Titel: | Ueber den Einfluß zusammengesetzter Spannungen auf die elastischen Eigenschaften von Stahl. |
Autor: | Ewald E. Hancock |
Fundstelle: | Band 322, Jahrgang 1907, S. 743 |
Download: | XML |
Ueber den Einfluß zusammengesetzter Spannungen
auf die elastischen Eigenschaften von Stahl.Vortrag
gehalten vor der American Society for Testing Materials, Juni 1907. Nach dem
Originalbericht bearbeitet.
Von Ewald E. Hancock, La Fayette.
Ueber den Einfluß zusammengesetzter Spannungen auf die elastischen
Eigenschaften von Stahl.
Bei den Versuchen, über die bereits berichtet istS. D. p. J. 1906, Bd. 321, S. 41 und S. 184 dieses Bandes., wurden die Proben
bis zu bestimmten Spannungen auf Verdrehen beansprucht und hierbei dem Zug- oder
Druckversuch unterworfen.
Die Versuche, über die nachstehend berichtet werden soll, erstreckten sich im
Gegensatz zu den vorgenannten auf Drehversuche, bei denen die Proben gleichzeitig
bis zu bestimmten Spannungen auf Zug oder Druck beansprucht waren.Im Nachstehenden ist bei Benennung der
Versuche immer die Hauptbelastung an erster Stelle genannt, z.B. bedeutet
„Zug-Dreh-Versuch“, daß der Stab dem Zugversuch unterworfen wurde
und hierbei gleichzeitig bis zu einer bestimmten Spannung auf Verdrehen
beansprucht war, während beim „Dreh-Zug-Versuch“ Zug als Nebenspannung herrschte.
Bei den Dreh-Zugversuchen wurden zunächst Zugspannungen angewendet, die 0, 33, 50,
69, 81 und 100 v. H. der Elastizitätsgrenze für einfache Zugbeanspruchung
betrugen.
Bei den Dreh-Druckversuchen betrugen die Druckspannungen 0, 33, 50, 83 und 100 v. H.
der Elastizitätsgrenze für einfache Druckbeanspruchung.
Eine dritte Reihe betraf Biege-Drehversuche, bei denen Stahlstäbe zunächst bis zu
bestimmten Spannungen verdreht und in diesem Zustande auf Biegung geprüft
wurden.
Das Probematerial.
Das Material für die Dreh-Zug- und Dreh-Druckversuche waren Stahlrohre, bezogen von
der Shelby Steel Tube Co., mit 25,4 mm (1 Zoll) äußerem
und 23,0 mm (29/32
Zoll) innerem Durchm. Die Dreh-Zugproben waren 813 mm (32 Zoll), die
Dreh-Druckproben 203 mm (8 Zoll) lang.
Die einfachen Zugversuche ergaben folgende physikalische Eigenschaften für das
sorgfältig ausgeglühte Material:
Zugfestigkeit
=
28,7
kg/qmm
Elastizitätsgrenze
=
14,7
„
Dehnung auf 203 mm (8 Zoll)
=
32
v. H.
Zu den Biege-Drehversuchen dienten Stäbe mit vollem Querschnitt aus Nickelstahl
und weichem Kohlenstoffstahl von der Carnegie Steel Co.
Der Nickelstahl war von der gleichen chemischen Zusammensetzung wie der
Kohlenstoffstahl, nur daß er etwa 3 v. H. Nickel enthielt. Die Stäbe waren 1524 mm
(5 Fuß) lang und auf 38,1 mm (1,5 Zoll) Durchm. abgedreht. Zur Einspannung waren sie
an den Enden quadratisch.
Das Prüfungsverfahren.
Das Verfahren zur Ausführung der Zug-Drehversucher
d.h. der Zugversuche mit den gleichzeitig auf Verdrehen beanspruchten Stäben ist
bereits beschrieben.S. D. p. J. 1906,
Bd. 321, S. 42. Derselbe Apparat diente zur Ausführung der
Dreh-Zugversuche, d.h. der Drehversuche an den gleichzeitig auf Zug beanspruchten
Stäben.
Die Dehnung wurde mit dem Extensometer von Johnson, die
Verdrehung mit dem Troptometer von Olsen gemessen.
Beide Messungen erfolgten innerhalb der Länge von 203 mm (8 Zoll). Nachdem die
gewünschte Zugspannung erreicht war, wurde bei jedem Versuch zunächst das
Torsionsmoment bestimmt, welches erforderlich war, um die Reibung in dem Kugellager
für das Einspannhaupt zu überwinden. Hierzu wurde das Troptometer auf Null
eingestellt und so viel Sand in das Belastungsgefäß gegeben, bis gerade die erste
geringe Bewegung am Troptometer zu erkennen war. Dieses Verfahren erwies sich als
hinreichend genau.
