Titel: | Der 1. Internationale Kongreß für Kälte-Industrie in Paris. |
Autor: | Alis Schwarz |
Fundstelle: | Band 324, Jahrgang 1909, S. 74 |
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Der 1. Internationale Kongreß für Kälte-Industrie
in Paris.
Von Professor Alis Schwarz in
Mähr.-Ostrau.
Der 1. Internationale Kongreß für Kälte-Industrie in
Paris.
Als vor mehr als Jahresfrist seitens eines französischen Komitees unter
Patronanz des französischen Ackerbau-Ministers und der übrigen beteiligten
Ministerien die Einladung zu einem im Jahre 1908 in Paris zu veranstaltenden
„Congrès International du froid“ ausgegeben wurde, mag wohl so mancher
diesem Gebiete ferner Stehende und wohl auch mancher Fachmann über diese Einladung
angesichts der sich immer mehr häufenden Kongresse gespöttelt haben. Wenn auch die
Anwendung der Kälte heute ein ebenso unabweisliches und dringendes Bedürfnis des
täglichen Lebens geworden ist wie die Anwendung der künstlich erzeugten Wärme, so
scheint die Notwendigkeit der wissenschaftlichen Erforschung dieses Gebietes noch
immer nicht in allen Kreisen das rechte Verständnis gefunden zu haben. Trotzdem
hatte sich die Anregung des französischen Komitees als eine sehr fruchtbare
erwiesen; dank der unermüdlichen Agitation und Rührigkeit des französischen
Komitees, an dessen Spitze sich der ehemalige französische Kolonien-Minister Lebon, eines der hervorragendsten organisatorischen
Talente befand, und dem sich zahlreiche französische Gelehrte und fachliche
Korporationen zur Verfügung stellten, hatten sich zunächst in allen französischen
Departements Lokalkomitees für die Förderung dieses Kongresses gebildet; in 43
Staaten der gesamten bewohnten Erde waren durch die betreffenden Regierungen
Landeskomitees organisiert worden, welche für die Beschickung des Kongresses und für
die Beteiligung der Fachmänner der ganzen Welt an den Arbeiten des Kongresses eifrig
tätig waren.
In den meisten Staaten hatten sich die leitenden Staatsmänner, die Ressortminister
oder mindestens hohe staatliche Funktionäre an der Spitze dieser Komitees gestellt
und sich an den Arbeiten eifrig beteiligt. So ist es zu erklären, daß dieser Kongreß
eine Teilnehmerzahl aufwies, wie sie wohl noch selten ein Kongreß eines einzelnen
Fachgebietes gezeigt hat. Ueber 4000 Einzel-Personen und Vertretungen von
Körperschaften hatten ihre Teilnahme angemeldet und waren zum größten Teile auch
persönlich erschienen. 43 Staaten aller Weltteile, darunter auch Nord- und
Südamerika, Australien und Südafrika, China und Japan hatten sich durch starke
offizielle Delegationen, darunter wie erwähnt, durch aktive oder ehemalige Minister
vertreten lassen.
So bot auch die erste Festsitzung, welche durch den Präsidenten Lebon mit einer geistvollen Ansprache eröffnet und
durch den Ackerbauminister Ruau persönlich begrüßt
wurde, ein glänzendes Bild. Neben den vorerwähnten ausländischen Delegationen und
Staatsmännern waren die hervorragendsten französischen und ausländischen Gelehrten
dieses Gebietes, darunter der Nestor und Begründer der französischen
Kälte-Industrie, der 70jährige, noch unermüdlich als Konstrukteur und Forscher
tätige Tellier, der Präsident der Akademie de médecine
Professor Gautier, der berühmte Physiologe Prof. d'Arsoval der Professor der polytechnischen Schule Leauté und das Mitglied der Akademie Tisserand,
weiter der Schöpfer und Organisator der deutschen Kälte-Industrie, Geheimrat
Professor von Linde, der geniale Physiker der
Universität Leyden, Professor Kammerlingh-Onnes, ferner
Vertreter von Hochschulen aller Länder, die bekanntesten Konstrukteure und
Industriellen dieses Gebietes usw. in der Versammlung vertreten, und so konnte der
französische Ackerbauminister in seiner Begrüßungsrede angesichts dieser illustren
Versammlung mit Recht an den Ausspruch des berühmten Chemiker Bertelot anknüpfen, daß der allgemeine Triumph der
Wissenschaft dazu führen werde, die Menschen dem größtmöglichsten Glück und der
Moral zuzuführen.
