Titel: | Wirkungsweise und Antrieb der Eisenbahn-Geschwindigkeitsmesser. |
Autor: | Hans A. Martens |
Fundstelle: | Band 323, Jahrgang 1908, S. 274 |
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Wirkungsweise und Antrieb der
Eisenbahn-Geschwindigkeitsmesser.
Von Regierungsbaumeister Hans A.
Martens.
Wirkungsweise und Antrieb der
Eisenbahn-Geschwindigkeitsmesser.
Wirkungsweise.
Es soll nach Bauart und Wirkungsweise eine Anzahl von Fahrgeschwindigkeitsmessern
kritisch besprochen werden, die als die bemerkenswertesten Vertreter der einzelnen
Gattungen angesehen werden können. Die Beschreibung der Bauart der Apparate wird nur
soweit erfolgen, als es zum Verständnis einer Kritik derselben nötig erscheint.
Folgedessen sind die beigegebenen Darstellungen einzelner Bauarten nur schematisch
gehalten worden. Für die Wirkungsweise werden mathematische Ausdrücke nur soweit
abgeleitet, als sie einen klaren Einblick in jene gewähren und den Einfluß einzelner
Glieder der Apparate bezüglich der Inkonstanz wesentlicher Vorbedingungen als
Fehlerquelle für die Anzeige besser erkennen lassen. Im übrigen hängt die
Brauchbarkeit eines Geschwindigkeitsmessers keineswegs von der Bedingung ab, daß für
ihn eine mathematische Gleichung über die Kräfte und Bewegungsverhältnisse
abgeleitet werden kann; oder mit anderen Worten, daß die Skala des Zeigerwerks
rechnerisch bestimmt werden kann. Man hat es von jeher vorgezogen, die Skala
empirisch festzulegen, was sich durchaus bewährt hat, weil eben durch den Versuch
bei Festlegung der Skala mancherlei Veränderungen in den Kräfte- und
Bewegungsverhältnissen Rechnung getragen wird, die sich durch die mathematische
Ableitung nicht der Wirklichkeit entsprechend berücksichtigen lassen.
Nichtsdestoweniger haben sich die Theoretiker mit der Theorie der
Geschwindigkeitsmesser beschäftigt, z.B. hat Grashof in
seiner „Theoretischen Maschinenlehre“ für Zentrifugaltachometer mathematische
Entwicklungen gegeben.
Die Bauart der Fahrgeschwindigkeitsmesser hat sich im wesentlichen nach zwei
Richtungen entwickelt: Die ältere gründet sich auf die unmittelbare Ausnutzung von
Kräftewirkungen infolge von Bewegung und führte zu den Geschwindigkeitsmessern,
welche die Fliehkraft umlaufender fester Massen als Maß für die Fahrgeschwindigkeit
verwendeten. Um das Werk zwischen den Schwungmassen und dem Zeiger des Apparates zu
vermeiden, wurden Flüssigkeiten als Schwungmassen verwendet, deren Stellung in einem
Steigrohr als unmittelbares Maß für die Fahrgeschwindigkeit gilt. Eine andere
Ausnutzung der Kräftewirkung, die bei der Drehung stromführender Leiter in einem
magnetischen Kraftfelde auftritt, zeigen die neueren elektrischen
Fahrgeschwindigkeitsmesser. Die Verwertung reiner Bewegungserscheinung findet in den
sogen, zwangläufigen Geschwindigkeitsmessern statt, bei denen ein mit dem Treibwerk
der Lokomotive verbundener Teil des Apparates Bewegungen ausführt, deren Größe in
gleichmäßig aufeinander folgenden Zeitabschnitten gemessen wird.
Neben diesen drei großen Gruppen von Fahrgeschwindigkeitsmessern bestehen noch
einige, die sich nicht in die genannten streng einreihen
lassen und die auch nicht die Bedeutung jener für die vorliegende Frage erlangt
haben. Dahin gehört z.B. die Bauart, die den von der Hubzahl abhängigen Wasserdruck
einer vom Lokomotivtreibwerk bewegten Drillings- oder Differentialpumpe als Maß der
Fahrgeschwindigkeit betrachtet (Bauart Pfeil 1895 und
Pouget-Guillet 1894). Mit gutem Grunde sind die
Apparate grundsätzlich von der Besprechung ausgeschlossen worden, die die
Fahrgeschwindigkeit nur aufzeichnen und nicht dem Lokomotivführer sichtbar machen.
Ihnen fehlt eben ein Kriterium eines Fahrgeschwindigkeitsmessers.
Die kritische Darstellung einiger Geschwindigkeitsmesser erfolgt in folgenden Gruppen
gegliedert:
A. Fliehkraft-Geschwindigkeitsmesser.
B. Zwangläufige “
C. Elektrische „
A. Fliehkraft-Geschwindigkeitsmesser.
1. Bauart Finckbein & Schäfer 1878.
Fig. 1–3.
Textabbildung Bd. 323, S. 273
Fig. 1.
