Titel: | Der Zusammenbruch der Quebec-Brücke. |
Autor: | Haedicke |
Fundstelle: | Band 323, Jahrgang 1908, S. 74 |
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Der Zusammenbruch der Quebec-Brücke.
Der Zusammenbruch der Quebec-Brücke.
Am späten Nachmittag des 29. August 1907 – kurz vor Feierabend – erfolgte der
Zusammenbruch der im Bau begriffenen Brücke über den St. Lorenzstrom, 750 km
unterhalb der berühmten Niagara-Fälle. Die Länge des gewaltigen Bauwerkes war auf
986 m bemessen, wovon etwa die Hälfte bereits fertig war (s. Fig. 1). Die eigentliche Brücke bestand nach dem
Projekt aus einem Mittelbogen – nach dem Kragsystem zusammengesetzt – von etwa 430 m
Weite und zwei als Rückarme wirkenden Uferstücken. Letztere waren beide fertig. Von
dem Mittelbogen war die eine Hälfte auf etwa 223 m frei herausgebaut worden, also
über dem Strome schwebend. Kräftige Verankerungen hielten die Rückarme, als
Gegenhebel wirkend, nieder.
Der Zusammenbruch des frei herausragenden Trägerteiles fand statt, als der nicht
einmal voll beladene Bauzug auf diesem hinausfuhr, um neues Material an das
Ende desselben, die Baustelle, zu bringen.
Textabbildung Bd. 323, S. 73
Fig. 1.
Die sofort eingeleitete Untersuchung ist noch nicht abgeschlossen. Sie wird
jedenfalls volle Klarheit bringen. Indessen läßt sich manches jetzt schon auf Grund
der bisherigen Veröffentlichungen erörtern, ohne jener Untersuchung vorzugreifen.
Es ist nämlich bereits festgestellt worden, daß der Absturz des herausgekragten
Brückenteils eingeleitet wurde durch das Zusammenknicken des ersten Gliedes der
unteren Gurtung des Rückarmes am Pfeiler. Dieses auf Druck beanspruchte Stück
(Stütze) hatte eine freie Länge von etwa 17 ½ m und wurde im Augenblick des
Zusammenbruches mit 14,7 kg/qmm beansprucht. Man weiß ferner, daß sie auf dem
Transport gelitten hatte, vor dem Einbau ausgebessert wurde und nach dem Einbau eine
Durchbiegung von etwa 50 mm erkennen ließ.
Textabbildung Bd. 323, S. 74
Fig. 16.
Aus den vorliegenden Beschreibungen – nähere figürliche Einzelheiten sind noch nicht
veröffentlicht worden – ergibt sich das in Fig. 2 dargestellte Profil, wobei die
Achse A wagerecht zu denken ist. Es besteht aus vier
kräftigen, senkrechten Rippen, die je aus vier 25 mm starken Eisenplatten
zusammengesetzt und durch Deckplatten und Winkel oder ∪-Eisen miteinander zu einem Kastenträger verbunden worden sind. Die
Entfernung der Rippen voneinander ist nicht genau angegeben. Man weiß nur, daß die
beiden inneren Rippen näher aneinander stehen, als je zu den beiden äußeren. Unter
Voraussetzung gleichschenkliger Winkeleisen ergibt sich indessen der gezeichnete
Querschnitt, der vermutlich noch etwas kräftiger ist, als er in Wirklichkeit
war.
Bei näherer Besichtigung dieses für eine Stütze bestimmten Querschnittes tritt sofort
die Frage auf, ob denn die beiden Biegungs-Trägheitsmomente, zur Achse A und, senkrecht dazu, zur Achse B einander gleich seien, wie es eine Stütze im
allgemeinen verlangt.
Die Rechnung ergibt folgende Verhältniszahlen:
Achse A.
Trägheitsmoment der vier Rippen
9,07
der beiden Decken
2,22
––––
Zusammen:
11,29
Achse B.
Trägheitsmoment der beiden äußerenRippen
6,72
der beiden inneren
0,53
der beiden Seiten (Decken)
2,34
––––
Zusammen:
9,59
Diese zahlenmäßige Minderheit des Trägheitsmomentes B
läßt sich auf die Stellung der beiden inneren Rippen zurückführen, durch deren
größere Entfernung voneinander eine größere Zahl erreicht werden kann. Die Rechnung
ergibt nun, daß die beiden Trägheitsmomente (zu A und
zu B) zahlenmäßig gleich werden, wenn die beiden
inneren Rippen in der punktiert gezeichneten Lage ständen. Aber es ist in der
zugrunde liegenden Beschreibung ausdrücklich angegeben, daß der Abstand der inneren
beiden Rippen voneinander geringer sei als der von den äußeren.
