Titel: | Die Haftfestigkeit zwischen Beton und Eisen im Eisenbetonträger. |
Autor: | Weiske |
Fundstelle: | Band 322, Jahrgang 1907, S. 298 |
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Die Haftfestigkeit zwischen Beton und Eisen im
Eisenbetonträger.
Die Haftfestigkeit zwischen Beton und Eisen im
Eisenbetonträger.
Die neueren Forschungen auf dem Gebiete des Eisenbetons beschäftigen sich
hauptsächlich mit der Frage der Haftfestigkeit zwischen Beton und Eisen und ihrem
Einfluß auf die Bruchfestigkeit des Eisenbetonbalkens. Zur Beurteilung der Größe der
Haftfestigkeit und der zu wählenden Haftspannungszahlen sind direkte Druck- und
Zugversuche weniger geeignet, als Biegeversuche, welche den tatsächlichen
Verhältnissen besser entsprechen. In dieser Erkenntnis haben v.
Emperger im Anschluß an frühere Versuche in
Wien und Probst in
Zürich Versuche angestellt und ihre Ergebnisse und
Folgerungen in Heft V und VI der Forscherarbeiten auf dem Gebiete des Eisenbetons
veröffentlicht. Im folgenden sollen diese Arbeiten besprochen werden.
I. v. Emperger Dr.-Ing., Die
Abhängigkeit der Bruchlast vom Verbünde und die Mittel zur Erhöhung der
Tragfähigkeit von Balken aus Eisenbeton, Verlag von Wilhelm Ernst & Sohn, 1906.
Im Anschluß an seine in Heft III der Forscherarbeiten veröffentlichten Versuche und
die hieraus gezogenen Folgerungen, daß die Haftfestigkeit nicht die Größe habe,
welche gemeinhin angenommen wurde (40 kg/qcm), erörtert v.
Emperger nunmehr die Mittel zur Erhöhung der Tragfähigkeit von Balken aus
Eisenbeton, soweit sie eine Sicherung des Verbundes bezwecken, an der Hand einer
großen Anzahl eigener Versuche. Der Bruch vieler namentlich junger Eisenbetonträger
ist nicht auf die Ueberwindung der Normalspannungen im sogen. Bruchquerschnitte
zurückzuführen, sondern vielmehr auf die Lösung des Verbundes zwischen Eisen und
Beton am Auflager infolge der großen Scherkräfte am Auflager. Diese Scherkräfte
rufen bekanntlich die Haftspannungen am Umfange der Eiseneinlagen und die
Betonschubspannungen hervor.
Faßt man des weiteren die Eisenbetonträger als Gewölbe auf mit der Pfeilhöhe gleich
dem Abstand des Druckmittelpunktes von dem Schwerpunkte der Eiseneinlage, welche den
Horizontalschub aufzunehmen hat, so wirkt diese wie ein Anker, der in den
Balkenenden durch das Haftvermögen zwischen Beton und Eisen befestigt ist.
Um nun dieses Haftvermögen oder die Haftfestigkeit einwandfrei festzustellen, sind
Biegeversuche derart auszuführen, daß der Bruch notwendigerweise durch Ueberwindung
der Haftfestigkeit eintritt. Mit Hilfe tunlichst einfacher Formeln ist dann ihre
Größe rechnungsmäßig festzustellen, so daß man imstande ist, die zulässige
Haftspannung als Bruchteil der Haftfestigkeit festzustellen, wenn zu ihrer
Ermittlung dieselbe Formel benutzt wird. Nach diesen Gesichtspunkten hat v. Emperger 27 eigene Versuche mit Plattenbalken
gleichen Betonquerschnittes (Platte 50/5 cm, Balken 10/15 cm, Spannweite etwa 2,00
m) und mit verschiedenen Eiseneinlagen durchgeführt. Aus der folgenden Tabelle sind
die Abmessungen der Eiseneinlagen, die verwendeten Hilfsmittel zur Sicherung der
Haftfestigkeit, sowie die erzielten Bruchbelastungen zu ersehen.
Ver-such
Eiseneinlage
Sicherung der Haftfestigkeit
Bruch-lastkg
AlterTage
Durchm.