Ein astatisch an wagerechter Welle aufgehängtes Schwungkugelpaar wird durch
Riementrieb unter Vermittlung einer Blindachse in Umdrehung versetzt. Die erzeugte
Fliehkraft wird durch eine Feder gegengewogen, deren anfängliche Spannung nur so
groß ist, um das Massensystem bei Stillstand in die Ruhelage zu ziehen. Der
Angriffspunkt der Feder ist verschiebbar angeordnet, um den verschiedenen
Raddurchmessern Rechnung zu tragen. Bei kleiner werdenden Raddurchmessern wird die
Fliehkraft
infolge größerer Umdrehungszahl bei gleicher absoluter Fahrgeschwindigkeit größer:
Der Apparat würde also zu hohe Werte zeigen. Durch die Wirkung gleicher
Federspannung an größerem richtig eingestelltem Hebelarm wird daher der Apparat
richtig zeigen.
Ein eigentlicher Zeiger ist nicht vorhanden, da die jeweilige Geschwindigkeit von der
Stellung der Schreibstifte unmittelbar abgelesen wird. Die Geschwindigkeitskurve
wird auf einer Scheibe, die sich in vier Stunden einmal um die Achse dreht,
aufgezeichnet. Die km/Std. Kreise auf der Scheibe sind nach Versuchen bestimmt. Die
Nullinie ist der äußerste Kreis, der Schreibstift bewegt sich radial. Der Apparat
kann bis 80 km/Std. anzeigen.
Textabbildung Bd. 323, S. 274
Der zurückgelegte Weg wird ermittelt, indem die Geschwindigkeiten aller Minuten
addiert und durch 60 dividiert werden.
Der Apparat, von Schäffer & Budenberg hergestellt, war an einer Lokomotive der Saarbrückener Bahn 1876
eingebaut und in Brüssel ausgestellt. Die Eisenbahn-Direktion Saarbrücken hat sich s. Z. gutachtlich über die
Wirkungsweise geäußert.
Die Gleichgewichtsbedingung für den Geschwindigkeitsmesser lautet: für mittleren
reibungslosen Gleichgewichtszustand:
\frac{C}{2}= Fliehkraft eines
Schwungkörpers.
G = Gewicht eines Schwungkörpers.
c = Geschwindigkeit des
Schwungkörpers.
g =9,81 Beschl. der Schwere.
Es ist
\frac{C}{2}=\frac{G}{2}\,\cdot\,\frac{c}{r\,g};\
r=l\,\cdot\,\sin\,\alpha.
\frac{C}{2} zerlegt in die beiden Seitenkräfte in Richtung und zu
l.
Die letztere wirkt um 0 auf Drehung:
D=\frac{G}{2}\,\frac{c^2}{r\,g}\,\cdot\,\cos\,\alpha=\frac{G\,c^2}{2\,l\,g}\,\cdot\,\mbox{cot}\,g\,\alpha.
Gegen D wirkt die Federkraft, proportional zum Wege x des Hebelendes S und die
Reibungskraft R aller Gelenke: die Federkraft unter
Berücksichtigung der Hebellängen ist
=F\,x\,\cdot\,\frac{l_1\,\cdot\,l_3}{l_2\,\cdot\,l}, so
besteht die Gleichung:
F\,x\,\cdot\,\frac{l_1\,\cdot\,l_3}{l_2\,\cdot\,l}+R=2\,D=\frac{G\,\cdot\,c^2}{l\,\cdot\,g}\,\mbox{cot}\,\alpha,
worin x, c, cot α und R veränderlich sind
und zwar:
cot a = ∾
für α = 0,
c = 0
für c = 0,
cot α = 0
für α = 90°,
woraus folgt, daß nur bestimmte Werte von α praktisch brauchbar sind, was mit den Versuchen
übereinstimmt, die nur die ∡ 35–65° als solche ergeben haben.
Durch die der Rechnung nicht zugängige Veränderlichkeit der Reibung wird eine
Ungenauigkeit in den Apparat hineingebracht. Auch die Unbeständigkeit der
Federspannung ruft mit der Zeit veränderliche Anzeige hervor, so daß eine
vollständig gleichbleibende, zuverlässige Anzeige von dem Apparat nicht erwartet
werden kann. Deswegen wird auch die Zifferblatteinteilung durch Versuch bestimmt.
Unter einer bestimmten Geschwindigkeit zeigt der Apparat überhaupt nicht mehr an, da
dann die Fliehkraft der Schwungkörper nicht ausreicht, die Federkraft zu überwinden.
Um diesen Uebelstand für die Prüfung der Zugfahrt zu beseitigen, bewegt eine Nase
der Apparatwelle einen Hebel, der seinerseits unter 5 km Geschwindigkeit dem
Schreibstift eine hin- und hergehende Bewegung erteilt, wodurch bei jeder
Radumdrehung scharfe Linien auf dem Diagramm entstehen, so daß dadurch die
Aufenthalte scharf zur Darstellung gelangen können.
