Titel: | Ueber den Einfluß zusammengesetzter Spannungen auf die elastischen Eigenschaften von Stahl. |
Fundstelle: | Band 322, Jahrgang 1907, S. 185 |
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Ueber den Einfluß zusammengesetzter Spannungen
auf die elastischen Eigenschaften von Stahl.Vortrag,
gehalten vor der American Society for Testing
Materials, Juni 1906. Nach dem Originalbericht
bearbeitet.
Von Ewald L. Hancock, La
Fayette.
Ueber den Einfluß zusammengesetzter Spannungen auf die elastischen
Eigenschaften von Stahl.
Die Versuche, über die nachstehend berichtet werden soll, stellen einen Teil des
Arbeitsprogrammes dar, das von dem Verfasser aufgestellt und der American Society for Testing Materials in seinem
früheren Bericht über den Einfluß kombinierter Spannung auf die elastischen
Eigenschaften von Eisen und Stahl vorgelegt wurde.
Textabbildung Bd. 322, S. 184
Fig. 1.Einfluß von Drehspannungen auf den Dehnungsverlauf beim
Zugversuch.
Elastizitätsgrenze.; Material:
Stahlrohre mit 1,9 mm Wandstärke.; Größe der Drehbeanspruchung τmax, während des
Zugversuches: I = 0 (einfacher Zugversuch), wenn τP die Spannung an der
Proportionalitätsgrenze beim Drehversuch bedeutet.
Dieser Berichts. D. p. J. 1906, Bd.
321, S. 41. enthielt die
Ergebnisse von Versuchen mit einigen Proben aus niedrig gekohltem Stahl und
Nickelstahl. Die Proben wurden auf Zug geprüft, indem sie gleichzeitig bis zu ⅓, ⅔ und bis zur vollen Elastizitätsgrenze auf Drehung
beansprucht waren.
Die Ergebnisse zeigten, daß die Elastizitätsgrenze für
Zug durch gleichzeitig herrschende Torsionsspannungen
heruntergedrückt wird.
Die weiteren Zug-Drehversuche, über die hier berichtet werden soll, wurden mit
Stahlrohren ausgeführt Das Prüfungsverfahren und die allgemeine Anordnung waren den
früheren Versuchens. D. p. J. 1906, Bd.
321, S. 41. mit Nickel und
Kohlenstoffstahl gegenüber unverändert. Daneben wurden einige Versuche mit vollen
Rundstäben aus niedrig gekohltem Stahl auf Druck unter gleichzeitiger Beanspruchung
auf Verdrehen angestellt. Die letzteren bilden den Anfang einer besonderen
Versuchsreihe.
Textabbildung Bd. 322, S. 184
Fig. 2.Einfluß von Drehspannungen auf den Dehnungsverlauf beim
Zugversuch.
Elastizitätsgrenze.; Material:
Stahlrohre mit 1,3 mm Wandstärke.; Größe der Drehbeanspruchung τmax während des
Zugversuches: I = 0 (einfacher Zugversuch), wenn τP die Spannung an der
Proportionalitätsgrenze beim Drehversuch bedeutet.
Sämtliche Versuche wurden unter Leitung des Verfassers in dem Laboratorium for testing materials der Purdue Universität ausgeführt.
Das Material.
Es ist bekannt, daß bei Beanspruchung eines vollen Stabes auf Verdrehen die äußeren
Fasern zuerst bis zur Elastizitätsgrenze beansprucht werden und daß hierbei die
Beanspruchung nach der Achse des Stabes hin linear abnimmt. Es war klar, daß ein
voller Rundstab unter Zugbelastung erhebliche Elastizität zeigen wird, wenn er
gleichzeitig bis zur oder bis über die Elastizitätsgrenze auf Verdrehen beansprucht
ist, da in diesem Falle ein gewisser Teil der Fasern im Innern des Stabes nicht zur
Elastizitätsgrenze beansprucht sein würde. Nun wurde angenommen, daß der Einfluß der
gleichzeitig herrschenden Zug- und Drehspannungen besser zutage treten werde, wenn
der Kern des Stabes entfernt und hohle Stäbe verwendet
Textabbildung Bd. 322, S. 185
Fig. 3.Einfluß von Drehspannungen auf den Dehnungsverlauf beim
Zugversuch.
Elastizitätsgrenze.; Material:
Stahlrohre mit 6,4 mm Wandstärke.; Größe der Drehbeanspruchung τmax während des
Zugversuches: I = 0 (einfacher Zugversuch), wenn τP die Spannung an der
Proportionalitätsgrenze beim Drehversuch bedeutet.
würden. Wie im folgenden gezeigt werden wird, weichen die
Ergebnisse für dünnwandige Rohre nicht wesentlich von denen für dickwandige Rohre
und volle Rundstäbe ab, ausgenommen die Dehnung an der Proportionalitätsgrenze. Nach
Ansicht des Verfassers werden Versuche mit dünneren Rohren, als er sie bei seinen
Versuchen verwendet hat, zu keinem anderen Ergebnis führen.
