Titel: | Fortschritte auf dem Gebiete der Funkentelegraphie. |
Autor: | Otto Nairz |
Fundstelle: | Band 322, Jahrgang 1907, S. 73 |
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Fortschritte auf dem Gebiete der
Funkentelegraphie.
Von Ingenieur Otto Nairz,
Charlottenburg.
Fortschritte auf dem Gebiete der Funkentelegraphie.
Funkentelegraphische Stationen auf große Entfernung zu bauen, hat man in
Deutschland bis auf die jüngsten Tage hauptsächlich Marconi überlassen, dem es indessen trotzdem nicht gelungen ist, den
gewünschten transatlantischen Verkehr einzurichten. Neuerdings hat auch die Gesellschaft für drahtlose Telegraphie nach ihrem
System „Telefunken“ zwei Großstationen ausgeführt, von denen die eine, für
die Reichspost in Norddeich an der Nordsee bestimmte, noch
unvollendet ist, und die andere für Versuchszwecke bei Nauen
(40 km nordwestlich von Berlin) erbaut wurde. Die Ergebnisse, welche mit letzterer
bis jetzt erhalten worden sind, sind nicht nur sehr gut, sondern sie ergeben auch
Fingerzeige, wie das von Marconi erstrebte Ziel zu
erreichen ist.
Der Weg, den die genannte Gesellschaft eingeschlagen hat, ist ein von dem Marconis abweichender. Während dieser bei Poldhu vier
Holztürme errichtete, zwischen denen ein Drahtsystem in der Form einer auf die
Spitze gestellten Pyramide ausgespannt ist, sogenannte Trichterantenne (Fig. 1), benutzt die deutsche Gesellschaft einen 100
m hohen eisernen Turm, der ein Teil des Luftleiters ist, und von welchem ein
Drahtnetz ausgespannt ist, das die Gestalt eines Regenschirmgerippes hat. Die Form
desselben ist nicht neu, sie dient auch den 1906 321 S.
757 beschriebenen tragbaren Stationen, an welchen sie sich gerade in dem Maße
bewährte, daß man es wagen konnte, mit dem Althergebrachten zu brechen und von den
früheren Anordnungen abzugehen. Man hat bisher überhaupt die Antennenformen zu sehr
spezialisiert und hielt die Fig. 1 am besten
geeignet für Stationen bis zu 1000 km und mehr, die dachförmige Antenne (Fig. 2) für Küsten- und Landstation bis 500 km
Reichweite und den Doppelkonus (Fig. 3) mit
zusammenlegbarem, schwingendem und vom Boden isoliertem Metallmast als besonders
günstig für bewegliche Landstationen. Die Schirmanordnung (Fig. 4) scheint indessen nunmehr allen anderen den Rang abzulaufen, und
nur die auf Schiffen bevorzugte T-Antenne (Fig. 5), welche auf denselben wohl auch am bequemsten
errichtet werden
kann, macht hiervon eine Ausnahme. In der Tat handelt es sich ja hauptsächlich um
die Beantwortung der Frage: soll ein Luftleiter schnell oder langsam strahlen, d.h.
stark oder schwach gedämpft sein? Wie schon früher erörtert, ist schwache Dämpfung
zweckmässiger.
Textabbildung Bd. 322, S. 74
Fig. 1.Trichterantenne
Textabbildung Bd. 322, S. 74
Fig. 2.Dachantenne.
Der Wirkungsgrad einer funkentelegraphischen Station ist nach
Slaby, wie bei jedem Generator dann am größten,
wenn die Innere oder Widerstandsdämpfung gleich der Aeußeren oder Strahlungsdämpfung
ist. Die Fernwirkung selbst verlangt eine möglichst geringe Gesamtdämpfung, denn, je
kleiner der Widerstand, desto grösser die verfügbare Stromstärke. Dies gilt sicher
für gedämpfte Schwingungen und wahrscheinlich auch für ungedämpfte. Da man heute die
Widerstandsdämpfung schon sehr klein machen kann, d.h. das logarithmische
Dekrement
\vartheta=\pi\,W\,\sqrt{\frac{C}{L}}
auf etwa 0,05 herabzudrücken vermag, indem man versilberte
Drähte, gutleitende Verbindungen, gering beanspruchte Kondensatoren von bestem
Dielektrikum und zweckentsprechende Funkenstrecken, über die sich starke Ströme
entladen, verwendet, so geben die schwachstrahlenden Luftgebilde bessere Wirkungen.
