Titel: | Die Weltausstellung in Lüttich. |
Autor: | M. Richter |
Fundstelle: | Band 322, Jahrgang 1907, S. 164 |
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Die Weltausstellung in
Lüttich.
Das Eisenbahnwesen, mit besonderer
Berücksichtigung der Lokomotiven.
Von Ingenieur M. Richter,
Bingen.
(Fortsetzung von S. 132 d. Bd.)
Die Weltausstellung in Lüttich.
24. 4/4gek. Schiebdienst-Tenderlokomotive, Gattung 23 der
belgischen Staatsbahnen, mit Zwillings-Naßdampfmaschine, gebaut von der „Société Anonyme des At. de Constr. de Boussu“,
Boussu (Belgien), 1905. Fabriknummer 155, Betriebsnummer 793.
25. Dieselbe Gattung, gebaut von der „Société Anonyme de
Marcinelle et Couillet“ (Belgien) 1905, Fabriknummer 1405,
Betriebsnummer 792 (Fig. 43).
Textabbildung Bd. 322, S. 164
Fig. 43.Schiebedienst-Tenderlokomotive der belg. Staatsbahnen.
Die Bauart ist altbewährt und schon seit 1865 ungefähr eingeführt. Sie ist bestimmt
für den Verschieb-(Abroll-) und vor allem Nachschubdienst auf Strecken mit sehr
starken Steigungen, wie z.B. auf der „schiefen Ebene“ Lüttich–Ans mit
Steigung von 1 : 32. In bezug auf Zugkraft kann sie der Größe des Kessels und dem
Gewicht nach hohe Fähigkeiten entwickeln und besitzt auch der Größe der Vorräte nach
beträchtlichen „Aktionsradius“. In der Gesamtanordnung ist sie möglichst
einfach gehalten und daher billig in der Unterhaltung.
Der Kessel hat Belpaire-Büchse mit mäßig tiefem Rost für
Kohlen- oder gemischte Brikettfeuerung. Die Heizfläche ist durch Anwendung von
verhältnismäßig sehr vielen kurzen Rohren äußerst energisch gemacht, wenn auch auf
Kosten des Kohlenverbrauchs. Der Dom sitzt hinter dem Kamin und enthält den Regler
als Doppelsitzkegelventil; die Einströmrohre liegen außerhalb des Kessels, um innen
an Platz zu sparen. Das doppelte Sicherheitsventil nach Wilson-Klotz sitzt, wie immer, über der Feuerkiste.
Der Langkessel, aus zwei in der Rundnaht stumpf mit Laschennietung zusammengestoßenen
Schüssen bestehend, hat in der Längsnaht Zackenlaschen und ist auch an die
Rauchkammer bezw. vordere Rohrwand, stumpf angesetzt. Letztere ist mit der
Stehkesselhinterwand und Feuerbüchsrohrwand durch eine Reihe von Längsankern gut
versteift.
Mit Rücksicht auf die vom Befahren der Steigungen herrührende starke
Veränderlichkeit der Lage des Wasserspiegels im Kessel ist die Feuerbüchsdecke
rückwärts abschüssig gelegt. Um an Rostbreite zu gewinnen, ist, was bei den kleinen
Rädern ohne weiteres zu erzielen war, der Kessel so hoch gelegt, daß die Feuerbüchse
auf die Rahmen zu stehen kam, welche zu diesem Zweck an der betreffenden Stelle
abwärts etwas ausgeschnitten sind. Der Rost jedoch ist trotz der wagerechten
Fußkante der Kiste ziemlich geneigt und im vordersten Teil kippbar, ein Feuergewölbe
jedoch fehlt. Unterstützt ist die Feuerkiste von den zwei hinteren Achsen, während
Rauchkammer und Zylinder überhängen.
Die dritte Achse ist Triebachse. Die Steuerung ist die Walschaertsche; die Umsteuerung liegt, wie bei allen älteren belgischen
Typen, rechts. Die Schieber, einfache Flachschieber, haben amerikanische
Entlastung.
