Titel: | Der Ingenieur-Bürgermeister in kleinen Städten. |
Autor: | Hans A. Martens |
Fundstelle: | Band 324, Jahrgang 1909, S. 59 |
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Der Ingenieur-Bürgermeister in kleinen
Städten.
Von Eisenbahn-Bauinspektor Hans A.
Martens.
Der Ingenieur-Bürgermeister in kleinen Städten.
Die von Herrn Professor W. Franz-Charlottenburg in
dankenswerter Weise eingeleitete Bewegung, Ingenieuren Gelegenheit zu geben, sich in
der öffentlichen städtischen Verwaltung so auszubilden, daß sie ebenso wie die
juristisch vorgebildeten höheren Beamten zu leitenden Stellen in städtischen
Verwaltungen befähigt werden, ist, soviel aus den Veröffentlichungen zu ersehen ist,
dahin verstanden worden, daß es sich im wesentlichen um leitende Stellungen in größeren und Großstädten
handle. Hier liegen ja allerdings neben rein verwaltungsseitigen Geschäften große
technische Betriebe vor. Die nachstehenden Ausführungen sollen zeigen, daß aber auch
in mittleren und kleinen
Städten der Ingenieur zur Leitung des Gemeinwesens in gleicher Weise geeignet ist,
ja wir können behaupten, daß der Ingenieur als Stadtoberhaupt dort im
wirtschaftlichen Interesse eine Notwendigkeit ist.
Anregung zu dieser Betrachtung gibt mir der Umstand, daß eine erhebliche Anzahl
kleiner Städte den Bau und Betrieb von Elektrizitätswerken in eigner Leitung
übernommen und daran wirtschaftlich mehr oder weniger schwer zu tragen hat. Machen
wir uns klar, wie die geschäftliche Behandlung der Anlage eines Elektrizitätswerkes
für eine kleine Stadt vor sich geht. Die Anregung „modern“ sein zu wollen
kommt nicht selten von außen; oft liegt sie bei einigen Bürgern, meist wohlhabenden
oder beim Stadtoberhaupt selbst: der Landrat will seinen Kreis kulturell heben, der
Bürgermeister wetteifert mit anderen Städten, einige Bürger zetern über
Rückständigkeit: der Bau des Lichtwerkes wird beschlossen. Da in der kleinen Stadt
ein Sachverständiger nicht zu haben ist, wendet man sich an eine Elektrizitätsfirma,
die denn auch in schnellster Weise einen Entwurf der Stadtbeleuchtung aufstellt, der
wegen seiner nachgewiesenen Rentabilität annehmbar erscheint. Um recht sicher zu
gehen, versichert man sich der Beurteilung des Entwurfs durch einen
(selbstverständlich unparteiischen) beratenden Ingenieur, die Sache stimmt, der
Zuschlag wird erteilt, der Bau beginnt. Einige Bedenken tauchen zwar hier und da auf
wegen der hohen Anlagekosten, die den Gemeindesäckel wie noch nie belasten, sie
werden beschwichtigt durch die Aussicht auf die gute, ja mit Zahlen belegte
Rentabilität. Einige Nachforderungen sind noch zu bewilligen, zwar unter Murren
einiger vorsichtiger Stadtväter, weil sich nicht vorauszusehende Schwierigkeiten
beim Bau ergeben. Endlich sind Werk, Leitungsnetz und Hausanschlüsse fertig, die
bauleitende Firma übergibt das Werk, welches nunmehr in den Besitz der Stadt
übergeht und meist auch den bauleitenden Ingenieur oder Monteur (je nach der Größe
des Werks) als Betriebsleiter, dessen vollklingender Titel eines Direktors oder
Inspektors (obwohl ihm oft nur 5 bis 8 Köpfe Personal unterstehen) teuer bezahlt
werden muß. Die Betriebseröffnung findet statt. Aber schon nach einigen Monaten
tritt etwas ganz Unerwartetes ein: die Monatsrechnungen der Stromverbraucher werden
ungeahnt lang, die Gesichter länger: man beginnt zu sparen. Die Glühlampen in den
Wohnräumen werden ängstlich „ausgedreht“ (es ist ja so bequem), wenn niemand
im Zimmer ist, die Motoren werden von den Gewerbetreibenden nur sparsam benutzt und
selbst die Brennzeit der Straßenbeleuchtung wird mit Genehmigung der weisen
Stadtväter auf die wirklich notwendige Zeit beschränkt. Die Einnahmen des Werks
werden geringer: man entschließt sich, um zu sparen, das Werk nur an einigen
Tagen der Woche in Betrieb zu setzenDieser
bedauerliche wirtschaftliche Fehler ist bei kleineren schlecht rentierenden
Werken nicht selten zu finden.. In der Not wendet man sich an die
liefernde Firma, auch wohl an andere Sachverständige: aber die Stadtväter sind
mißtrauisch geworden, sie schrecken vor einer weiteren Geldbewilligung für
vorgeschlagene Verbesserungen zurück. Es bleibt dabei, man arbeitet mit Verlust und
vertröstet sich auf bessere Zeiten der Zukunft, in denen „der Stromverbrauch sich
gehoben haben wird“.