Gerade bei den Schirmanordnungen ist man durch Wahl des Winkels zwischen Mast und
Luftdraht ausgezeichnet in der Lage der Strahlungsdämpfung jenes Maß zu geben, das
den besten Erfolg zeitigt. Durch Herabführen der Drähte bis zur Erde gelangt man
schließlich zum Extrem, der Schleife, mit welcher seinerzeit Slaby auf über 30 km zu telegraphieren vermochte. Da die Funkentelegraphie
auf der Induktionswirkung hochfrequenter Wechselströme beruht, deren Stärke eine
Funktion des Ortes ist, d.h. die an der Erdungsstelle des Luftleiters ihren Bauch
und am freien Ende ihren Knoten haben, deren Stromverteilung also die Fläche eines
gewissen Viertels der Sinuslinie bedeckt, kommt bei der Schirmantenne für die
Fernwirkung die Differenz der Quadrate dieser Flächen in Betracht, also auch eine
verminderte Strahlungsdämpfung im Gegensatz zu den Anordnungen Fig. 1 u. 2, welche
sehr stark gedämpft sind. Die Fernwirkung, aber auch die Dämpfung hängen überhaupt
vom Formfaktor des Stromes wesentlich ab. Eine in einen einfachen unten geerdeten
Draht (sogen. Marconi-Sender), der bekanntlich in einer
Viertelwelle schwingt, eingeschaltete Spule verkleinert den Formfaktor wesentlich;
betrug er ohne sie \frac{2}{\pi} [Fläche durch Basis der Sinuslinie, Wert der
Stromstärke gegenüber gleichmäßiger (quasistationärer) Verteilung], so nimmt er
jetzt wesentlich ab. Mit dem Quadrat des Formfaktors nimmt aber die
Induktionswirkung auf den Empfänger und die Dämpfung ab, letztere infolge der
größeren Selbstinduktion und des kleineren Formfaktors.
Textabbildung Bd. 322, S. 74
Fig. 3.Doppelkonusantenne.
Die Großstation in Nauen, bei welcher in vollendetster Weise alle Fortschritte der
letzten Jahre verwertet wurden, ist in der unglaublich kurzen Zeit von zwei Monaten
erbaut worden. Sie besitzt einen von der Firma Hein, Lehmann
& Co., Reinickendorf-Berlin, in Eisenkonstruktion ausgeführten Turm mit
dreieckiger Grundfläche von etwa 4 m Seitenlänge und 100 m Höhe. Die drei kräftigen
Seitenstreben, durch Querverbände genügend versteift, verlaufen im allgemeinen
parallel zueinander, gehen jedoch etwa 6 m über dem Erdboden nach unten zu in eine
Spitze über, welche als Gusstahlkugel ausgebildet ist und auf einer Druckplatte
ruht. Die Platte befindet sich auf einer Mikanittafel, diese auf einem Marmorblock
und das Ganze auf einem Betonfundament, das den gewaltigen Druck des Turmes aufnimmt. Da dieser
als Teil des Luftleiters dient, mußte er von der Erde, in welcher der
Grundwasserspiegel nur 2 m tief liegt, sorgfältig isoliert werden, was in
einwandfreier Weise gelungen ist.
Textabbildung Bd. 322, S. 75
Fig. 4.Schirmantenne.
Der Turm müßte umfallen, würde er nicht durch drei Verspannungen gehalten, die in 75
m Höhe angreifen und nach drei Verankerungsklötzen aus Backstein führen, die sich in
200 m Entfernung vom Fuß des Turmes befinden auf den übrigens eine bequeme Treppe
führt. Die Verspannungen, hergestellt aus starkem Rundeisen und durch entsprechende
Gelenke verbunden, sind ebensowohl vom Turm wie auch von der Erde isoliert und zwar
durch Oelisolatoren am Turm und präpariertes Holz an den Klötzen. An der Turmspitze
führen über zwei Rollenpaare je zwei gegenüberliegende Segmente des
Luftleiternetzes, welches insgesamt aus deren sechs besteht, die auf diese Weise
ausbalanziert sind und somit auf den Turm selbst keinen Zug ausüben. Jedes Segment
enthält neun Bronzelitzen, deren Zahl sich nach untenzu mehrmals gabelt, so daß am
Umfang 162 Litzendrähte zur Verfügung stehen, welche segmentweise über Hanfschnüre
und hintereinander geschaltete Porzellanisolatoren nach der Erde gespannt sind.
