Titel: | Der heutige Stand der Motorfahrräder. |
Autor: | Oscar Koch |
Fundstelle: | Band 323, Jahrgang 1908, S. 346 |
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Der heutige Stand der Motorfahrräder.
Von Oscar Koch,
Groß-Lichterfelde West.
(Fortsetzung von S. 334 d. Bd.)
Der heutige Stand der Motorfahrräder.
b) Einzylindrige „schwere“
Fahrzeuge.
Den Uebergang vom leichten zum schweren Motorrad bildet das 2 ½ PS-Fahrzeug der Wanderer Fahrradwerke (Fig.
29). Es stellt eine Tourenmaschine dar, deren Kraftleistung (50 km i. d.
Stunde) im Vergleich zu den kleinen Abmessungen des Motors und dem mäßigen
Gesamtgewicht von etwa 62 kg eine gute zu nennen ist.
Der Rahmen und der Motor sind dieselben wie bei Fig.
27 S. 333, nur ist ersterer langgestreckter gebaut, so daß das Fahrzeug
etwas über 2 m Länge hat, während beim Motor, der hier 70 mm Bohrung und 80 mm Hub
hat, die Vorgelegescheibe fortfällt, und an ihre Stelle wieder die gewöhnliche, auf
die Motorwelle aufgekeilte Riemenscheibe in Anwendung kommt.
Der Größe und Leistung entsprechend ist auch der Behälter für Oel (2 l) und Benzin
(7,5 l) vergrößert.
Auch die Progreß Motoren- und Apparatebau G. m. b. H. in
Charlottenburg baut jetzt Motorzweiräder von 2 ½ PS, nennt sie aber ausdrücklich
keine „leichte Motorräder“, sondern „das kleine Motorrad“ (Fig. 30). Der Motor hat ein Hubvolumen von nur 74 × 80, verstellbare
magnet-elektrische Abreißzündung (s. D. p. J. 1906, 321, S. 381, Fig. 88) und ist mit Oberflächenvergaser ausgestattet (D. p.
J. 1903, 318, S. 622, Fig. 52).
Ebenfalls 2 ½ PS hat das Fahrzeug von Joh. Puch in Graz,
dessen Rahmen in Fig. 9, S. 314 dargestellt ist. Der Motor ist nur leichter gebaut als
derjenige D. p. J. 1906, 321, S. 380, Fig. 86, jedoch ist
seine Regelung usw. dieselbe wie dort.
Ein etwas schwereres Fahrzeug stellt Fig. 31 dar, das
von der Köln-Lindenthaler Metallwerke A.-G. hergestellt
und mit dem 2 ¾ PS-F. N.-Motor versehen ist (D. p. J.
1903, 318, S. 620). Zum Fahren in der Ebene und zum
Nehmen mittlerer Steigungen reicht dieser Motor vollkommen aus. Um dieses Motorrad
auch zum Befahren großer Steigungen verwenden zu können, ist in der Hinterradnabe
außer dem Leerlauf und der Bremse ein Geschwindigkeitsgetriebe mit zwei
verschiedenen Uebersetzungen eingebaut. Das Getriebe, welches in einem späteren
Abschnitt noch eingehend erläutert werden soll, wird durch den auf der Figur
ersichtlichen, in einem Zahnsegment einstellbaren Hebel vom Sitz aus betätigt.
Durch zwei weitere am oberen Rahmenrohr angelenkte Hebel wird der Motor
bedient, und zwar hebt der linke beim Anfahren das Auspuffventil, während der rechte
die Zündung ausschaltet und gleichzeitig bremst.
Textabbildung Bd. 323, S. 346
Fig. 29.Motorzweirad der Wanderer-Fahrradwerke.
Eine recht gefällige Type der Herkules Fahrradwerke
veranschaulicht Fig. 32. Ein
Geschwindigkeitsgetriebe ist hier nicht vorgesehen, da der 3 PS-Fafnir-Motor (D. p. J. 1905, 320, S. 313) immer noch beträchtliche Steigungen des Weges ohne
Hilfsmittel bewältigen kann.
Für 70 km Fahrgeschwindigkeit i. d. Stunde stellt Puch
ein Fahrzeug mit 68 kg her. Der 3 ½ PS-Motor hat 80 mm Bohrung, 100 mm Hub und ist
schon in D. p. J. 1906, 321, S. 380 dargestellt.