Mit besonderer Liebenswürdigkeit gedachte sowohl der Präsident des Kongresses als
auch der Minister nicht nur der unvergänglichen und grundlegenden Arbeiten der
französischen Gelehrten und Forscher Carré und Tellier um die Entwicklung der Kälterindustrie, sondern
er ließ auch der Tätigkeit der ausländischen Forscher auf diesem Gebiete,
insbesonders der Verdienste des Professor von Linde
volle Gerechtigkeit widerfahren und fand in seinen Ausführungen die begeisterte
Zustimmung der großen Versammlung.
Es war auch eine besondere Auszeichnung für den letztgenannten Gelehrten wie für den
Kongreß selbst, daß derselbe die Arbeiten des Kongresses durch einen ausgezeichneten
Vortrag über die „Kühlung bewohnter Räume“ eröffnete, welcher durch die
geistvolle Form und seine technischen Ausführungen die verdiente Anerkennung fand
und einen weiten Ausblick auf die Entwicklung der Anwendung künstlicher Kälte durch
Anwendung auf dieses Gebiet eröffnete, indem er mit dem Ausspruche schloß:
„Unsere heutige Kältetechnik ist in technischer, wirtschaftlicher und
hygienischer Hinsicht imstande, allen Erwartungen zu genügen, welche an ihre
Entwicklung für die Kühlung bewohnter Räume geknüpft wurden, und sie vermag der
Menschheit größere Dienste zu leisten, als sie bisher in dieser Richtung in
Anspruch genommen worden sind. Im Bewußtsein dieser Sachlage darf ich wohl mit
dem Ausdrucke der Hoffnung schließen, daß bei künftigen Kältekongressen die
Kühlung bewohnter Räume eine Entwicklungaufweisen möge, welche Schritt hält mit
dem imposanten Zuge, in welchen wir auf anderen Gebieten die Kältetechnik haben
voranschreiten sehen.“
Welch ansehnliche Summe von wissenschaftlichen Vorarbeiten dem Kongresse
vorangegangen war, ist aus dem Umstände zu entnehmen, daß mehrere Hunderte sehr
umfangreiche wissenschaftliche und technische Vorträge dem Organisationskomite
eingesendet wurden, über deren Inhalt die Teilnehmer des Kongresses durch ein vom
Organisationskomitee ausgearbeitetes Resume in deutscher, französischer und
englischer Sprache informiert wurden. Von hohem Werte waren ferner die
wissenschaftlich-literarischen Festgaben, welche seitens der einzelnen
fremdstaatlichen Komitees den Kongresmitgliedern gewidmet wurden. In erster Reihe
stand hier die vom österreichischen Komitee in deutscher und französischer Sprache
herausgegebene Festschrift in bezug auf den reichen Inhalt und die vornehme prächtige
Ausstattung. Es war ein Quartband von 120 Seiten, 20 Plantafeln und zahlreichen im
Text gedruckten Abbildungen, enthaltend nebst einigen wissenschaftlichen Aufsätzen,
die Beschreibungen der bedeutendsten österreichischen Kühlanlagen auf allen Gebieten
der Industrie, welche Festschrift auch seitens der Kongreßmitglieder die verdiente
Anerkennung fand; weiter eine ähnliche, weniger umfangreiche Publikation des
ungarischen Komitees in französischer Sprache, enthaltend die Statistik der
Kühlanlagen in Ungarn und die Beschreibung derselben; ferner ein kleines aber
inhaltreiches Heft des deutschen Komitees über die wirtschaftliche Bedeutung der
Kälteindustrie im Jahre 1908, sehr wertvolle statistische Daten und Diagramme über
die Ausbreitung der Kälteindustrie in Deutschland enthaltend; weiter ein Bericht des
italienischen Komitees, resp der Ministerien für Ackerbau, Industrie und Handel über
die Kälteindustrie in Italien, gleichfalls mit einigen Abbildungen und Plänen
dortiger Anlagen, und endlich zwei Publikationen des argentinischen Komitees,
enthaltend ausführliche Darstellungen der ausgedehnten Anwendung der künstlichen
Kälte für die Aufbewahrung argentinischen Fleisches und den Transport nach den
europäischen Hauptplätzen. – Sämtliche dieser Publikationen, welche den
Kongreßteilnehmern nebst zahlreichen kleinen Flugschriften und Prospekten
unentgeltlich übermittelt werden, bildeten den Gegenstand eifrigsten Studiums und
werden ebenso wie die noch herauszugebenden ausführlichen Berichte über die
Verhandlungen des Kongresses das Interesse für die Kälteindustrie in den weiten
Kreisen verbreiten.