mm
I
2
20
verschraubt, 8 gerade BügelSpirale v. Grimm
9090
104
II
2
20
verschraubt, 8 Doppelbügel
10600
70
A
1
2
20
gerade, ohne Bügel
2600
108
A
2
2
20
1 grade, 1 abgebogenohne Bügel
2000
108
A
3
2
20
gerade, 6 Bügel
7470
89
A
4
2
20
gerade, ohne BügelThacher-Eisen
2580
108
A
5
2
20
1 gerade, 1 abgebogenohne Bügel,
Thacher-Eisen
2510
108
A
6
2
20
1 gerade, 1 abgebogen, ohneBügel, Thacher-Eisen,
Spirale
4000
108
A
7
2
20
gerade, 6 Bügel, Thacher-Eisen
7810
108
A
8
2
20
gerade, 3 Bügel
5960
97
A
9
2
20
gerade, 6 Bügel
4440
97
A
10
2
20
gerade, 5 Bügel
7240
97
A
11
2
20
gerade, 7 Bügel
5330
98
A
12
2
20
1 gerade, 1 abgebogen,3 Bügel
3970
98
B
1
8
10
gerade, ohne Bügel
4300
97
B
2
8
10
gerade, 18 Bügel
7080
97
B
3
8
10
3 gerade, 4 abgebogene,ohne Bügel
5510
98
B
4
8
10
3 gerade, 4 abgebogen,4 Bügel
7240
–
B
4
8
10
2 gerade, 6 abgebogen,2 Druckstäbe, 4
Bügel
9010
–
C
1
2
20
gerade, 6 schräge feste Bügel
6280
97
C
2
2
20
gerade, 8 schräge feste Bügel
9920
98
C
3
2
20
gerade, 12 schräge feste Bügel
11000
98
C
4
2
20
gerade, 5 schräge feste Bügel
8130
98
C
5
2
20
gerade, 5 schräge feste Bügel
9650
98
C
6
21
1617
2 gerade, 1 abgebogen,5 schräge feste
Bügel
6900
–
C
7
2 Flacheisen8/35 mm
gerade, 5 schräge feste Bügel
10760
–
Auf die einzelnen Versuche kann hier nicht näher eingegangen werden, daher sei das
Studium der wichtigen Forscherarbeit dringend empfohlen. Im ganzen läßt sich
folgendes sagen. Bei der Anordnung ohne Bügel wurden die kleinsten Bruchlasten
erzielt, durch das Einlegen von senkrechten und besonders von schrägen festen
Bügeln, welche sich in Einkerbungen der Rundeisen hineinlegen, (Anordnung von Gieshammer) wurden die Bruchlasten erheblich
gesteigert. Vorteilhaft ist auch die Teilung des Eisenquerschnittes in mehrere
kleinere Querschnitte, da der Umfang der Eiseneinlagen hierdurch vergrößert wird.
Das Aufbiegen der Eiseneinlagen verändert die Bruchlast nur wenig.
Das wichtigste Ergebnis der Empergerschen Versuche
ist also, daß die Bruchlast durch Einlegen von Bügeln bedeutend erhöht wird.
Die Bügel unterstützen den Beton in der Aufnahme wagerechter Schubspannungen, und
schräg gestellt in der Aufnahme der schiefen Hauptspannungen. Ihre Wirkung ist zu
vergleichen mit derjenigen der Zuganker in verdübelten Balken. Ferner wirken die
Bügel auf den Betonbalken verschnürend ein, ebenso wie die Grimmsche Spirale, so daß sie indirekt die eingelegten Zugeisen
festhalten. Die direkte Wirkung ist noch vorteilhafter, wie die Anordnung von Grieshammer zeigt, bei welcher die Bügel in Kerben der
Rundeisen eingreifen, um dem Rutschen der Eiseneinlagen entgegenzuarbeiten.
v. Emperger betont mit Recht, daß auch die abgebogenen
Eisen bei der Berechnung der Haftspannungen mitzurechnen sind, entgegen den
amtlichen Bestimmungen, welche nur die geraden Eisen berücksichtigen, da
Konstruktionen ohne gerade Einlagen mit nur aufgebogenen Enden sich bewährt haben.
Als zulässige Haftspannung schlägt er 4 kg/qcm vor, bei 16 kg/qcm Haftfestigkeit, welche bei
Plattenbalken mit glatten Rundeiseneinlagen durch Einlegen von Bügeln und Abbiegen
der Eisen zu erreichen ist.
II. Emil Probst, Ing. Das Zusammenwirken von Beton und Eisen
(eine Abhandlung auf Grund von Laboratoriumsversuchen). Verlag von Ernst
& Sohn, 1906.