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Fig. 4.Einfluß von Drehspannungen auf die Spannung an der
Proportionalitätsgrenze beim Zugversuch.
Material: Stahlrohre, Nickel-Stahl,
Kohlenstoffstahl; Proportionalitätsgrenze beim Zugversuch;
Proportionalitätsgrenze beim Drehversuch.
Die bei den Drehversuchen benutzten Stahlrohre hatten 25,4 mm (1 Zoll) äußeren
Durchmesser, bei 1,3 bis 1,9 und 6,4 mm (0,05 – 0,075 und 0,25 Zoll) Wandstärke,
entsprechend den lichten Weiten von 22,8–21,6 und 12,6 mm (0,90–0,85 und 0,50 Zoll).
Die Rohre waren vor dem Versuchvollkommen ausgeglüht und von möglichst gleichmäßiger
Wandstärke. Die Zahl der ausgeführten Zug-Drehversuche betrug über 40.
Zu den Druck-Drehversuchen dienten volle Rundstäbe von 19 mm (0,75 Zoll) Durchm. aus
niedrig gekohltem Stahl. Sie waren 203 mm (8 Zoll) lang und innerhalb der
Versuchslänge auf 12,7 mm (0,50 Zoll) Durchm. zylindrisch abgedreht.
Tabelle 1.
Ergebnisse der Zugversuche bei gleichzeitiger
Drehbeanspruchung.
Textabbildung Bd. 322, S. 185
Material; Innerer Durchmesser der
Rohre; Beim Zugversuch gleichzeitig herrschende Drehbeanspruchung; Ergebnisse
der Zugversuche; Verhältniszahlen; Proportionalitätsgrenze; Elastizitätsmodul;
Dehnung a. d. Proportionalitätsgrenze; Ergebnisse der reinen Zugversuche;
Stahlrohre von 25,4 mm äußerem Durchmesser; Nickelstahl; Weicher;
Kohlenstoffstahl; Rundstäbe
Versuchsergebnisse.
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Fig. 5.Einfluß von Drehspannungen auf die Spannung an der
Proportionalitätsgrenze beim Zug- und Druckversuch.
Fig. 1 – 3 zeigen,
wie die Beziehungen zwischen Zugspannungen und Dehnungen bei den drei Stahlrohren verschiedener Wandstärke unter dem Einfluß
der gleichzeitig herrschenden Drehspannungen τmax,
ausgedrückt in Teilen der Dreh-Proportionalitätsgrenze
τP, (τmax = xτP) sich ändern.
Hierbei stellen Fig. 1 und 2 das Mittel aus mindestens je zwei, Fig.
3 das Mittel aus mindestens je drei Versuchen dar. Tab. 1 und 2 und
Fig. 4 lassen erkennen, wie die Spannung an der
Proportionalitätsgrenze beim Zugversuch, an den Schaulinien Fig. 1–3 durch
gekennzeichnet, bei verschiedenen Materialien
mit wachsender Drehbeanspruchung abnimmt. Tab. 2 zeigt auch die Abnahme der
Proportionalitätsgrenze für Druck infolge gleichzeitig herrschender
Drehbeanspruchung für weichen Kohlenstoffstahl und Fig.
5 den Vergleich der Abnahme beim Druck- und beim Zugversuch.
Nach Fig. 4 läßt sich der Einfluß wachsender Drehbeanspruchung auf die Proportionalitätsgrenze bei
Zugbeanspruchung durch eine gerade Linie darstellen von der Gleichung
y= 1 – 0,5 x,
wenn ist
y=\frac{\sigma'_P}{\sigma_P} und x=\frac{\tau}{\tau_P},
also auch
Tabelle 2.
Textabbildung Bd. 322, S. 186
Beobachtungswerte; Errechnete
Werte; Material Art der Beanspruchung; Errechnete Werte; Zugspannung;
Scheerspannung; I. Zug-Drehversuche.; Rundstäbe aus Nickelstahl; Einfacher
Zugversuch; Drehversuch; Zug- und Drehbeanspruchung letztere; Rundstäbe aus
Flußeisen; Stahlrohr; 2. Druck-Drehversuche.; Einfacher Druckversuch; Rundstäbe
aus Flußeisen von 19 mm Durchmesser; Druck- und Drehbeanspruchung letztere
\sigma'_P=\sigma_P\,\left(1-\frac{\tau}{2\,\tau_P}\right),
wenn bedeuten:
σ
P
die Proportionalitätsgrenze beim reinen Zugversuch.
τ
P
„ „ „
„ Drehversuch.
σ'
P
„ „ „ Zugversuch
untergleichzeitiger Drehbeanspruchung und
τ
die beim Zugversuch gleichzeitig herrschende
Dreh-beanspruchung.