Abgesehen vom Turm, führen noch 54 Litzen mit jenem leitend verbunden vom Netz ins
Stationshaus. Das gleiche tun die Zuführungen zur Erdungsanlage, welche aus 108
strahlenförmig, etwa 25 cm tief ins Erdreich eingepflügten, sich analog dem Luftnetz
in 324 Drähten gabelnden Eisendrähten besteht. Während der Halbmesser des letzteren
etwa 200 m ausladet und 60000 qm beschattet, überdeckt das Erdnetz 126000 qm bei
einer Drahtlänge von rund 50 km.
Textabbildung Bd. 322, S. 75
Fig. 5.⊤-Antenne.
Das Stationshaus, welchem ein Schuppen für die Dampflokomobile von 35 PS angebaut
ist, enthält im ersten Stockwerke den Erreger, den Fig.
6 zeigt. Die Verbindung von Luftleiter und Erdung erfolgt über eine zur
Verlängerung der Eigenwelle des Senders dienende Spule u (Fig. 7) und die diesem System und dem
Erregerkreis gemeinsame Selbstinduktion t, welche
zur Kupplung beider dient. Der Kupplungsgrad beträgt 4 v. H., so daß die beiden
WellenSiehe D. p. J. 1906
321, S. 414 u. f. nahe beisammen
liegen und der Empfänger die Wirkungen beider summiert. Die Spule zeigt sich auf dem
Bilde (Fig. 6) links von der Transformatorenreihe
und besteht aus mehreren Windungen starken versilberten Kupferrohres, welches an
Isolatoren aufgehängt ist. Konzentrisch hierzu, jedoch ohne direkte Verbindung
damit, läuft noch eine Windung, die zu einem Dönitzschen Wellenmesser führt, den auf dem Bilde gerade ein Ingenieur
bedient. Ueber der Spule befindet sich die ringförmige Funkenstrecke c (Fig. 7), die trotz
des bis zu 3 cm langen Funkens, in welchem eine Anfangsstromstärke von fast einer
halben Million Ampere fließt, keiner künstlichen Kühlung bedarf. Der Schall
desselben ist weithin hörbar und die Wirkung seiner ultravioletten Strahlen den
Augen sehr unangenehm. Der Kreis wird geschlossen durch 360 grosse Leydenerflaschen
s, die so angeordnet sind, daß je 120 Flaschen
parallel und zu drei Gruppen hintereinander geschaltet sind, so daß die wirksame
Kapazität 400000 cm oder 0,06 Mikrofarad beträgt. Die Ladung dieser Kondensatoren
erfolgt durch vier Transformatoren, deren Primärwicklungen p ebenso wie zwei Drosselspulen y vom Strom
einer, von der Lokomobile angetriebenen, Wechselstromdynamo in Reihe durchflössen
werden, k und l stellen
die Wechselstrom- bezw. Erregermaschine vor und m und
n Widerstände zur Regulierung. Die sekundären
Wicklungen q liegen parallel am Kondensator. Die
Transformatoren sind in Resonanz mit demselben bei 50 Perioden des primären
Wechselstromes.
Textabbildung Bd. 322, S. 75
Fig. 6.Erregersystem der Station Nauen.
Interessant ist die Art und Weise wie die Morsezeichen gegeben werden. Es ist von
vornherein klar, daß sich 35 PS nicht durch einfache Taster aus- und einschalten
lassen. Es wurde deshalb ein Tasterrelais o
konstruiert, ein Elektromagnet, der durch Schwachstrom bewegt wird und zwischen
(durch einen Ventilator gekühlten) Kohlekontakten den Wechselstrom, wenn gegeben
werden soll, den Transformatoren zuführt und während der Pausen auf die Drosselspulen allein
arbeiten läßt. Es ist dadurch erreicht, daß die Stromstärke konstant bleibt und sich
nur der Leistungsfaktor ändert. Es gelang auf diese Weise, die
Telegraphiergeschwindigkeit auf 30 Worte und mehr in der Sekunde zu bringen.