Bei Ausführung der Dreh-Druckversuche wurde das obere Kugellager auf die Plattform
der Probiermaschine gestellt und zwar mit derselben Seite, mit der es beim
Zugversuch am oberen Maschinenhaupt anliegt. Das andere Kugellager wurde an der
unteren Seite des beweglichen Querhauptes der Maschine belassen. Zwischen beide
Kugellager wurde die Druckprobe in die Maschine eingebracht und derselbe Satz von
Hebeln, mit denen die Dreh-Zugversuche, wie früher beschrieben, ausgeführt wurden,
erzeugte nun den Druck, sobald das bewegliche Querhaupt der Maschine gesenkt wurde;
und dann erfolgte die Drehbeanspruchung. Die 203 mm (8 Zoll) langen Druckproben
steckten an beiden Enden je 63,5 mm (2½ Zoll) tief in den Einspannvorrichtungen, so daß sich eine
freie Länge von 76 mm (3 Zoll) ergab. Die Zusammendrückung und Verdrehung wurden auf
50,8 mm (2 Zoll) Länge gemessen und zwar mit dem Kompressometer und Troptometer von
Olsen.
Textabbildung Bd. 322, S. 743
Fig. 1.
Fig. 1 zeigt die Versuchsanordnung mit Ausnahme des
Troptometers, Das Drehmoment wurde erzeugt, durch Nachfüllen der erforderlichen
Sandmenge in das Belastungsgefäß an den Enden der mit den Kugellagern verbundenen
Hebeln in gleicher Weise, wie bei den Dreh-Zugversuchen. Hierbei wurde, nachdem die
gewünschte Druckspannung erzielt war, zunächst so viel Sand aufgegeben, bis der
Reibungswiderstand in den Kugellagern überwunden wurde, was sich an dem Beginn der
Bewegung des Troptometers zu erkennen gab. Ganz besondere Sorgfalt wurde bei
Ausführung der Dreh-Druckversuche darauf gelegt, daß keine Knickbeanspruchung des
Probestabes eintrat.
Textabbildung Bd. 322, S. 743
Fig. 2.
Die Biege-Drehversuche mit Nickelstahl und Kohlenstoffstahl wurden mit einem
besonders entworfenen, in Fig. 2 schematisch
dargestellten Apparat folgender Anordnung ausgeführt. Die Hebel H und H1, die auch bei den früheren Versuchen zur Erzeugung
der Drehkräfte benutzt waren, wurden an den Enden des Probestabes S
angebracht und in letzterem wurde nun zunächst die gewünschte Drehspannung
erzeugt. Hierzu wurde der Stab mit den Schneiden B und
C gegen den von der Plattform D einer gewöhnlichen Festigkeitsmaschine von 10 t
Kraftleistung getragenen Balken E abgestützt. Die
Schneide C stand senkrecht zur Stabachse und diente bei
der Drehbeanspruchung als festes Widerlager, so daß der Hebel H1 sich nicht drehte.
Die Schneide B dagegen stand parallel zur Stabachse.
Auf ihr konnte der Stab sich unter den Drehkräften am Hebel H frei drehen. Die abwärts gerichteten Kräfte P1 wurden durch direkt angehängte Gewichte
erzeugt, die aufwärts gerichteten Kräfte P1, indem das erforderliche Gewicht an eine
Fahrradkette gehängt wurde, die über ein geeignet unterstütztes Fahrrad lief und an
dem Hebelende befestigt war. Die Reibungswiderstände bei dieser Kraftübertragung
wurden vernachlässigt.
Sobald die gewünschte Drehspannung erzielt war, wurde die parallel zu C stehende Schneide A
unter das rechte Stabende gestellt und die Schneide B
entfernt. Die beiden Schneiden A und C bildeten nun die Widerlager beim Biegeversuch mit der
Einzelkraft P in Stabmitte, die durch die
Festigkeitsmaschine ausgeübt wurde.
Die Verdrehungen wurden auf 1448 mm (4 Fuß 9 Zoll) Länge mit einem Olsenschen Troptometer, die Durchbiegungen mit dem Olsenschen Deflektometer gemessen.
Nachdem die Torsionsspannung gemessen war, wurde der Wagebalken der
Festigkeits-Probiermaschine ausgeglichen, um das Eigengewicht des Querhauptes und
das Gewicht zur Erzielung der Verdrehung aus der Bestimmung der biegenden Kraft P auszuscheiden.
