Titel: | Graphodynamische Untersuchung einer Heusinger-Joy-Steuerung. |
Autor: | Eduard Dafinger |
Fundstelle: | Band 322, Jahrgang 1907, S. 263 |
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Graphodynamische Untersuchung einer
Heusinger-Joy-Steuerung.
Ein Beitrag zur Erkenntnis der
Bewegungsverhältnisse der Steuerungsgetriebe.
Von Dipl.-Ing. Eduard Dafinger,
München.
(Schluß von S. 252 d. Bd.)
Graphodynamische Untersuchung einer
Heusinger-Joy-Steuerung.
Textabbildung Bd. 322, S. 263
Fig. 41.
Textabbildung Bd. 322, S. 263
Fig. 42.
In den Fig. 41–58
sind die Werte der Geschwindigkeiten und der Tangentialbeschleunigungen der
Gelenkpunkte für jeden einzelnen der Gelenkpunkte als Ordinaten zu den Wegen der
Gelenkpunkte als Abscissen aufgetragen, wodurch Kurven entstehen, die eine genaue
Uebersicht über den Verlauf der Bewegung des betreffenden Punktes ermöglichen. Die
Geschwindigkeit wurde stets von der Abscissenachse aus nach oben aufgetragen, was
bei einer fortlaufenden Bewegung eines Punktes auf einer geschlossenen Bahn
selbstverständlich ist; Bei einer schwingenden Bewegung jedoch liegt es nahe, den
Drehsinn durch Auftragen der Geschwindigkeit nach beiden Seiten der Abscissenachse,
zu kennzeichnen. Betrachtet man aber eine schwingende Bewegung als eine
fortlaufende, der zweifach zu rechnenden Bahn des Punktes, so muß auch hier die
Geschwindigkeit stets nach oben aufgetragen werden, was im vorliegenden Fall auch
geschehen ist. Die Tangentialbeschleunigung wird nach oben aufgetragen, wenn sie ein
Wachsen der Geschwindigkeit andeutet, und nach unten, wenn sie als Verzögerung
auftritt. Die Tangentialbeschleunigungskurve schließt mit der Abscissenachse eine
bestimmte Fläche ein, die teilweise oberhalb und teilweise unterhalb der
Abscissenachse liegt. Bezeichnet man die erstere als positiv und die letztere als
negativ, so muß bei richtiger Bestimmung der Bewegung des betreffenden Punktes die
algebraische Summe dieser Flächen gleich 0 sein; oder es muß die Fläche oberhalb der Achse
gleich der Fläche unterhalb der Achse sein. Bei der untersten Steinstellung wird die
in der arbeitenden Lokomotive eingebaute Kurbel eine andere Drehrichtung haben als
bei der obersten. Die Wegkurven werden in der Reihenfolge 0, 15, 14, 13... von den
Gelenkpunkten durchlaufen. Würde man die Tabellen und Kurven dieser umgekehrten
Drehrichtung anpassen, so würde das den Vergleich der Bewegungs- und
Kraftverhältnisse bei oberster und unterster Steinstellung erschweren.
Textabbildung Bd. 322, S. 264
Fig. 43.
Textabbildung Bd. 322, S. 264
Fig. 44.
Textabbildung Bd. 322, S. 264
Fig. 45.
Textabbildung Bd. 322, S. 264
Fig. 46.
Textabbildung Bd. 322, S. 264
Fig. 47.
Es sei deshalb die Annahme getroffen, daß auch bei der
untersten Steinstellung die Kurbel eine Rechtsdrehung ausführe. Dadurch wird an Größe und
Richtung der Beschleunigungen und Kräfte nichts geändert; nur die
Geschwindigkeitsrichtung wird eine entgegengesetzte gegenüber der Wirklichkeit.
Demnach wird, was in der Zeichnung, den Kurven und den Tabellen als
Tangentialbeschleunigung auftritt, nun eine Verzögerung und umgekehrt. Besondere
charakteristische Merkmale oder unregelmässigen Verlauf bringen die in den Fig. 41–58
gezeichneten Geschwindigkeits- und Beschleunigungskurven nicht. Erwähnenswert ist
es, daß der Hub des Schiebers, das ist der Weg des Punktes M bei der obersten Steinstellung größer ist, als bei der untersten. Dies
erklärt sich aus der Veränderung der Größe GH beim
Ausschlagen der Kulisse.
Textabbildung Bd. 322, S. 265
Fig. 48.
Textabbildung Bd. 322, S. 265
Fig. 49.
Textabbildung Bd. 322, S. 265
Fig. 58.