Die Verhältniszahlen Tab. 1 lassen erkennen, daß mit wachsender Drehbeanspruchung,
von einigen Ausnahmen abgesehen, auch die Dehnung δP an der Proportionalitätsgrenze stetig abnimmt. Die
Veränderung des Elastizitätsmoduls E verläuft weniger
regelmäßig, doch tritt auch hier Abnahme mit wachsender Drehbeanspruchung
zutage.
Die besprochenen Ergebnisse lassen sich dahin zusammenfassen, daß die Spannung σP
und die Dehnung δP
an der Proportionalitätsgrenze und auch der
Elastizitätsmodul E für Zug vermindert werden, wenn gleichzeitig
Drehbeanspruchungen herrschen. –
Bei gleichzeitiger Beanspruchung des Stabes durch Zug- (Normal-) Kräfte und durch
Schubkräfte lauten die im allgemeinen gebräuchlichen Formeln zur Berechnung der
größten Normalspannung q1 und der größten Schubspannung q2:
q_1=\frac{1}{2}\,\left[\sigma+\sqrt{\sigma^2+4\,\tau^2}\right]\mbox{ und }q_2=\frac{1}{2}\,\sqrt{\sigma^2+4\,\tau^2},
wenn σ die Normalspannung und τ die Schubspannung bedeuten. Diese Formeln lassen den
Einfluß, den das gleichzeitige Bestehen beider Spannungen auf die Dehnungszahl des
Materials ausübt, ausser acht, sie ergeben daher nur „scheinbare“
Spannungswerte. Um die „wirklichen“ Spannungen Z
und T zu errechnen, gelten bekanntlich nach Poncelet die Formeln
Z=\frac{m-1}{2\,m}\,\sigma+\frac{m+1}{2\,m}\,\sqrt{\sigma^2+4\,\tau^2} und
T=\frac{m+1}{2\,m}\,\sqrt{\sigma^2+4\,\tau^2}.
Nach diesen Formeln sind nun unter Zugrundelegung der Spannung σP, die bei
gleichzeitiger Beanspruchung des Stabes mit der Drehspannung τ für die Proportionalitätsgrenze beim Zugversuch ermittelt ist, die in
Tab. 2 aufgeführten Werte für q1, q2, Z und T berechnet und zwar ist hierbei die Poissonsche Konstante m
sowohl = 3 als auch = 4 gesetzt.
Von den errechneten Spannungswerten sind diejenigen, die größer sind als die
Spannungen bei einfacher Beanspruchung auf Zug oder Torsion, in halbfetter Schrift
gesetzt. Zum Beispiel wurde für den weichen Kohlenstoffstahl bei einfacher
Beanspruchung beobachtet:
beim
Zugversuch
σP = 23,9
kg/qmm
und
„
Drehversuch
τP = 21,0
„
Wurde der Stab aber, während er mit etwa 1/3 τP = 8,8 kg/qmm auf Verdrehen beansprucht war, auf Zug geprüft,
so wurde σP = 22,4 kg/qmm gefunden.
Diesen Beobachtungswerten sind in Tab. 2 nun die Werte gegenübergestellt, die sich
aus der Rechnung ergeben, wenn man setzt:
σ =
22,4
kg/qmm
und
τ =
8,8
„
Wie Tab. 2 zeigt, ist die scheinbare größte
Scherspannung q2 im
allgemeinen geringer und die wirkliche größte
Scherspannung T im allgemeinen größer als τP. Bei Benutzung der
Poissonschen Konstante m = 3 wurden die größeren
Werte gefunden.
Bei den vollen Rundstäben und dickwandigen Rohren wurden die Werte von σP, ermittelt beim einfachen Zugversuch, von den
Werten q1, errechnet für die wahrscheinliche größte Zugspannung, nur in wenigen Fällen übertroffen,
weit häufiger von den für die wirkliche Zugspannung
berechneten Werten Z. Bei den dünnwandigen Rohren
dagegen wurde σP weder
von q1 noch von Z
jemals erreicht, während sich bei den Drehversuchen die berechneten Werte für T in den meisten Fällen größer erwiesen als der Wert
τP
(Proportionalitätsgrenze beim reinen Drehversuch), Allgemein folgt aus Tab. 2, daß
bei Berechnung der Spannungen mit der Poissonschen
Konstanten m = 3 die höchsten Werte erreicht
werden.
Tab. 2 läßt den Schluß zu, daß man bei zusammengesetzter Beanspruchung die
„wahren“ Scherspannungen in Rechnung ziehen soll. Die völlige
Uebereinstimmung der Ergebnisse für die dünnen Rohre, bei denen der Einfluß
zusammengesetzter Spannungen genauer bestimmt werden kann, stützt diese
Schlußfolgerung entgegen der Tatsache, daß gewöhnlich die größte Zugspannung als
ausschlaggebend für das Verhalten der mit zusammengesetzten Spannungen beanspruchten
Teile angesehen wird.