Dettmar hat sich in der elektrotechnischen Zeitschrift
1906 mit den Erträgnissen von Elektrizitätswerken in mittleren und kleinen Städten
eingehend beschäftigtD. P. J. 1906, S.
749. und macht bemerkenswerte Vorschläge zur Sanierung
unrentabler Werke. Aus diesen Vorschlägen läßt sich in selbstverständlicher
Weiterentwicklung der Gedanken Dettmars die
wirtschaftliche Notwendigkeit des Ingenieurs in entscheidender oder leitender Stelle
in kleineren Stadtgemeinden herleiten. Zunächst weist Dettmar nach, daß die häufige Ursache schlechter Erträgnisse im
allgemeinen in zu teurer Anlage und zu teurem Betrieb zu suchen sei; ich finde
erstere meist bewirkt durch zu großartige Gebäude, in denen sich der ehrgeizige
Stadtbaumeister ein Denkmal aere perennius schaffen will (der freundliche Leser kann
sich hiervon allerorts persönlich leicht überzeugen), letzterer ist nach Dettmar besonders durch hohe Ausgaben in Gehältern und
Löhnen gegeben, die oft 20 v.H. der Einnahmen des Werks betragen, bei einzelnen
Werken aber noch weit höher anzutreffen seien. Einen Mangel erblickt Dettmar auch darin, daß die Litteratur über die
Wirtschaftlichkeit kleiner Werke so gut wie gar nichts bringt. „Eine besondere
Pflege dieses Gebiets wäre nun gerade deswegen so besonders wichtig, weil die
Leitung der kleineren Elektrizitätswerke meist in den Händen von
Persönlichkeiten liegt, welche wohl den technischen Teil praktisch und in
manchen Fällen auch theoretisch beherrschen, welche aber den wirtschaftlichen
Fragen in vielen Fällen weniger Verständnis entgegenbringen, da eben nach dieser
Richtung hin in der Regel die Ausbildung und Uebung fehlt. – Die Verwaltung ist
dann gewöhnlich einer aus Bürgerkreisen zusammengesetzten Kommission übertragen,
in der nur in wenigen Fällen Personen, die in industriellen Betrieben
Erfahrungbesitzen, vertreten sein werden, so daß auch von Seiten der
Verwaltungen aus nur selten Anregung für Verbesserungen der Betriebsführung
kommen werden.“ Man ist sich der Tatsache schlechter Erträgnisse einer Reihe
kleinerer Elektrizitätswerke seit längerer Zeit bewußt, scheint dies aber als
unvermeidliches Übel hinzunehmen. Nachdem Dettmar die
üblichen Mittel zur Erhöhung der Erträgnisse besprochen hat, fährt er in höchst
beachtenswerter Weise fort: „Auch ist es notwendig, über die Fortschritte, welche
die Technik macht, unterrichtet zu sein, damit das Werk in der Lage ist, hiervon
Nutzen zu ziehen. In dieser Beziehung dürften sich am meisten Schwierigkeiten
gerade bei den kleineren Werken zeigen. Wenngleich schon durch die Fabrikanten
solcher verbesserten Einrichtungen die Kenntnis derselben verbreitet wird, so
liegt doch auch gerade wieder darin die Gefahr, daß einseitige, übertriebene und
falsche Darstellungen zu Änderungen verlocken, die sich nachher nicht als
nutzbringend erweisen. Es erscheint demnach zweckmäßig, den kleineren Werken zu
empfehlen, sich einen erfahrenen Ingenieur als technischen Beirat zu sichern. Wenn ein
solcher, nachdem er die Anlage gründlich untersucht und geprüft hat, sich
jährlich einige Tage in einer solchen Anlage aufhält, so wird er in der Lage
sein, Ratschläge für Verbesserungen zu erteilen und auch den Betriebsleiter über
die neuesten Fortschritte, aus welchen das Werk Vorteile ziehen kann, zu
unterrichten. – Natürlich ist es notwendig, hierfür ausschließlich
Persönlichkeiten zu wählen, welche liefernden Firmen vollkommen fernstehen, denn
sonst könnte es leicht vorkommen, daß durch eine solche parteiische
Persönlichkeit die Werke nur zu Anschaffungen und Ausgaben verleitet werden, die
sieb nachher nicht als zweckmäßig erweisen.“ Eine der wichtigsten
Möglichkeiten die Verwaltungskosten sowie die Ausgaben für Gehälter und Löhne zu
verringern, sieht Dettmar in der Vereinigung mehrerer
bzw. sämtlicher technischer städtischer Betriebe in einer Hand. Dies Mittel ist
bereits mit Erfolg angewendet worden. Er schlägt ferner vor, Molkerei-Betriebe,
Schlachthäuser, Badeanstalten mit dem Betriebe der Gas-, Wasser- und
Elektrizitätswerke zu verbinden.