Einen vollständig von den bisherigen Konstruktionen abweichenden Rahmen hat das 3 ½
PS-Fahrzeug (Fig. 33), das von der Deutschen Motorfahrzeugfabrik G. m. b. H. unter dem
Namen „Bergfex“ hergestellt wurde. Während das hintere Rahmendreieck gänzlich
fehlt, ist die obere und untere Hinterradgabel verstellbar angeordnet, so daß durch
Vor- oder Rückwärtsschieben derselben Strecken (Antrieb) oder Durchhängen des
Riemens (Leerlauf) erfolgt. Diese Verschiebung ist dadurch ermöglicht, daß die obere
Hinterradgabel a mit ihrem einen Ende bei b gelenkig mit dem oberen Rahmenrohr c, mit ihrem unteren Ende dagegen bei d an die bewegliche Gabel e angelenkt ist. Diese Gabel e trägt an ihren
Enden Zapfen f, die sich in dem unteren Rahmenrohre g verschieben lassen. Dieses geschieht mittels Hebels
h, der an die bewegliche Hinterradgabel e angreift und am Rahmenrohr g bei i seinen Drehpunkt hat.
Beim Ingangsetzen wird der Riemen zuerst gespannt und das Fahrzeug wie beim Leerlauf
üblich auf dem Ständer angetreten. Sobald der Motor im Gang ist, wird der Riemen
entspannt (Hebel h in der punktierten Stellung), wobei
die Zapfen f in den Hülsen g nach vorn gleiten; der Radstand wird also kleiner, und da der Riemen
durchhängt, läuft der Motor leer.
Textabbildung Bd. 323, S. 346
Fig. 30.Motorzweirad der Progreß-Motoren- u. Apparatebaugesellschaft. m.
b. H.
Um sicher zu verhindern, daß der lose auf beiden Scheiben aufliegende Riemen die
Riemenscheibe m bewegt, ist am unteren Rahmenrohr g der Bremsklotz l
angebracht, an den sich das Hinterrad resp. dessen Riemenscheibe m anlegt. Soll angefahren werden, so wird der Riemen
wieder gespannt, der Radstand wird also größer, wobei sich das Hinterrad vom
Bremsklotz entfernt.
Textabbildung Bd. 323, S. 346
Fig. 31.Motorzweirad der Köln-Lindenthaler Metallwerke A.-G.
Die übrige Anordnung bietet nichts Neues. Der Motor ist die bekannte N. S.U. Type (D. p. J. 1905, 320,S. 314, Fig. 38 und 41).
Fig. 17 S.
314 stellt die Ausführungsform dieses Rahmens für ein 1 ¾ PS-Fahrzeug dar. Der
Magnetapparat sitzt nicht, wie bei Fig. 33, hinter
dem Kurbelgehäuse, sondern auf einer Brücke hinter dem Zylinder. Diese Anordnung
bedingt wieder den Antrieb des Ankers ähnlich dem in Fig.
21a S. 331 gezeigten zu wählen, während bei Fig.
29, 30, 31–33 Stirnräderantrieb zur Anwendung
gelangt. Von den bisherigen Anordnungen des Motors und seiner Organe weicht das
Fahrzeug Fig. 34 von Laurin
& Klement in Jungbunzlau (Böhmen) vollständig ab. Der
Motor steht sehr hoch, was den Vorteil bietet, daß seine Regulierung teils
unmittelbar an ihm selbst, teils durch den links an der Lenkstange angebrachten
Hebel vorgenommen werden kann. Letzterer ist an einer am Lenkstangengriff sitzenden,
gezahnten Feder einstellbar und wirkt auf den am Rahmenrohr drehbaren Hebel, der die
verschiedenen Regulierungsgestänge trägt.
Textabbildung Bd. 323, S. 347
Fig. 32.Motorzweirad der Herkules Fahrradwerke.
Senkrecht unter dem Motor liegt der Magnetapparat in einer Ausbauchung des Rahmens
und wird mittels Kette angetrieben. Der Rahmen selbst ist durch die senkrechte
Versteifungsstrebe in zwei Teile geteilt, deren vorderer vom Motor vollständig
ausgefüllt wird. Im hinteren Teil befindet sich der Oberflächenvergaser, dessen
Behälter für 120 km Fahrt Brennstoffvorrat aufnimmt.
Mit einem 3 PS-Motor kann die Fahrgeschwindigkeit von 10–50 km, mit einem 3 ½
PS-Motor sogar bis zu 60 km i. d. Stunde gesteigert werden. Der Brennstoffverbrauch
stellt sich dabei etwa auf 1 Liter für 25 km. Das Gesamtgewicht des 3 PS-Fahrzeuges
beträgt 50 bis 60 kg, dasjenige des 3 ½ pferdigen 60–63 kg.
Textabbildung Bd. 323, S. 347
Fig. 33.Motorzweirad-Bergfex.