Auch für die Richtigkeit der Konstruktion der Kräfte ist wie für die der
Beschleunigungen eine Kontrolle möglich, die sich aus der Bedingung ergibt, daß die
Arbeit, die während einer Kurbeldrehung zur Erteilung der Beschleunigung der Massen
der Steuerungsteile geleistet wird, gleich ist der Arbeit, welche durch die
Verzögerung dieser Massen erhalten wird; daß also die algebraische Summe der
Arbeiten gleich Null ist, welche zur Erteilung der Bewegung an das ganze
Steuerungsgetriebe während einer Kurbeldrehung geleistet werden. In dem vorliegenden
Getriebe wird an zwei Gelenkpunkten Arbeit in das Steuerungsgetriebe eingeleitet,
nämlich in dem Kreuzkopfpunkte 0 und in dem auf der Triebstange liegenden
Punkte B. Es ist nicht notwendig, daß die oben
ausgesprochene Bedingung für die algebraische Summe der während einer Kurbeldrehung
eingeleiteten Arbeiten für jeden der Punkte, an welchem Arbeit eingeleitet wird,
einzeln erfüllt ist. Es kann vielmehr die Arbeit während einer Kurbeldrehung an
jedem der beiden Punkte einen bestimmten positiven oder negativen Wert annehmen; es
muß aber die Arbeit an dem einen Gelenkpunkt gleich und entgegengesetzt der Arbeit
an dem anderen Gelenkpunkt sein. Man kann nun eine Kontrolle der Richtigkeit der
erhaltenen Kräfte in der Weise durchführen, daß man annimmt, die Arbeit zur Bewegung
des ganzen Steuergetriebes werde von einem dritten Gelenkpunkte aus geleistet. Als
ein solcher Punkt sei der Kurbelzapfen A angenommen.
Man denkt sich also am Kurbelzapfen in jeder Kurbelstellung zwei Kräfte in Richtung
der Geschwindigkeit des Kurbelzapfens wirkend, von denen die eine k1 in jeder
Kurbelstellung die gleiche Arbeit leistet, wie die Kraft Bk am Punkte B; während die andere k2 in jedem Augenblick die gleiche Arbeit leistet,
wie die Kraft Ok am
Punkte O.
Diese Kräfte k1 und k2 können in einfacher
Weise nach dem Prinzip der virtuellen Geschwindigkeiten für jede Kurbelstellung
bestimmt werden. Es ist nämlich:
k_1=B'_k\cdot \frac{B_v}{A_v} und k_2=O'_k\cdot \frac{O_v}{A_v},
Textabbildung Bd. 322, S. 266
Fig. 50.
Textabbildung Bd. 322, S. 266
Fig. 51.
Textabbildung Bd. 322, S. 266
Fig. 52.
Textabbildung Bd. 322, S. 266
Fig. 53.
Textabbildung Bd. 322, S. 266
Fig. 54.
Textabbildung Bd. 322, S. 266
Fig. 55.
Textabbildung Bd. 322, S. 266
Fig. 56.
Textabbildung Bd. 322, S. 266
Fig. 57.
wobei die Kräfte B'k und O'k Komponenten der Gelenkkräfte Bk und Ok an den Gelenkpunkten
B und O sind, welche
in die Richtung der Geschwindigkeit von B bezw. O fallen. k1 ist aber auch diejenige Komponente der Gelenkkraft
im Kurbelzapfen A, welche in die Richtung der
Geschwindigkeit Av des
Punktes A fällt. Es ist deshalb zweckmäßiger, k1 in der Weise zu
bestimmen, daß Ak auf
die Richtung der Geschwindigkeit Av des Punktes A
projiziert wird.
Textabbildung Bd. 322, S. 267
Fig. 59.
Textabbildung Bd. 322, S. 267
Fig. 60.
Wenn eine Geschwindigkeit und eine Kraft den gleichen Richtungssinn haben, dann werde
die Kraft als positiv bezeichnet; haben die beiden aber die entgegengesetzten
Richtungen, dann werde die Kraft als negativ bezeichnet. Man streckt den Weg des
Kurbelzapfens in eine Gerade, die Abscissenachse aus, und trägt dazu die nach obigem
bestimmten Kräfte k1
und k2 als Ordinaten in
der Weise auf, daß ein positiver Wert von k1 oder k2 von der Abscissenachse aus nach oben und ein
negativer Wert nach unten eingetragen wird. Die algebraische Summe k der Kräfte k1 und k2 wird in dieselbe Figur nach der gleichen Regel
eingetragen. Dadurch erhält man drei Kurven für die Kräfte k1, k2 und k, welche mit der
Abscissenachse bestimmte Flächen einschließen. Diese Flächen stellen Arbeiten dar. Wenn
nun die Bestimmung der Gelenkkräfte bei der Durchführung der Aufgabe richtig gemacht
wurde, so muß die von der k-Kurve mit der
Abscissenachse begrenzte Fläche derart sein, daß der oberhalb der Abscissenachse
liegende Teil dieser Fläche gleich dem unterhalb der Abscissenachse liegende Teil
sein muß.