Man könnte fast geneigt sein, anzunehmen, daß ein Irrtum in dem betr. Bericht
vorläge.
Aber selbst, wenn man diesen Fehler in dem Bericht als solchen annehmen und die
punktiert gezeichnete Stellung der inneren Rippen als richtig ansehen will, so
erscheint die Qualität der verschiedenen Querschnitte bezw. der aus ihnen
errechneten Zahlen doch noch bedenklich.
Für die Achse A kommt das Material der vier wenn auch
aus Platten zusammengesetzten Rippen voll zur Geltung unter der Voraussetzung, daß
die Vernietung der Winkeleisen tadellos sei. Immerhin ist eine Versteifung der
vier Rippen gegeneinander erforderlich. Sie ist aber auch vorhanden und zwar in Form
einer aus Winkeleisen von 100 bezw. 89 × 76 × 10 mm hergestellten und 5 fach
eingebauten Verstrebung. Es ist vielleicht trotz der etwas schwach erscheinenden
Profile anzunehmen, daß diese Verstärkungen imstande gewesen wären, ihren Zweck zu
erfüllen, wenn alles normal verlaufen wäre.
Dagegen tritt bei B eine auffallende Minderwertigkeit
der Konstruktionsteile, auf Biegung berechnet, in die Erscheinung. Ganz abgesehen
davon, daß die beiden inneren Rippen so nahe zur neutralen Schicht liegen – auch für
die punktiert angenommene Lage – daß das Material nur schwach ausgenutzt wird (1 :
7,9 bezw. 1 : 4) erscheint der Wert der jetzt als Rippen wirkenden Seitendecken,
also auf Hochkantbiegung beansprucht, sehr fraglich. Der innere Teil besteht aus
sieben eventl. acht Formeisen, die, in der genannten Weise beansprucht, einen Ersatz
für volles Material nicht bieten können, und die beiden übrig bleibenden Platten
können selbst unter Berücksichtigung der versteifenden Formeisen als für
Hochkantbiegung gültige Organe nicht angesehen werden. Sie sind als Konstruktions-
bezw. Verbindungsteile aufzufassen, die der vorsichtige Rechner wohl bei reinem
Druck oder Zug, nicht aber bei Biegung heranziehen wird.
Man hat daher den diesbezüglichen Zahlenwert abzusetzen, so daß sich das
Trägheitsmoment B auf 7,24 (8,44) bemißt, also zu 0,616
– für die punktierte Lage der Rippen 0,74 – der Bewertung für A.
Denkt man sich ferner die 17 ½ lange Stütze zur Achse B
gebogen, wie es beim Knicken stattfindet, so wollen sich die beiden äußeren Rippen
einander nähern. Hieran werden sie nur an den beiden äußeren Kanten, durch die
Winkeleisen verhindert, unterstützt freilich durch die oben genannte schwache (10
mm) innere Versteifung, die aber dieser Aufgabe wohl kaum gewachsen sein kann. Auch
die Tatsache, daß die Stütze auf dem Transport gelitten hat – wahrscheinlich doch
durch Verbiegung infolge des eigenen Gewichtes – sowie vor allem der Befund der beim
Zusammenbruch S-förmig zusammengebogenen Stütze – scheint
dieser Auffassung Recht zu geben.
Es bleibt nun noch zu untersuchen, welchen Einfluß dieser Fehler des gebrochenen
Untergurtgliedes gehabt haben kann.
Nach den Berichten hat dies Glied eine Ausbiegung von etwa 5 cm erkennen lassen.
Ebenso wird berichtet, daß es im Moment des Zusammenbrechens einem Druck von 14,7
kg/qmm ausgesetzt gewesen ist. Zu dieser Beanspruchung trat nun noch das
Biegungsmoment, welches sich aus dem Druck von 7350 t und der Ausbiegung von 0,05 m
berechnen läßt. Es ergibt sich eine Spannung von ± 2,85 kg/qmm, so daß also auf der
äußeren Seite eine solche von 17,55 und auf der inneren 11,87 kg wirksam gewesen
sind. Es ist dies immerhin nicht wenig,Dem
Material wird eine Festigkeit von 40 kg/qmm zugesprochen. aber
doch nicht genug, um einen Bruch zu erklären, wohl aber, um einen solchen
einzuleiten. Die Knickung bildete die schwächste Stelle der Konstruktion, welche an
sich bereits nicht geeignet war, den Ansprüchen zu genügen.
