
12
„
(Schluß folgt.)