Ebenso umfassend wie die Vorarbeiten waren die wissenschaftlichen Verhandlungen des
Kongresses, welcher sich zu diesem Behufe in sechs Hauptsektionen mit 20
Unterabteilungen geteilt hatte. An der Spitze dieser Sektionen standen die schon
genannten hervorragenden Mitglieder und Gelehrten der französischen Akademie wie die
Professoren D'Arsonval, Léauté, Gauthier, Tisserand,
Levasseur, und an der Spitze der sechsten Sektion der Handelsminister Cruppi persönlich.
Die erste Sektion vereinigte die Theoretiker und Gelehrten, und es waren in dieser
illustren Versammlung die hervorragendsten ausländischen Physiker und Chemiker zu
bemerken, u.a. Professor Kammerlingh-Onnes der
Universität in Leyden, welcher seine Apparate und Arbeiten zur Verflüssigung des
Heliums unter lebhaftester Aufmerksamkeit vorführte; Professor Touplin, der einen Apparat für die Analyse der seltenen
Gase demonstrierte; Professor Mathias, der eine
theoretische Studie über den Zustand und Eigenschaften von Flüssigkeiten bei sehr
niedriger Temperatur gab, zu welchem Gegenstande Professor Kammerlingh-Onnes die Unterschiede in dem Gleichgewichtszustande der
Körper durch Unterschiede der Zusammendrückbarkeit der Moleküle und eine
verschiedene Verteilung des Potentiales um die Moleküle erklärte; Professor Becquerel machte neue Mitteilungen über die
Absorptions- und Emissionserscheinungen sowie über magneto-optische Erscheinungen in
Kristallen und Lösungen bei sehr niedrigen Temperaturen, welche er in Gemeinschaft
mit Professor Kammerlingh-Onnes im Laboratorium der
Universität Leyden durchgeführt hatte. Endlich führte Ingenieur Claude seinen Apparat für eine neue Methode der
Verflüssigung der Luft vor, durch deren Anwendung die Verflüssigung der Luft schon
bei 30 bis 40 Atmosphären erfolgt und welche pro Pferdekraft und Stunde einen Liter
flüssige Luft liefert. Die genannten Gelehrten wurden zu den Ergebnissen dieser
neuesten Forschungen von den anwesenden Fach-Genossen auf das lebhafteste
beglückwünscht und es galten diese Anerkennungen insbesonders dem bescheidenen und
doch so erfolgreichen Wirken des Professor Kammerlingh-Onnes,
welcher in seinem kyrogenen Laboratorium in Leyden in jüngster Zeit so
bewunderungswerte Erfolge erzielt, auch vielen Fachgenossen die Benutzung dieses
Laboratoriums in der liebenswürdigsten Weise gestattet und ihre Arbeiten werktätig
unterstüzt hatte. Einstimmig wurde der Wunsch ausgesprochen, daß die auf dem
Kongresse vertretenen Staaten durch entsprechende materielle Unterstützungen es den
Physikern ermöglichen sollten, ihre Studien auf diesem Gebiete in diesem berühmten
Laboratorium fortzusetzen. Ebenso einstimmig wurde beschlossen, daß eine
Internationale Gesellschaft mit dem Sitze in Paris gebildet werde, um das Studium
des gesamten Gebietes der Kälte zu spezialisieren und die Bearbeitung aller
wissenschaftlichen Fragen bei niedrigen Temperaturen durchzuführen.
Die weiteren wissenschaftlichen Arbeiten dieser Sektionen waren bakteriologischer
Natur und beträfen die Wirkungen der niedrigen Temperatur auf Fleisch, Milch,
Geflügel und andere Genußmittel. Besonderes Interesse erregten die Arbeiten einer
amerikanischen Forscherin, Mrs. Pennigton, über die
Veränderungen des Fleisches des bei niedrigen Kältegraden konservierten Geflügels,
ebenso die Arbeiten über die Wirkung niedriger Temperaturen auf Toxine des
Fleischserums.