Aber bei allem Unglück kann man es vielleicht als ein Glück bezeichnen, daß es so
gekommen ist und daß man nicht, wie es bei der Kaiser Wilhelmbrücke (Müngsten)
geschehen ist, und wie es bei dem jetzigen Bau der East River-Brücke (New York)
geschieht, Stützkonstruktionen für die Bauzeit verwendete. Diese hätten freilich den
Unfall beim Neubau verhüten können. Aber es ist jetzt wohl mit Sicherheit zu sagen,
daß ein solcher eintreten mußte, sobald die Konstruktion geschlossen und die Stützkabel entfernt
gewesen sein würden, denn bei der erstgenannten Brücke trat eine Entlastung ein in
dem Moment der Vereinigung der beiden frei gegeneinander hinausgebauten Bogenteile,
die sich nunmehr gegeneinander stützten. Bei der Quebec-Brücke hätte die Vereinigung
im Sinne der Bauart keine Entlastung bewirken können. Die Beanspruchung der
Untergurtung wäre bei voller Belastung der Brücke noch wesentlich größer gewesen und
der Zusammenbruch hätte eventl. unter wesentlich unglücklicheren Verhältnissen
stattfinden können.
Die Verwendung des Bleches als Rohmaterial für die Herstellung von
Konstruktionsteilen, wie in diesem Fall von Trägern, die man sonst massiv
herzustellen gewohnt war, hat in der letzten Zeit zugenommen. Es liegt hier eine
Veranlassung vor, diesem Punkt näher zu treten.
Wird ein lediglich auf Zug beanspruchtes Organ aus Teilen zusammengesetzt, so ist,
wenn die Teile, wie bei einem Seil, einheitlich durch die ganze Länge gehen,
bekanntlich nur dafür Sorge zu tragen, daß sie alle gleichmäßig zur Beanspruchung
gelangen. Sind sie gestückt, so müssen hierbei dieselben Grundsätze beachtet werden,
die beim Bau der Dampfkessel Geltung haben.
Wird das Organ nur auf Druck, unter Ausschluß des Knickens, beansprucht, so werden
die Bedingungen noch erleichtert. Sobald aber, wie bei längeren Stützen, eine
Biegung in Rücksicht zu ziehen ist, kommt außer dem bei der Zugbeanspruchung
gesagten noch ein neuer Umstand in Rücksicht: der seitliche Zusammenhang der Teile.
Dasselbe findet naturgemäß statt, wenn das Organ, als Träger, auf Biegung
beansprucht wird.
Von diesem Standpunkt aus kann die Art der Zusammensetzung, z.B. des hier
vorliegenden Trägers aus Blechen mit Rücksicht auf die Achse A insoweit als einwurfsfrei angesehen werden, als die Rippen durch
entsprechende Seitenstützung am Ausweichen durchaus gehindert werden.
Für die Biegung zur Achse B hingegen ist es offenbar
nicht gleichgültig, und dies namentlich für die inneren beiden Rippen, ob die Bleche
einfach aufeinander gelegt bezw. nur an den Kanten, also indirekt miteinander
verbunden oder ob sie so fest miteinander vernietet sind, daß eine gegenseitige
Verschiebung, ein Gleiten aufeinander, durchaus verhindert wird. Der Konstrukteur
hat also nicht nur mit den Querschnittszahlen zu tun, welche ihm das Trägheitsmoment
ergeben, sondern auch mit dem technischen Wert der Einzelstücke. Die Ersteren sind
für einen massiven und für einen vollen, aus Blechen zusammengesetzten Träger
dieselben. Dieser Umstand kann aber leicht zu einem verhängnisvollen Fehler führen.
Denn der technische Wert der Einzelstücke ist offenbar nur dann ein voller, wenn die
Vernietung so sorgfältig durchgeführt ist, daß die Platten ebenso fest gegen Gleiten
aneinander haften, wie die Fasern beim vollen Material.
In dieser Beziehung ist schon so manchmal gefehlt worden und auch in dieser Beziehung
erscheint die Konstruktion der Träger der Quebec-Brücke nicht einwurfsfrei.
Haedicke.