Die Anschauung, von der der Verfasser bei seinen 16 in der Materialprüfungsanstalt in
Zürich angestellten Versuchen ausgeht, ist folgende: „Zwischen Eisen und Beton
besteht eine bloß mechanische Verbindung, die bei der Ueberwindung der
Zugfestigkeit, also beim ersten Auftreten der Risse gelockert wird. Die Haftung
ist aber auf der Strecke, wo die Zugfestigkeit des Betons noch nicht überwunden
ist, vorhanden und verhütet den Bruch des Balkens. Die Armierung wirkt an der
Rißstelle als Anker und diese Wirkung wird so lange andauern, bis die Zugkraft
des Eisens stark genug ist, das Eisen herauszuziehen!“
Probst verwirft die Bezeichnung Haftfestigkeit, da das
Zusammenwirken von Eisen und Beton ein bloß mechanisches ist; nach seiner Ansicht
findet Festklemmen der Armierung durch den beim Erhärten sich zusammenziehenden
Beton statt, das je nach verschiedenen Umständen früher oder später aufhört. Er
führt für dieses Festklemmen den Begriff der Haftfähigkeit ein und bezeichnet mit
Haftkraft den beim Herausziehen des Eisens längs des ganzen Umfanges auf 1 cm Länge
wirkenden Widerstand. Das Resultat der Versuche an 16 Probekörpern (rechteckige
Betonbalken 15/25 von 1,30 m Spannweite mit verschiedenen Armierungen) ist, daß alle
Balken mit dem Aufhören der Haftung zum Bruche kamen.
An der den Bruch herbeiführenden Rißstelle herrscht im Eisen eine Zugkraft Z, welche ein Herausziehen des Eisens auf die Länge c bewirkt, hierbei ist c
der Abstand des ersten Zugrisses vom Auflager. Nach obiger Erklärung ist die
Haftfähigkeit h bei dem Umfang u der Eiseneinlagen ausgedrückt durch die Gleichung
h=\frac{Z}{c\cdot u}.
Die von dem Verfasser nach dieser Formel berechneten Haftfähigkeiten schwanken
zwischen 11,6 und 20,8 kg/qcm, das Alter der Balken betrug rund 60 Tage.
Die Eigenschaften der Haftfähigkeit zeigen folgende aus den Versuchen gezogenen
Schlüsse:
1. Unter sonst gleich bleibender Beschaffenheit der Oberfläche und der
Festigkeitsverhältnisse des Eisens wächst die Bruchlast mit der Haftkraft.
2. Die Haftfähigkeit wächst mit der Zunahme des Prozentgehaltes der
Armierung.
3. Bei sonst gleichen Verhältnissen ist die Haftfähigkeit bei rauher Oberfläche
größer als bei glatter Oberfläche.
4. Bei gleichem Eisenquerschnitt wächst die Haftfähigkeit mit zunehmendem Umfang der
Armatur.
Von den untersuchten Balken hatten 15 nur gerade Eisen, bei dem letzten Balken waren
die Enden am Auflager rechtwinklig aufgebogen, so daß die Haftfähigkeit nicht
rechnungsmäßig ermittelt werden konnte, da die umgebogenen Enden den Widerstand
gegen das Herausziehn vermehrten. Es ergab sich durch dies einfache und billige
Mittel eine Erhöhung der Bruchlast von 36 v. H. im Vergleich zu einem gleichen
Betonbalken mit derselben, aber nur geraden Armierung.
Der Widerstand des Eisens gegen Herausziehen wird also durch die Verankerung mit dem
Druckgurt größer. Bei einem Balken wurde das Aufhören der Haftfähigkeit durch
Abscherung bewirkt, bei den anderen war die Zugfestigkeit die Ursache des Aufhörens
der Haftfähigkeit.
Hieraus ergibt sich der für die Praxis wichtige Schluß, daß der Beton eine möglichst
hohe Zugfestigkeit zur Sicherung des Verbundes haben muß.
Auf die einzelnen Versuche kann hier nicht näher eingegangen werden. Den Lesern kann
wegen der Ausführlichkeit der Beschreibung der sorgfältig durchgeführten Versuche
und wegen der großen Wichtigkeit des Gegenstandes das Studium des kleinen Werkes nur
empfohlen werden.
Wir wollen nur kurz noch auf einige Punkte eingehen. Die von Probst gewählte Bezeichnungsweise: „Haftfähigkeit“ deckt den alten
Begriff „Haftfestigkeit“, d. i. ein Maß für den Widerstand gegen das
Herausziehen des Eisens aus dem Beton, wobei man über die Ursache dieses
Widerstandes hinwegsieht, daher ist auch kein Grund vorhanden, den alten
eingeführten Namen fallen zu lassen. Es bleibt noch zu prüfen, wieweit die
vorgeschlagene Berechnungsweise von der üblichen abweicht, und ob sich etwa zwischen
den nach beiden Methoden berechneten Haftfestigkeitszahlen eine Beziehung ableiten
läßt.
Probst faßt den Balken gewissermaßen als Gewölbe auf,
bei welchem die Zugeisen den Horizontalschub aufnehmen und daher seine Wirkung auf
die Auflager aufheben.
