Titel: | Wasserversorgung mittels Wasserradbetrieb. |
Autor: | Wilh. Müller |
Fundstelle: | Band 323, Jahrgang 1908, S. 635 |
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Wasserversorgung mittels
Wasserradbetrieb.
Von Wilh. Müller, Ingenieur,
Stuttgart-Cannstatt.
Wasserversorgung mittels Wasserradbetrieb.
Bei dem gegenwärtig im Wassermotorenbau fast ausschließlich in Anwendung
gebrachten System der Turbine als Antriebsmaschine könnte die Anlage eines
Wasserrades als „ein überwundener Standpunkt“ betrachtet werden und der Bau
dieser Gattung von Motoren in absehbarer Zeit als ausgeschlossen erscheinen. Die von
der Natur dargebotenen und so mannigfach gearteten Wasserkräfte lassen aber dem
Wasserrad immer noch ein Feld als beinahe unbestrittenes Gebiet übrig, innerhalb
dessen – abgesehen von einzelnen, verzweifelten Fällen, bei welchen überhaupt nur
ein Rad in Frage kommen kann – die Rohkraft stets rationeller ausgenutzt wird, als
mit Turbinen, welchen Namen diese auch haben mögen.
Solche Lokalitäten sind:
1.Sehr geringes Gefälle mit mäßigen Durchflußmengen,
also Räder im freien Strom; oder in Verbindung mit
größeren Wassermengen bis 10 cbm i. d. Sek. und mehr, wobei örtliche
Verhältnisse eine Turbinenanlage als unausführbar erscheinen lassen oder ein Motor zur Aufnahme der verfügbaren Kraft nicht
gebaut werden kann. Bei einem solchen Lokal ergibt sich eine Anzahl
hintereinander gelegter ausziehbarer Räder im
Schnurgerinne als zwingende Notwendigkeit, wie solche in
Norddeutschland in zahlreichen Fällen bestehen.
2.Mittlere Gefälle mit kleinem stark schwankendem
Zufluß, der durch Schwimmkörper oder Geschiebe verunreinigt ist, wobei Schaufelräder, System Zuppinger, mit
Ueberfalleinläufen zur Anwendung kommen.
3.Gefälle bis etwa 10 m und sehr kleinen Kräften zum
Betrieb langsamlaufender Maschinen, z.B. Pumpen, bei welchen Lokalen oberschlächtige Zellenräder den höchsten Nutzeffekt
ergeben.
Verfasser wäre in der Lage, für jeden der bezeichneten Fälle eine Anzahl
wohlgelungener Ausführungen für Mühlenbetrieb und Pumpwerke aus neuester Zeit
anzuführen, beschränkt sich jedoch auf nachstehende Angaben über einige Einzelheiten
des Wassertriebwerkes in der Pumpstation der
Heimbach-Wasserversorgungsgruppe bei Dornhan (Württemberg), wobei es sich
um die Nutzbarmachung einer stark veränderlichen kleinen Wasserkraft bei ziemlich
konstantem Gefälle, also um eine Anlage, welche in Kategorie 3 fällt, handelte.
Das Wasserwerk wurde an Stelle der abgebrannten Brandecker Mühle errichtet und
versorgt die Gemeinden Beffendorf, Hochmössingen, Oberdorferhöfe (O./A. Oberndorf),
Marschalkenzimmern, Dornhan, Fürnsal, Budenweiler und Weiden (O./A Sulz),
Bösingen (O./A. Rottweil); das Rohrnetz erstreckt sich somit über die Gemarkung von
drei Oberämtern.
Von der Pumpstation, etwa 0,75 km talaufwärts wurde der Heimbach in einen betonierten
2 m breiten Kanal gefaßt, von dem das Betriebswasser abzweigt. Neben der
Kanaleinlaßfalle befindet sich die Freilauffalle und ein 6 m langes Uebereichwehr.
Der offene Oberkanal ist auf eine Strecke dem Terrain angepaßt und am Saume eines
Gehölzes in das abschüssige Gelände eingeschnitten, dann wird das Wasser von einer
295 m langen bedeckten Leitung aus 800 mm weiten Zementröhren aufgenommen, an die
sich wieder ein offener Kanal anschließt, der mit Abstellfalle, weitmaschigem
Vorrechen und Leerlauffalle endigt. Von hier aus tritt das Wasser in ein 17 m
langes, auf Steinpfeilern gelagertes eisernes Gerinne von 1,15 m Breite, passiert
den engen Schutzrechen und die Abstellfalle und tritt im Obergeschoß in das
Maschinenhaus, woselbst die vom Wärterraum aus bedienbare Regulierfalle A für das Wasserrad angebracht ist (Fig. 1 und 2). Der
Abfluß erfolgt auf eine kurze Strecke in Zementröhren unter Tag und schließlich im
offenen Unterkanal bis zur Einmündung in den Mutterbach.