Die Rahmen liegen innen. Die Federn sind sämtlich Blattfedern über den Achsbüchsen
und sind zwischen der ersten und zweiten, sowie der dritten und vierten Achse durch
Ausgleichhebel, in Schneiden gelagert, verbunden; schon in der Ruhelage sind die
Federn, wie bei allen Belpaireschen Typen,
überbogen.
In die kurze Rauchkammer hinein ist das außen verkleidete, konische Kamin verlängert
und an die Verlängerung schließt sich ein einfacher Funkenfangkorb an, der sich auf
das unveränderliche Blasrohr aufsetzt. Der Windschirm auf dem Kamin kann für die
entgegengesetzte Fahrtrichtung umgeklappt werden.
Die Wasserkästen liegen beiderseits des Kessels und enden ebenflächig mit der
Rauchkammertürwand. Zwischen Wasserkasten und Führerhaus in einer Linie sind
Werkzeugkasten und Kleiderkasten untergebracht; ein großer Kohlenkasten bildet den
hinteren Abschluß des gut geschützten und ventilierten Führerhauses, dessen Boden
ziemlich hoch liegt.
Sehr kräftig ist der hintere Kupplungskasten aus Platten und Winkeln gebildet, und
ebenso sind auch zwischen den Zylindern die Rahmen stark versteift, womit auf die im
Schieb- und Verschiebdienst unvermeidlichen Stöße gebührend Rücksicht genommen ist.
Zum Mitfahren für Manövriermannschaft befinden sich am Vorder- und Hinterende der
Lokomotive Trittbretter und Geländer.
Der große Sandkasten bedient von vorn die dritte, von hinten die zweite Achse. Die
dritte und vierte Achse werden einseitig von Hand oder mit Dampf gebremst. Außerdem
soll Westinghouse-Bremsung eingerichtet werden; infolge
Raummangels wurden zu diesem Zweck auf die erste und zweite Achse Bremsscheiben
aufgekeilt.
Zylinderdurchmesser
mm
480
Kolbenhub
„
600
Triebraddurchmesser
„
1262
Kesseldruck
at
12
Rohre
AnzahlDurchmesserLänge (zw. Wänden)
–mm„
26440/453500
Heizfläche (feuer- berührt)
RohreFeuerkisteim ganzen
qm„„
116389,02125,4
Rostfläche
„
2,24
Radstand
m
4,3
Gewicht
leerim DienstTriebachslast
t„
51,2665,6
Vorräte
WasserKohlen
„„
7,03,0
Zugkraft
(α = 0,5)
kg
6800
Größte Geschwindigkeit
km/Std.
50
Zur Zeit bestehen 65 Stück dieser Gattung.
26. ⅖ gek. Personenzug-Tenderlokomotive, Gattung 15 der
belgischen Staatsbahnen, mit Zwillings-Naßdampfmaschine, gebaut von der „Société Anonyme des Ateliers du Thiriau“, La
Croyère (Belgien) 1905, Fabriknummer 50, Betriebsnummer 1060.
Ein Muster der Gattung 15 war bereits 1900 in Paris vertreten, damals noch genau nach
dem englischen Vorbild (Great Northern Ry), mit einer zwischen den beiden
Triebachsen hängenden, sehr tiefen Feuerkiste für langflammige Kohle. Die jetzige
Ausführung kennzeichnet sich zum Unterschied davon durch höher liegenden Kessel mit
einer mäßig tiefen, über die Kuppelachse gelegten, verlängerten Feuerkiste, Die
Leistungsfähigkeit des Kessels ist mit der so erhaltenen größeren Rostfläche und der
Verwendbarkeit von Brikettfeuerung bedeutend gestiegen (Fig. 44).
Textabbildung Bd. 322, S. 165
Fig. 44.Vorort-Tenderlokomotive der belg. Staatsbahnen.
Von der Anordnung der Achsen und Vorratskästen abgesehen, stimmt diese ebenfalls
normal gewordene neuere Bauart mit den übrigen „englischen“ Typen der
belgischen Staatsbahnen, d.h. mit der 3/3 gek. Güterzug- und der 2/4 gek.
Schnellzuglokomotive überein.