Nach denselben Prinzipien baut diese Firma ein 3 ½ PS-Fahrzeug mit wassergekühltem
Motor (Fig. 35). Der Wasserbehälter, dessen Vorrat
für etwa 80 km ausreicht, befindet sich hinter dem Steuerrohr, während der
Kühler vor demselben angebracht ist, was genügende Abkühlung des Wassers
gewährleistet.
Textabbildung Bd. 323, S. 347
Fig. 34.Motorzweirad von Laurin & Klement.
Textabbildung Bd. 323, S. 347
Fig. 35.Wassergekühltes Motorzweirad von Laurin & Klement.
Aus Fig. 35 ist auch der am oberen Rahmenrohr
drehbare Hebel zu ersehen, durch den das Auspuffventil angehoben, die Vergasung
reguliert und die Zündung eingeschaltet wird. Die Fahrgeschwindigkeit wird durch den
im Ansaugrohr eingeschalteten Drosselhahn geändert, für dessen Betätigung kein
Gestänge nötig ist, da er, wie aus Fig. 34
ersichtlich, in Höhe des oberen Rahmenrohres liegt.
Das Gesamtgewicht ist etwa 68 kg, während die Höchstgeschwindigkeit wie beim
luftgekühlten Motor 60 km beträgt.
Dieselbe Regulierung besitzt das Laurin & Klementsche Damenzweirad (s. Fig. 15 S. 314); es
unterscheidet sich vom Herrenzweirad nur dadurch, daß der Vergaser aus dem hinteren
Teil des Rahmens fortgenommen und hinter das Sattelstützrohr verlegt ist. Der Riemen
ist durch ein Gehäuse umschlossen und wird mittels Spannrolle niedergedrückt. Diese
Rolle wirkt auf den oberen Riementeil (ziehender Teil) ein, wodurch trotz der hohen
Lage des Motors ein so großer Raum gewonnen wurde, daß die Fahrerin seitlich wie bei
einem Tretrade auf- und absteigen kann.
Textabbildung Bd. 323, S. 348
Fig. 36.Motorzweirad von Könnecke.
Eine Neukonstruktion stellt das sogen. „Universal-Motorrad“ von P. Könnecke in Schweinfurt a. M. dar (Fig. 36). Dieses Fahrzeug soll berufen sein die
fortwährenden Erschütterungen, die der Motorradfahrer gegenüber dem Kraftwagenfahrer
zu erleiden hat, sowie die mit dem Sattel und den Pedalen verbundenen
Unannehmlichkeiten zu beseitigen. Erreicht soll dieses durch den von C-Federn getragenen Sesselsitz werden, dessen Abstand
vom Erdboden nur 65 cm beträgt. Die C-Federn sind
unterhalb der Radnabe mit dem Rahmen verbunden und da außerdem nicht nur der Motor
sehr tief gelagert ist, sondern auch das gesamte auf dem Hinterrad lastende Gewicht
auf dem nur 15 cm über dem Erdboden befindlichen Rahmenrohr ruht, so kann der Fahrer
jederzeit leicht das Gleichgewicht halten, ohne auf bequeme Körperhaltung verzichten
zu müssen.
Textabbildung Bd. 323, S. 348
Fig. 39.Motorzweirad von Laurin & Klement.
Nun befindet sich ebenfalls möglichst tief rechts und links vom Motor je ein großes
Trittbrett. Sie sind an ihrem hinteren Ende drehbar, während sich das vordere
Ende auf eine Schraubenfeder stützt. Wie beim Motorwagen sind diese
Trittbretter mit zwei Fußhebeln versehen, von denen der eine auf den Leerlauf, der
andere auf die Bremse wirkt. Infolge der Abfederung geben die Trittbretter den Füßen
den gleichen ruhigen Halt wie der feste Boden eines Wagens.
Die beiden Lenkstangenarme sind durch Zwischenrohr miteinander verbunden, in dessen
Mitte ein dritter Griff vorgesehen ist. Dieser ermöglicht es dem Fahrer, mit einer
Hand die Lenkung zu bewerkstelligen.
Die Ingangsetzung des Motors erfolgt durch Handankurbelung.
Infolge der Rahmenkonstruktion konnte der Auspufftopf sehr große Abmessungen
erhalten, wodurch die Abgase fast geräuschlos abziehen.
c) Zweizylindrige
Fahrzeuge.
Textabbildung Bd. 323, S. 348
Fig. 37.Motorzweirad von Dufaux & Cie.
Textabbildung Bd. 323, S. 348
Fig. 38.Antrieb des Magnetapparates zu Fig. 37.
Trotz zweier Zylinder ist das 2 ¼ PS-Fahrzeug (Fig.