Ist M das größte Biegungsmoment, m der Abstand des Druckmittelpunktes von der Eiseneinlage, so ist der
Horizontalschub Z=\frac{M}{m}, daher ist nach Probst: Die
Haftfähigkeit h:
h=\frac{Z}{u\cdot c}=\frac{M}{m\cdot u\cdot c}. . . . 1)
Ist A der Auflagerdruck, und
ist
a=\frac{M}{A} oder A=\frac{M}{a},
so ist die Haftspannung τe am Auflager, berechnet nach den amtlichen
Bestimmungen:
\tau_e=\frac{A}{u\cdot m}=\frac{M}{m\cdot u\cdot a}, . . . 2)
daher ist
\frac{\tau_e}{h}=\frac{c}{a},
für gleichmäßig verteilte Belastung ist:
a=\frac{Q\,l}{\frac{Q}{2}\,8}=\frac{l}{4} oder \frac{\tau_e}{h}=\frac{c}{\frac{l}{4}}
für eine Einzellast P in der
Mitte ist:
a=\frac{P\,l}{\frac{P}{2}\,4}=\frac{l}{2} oder \frac{\tau_e}{h}=\frac{c}{\frac{l}{2}},
für zwei Einzellasten P im
Abstand a vom Auflager ist:
a=\frac{P\,a}{P}=a oder \frac{\tau_e}{h}=\frac{c}{a}
Für den rißfreien Zustand ist c=\frac{l}{2} einzuführen, dann
ergibt sich für gleichmäßig verteilte Belastung:
τe = 2
h,
für Einzellast in der Mitte
τe =
h.
Faßt man die Haftfähigkeit auf als durchschnittliche Haftspannung (bei gleichmäßig
verteilt gedachter Haftkraft auf die ganze Länge c), so
entsprechen die Werte τe den tatsächlichen Verhältnissen im Balken im Gegensatz zu dem
Durchschnittswert h, da das Diagramm der
Schubspannungen bei gleichmäßig verteilter Belastung dreieckig, bei einer Einzellast
in der Mitte rechteckig ist.
Ist dagegen c\,<\,\frac{l}{2} bei rissigem Zustande, so werden bei gleichmäßig verteilter
Belastung die rechnungsmäßigen Werte τe und h gleich für
c=\frac{l}{4}, also für den Fall, daß die Länge des in der Zugzone gerissenen
Balkenteiles gleich der halben Balkenlänge ist, was in der Regel der Wirklichkeit
nahezu entspricht. Bei kleineren Werten von c werden
die h-Werte größer als die τe. Es ist aber sehr zweifelhaft, ob man
dann den Horizontalschub Z an der Stelle des äußersten
Risses noch in der vollen Größe einführen darf, auch wenn man den Balken als Gewölbe
auffaßt, da ein Teil des Schubes durch die Reibung und Adhäsion des Eisens am
Beton selbst im gerissenen Balkenteil noch aufgehoben wird. Der Fall der reinen
Belastung durch Einzellasten kommt in der Praxis nicht vor, da innerhalb des
Bereiches der zulässigen Inanspruchnahmen das Eigengewicht der Balken nicht
vernachlässigt werden darf, es werden daher die aus der Momentengleichung
ermittelten a-Werte kleiner ausfallen, so daß auch für
diese Fälle die Zugrisse sich auf eine größere Balkenlänge verteilen können, ohne
daß die Differenz zwischen den h- und τe-Werten erheblich
wird.
In den untersuchten Fällen wurde das Biegungsmoment hervorgerufen durch zwei
Einzellasten P im Abstand a gleich 50 cm von den Auflagern, daher gilt die Formel:
\frac{\tau_e}{h}=\frac{c}{50}.
Die berechneten c-Werte sind für 12 zum Vergleich
möglichen Fälle 4 mal 57 cm, 4 mal 47 cm, 1 mal 42 cm, 2 mal 37 cm, 1 mal 42 cm, im
Durchschnitt also 47 cm. Man erhält also eine so geringe Abweichung der
rechnungsmäßigen Werte τe und h, daß aus dieser Untersuchung die
Notwendigkeit nicht hervorgeht, die Berechnung der Adhäsionsspannungen auf eine
andere Grundlage zu stellen als bisher, was im Interesse der Einfachheit und
Einheitlichkeit der Rechnung wünschenswert ist. Man müßte sonst für die gegebene
Belastung die Betonzugspannungen berechnen und aus diesen auf einen wahrscheinlichen
c-Wert schließen, um die Haftfähigkeit der
verwendeten Eiseneinlagen im Falle der Rißbildung angeben zu können.
Gleichwohl wird man, wie auch aus diesen Versuchen hervorgeht, der Zugfestigkeit des
Betons erhöhte Beachtung schenken müssen, da seine Scher- und Haftfestigkeit mit
derselben wächst, besonders weil eine Kontrolle der Zugspannungen durch eine
Berechnung des Eisenbetonbalkens mit Einbeziehung der Betonzugzone für Hochbauten
nicht vorgeschrieben ist, während sie nach dem Erlaß der Eisenbahndirektion Berlin
für Eisenbahnbauten verlangt wird.
Dr.-Ing. Weiske.