In der vorliegenden Aufgabe wurden die Gelenkkräfte getrennt behandelt und zwar als
solche, welche von den äußeren Steuerungsteilen herrühren und als solche, welche von
den inneren Steuerungsteilen herrühren. Es wäre nicht notwendig die Kontrolle für
die richtige Bestimmung der Gelenkkräfte für die inneren und für die äußeren
Steuerungsteile getrennt durchzuführen; es würde genügen, die Kontrolle für die
Resultierende der Gelenkkräfte allein zu machen. Um aber die einmal ausgeführte
Trennung der Bestimmung der Gelenkkräfte bis zum Ende der Untersuchung aufrecht zu
erhalten, wurde die vorstehend erläuterte Kontrolle für die richtige Bestimmung der
Gelenkkräfte, herrührend von den äußeren Steuerungsteilen in Fig. 59, und die für die richtige Bestimmung der
Gelenkkräfte, herrührend von den inneren Steuerungsteilen in Fig. 60 durchgeführt. Es hat sich dabei auch richtig
ergeben, daß die Flächenabschnitte sich jedesmal zu Null ergänzen.
Die Wirkung der Massenkräfte auf die Steuerungsteile und das Kurbelgetriebe ist eine
mehrfache. Die Stangen und Hebel werden von diesen Kräften auf Zug, Druck, Biegung
oder Torsion beansprucht; d.h. die schon vorhandenen und von äußeren mechanischen
Kräften herrührenden spezifischen Spannungen werden durch sie gegebenenfalls noch
vergrößert. Es ist z.B. in dem auf der Triebstange gelegenen Gelenkpunkt B, von dem aus ein Teil der Bewegung in das
Steuergetriebe eingeleitet wird, für die Kurbelstellung 11, beim Vorwärtsfahren der
Lokomotive, nach Tab. 4, die Gelenkkraft Bk
= 2263 kg. Diese Kraft beansprucht mit ihrer zur
Triebstange senkrechten Komponente von 2245 kg die Triebstange auf Biegung. Die
Berechnung der Triebstange hätte somit auf kombinierte Biegungs- und
Knickungsbeanspruchung zu erfolgen. Die Biegungsbeanspruchung ist keine geringe, da
die sie hervorrufende Kraft in der Kurbelstellung 11 bis zu 2245 kg, das ist fast
der 10. Teil der 24000 kg betragenden Kolbenkraft, ansteigt. Ferner vergrößern die
trägheitskräfte auch die Zapfendrücke und den Auflagerdruck des Steins in der
Kulisse. Im Kurbelzapfen selbst ist z.B. bei der Kurbelstellung 11 nach Tab. 2 der
Massendruck = 1652 kg. Das gibt bei den gegebenen Abmessungen des Zapfens einen
Auflagerdruck von 6 kg f. d. qcm. Verhältnismäßig sehr hohe Kräfte treffen nach den
Tabellen auf den Gelenkpunkt L, den Stein H und den Kulissendrehpunkt G. In der Kurbelstellung 4 beträgt z.B. die
an H angreifende Kraft Hk = 1968 kg. Bei einer Auflagerfläche des
Steins in der Kulisse von 67,2 qcm wird der spezifische Auflagerdruck bei der
Kurbelstellung 4, der von den bewegten Massen des
Steuerungsgetriebes allein herrührt und sich zu dem von der Schieberreibung, der
Zapfenreibung, den Gewichten usw. stammenden noch addiert gleich 1968: 67,2 = 29,3
kg f. d. qcm. Eine weitere Folge der von den bewegten Massen herrührenden Kräfte ist
noch die, daß die Gelenkkräfte formändernd auf die Stangen und Hebel wirken und
damit an ihnen Schwingungen hervorrufen, die um so größer sein werden, je schwächer
die Steuerung konstruiert ist. Diese Schwingungen machen sich nach aussen als ein
beständiges Zittern der bewegten Teile bemerkbar.