Das oberschlächtige eiserne Zellenwasserrad ist für ein
vorhandenes Triebgefälle von 7,0 m und eine Betriebswassermenge von 80–200 Sek./l
konstruiert und soll hierbei mindestens 6–14 PS entwickeln, was einem garantierten
Nutzeffekt von 75 v. H. entspricht.
Die zur Bewegungsübertragung vom Wasserrad auf die Pumpenkurbelwelle dienenden
Vorgelege mit Stirnräderübersetzung („Eisen in Eisen“ und „Holz in
Eisen“) und Riemenantriebe sind mit ausreichend großen Durchmessern,
Zahnbreiten und passender Schrift hergestellt. Das Uebersetzungsverhältnis ist dabei
so gewählt, daß die Pumpenkurbelwelle 64 Umdreh. minutlich erhält.
Das vom Wasserrad angetriebene doppeltwirkende Pumpwerk
E mit Plungerkolben entnimmt bei minutlich 64 Touren 4 Sek./l dem etwa
150 m von der Pumpstation erstellten Sammelschacht und hat dieses Quantum durch eine
150 bezw. 175 mm weite Druckleitung nach einem 8000 m von der Pumpstation entfernten
und etwa 130 m über derselben gelegenen Hochreservoir zu heben.
Außer der mit Wasserkraft betriebenen Pumpe E ist noch
ein Reservepumpwerk F mit liegendem einzylindrigem
Generatorgasmotor G aufgestellt, der bei 200 Umdreh. i.
d. Minute 15 PS ergibt und bei Verwendung eines Anthrazites von 8000 Kalorien
Heizwert mit nicht mehr als 6 v. H. Aschengehalt an Brennstoffverbrauch 0,66 kg f.
d. effektive Pferdekraft und Stunde nicht überschreitet.
Behufs Ermöglichung eines Zusammenarbeitens der beiden Pumpwerke, ohne den
Hilfsmotor in Anspruch zu nehmen, sind die Enden der Pumpenkurbelwellen mit
ausrückbarer Kupplung (Zodel-Voith) versehen. Das
Reservepumpwerk hat bei denselben Rechnungsgrundlagen wie das oben beschriebene 6
Sek./l zu
leisten. Der volumetrische Nutzeffekt der Pumpen soll nicht weniger als 95 v. H.
betragen.
Textabbildung Bd. 323, S. 636
A Regulierfalle; B Leerschußfalle; C Saugleitung 150 mm; D Druckleitung 50 mm;
Di Druckleitung 150 mm; E und F Pumpen; G Motor; J Windkessel; K Kärter; L
Generatorraum; M Unterkanal.
Die durch die Bauoberleitung vorgenommenen Untersuchungen zur Feststellung der
Leistungsfähigkeit der Motoren und Pumpwerke fanden in der Weise statt, daß die
kleine Pumpe mittels Wasserkraft, die große mittels Sauggasmotor betrieben wurde,
wobei einerseits der Nutzeffekt des oberschlächtigen Wasserrades, andererseits der
Verbrauch an Heizmaterial zu erheben war. Die am Manometer des gemeinschaftlichen
Druckwindkessels abgelesene Widerstandshöhe beträgt im Mittel 134 m, die
mittlere Saughöhe, abzüglich des Höhenunterschiedes zwischen dem Wasserstand im
Druckwindkessel und dem Pumpenmittel 4 m, somit die Gesamtförderhöhe für beide
Pumpwerke 138 m. Die Abmessungen des mit Wasserkraft betriebenen
Differentialpumpwerkes sind:
Kolbendurchm.
145/100 mm,
Kolbenhub
240 mm,
Theoretische Leistung f. d. Umdrehung
3,96 l.
Hiervon werden in Rechnung gezogen 95 v. H. mit 3,76 l. Die Umdrehungszahl der
Pumpenkurbelwelle betrug f. d. Sekunde
\frac{65\,\times\,3,76}{60}=4,07\mbox{ l}.