Textabbildung Bd. 322, S. 76
Fig. 7.Schaltungsschema der Station Nauen.
a = Antenne; b =
Blitzschutzvorrichtung; e = Stockwerkrelais; f = Voltmeter; g = Frequenz; h =
Amperemeter.
Mittels eines einfachen Hebelumschalters kann innerhalb weniger Sekunden der
Sendebetrieb auf den Empfang umgeschaltet werden, indem der Sender- oder
Empfangskreis an die Antenne gelegt und beim Empfangen der Sender blockiert wird.
Fig. 8 zeigt die als Pulttisch ausgebildeten
Empfangsanordnung. Die ganze Schaltung ermöglicht ein getrenntes und gleichzeitiges
Empfangen auf Hörer bezw. Schreiber. Durch Wellenmesser sowie Stationsprüfer ist der
Telegraphist, der mit einem Heizer zusammen das ganze Bedienungspersonal ausmacht,
imstande, jederzeit vollste Betriebssicherheit zu gewährleisten. Gegen
atmosphärische Entladungen ist die Station in augenscheinlich wirksamer Weise durch
eine Blitzschutzvorrichtung b gesichert, denn zwei
kräftige Blitzschläge konnten ihr ebenso wenig etwas anhaben, wie einheftiger Sturm
im letzten Sommer. Was die Reichweite betrifft, so konnte der Dampfer
„Bremen“ des Norddeutschen Lloyd noch auf
2500 km bei nur ¾ der vollen Senderenergie gut empfangen, obgleich 1000 km Land
dazwischen lagen, was bekanntlich die Reichweite stark zu verringern pflegt. Auch in
St. Petersburg, das 1350 km von Nauen über Land entfernt ist, kann noch mit dem
Schreiber empfangen werden. Ferner werden täglich die Depeschen mitgelesen, welche
Marconi von Poldhu aus den Schiffen
nachsendet, ein Beweis, daß er auch in Hinsicht Geheimhaltung der Telegramme
der Gesellschaft für drahtlose Telegraphie nicht
überlegen ist.
Textabbildung Bd. 322, S. 76
Fig. 8.Empfangstisch der Station Nauen.
1. Parallelkondensator zur
elektrolytischen Zelle (rechts davon eingebaut) um deren hohen Widerstand
unschädlich zu machen. Davor das Telephon; 2. Hörtransformator; 3.
Reihenschlußkondensator und 5. Erdkondensator zur Verringerung der
Empfänger-Wellenlänge; 4. Abstimmspule zur Vergrößerung der
Empfänger-Wellenlänge; 6. Schreitransformator; 7. Morseapparat; 8. Taster; 9.
Relais.
Da es sehr wohl möglich ist noch höhere Türme dieser Art zu bauen und die Fernwirkung
der Höhe mehr als proportional ist, so ist die Möglichkeit gegeben, den Ozean
vollständig zu überbrücken. Man wird dann auch in der Lage sein, Stationen, die sich
eventuell weigern, Depeschen von fremden Systemen anzunehmen, moralisch dazu zwingen
zu können, indem man, während sie geben, mit der gleichen Wellenlänge dazwischen
telegraphiert und dadurch einen korrekten Empfang dritter unmöglich macht. Uebrigens
ist nach den Beschlüssen der „Internationalen Konferenz für
Funkentelegraphie“, die im Oktober in Berlin tagte, ein derartiges
Zwangsmittel überflüssig geworden. England wie Italien, die zwar an Marconi gebunden sind, haben die Freiheit der
Funkentelegraphie im Prinzip angenommen und wollen, falls sich Marconi noch immer nicht von seinem Monopol trennen
kann, eigene Küstenstationen errichten. Es ist dadurch der Aether praktisch frei
erklärt worden, was auch einzig in unsere Zeit paßt und nicht mehr als billig ist,
da der ganze Wert der Funkentelegraphie sonst in mancher Hinsicht fraglich wird,
wenn einem gefährdeten Schiff nur deshalb keine Hilfe geleistet werden soll, weil es
mit einem fremden System ausgerüstet ist. Nicht in der Art der elektromagnetischen
Wellen ergibt sich ein Unterschied, sondern ausschließlich in der Länge derselben;
letztere richtig zu beherrschen gehört aber zum Handwerk des
Funkentelegraphentechnikers.