Titel: | Aus der metallographischen Praxis. |
Autor: | F. Kerdyk |
Fundstelle: | Band 322, Jahrgang 1907, S. 684 |
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Aus der metallographischen Praxis.
Aus der metallographischen Praxis.
Einer Reihe von Untersuchungen, über welche P. D. C.
Kley in einer Versammlung des Kon. Instituut van
Ingenieurs Mitteilungen machte,„De
Ingenieur“ 1907, S. 627–638. entnehmen wir folgenden
interessanten Fall.
Der im Jahre 1902 neugebaute Doppelschraubendampfer Goentoer des Rotterdamer Lloyd hatte im
November 1906 auf der Heimreise im Indischen Ozean einen schweren Sturm ohne Unfall
bestanden, verlor dann aber im Roten Meer bei schönem Wetter und ebener See
plötzlich eine seiner Schrauben. In Suez wurde festgestellt, daß die
Backbordschraubenwelle gebrochen war, so daß die Reise nach Rotterdam mit einer
Schraube vollendet werden mußte.
Die Maschinen leisteten bei 83 Umdrehungen i. d. Minute je 2225 PS. Die seit etwa
drei Jahren im Gebrauch befindliche Welle hatte 33 cm Durchm. Der Bruch lag 2 cm
innerhalb des Wellenrohres. Der Lieferant hatte für das Material keinerlei Garantie
übernommen. Die Untersuchung ergab, daß eine gewöhnliche Stahlwelle mit
0,31–0,35 v. H. Kohlenstoffgehalt vorlag.
Zum Vergleich mit den BildernDie Aetzung erfolgte
mit Pikrinsäure. des Kleingefüges der gebrochenen Welle ist in
Fig. 1 das Gefüge einer normalen Welle mit 0,35
v. H. Kohlenstoffgehalt dargestellt. Der Kohlenstoff ist sehr regelmäßig verteilt;
Ferrit und Perlit stehen im richtigen Verhältnis zueinander. Bei stärkerer
Vergrößerung erscheint der Perlit geschichtet als Beweis einer langsamen
Abkühlung.
In gleicher (40facher) Vergrößerung ist die Welle der Goentoer nahe der Bruchstelle in Fig. 2
dargestellt. Der außerordentlich grobe Ferrit, die schlechte Verteilung zwischen
Perlit und Ferrit, die großen Platten, mit denen der so äußerst weiche Ferrit sich
zwischen die harten Perlitflächen gelagert hat, sind hinreichende Beweise
fehlerhafter Behandlung des Materials.
Der Fehler liegt in einer ungenügenden thermischen Behandlung; das Stück ist
ein abschleckendes Beispiel einer stark überhitzten Welle.
Fig. 3 zeigt dieselbe Welle, etwa 30 cm von der
Bruchstelle entfernt, wo ihr Zustand offenbar viel besser ist, sogar als normal
bezeichnet werden könnte. Die Schraube war also an dem stark überhitzten Ende
befestigt. Von diesem interessanten Stück, das leider auf dem Boden des Roten Meeres
liegt, läßt sich mit Sicherheit sagen, daß seine Struktur völlig mit Fig. 2 übereinstimmen muß, weil eine Ueberhitzung von
einigen hundert Grad, wie sie hier stattgefunden haben muß, nicht rein örtlich
stattgefunden haben kann.
Textabbildung Bd. 322, S. 684
Fig. 1.
Zur Beantwortung der Frage, ob die schlechte Qualität der Welle bei der Probeabnahme
bei der Lieferung hätte festgestellt werden können, und ob in dem Falle eine
Regeneration der Welle möglich gewesen wäre, wurden noch weitere Untersuchungen
ausgeführt. Leider waren die Zahlen der Probeabnahme nicht bekannt. Für die
gebrochene Welle fand man an der Bruchstelle:
Zugfestigkeit
48 kg/qmm
Dehnung
30 v. H.
Kontraktion
59,3 v. H.
Diese Zahlen lassen sicher nicht vermuten, daß ein tatsächlich höchst unzuverlässiges
Material vorliegt.
Textabbildung Bd. 322, S. 684
Fig. 4.
Fig. 4 gibt das Gefüge bei 250facher
Vergrößerung wieder, wobei im Ferrit zahlreiche Schlacken wahrgenommen werden. Diese
Einschlüsse können, obwohl nicht gewünscht, dennoch im vorliegenden Fall nicht als
verderblich angesehen werden. Ihre Anzahl ist dafür zu gering, und die Form, in der
sie auftreten – nämlich in runden, wohl umschlossenen Körnchen – ist nicht
ungünstig. Der Perlit zeigt auch hier die geschichtete Struktur.
Textabbildung Bd. 322, S. 684
Fig. 2.
In Fig. 5 ist dieselbe Welle bei 40 facher
Vergrößerung dargestellt, nachdem sie während einer Stunde bei 800° C ausgeglüht und
nachträglich im Luftstrom abgekühlt war. Lufthärtung hat nicht stattgefunden, da
Sorbit im Präparat nicht vorhanden war. Das Probestück ist normal in bezug auf die
Größe der Ferritkristalle und auf die Verteilung des Perlits.
Textabbildung Bd. 322, S. 684
Fig. 3.
Textabbildung Bd. 322, S. 684
Fig. 5.
Um mit Sicherheit nachzuweisen, daß der Unfall tatsächlich einer unrichtigen
thermischen Behandlung der Welle zuzuschreiben ist, wurden nach Art der Wöhlerschen Anordnung Dauerbiegeversuche angestellt,
und zwar mit kurzen zylindrischen Probestäben, die in der Mitte auf 1 cm Durchm.
scharf eingedreht waren. Die Stäbe wurden mit dem einen Ende in eine wagerecht in
zwei Lagern ruhende Welle von etwa 3 cm Durchm. eingeschraubt und an dem freien Ende
durch ein aufgesetztes Lager mit einem Gewicht so beschwert, daß die Biegungsspannung
an der Kerbstelle 20 kg/qmm betrug. Die Welle wurde dann mit 450 Umdrehungen i. d.
Minute angetrieben und die Zahl der Umdrehungen bis zum Bruch der Probe
festgestellt. Sie betrug:
1. für eine normale Wellle mit 0,4 v. H. Kohlenstoffgehalt
54000,
2. für die Goentoer-Wellea) im ursprünglichen Zustande 24750,b) nach einstündlichem Ausglühen bei 800° C
45000.
Der Materialfehler, sowie die Art nach welcher die Welle hätte regeneriert werden
können, ist durch die Ergebnisse der obigen Untersuchung genügend aufgeklärt.
F. Kerdyk.