Wird für das kleine Pumpwerk ein Wirkungsgrad von 0,83 v. H.
zugrunde gelegt, so berechnet sich die tatsächliche Kraftleistung mit
\frac{138\,\times\,4,07}{75\,\times\,0,83}=8,86\mbox{ PS}.
Die durch wiederholte Spannschützen und Schwimmermessungen
ermittelte Triebwassermenge für das Wasserrad betrug während der Versuche 116 l i.
d. Sekunde, das benutzte Gefälle 7,0 m, somit die absolute Kraft
\frac{7\,\times\,116}{75}=10,82\mbox{ PS}.
Hiernach ergibt sich der Nutzeffekt des oberschlächtigen
Wasserrades zu
\frac{8,86\,\times\,100}{10,82}=81,8
oder nahezu 82 v. H.; somit wesentlich günstiger als die
garantierte Leistung mit 75 v. H.
Dieser Betriebszustand wurde ohne Unterbrechung vier Stunden aufrecht erhalten und
vorstehende Mittelwerte aus einer Reihe von Beobachtungen daraus gewonnen. Die
Abweichung vom Mittelwert in der minutlichen Umdrehungszahl der Transmission und
Pumpe, sowie im Zeigerstand des Manometers am Hochdruckwindkessel usw. verblieb in
den praktisch zulässigen Grenzen, so daß die Ergebnisse volles Vertrauen
verdienten.
Schließlich mag noch hervorgehoben werden, daß die Messung der verbrauchten
Triebwassermenge mittels Flaschenschwimmer im rechteckigen eisernen Zulaufgerinne,
das eine sehr gleichförmige Wasserbewegung sicherte, vorgenommen und durch
Berechnung der Austrittsmenge an der Regulierschütze des Wasserrades unter Anwendung
eines Ausflußkoeffizienten μ = 0,85 kontrolliert wurde.
Die Kontraktion am Umfang der Schützenmündung zeigte sich infolge einer an die
Unterkante der Fallentafel angeschraubten hölzernen Wulst erheblich vermindert,
welche Verbesserung sich auch bei anderen Anlagen bestens bewährt hat.
Die Dimensionen des mittels Sauggasmotor betriebenen doppeltwirkenden
Plungerpumpwerks sind:
Plungerdurchmesser
D =
110
mm
Kolbenstange
d =
30
„
Hub
=
330
„
Theoretische Leistung für 1 Umdreh
=
6,0378
l
Hiervon werden in Rechnung gezogen 95 v. H. mit 5,736 l.
Der Tourenzähler stand um 1 Uhr 10 Minuten auf 543885, desgleichen um 5 Uhr 10
Minuten auf 561250. Somit Anzahl der gemachten Doppelhübe 17367.
Geförderte Gesamtwassermenge in 4 Stunden
17367 × 5,736 = 99617 l
bei einer monometrischen Arbeitshöhe von 138 m ergibt sich
eine Gesamtleistung des großen Pumpwerks mit
99617 × 138 = 13747146 kg/m.
Der genau abgewogene Kohlenverbrauch während der vierstündigen Versuchszeit betrug
32,5 kg. Es wurden sonach mittels 1 kg Anthrazitkohlen geleistet
\frac{13747146}{32,6}=422989^{\mbox{ kg}}/_{\mbox{m}}.
Garantiert ist eine Leistung von 408000 kg/m. Das Versuchsergebnis übertrifft somit die
garantierte Leistung um 14989 kg/m.
Der Zustand des Generators am Schluß des Versuchs entsprach genau dem Anfangszustand.
Die Maschinen wurden von dem angestellten Maschinenwärter der Gruppe bedient.
Anstände irgend welcher Art haben sich bei dem Betrieb in der Pumpstation nicht
gezeigt. Die sekundliche Leistung der vom Sauggasmotor betriebenen Pumpe betrug
anstatt der im Akkordvertrag vorgesehenen 6 Sek./l annähernd 7 Sek./l.
Der Bauaufwand für den maschinellen Teil der Anlage bezifferte sich wie folgt:
Lieferung und fertige Aufstellung des eisernen Wasserrades mit Radeinlauf,
Blechgerinne, Fallen und Transmissionen
M.
6805
Doppelwirkendes Pumpwerk, Gasmotor,
Saug- generatorgas-Apparat und
zugehöriges Re- servepumpwerk nebst allen Reservebestand- teilen und
Inventarstücken
„
14005
–––––––––
M.
20810