Ergebnisse.
In Fig. 3 zeigt Linie I
das Ergebnis des einfachen Drehversuches, Linie II das
Ergebnis des Drehversuches, während der Stab gleichzeitig mit einer Spannung gleich
⅓σP (σP = Elastizitätsgrenze
auf Zug) beansprucht war. Bei den Linien III–VI
betrugen die Zugspannungen 3/6, 4/6, ⅚ und 6/6
σP. Jede Linie stellt
das Mittel von zwei Versuchen dar.
Der Vergleich der Linien läßt erkennen, wie die Torsionselastizitätsgrenze
Textabbildung Bd. 322, S. 743
Fig. 3.Einfluß von Zugspannungen auf den Verlauf der Verdrehung beim
Drehversuch.
Material: Stahlrohre mit 25,4 mm
äußerem Durchm. und 1,2 mm Wandstärke; Größe der Zugspannungen σmax während des
Drehversuches; (einfacher Drehversuch), die Spannung an der
Proportionalitätsgrenze beim Zugversach bedeutet
bei den Stahlrohren heruntergedrückt wird, wenn die
gleichzeitig herrschenden Zugspannungen wachsen.
Textabbildung Bd. 322, S. 744
Fig. 4.Einfluß von Druckspannungen auf den Verlauf der Verdrehung beim
Drehversuch.
Material: Stahlrohre mit 25,4 mm
äußerem Durchm. und 1,2 mm Wandstärke-Größe der Druckspannungen – σmax während
des Drehversuches; (einfacher Drehversuch), die Spannung an der
Elastizitätsgrenze beim Druckversuch bedeutet
Die Ergebnisse der Dreh-Druckversuche zeigt Fig. 4.
Jede Linie stellt das Mittel aus zwei oder mehr Versuchen dar. Die Druckspannungen
betrugen für die Linien II–V : ⅓, ½, ⅚ und 6/6 der Spannung σ–P an der Druckelastizitätsgrenze.
Textabbildung Bd. 322, S. 744
Fig. 5.Einfluß von Drehspannungen auf den Verlauf der Durchbiegungen beim
Biegeversuch.
Material: Kohlenstoffstahl;
Rundstäbe von 38,1 mm Durchm. Größe der Drehspannungen τmax während des
Biegeversuches
Die Ergebnisse der Biege-Drehversuche mit Nickel- und Kohlenstoffstahl sind in Fig. 5 und 6
dargestellt. Fig. 5 enthält diejenigen für den
weichen Kohlenstoffstahl. Linie I zeigt das Ergebnis
des reinen Biegeversuches ohne Drehspannung. Bei den Versuchen Linie II, III und IV betrugen
die Drehspannungen 16,0, 21,3 u. 26,6 kg/qmm. Fig. 6
bringt die Ergebnisse für den Nickelstahl. Auch hier entspricht Linie I wieder dem einfachen Biegeversuch, und bei den durch
die Linien II-V dargestellten Versuchen betrug die
Drehspannung 10,6, 16,0, 21,3 und 26,6 kg/qmm.
Textabbildung Bd. 322, S. 744
Fig. 6.Einfluß von Drehspannungen auf den Verlauf der Durchbiegungen beim
Biegeversuch.
Material: Nickelstahl; Rundstäbe
von 38,1 mm Durchm. Größe der Drehspannungen τmax während des
Biegeversuches
Textabbildung Bd. 322, S. 744
Fig. 7.Einfluß von Nebenspannungen auf die Elastizitätsgrenze; Größe der
Nebenspannung; Biege-Drehversuch; Druck-; Zug; Dreh-Zug- und
Dreh-Druck-Versuch.
Fig. 7 zeigt, wie sich die Elastizitätsgrenzen für
die Hauptspannungen (Zug, Drehung und Biegung) durch das gleichzeitige Vorhandensein
einer Nebenspannung (Dreh-Zug-Druck-Drehspannung) ändert (heruntergeht). Die
Abszissen entsprechen den Größen der Nebenspannungen und die Ordinaten den hierbei
erzielten Werten der Elastizitätsgrenzen für die Hauptspannungen, ausgedrückt in
Hundertteilen des Wertes, wie er ohne Nebenspannungen erhalten wurde. Zur
Aufzeichnung der Linien sind auch die Ergebnisse der bereits früher besprochenen
Versuche mit herangezogen.
Schlußfolgerungen.