Kessel aus zwei Schüssen, Dom auf dem hinteren Schuß gegen Kesselmitte zu, Feuerkiste
mit runder Decke, welche das Wilson-Klotzsche
Sicherheitsventil trägt, langer geneigter Rost aus fünf Lagen, deren vorderste
kippbar ist; Feuergewölbe. Innere Zylinder, zusammengeschraubt, da die
Schieberkästen senkrecht zwischen den Zylindern liegen, Umsteuerung
rechtsliegend mit Hebel, Schraube und Dampf. Hub der Antriebskurbeln größer als
derjenige der Kuppelkurbeln. Drehgestell nach englischem Muster mit verschiebbarer
Mittelauflage. Federn der Triebachsen voneinander unabhängig, an der Triebachse
selbst Schraubenfedern, im übrigen Blattfedern. Alles wie bereits beschrieben.
Hier sind die Zylinder, um der Auflage des Drehgestells bequem Platz zu schaffen,
unter 1 : 20 geneigt. Die Westinghouse-Bremse wirkt auf
die Triebachsen einseitig, ebenso auch in der bekannten Weise auf die Achsen des
Drehgestells. Jedes Triebrad hat seinen Sandstreuer, jedoch nur für je eine
Fahrtrichtung: Vorderachse vorwärts – Hinterachse rückwärts; daher die zugehörige
Lage der Sandkästen unter dem Laufblech.
Die Wasserbehälter liegen seitlich vom Kessel; der Kohlenbehälter ist, um Ueberhang
zu zu vermeiden, von einer seitlich um je 24 mm verschiebbaren Laufachse
unterstützt. Bei dieser Achsenanordnung läuft die Maschine auch bei den höchsten
Geschwindigkeiten so ruhig wie dies seitens der ⅖ gek. Schnellzuglokomotiven bekannt
ist, Daher auch die zulässige Geschwindigkeit von 100 km/Std.; im Betrieb ist allerdings 80 km/Std. im
allgemeinen das höchste.
Bis jetzt sind 65 Stück dieser Gattung eingestellt; ihr Dienst ist die Beförderung
von Vorortzügen und gemischten Zügen und sie haben sich als sehr vielseitig
verwendbar erwiesen. Eine dieser Lokomotiven ist mit Ueberhitzer ausgestattet und
war ebenfalls ausgestellt, nämlich:
27. ⅖ gek. Personenzug-Tenderlokomotive, Gattung 15 der
belgischen Staatsbahnen, mit Zwillings-Heißdampfmaschine, gebaut von Zimmermann-Hanrez & Co., Monceau s/Sambre (Belgien)
1905, Fabriknummer 620, Betriebsnummer 1061.
Diese Lokomotive ist nicht nur äußerlich in der Gesamtanordnung, sondern auch in den
Hauptabmessungen mit der vorigen fast identisch. Den einzigen Unterschied bildet
eben wie bei den 3/3 gek. Gattungen, der Schmidtsche
Ueberhitzer, eingebaut in drei übereinander liegenden Reihen zu je fünf Flammrohren;
(Anordnung wie bei Fig. 4b S. 85, 6b S. 114 und 15c S. 258, 1906); damit in
Verbindung steht wieder die Anordnung der Heißdampfmaschine, deren Kolbenschieber
über den Zylindern liegen und durch Zwischenhebel von der Stephenson-Steuerung angetrieben werden; die Zylinder sind, um den Vorteil
geringerer Füllungsgrade ausnutzen zu können, um 30 mm im Durchmesser gegen die
gleichartige Naßdampfmaschine vergrößert. Ueber dem Drehgestell ist die Rittersche Schmierpresse montiert.
Die Abmessungen der ⅖ gek. Naßdampf- und Heißdampf-Tenderlokomotive sind hier
zusammengestellt.
Textabbildung Bd. 322, S. 166
Naßdampf; Heißdampf;
Zylinderdurchmesser; Kolbenhub; Triebraddurchmesser; Kesselüberdruck; Heizrohre;
Heizfläche
Textabbildung Bd. 322, S. 166
Rostfläche; Vorräte; Gewicht;
Zugkraft; Grösste Geschwindigkeit
(Fortsetzung folgt.)