Wenn wir nun diese Vorschläge aus so berufener Feder zusammenfassend überschauen, so
drängt sich uns mit zwingender Folgerichtigkeit ein Gedanke auf: den kleineren
Städten mangelt es an einer eigenen, selbständig entscheidenden und leitenden
technischen Kraft mit voller akademischer Bildung, die im städtischen Leben selbst
stehend diesem als Bürger angehört, ein Glied der verwaltenden Körperschaft selbst
sein muß: Eine solche Kraft wird im Interesse der Stadt arbeiten, weil sie sich eins mit ihr fühlt, sie kann die wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit der Stadt am besten beurteilen und bis zu welcher Grenze
sie ohne Zerrüttung der städtischen Finanzen beansprucht werden darf. Der
gewissenhafteste beratende Ingenieur vermag nicht aus solchen Unterlagen und
Gesichtspunkten heraus zu beurteilen, wie es ein der Stadtverwaltung angehörender
Ingenieur kann. Wie Dettmar ganz richtig sagt, sind
Personen, die in industriellen Betrieben Erfahrung besitzen, in kleinen Städten
nicht immer zu finden. Andererseits sind besoldete technische Stadträte mit
akademischer Vollbildung eine Unmöglichkeit, da ihr Arbeitsfeld zu klein sein würde.
Aber das Stadtoberhaupt, technisch vorgebildet, würde neben den andern
Verwaltungsgeschäften die Oberleitung über die technischen Betriebe zum Nutzen der
Stadt und alle die Aufgaben – ohne daß besondere Kosten erwachsen – übernehmen
können, welche Dettmar dem sogenannten „technischen
Beirat“ zuweist. In besonders schwierigen, rein juristischen Fragen, die ja
in kleinen Städten nicht häufig vorzuliegen pflegen, hätte der Ingenieur einen
tüchtigen juristischen Beirat hinzuzuziehen (zu vergleichen Zuschrift des
Oberbürgermeisters von Quedlinburg in „Technik und Wirtschaft“ 1908 Seite
341), der in kleineren Städten entweder als ortsansässiger Richter, Rechtsanwalt
oder Stadtrat leicht zu finden ist. In viel weitsichtiger Weise würde ein Akademiker
zum Beispiel Tarifpolitik in der Stromabgabe treiben, als es der von der
bauleitenden Firma „mitgelieferte“ Techniker oder Monteur zu tun vermag.
Gerade weil die technischen Betriebe nur klein sind, muß alles sorgfältig erwogen
werden, um die bei kleinen Betrieben viel höheren unproduktiven Kosten möglichst
herabzudrücken. Diese Arbeit kann aber der vorzugsweise praktisch vorgebildete
Betriebsleiter gar nicht leisten; es sei denn, er sammelt durch viele Fehlschlage
und Mißerfolge Erfahrung, aber zu Lasten der Stadt. Ein Ingenieur-Bürgermeister wird
auch an die Anträge auf Neueinrichtung technischer Betriebe in ganz andrer sachlich
prüfender Weise herantreten und nicht auf die Gutachten außenstehender Ingenieure
und Firmen, welch letzteren natürlich stets daran gelegen ist zu verdienen,
angewiesen sein, wie der ganze Verwaltungskörper einer Stadt, die technischen
vollwertigen Beirat in den eigenen Reihen entbehrt.
Die Vorbildung des Ingenieur-Bürgermeisters in der Verwaltung erfolgt in der von
vielen deutschen Städten angeregten Weise. Es steht zu erhoffen, daß sich der
deutsche Ingenieur die ersten Sporen im öffentlichen Verwaltungsdienst an der Spitze
kleiner und mittlerer Städte verdienen wird. Und wenn er an dieser Stelle mit Erfolg
gestanden, gekämpft und gestritten hat, dann wird sich der Kreis dieser wichtigen
von Professor Franz in Fluß gebrachten, von vielen
Städten in voller Würdigung aufgegriffenen Bewegung in interessanter Weise
schließen: der Ingenieur-Bürgermeister, der durch die Vorschule großstädtischer
Verwaltung als Volontär gegangen ist, in der Leitung kleiner und mittlerer Städte
sich voll bewährt hat, wird als begehrte Kraft zurückkehren zu der Verwaltung
größerer und größter Städte, die ihm die ersten Lehren mit auf den Weg gegeben
hat.