Schließlich sei noch gezeigt, wie Geschwindigkeit, Beschleunigung und dynamische
Wirkung sich ändern, wenn die Umlaufzahl der Kurbel eine andere wird. Man würde auch
für die Bestimmung der Bewegung bei einer höheren Zuggeschwindigkeit die
Kurbelzapfengeschwindigkeit und damit auch die Kurbelzapfenbeschleunigung gleich dem
Kurbelradius nehmen; d.h. die zeichnerischen Größen von v und j bleiben dieselben. Nur wird sich ein
anderer Maßstab ergeben, der durch die Berechnung der Kurbelzapfengeschwindigkeit
und Kurbelzapfenbeschleunigung aus der Zuggeschwindigkeit bestimmt wird. Bezeichnet
V in km f. d. Stunde die Zuggeschwindigkeit, so
wird die Kurbelzapfengeschwindigkeit:
A_v=\frac{V\cdot 1000}{60\cdot 60}\cdot \frac{2\cdot R}{D}
wobei R der Kurbelradius und D der Triebraddurchmesser ist. Bei zwei verschiedenen
Zuggeschwindigkeiten V' und V'' würde das Verhältnis der beiden Kurbelzapfengeschwindigkeiten
A'v :
A''v
= V' : V''.
d.h. die Geschwindigkeiten am Kurbelzapfen und damit auch die
der übrigen ausgezeichneten Punkte würden sich im gleichen Verhältnis ändern, wie
die Zuggeschwindigkeiten.
Die Beschleunigung des Kurbelzapfens wird aus der Formel berechnet:
A_j=j_n=\frac{(A_v)^2}{R}.
Bei zwei verschiedenen Kurbelzapfengeschwindigkeiten würde
danach das Verhältnis der beiden Beschleunigungen
A'j :
A''j = (A'v)2 : (A''v)2 = (V')2 : (V'')2,
d.h. die Beschleunigungen des Kurbelzapfens und der übrigen
ausgezeichneten Punkte der Steuerung ändern sich mit dem Quadrate der
Zuggeschwindigkeiten.
Die Trägheitskräfte sind direkt proportional den Beschleunigungen und ändern sich
deshalb im gleichen Verhältnis wie diese.
Steigt z.B. die Zuggeschwindigkeit von 120 km auf 180 km f. d. Stunde, dann werden
alle Geschwindigkeiten 180\,:\,120=\frac{3}{2}=1\,\frac{1}{2} mal so gross, und alle Beschleunigungen und Kräfte
180^2\,:\,120^2=\frac{9}{4}=2\,\frac{1}{4} mal so gross. Mit diesen Quotienten müssten demnach alle Tabellenwerte
multipliziert werden, damit die Resultate für die Steuerung gelten, wenn der Zug
statt mit 120 km mit 180 km i. d. Stunde fährt.
Außer den in der vorliegenden Aufgabe bestimmten Massenkräften, die allein von
Beschleunigung und Verzögerung der bewegten Massen herrühren, sind noch verschiedene
andere Kräfte im Steuerungsmechanismus tätig, wie z.B. die Schieberreibung, die
Reibung in den Gelenken und in der Stopfbüchse, die Stangengewichte und andere. Von
diesen ist besonders die erstere von größerer Bedeutung, und sie dient in den
meisten praktischen Fällen allein zur Berechnung des Steuerungsgestänges auf
Festigkeit. Deshalb soll noch gezeigt werden, daß die von der Schieberreibung
herrührende Kräfte an den Steuerungsteilen leicht aus den Tabellen bestimmt werden
können. Die Schieberreibung wirkt am Punkte M in
derselben Richtung wie die Massenkraft des Schiebers und der Schieberstange, deren
Verteilung auf die Steuerungsgelenke schon bestimmt ist und in den Tabellen als die
Kraft k'' eingetragen ist. Ist nun k''m die Trägheitskraft
der Massen am Punkte M von Schieber und Schieberstangen
für eine bestimmte Kurbelstellung, und kr die von der Reibung des Schiebers herrührende
Kraft bei der gleichen Kurbelstellung, dann würden alle Tabellenwerte von k'' bei dieser Kurbelstellung mit dem Quotienten kr : k''m zu multiplizieren
sein, damit man
die Kraft an dem betreffenden Gelenkpunkt erhält, die die Schieberreibung an ihm
hervorruft. Der Quotient kr : k''m wird
für jede Kurbelstellung einen anderen Wert haben, da sich kr sowohl, als auch k''m
unabhängig von einander ändern. Sammelt man diese so gefundenen Werte in
Tabellen, so erhält man ein Bild über den Verlauf der Kräfte, die die
Schieberreibung auf die Steuerungsgelenke ausübt.