Aus den mitgeteilten Ergebnissen, s. auch Tab. 1 und 2, folgt:
1. Daß die Elastizitätsgrenze beim Drehversuch durch
gleichzeitig herrschende Zugspannungen sowohl, als auch durch gleichzeitig
herrschende Druckspannungen heruntergedrückt wird und zwar in beiden Fällen
annähernd gleich viel (s. auch Linie IV
Fig. 7).
2. Die Elastizitätsgrenze für Biegung (Linie I
Fig. 7) wird durch gleichzeitig herrschende
Drehspannungen ebenfalls heruntergedrückt. Die Veränderung scheint geringer zu
sein, als bei allen anderen untersuchten Fällen kombinierter Spannungen. Sie war
bei Nickelstahl etwas geringer als bei Kohlenstoffstahl.
3. Die Formänderung an der Elastizitätsgrenze ist bei den
Drehversuchen sowohl durch gleichzeitig herrschende Zug- als auch durch
Druckspannungen verringert.
4. Beim Biege-Drehversuch (Tab. 2) nimmt die Durchbiegung der
Stahlstäbe an der Elastizitätsgrenze mit wachsender Drehspannung ab. Der
Einfluß war bei dem Kohlenstoffstahl größer als beim Nickelstahl. Der Vergleich
von Fig. 5 und 6
zeigt, daß innerhalb der Elastizitätsgrenze die Durchbiegungen bei gleichen
Spannungen für Kohlenstoffstahl und Nickelstahl dieselben sind.
5. Der Elastizitätsmodul wird sowohl bei den Drehversuchen als
auch bei den Biegeversuchen durch Nebenspannungen verringert.
6. Die größte Schubspannung in irgend einem Querschnitt sollte
durch Versuche mit kombinierten Spannungen kontrolliert werden. In Tab. 3 sind
die berechneten größten Zug- und Schubspannungen q1 und Z,
sowie q2 und T, die größer sind als die Zug-Druck- und
Schubfestigkeit σP,
σ–P und τP des Materials an der Elastizitätsgrenze
fettgedruckt. Man sieht, daß in Uebereinstimmung mit den früheren Ergebnissen
die Werte für q1
und Z nur in wenigen Fällen größer sind als σP und σ–P, daß dagegen
q2 und T sehr oft größer ist als τP.
Tabelle 1.
Ergebnisse der Drehversuche mit Stahlrohren bei gleichzeitig
herrschenden Zug- oder Druckspannungen.
Textabbildung Bd. 322, S. 745
Nebenspannungen; Ergebnisse des
Drehversuches; Verhältniszahlen, die Ergebnisse des reinen Drehversuches gleich
100 gesetzt; Art; Größe; Elastizitätsgrenze; Verdrehungswinkel φ für die
Längeneinheit bei; Elastizitätsmodul; in Hundertteilen der Elastizitätsgrenze;
τP; φ; G; Zug; Druck
Tabelle 2.
Ergebnisse der Biegeversuche mit Rundstäben bei gleichzeitig
herrschenden Drehspannungen.
Textabbildung Bd. 322, S. 745
Drehspannung; Ergebnisse des
Biegeversuches; Verhältniszahlen, die Ergebnisse des reinen; Biegeversuches
gleich 100 gesetzt; Material; Elastizitätsgrenze; Elastizitätsmodul;
Durchbiegung a. d. Elastizitätsgrenze; Kohlenstoffstahl; Nickelstahl
Tabelle 3.
Zusammengesetzte Spannungen, berechnet nach den
verschiedenen Formeln.
q_1=\frac{1}{2}\,\left[\sigma+\sqrt{\sigma^2+4\,\tau^2}\right]; q_2=\frac{1}{2}\,\sqrt{\sigma^2+4\,\tau^2}; Z=\frac{m-1}{2\,m}\,\sigma+\frac{m+1}{2\,m}\,\sqrt{\sigma^2+4\,\tau^2}; T=\frac{m+1}{2\,m}\,\sqrt{\sigma^4+4\,\tau^2}.
Textabbildung Bd. 322, S. 746
Beobachtungswerte; Errechnete
Werte; Art der Versuche; Material; Art der Beanspruchung; Zug- oder
Druckspannung; Scherspannung; Zugspannung; Einfacher Zugversuch; Drehversuch;
Dreh-Zugversuche; Stahlrohre; Dreh- und Zugbeanspruchung, letztere;
Dreh-Druckversuche; Einfacher Druckversuch; Dreh- und Druckbeanspruchung,
letztere; Biege-Drehversuche; Einfacher Biegeversuch; Stahlstäbe; Biege- und
Drehbeanspruchung, letztere; Nickelstahlstäbe