Textabbildung Bd. 323, S. 274
Fig. 4.
Der verbesserte Apparat, Bauart Finckbein & Schäfer, weist neben dieser Vorrichtung noch einen
besonderen Zeiger auf, so daß die Geschwindigkeit von ihm und nicht mehr vom
Diagramm abgelesen wird. An Stelle der Scheibe ist ein Diagrammstreifen
getreten.
2. Bauart Klose 1879.
Fig. 4–6.
Die Fliehkraft eines astatisch aufgehängten Körpers wird durch eine Feder
gegengewogen, die hierdurch gemäß ihrer Spannung die Stellung eines Zeigers
beeinflußt.
Textabbildung Bd. 323, S. 274
Der Schwungkörper ist anders gestaltet wie bei Finckbein
& Schäfer. Er ist als Scheibe oder Ring ausgebildet und in der
entsprechend ausgebildeten Achse aufgehängt. Der Schwungkörper hat in seiner
mittleren Normalebene durch die Rotationsebene einen Schlitz, in dem die Zugstange
l1
l angelenkt ist, die den Punkt l1 stets in der Rotationachse verschiebt
und dort auf eine Feder wirkt, die der Fliehkraft des Schwungkörpers das
Gleichgewicht hält: Stellung des Punktes l1 wird zur Ablesung und Aufzeichnung benutzt. Form
und Größe der Lenkerstange l1
l ist so gewählt, daß ihr Schwingungsmittelpunkt genau
in d fällt, und Form und Ausschnittgröße ist derart,
daß die Fliehkraftwirkung des Lenkers im Punkt d genau
die Schwungmasse des Ausschnitts ersetzt. Gegenlenker führt l1 zwangläufig. Ausführung der Apparate
sowohl mit wagerechter als auch senkrechter Drehachse. Antrieb durch
Schlitzkurbel.
Dem Apparat werden sehr ruhige Anzeige und sehr genaue Kurven nachgesagt. Er ist
preisgekrönt vom Vereine deutscher Eisenbahnverwaltungen.
Die Gleichgewichtsbedingungen ergeben sich in ähnlicher Weise wie bei der Bauart
Finckbein & Schäfer. Beiden Apparaten haften dieselben Fehlerquellen an.
3. Geschwindigkeitsmesser für drehende Wellen, Dr. Braun
1880.
Dieser Apparat ist zunächst nur für Eisenbahnen empfohlen worden und dem Verfasser
ist nicht bekannt geworden, ob er auch wirklich probeweise an Lokomotiven angebaut
worden ist. Da jedoch in neuerer Zeit dies Prinzip wieder aufgenommen ist, für
Automobile Anwendung gefunden hat und für Eisenbahnen ebenfalls angeboten wird, so
soll es kurz gewürdigt werden namentlich wegen seines großen Vorzuges, der in der
Darstellung eines beliebigen Empfindlichkeitsgrades besteht; letzteren kann man so
regeln, daß es nicht möglich ist, auch nur 2 Sekunden lang den Stand auf gleicher
Höhe zu halten bis zu solcher Trägheit, daß er nur die mittlere Geschwindigkeit
einer Minute anzeigt, selbst wenn Schwankungen von 50 v. H. vorkommen. Die Ablesung
ist bis auf 1 v. H. genau. Da viele Apparate daran kranken, daß sie entweder zu
empfindlich – unruhige Anzeige – oder nicht empfindlich genug sind – zu träges
Folgen bei Geschwindigkeits-Aenderungen – so ist in der Bauart Braun ein Vorzug zu erblicken. Die Unterhaltung
ist fast kostenlos, da nur drehende Teile und keine abnutzenden, keine Federn, keine
Hebel oder Zapfen vorhanden sind.
Bei Drehung des Apparates halten sich das Gleichgewicht, Fliehkraft und Schwere einer
Flüssigkeit, die in einem allseitig geschlossenen Glasrohr eingeschlossen ist, das
aus drei senkrechten Schenkeln besteht, die durch zwei wagerechte verbunden sind.
Das Glasrohr enthält soviel Alkohol oder eine andere Flüssigkeit, daß die drei
Senkrechten und die untere wagerechte gefüllt wird. Bei Drehung um die Mittelachse
sinkt die Flüssigkeit im mittleren senkrechten Schenkel, da in dem wagerechten die
Fliehkraft sich äußert.
Ein solcher Apparat ist Störungen nicht ausgesetzt, kann nicht beeinflußt werden in
seiner Wirkung, da er geschlossen ist. Die Radabnutzung läßt sich stufenweise im
Antrieb berücksichtigen und ausgleichen. Die Ablesung ist für Betriebszwecke
genügend genau genug. Diagrammaufnahme ist ausgeschlossen.
Es wird eine Frage der Zeit sein, ob derartige Apparate wegen ihrer Vorzüge nicht
noch einmal ihren Eroberungszug im Eisenbahnwesen unter bestimmten
Betriebsverhältnissen machen.
(Fortsetzung folgt.)