37) von Dufaux noch ein leichtes zu nennen,
da sein Gesamtgewicht nur 39 kg beträgt. Der Schwerpunkt ist wie bei dem Damenrad,
Fig. 28 S. 333, sehr tief gelegt und auch hier
sind die einzelnen Organe so gruppiert, daß das Fahrzeug einen einfachen Eindruck
macht. Besonders hervorgehoben zu werden, verdient die Anordnung der Kühlrippen,
denn auch beim Zweizylindermotor sind es wieder H. und
A. Dufaux, die wie bei ihrem schrägliegenden
Einzylindermotor (D. p. J. 1906, 321, S. 394 Fig. 99)
zuerst die Kühlrippen geneigt zur Längsachse der Zylinder legen, was größtmöglichste
Kühlung gewährleistet. In der Mitte der beiden Zylinder liegt der Vergaser; er ist
derselbe, wie bei der Motosacoche (D. p. J. 1906, 321, S.
426 Fig. 122). Das Gemisch strömt durch ein kurzes Rohr zu den Ansaugventilen, die
ebenso wie die Auspuffventile mechanisch mittels Steuerwelle gesteuert werden.
Der Magnetapparat ist an der Hinterradgabel befestigt und gibt bei jeder Umdrehung
zwei Funken ab. Angetrieben wird er nach Fig. 38
durch zwei Kegelräder b
und c, von denen b auf der mit
dem Magnetanker gekuppelten Welle d sitzt. Das Ganze
ist von einem Gehäuse staubsicher eingeschlossen.
Beim 3 ½ PS-Motorrad von Joh. Puch ist die frühere V-förmige Stellung der Zylinder aufgegeben und dafür die
üblichere V-Stellung gewählt. Der Motor (D. p. J. 1906,
321, S. 214) hat 68 mm Bohrung, 70 mm Hub und erteilt
dem Fahrzeug eine Höchstgeschwindigkeit von 68 km i. d. Stunde. Der übrige Aufbau
sowie die Regelung der Maschine sind so ziemlich dieselben geblieben, wie sie schon
D. p. J. 1906, 321, S. 348 Fig. 57 gezeigt wurden. Das
Gesamtgewicht beträgt 50 kg.
Für Benutzung von Beiwagen wird dieses Fahrzeug mit einem 6 PS-Motor mit 80 mm
Bohrung und 100 mm Hub derselben Bauart sowie mit Doppelübersetzung eingerichtet.
Durch Niedertreten eines Pedales, dessen Hebel auf die Uebersetzungsnabe wirkt, wird
die kleine Geschwindigkeit eingeschaltet, während die zweite durch Rechtsdrehen
eines am oberen Rahmenrohr gelagerten Hebels erzielt wird. Linksdrehen dieses Hebels
bewirkt Leerlauf des Motors, während das erstgenannte Pedal jetzt als Fußbremse
dient.
Die Kraftübertragung von der Motorwelle zur Hinterradnabe erfolgt durch Kette, die
mittels eines in entsprechender Weise wirkenden Kettenrades nachgespannt werden
kann. Um Uebertragung eines etwaigen ungleichmäßigen Arbeitens des Motors auf
das Hinterrad zu verhindern, ist das Kettenrad nicht fest auf der Motorwelle,
sondern unter Einschaltung eines Freilaufes aufgesetzt, so daß z.B. ein Aussetzer
des Motors sich nicht als Stoß auf das Hinterrad überträgt.
Für große Geschwindigkeiten bauen Laurin & Klement sowohl luft- als wassergekühlte Fahrzeuge. Die
luftgekühlte Type stellt Fig. 39 dar, der Motor hat
4 PS, so daß die Geschwindigkeit bis zu 75 km i. d. Stunde gesteigert werden kann.
Im Oberflächenvergaser kann für 110 km Fahrt Brennstoff mitgeführt werden, von denen
für je 18 km Fahrt etwa 1 Liter verbraucht wird. Das Gesamtgewicht des Fahrzeuges
beträgt ungefähr 66 kg.
Soll an Stelle des vierpferdigen Motors einer von 5 PS treten, so kommt entweder
Luft- oder, wie bei Fig. 35, Wasserkühlung in
Anwendung. In beiden Fällen beträgt die Fahrgeschwindigkeit 85 km, doch ist immerhin
bei dieser großen Fahrgeschwindigkeit Wasserkühlung vorzuziehen, da der luftgekühlte
Motor stets der Gefahr ausgesetzt ist, festzubrennen. Der Gewichtsunterschied ist
kaum nennenswert, denn während das luftgekühlte Motorrad 76 kg wiegt, hat das
wassergekühlte 80 kg.
Näher auf diese drei Typen einzugehen, erübrigt sich, denn ihre Regulierung usw. ist
dieselbe wie bei den beiden Einzylindertypen Fig. 34
und 35.
(Fortsetzung folgt.)