Die Arbeiten der zweiten Sektion beschäftigen sich mit den maschinellen Vorrichtungen
für Kälteerzeugung, und es waren in dieser Sektion die bekanntesten Theoretiker und
Konstrukteure aller Länder unter Vorsitz des Professor Léauté vereinigt; unter ihnen Professor Leblanc-Paris, zahlreiche amerikanische, englische und belgische
Ingenieure, der Begründer der deutschen Kälte-Industrie Geheimrat Professor von Linde, ferner Professor Guthermuth und Dr. Döderlein aus Deutschland,
k.k. Hofrat Dr. Pfeundler-Graz, Professor Seidler-Wien und Professor Schwarz-Mähr.-Ostrau für Oesterreich. In dieser Sektion wurden zunächst
die Prüfungsmethoden über die Wirkung von Isoliermaterialien, ferner die
Leistungsfähigkeit von Kühlmaschinen besprochen. Das Ergebnis der Beratungen dieser
Sektion gipfelte in der Bestimmung, daß zur Prüfung der Wirkung der Kältemaschinen
eine internationale Einheit geschaffen werden solle, welche Einheit nach Antrag des
Professor Kammerlingh-Onnes mit dem Namen Carnot zu Ehren des großen französischen Forschers und
Gelehrten bezeichnet werden soll.
Weitere Entschließungen dieser Sektion sprachen den Wunsch aus, daß an allen
technischen Hochschulen und Gewerbeschulen ein theoretischer und praktischer
Unterricht über Kälte-Industrie und ihre Anwendung einzuführen sei, welcher
Unterricht von allen interessierten Körperschaften unterstützt werden solle. Die
Ergebnisse der Untersuchungen dieser Laboratorien sollten durch das permanente
internationale Bureau zur Verbreitung gelangen.
Die dritte und vierte Sektion beschäftigte sich mit der Anwendung der Kälte, und zwar
die erstere mit der Nahrungsmittel-Industrie, die letztere mit den übrigen
Industrien. Aus den Verhandlungen dieser Sektionen, insbesondere aus den von den
englischen, nordamerikanischen, argentinischen und australischen Delegierten
vorgebrachten statistischem Material konnte ersehen werden, welch ungeheuere
Ausdehnung der Verkehr mit Nahrungsmitteln durch die Anwendung der künstlichen Kälte
genommen hat. Diese Anwendung hat seit dem Jahre 1877, in welchem durch Tellier der erste Versuch der Kühlung von Fleisch
während eines Transportes von Havre bis Bennos-Ayres auf dem Dampfer Frigorifique
gemacht wurde, bis zur Gegenwart, wo viele hundert Dampfer zu diesem Zwecke im
Dienste stehen, einen mächtigen Aufschwung genommen. Die Fleischausfuhr aus Argentinien hat einen
Wert von jährlich 200 Millionen Frs. Das Kapital, das in den Vereinigten Staaten in
Kühlanlagen investiert ist, wird auf 2500 Mill. Dollars geschätzt. In Amerika gibt
es derzeit an 1000 gekühlte Lagerhäuser mit einem Lagerraume von 180 Millionen
Kubikfuß, und der Wert der in diesen Lagerhäusern aufbewahrten und gekühlten
Produkte beläuft sich auf 350 Millionen Dollar jährlich. Kühlhäuser, in welchen
Fleisch aufbewahrt wird, gibt es den Vereinigten Staaten an 1200, und der Wert der
darin aufbewahrten Fleischprodukte wird auf 1300 Millionen Doll. geschätzt. 60
Häuser beschäftigen sich mit der Einlagerung von gefrorenen und gekühlten Fischen
und der Wert der in diese Kühlanlagen gehenden Fische wird auf 20 bis 30 Millionen
Dollar berechnet. In den 1700 amerikanischen Brauereien sind 2500 Kühlmaschinen
aufgestellt, und es beträgt der Wert des von ihnen gekühlten Bieres über 300
Millionen Dollar. In der Molkerei-Industrie sind 800 Kühlanlagen vorhanden, von
welchen an 200 Millionen Pfund Butter und 250 Millionen Pfund Käse künstlich gekühlt
werden. Ueberdies wird hier gefrorener Rahm im Werte von 45 Millionen Dollar
erzeugt. An Eier werden jährlich dreieinhalb Millionen Kisten in Kühlräumen
aufbewahrt. Die Aufbewahrung von frischen Früchten in Kühlanlagen ist ebenfalls eine
bedeutende Industrie. Es gibt etwa 1000 Kühlanlagen für Aepfel allein, deren Wert
12,5 Millionen Dollar beträgt Im Jahre 1907 wurden 60000 Kisten Gemüse in
Wagenladungen verschickt. Im ganzen sind in Nordamerika 12000 Kühlmaschinen in
Gebrauch, in welche etwa 400 Millionen Dollar angelegt sind, abgesehen von jenen
ungeheuren Kapitalien, die in Schlachthäusern, Brauereien und Milchwirtschaften
investiert sind. Diesen enormen Zahlen gegenüber sind die europäischen Verhältnisse
verschwindend klein, und zeigen, welcher Entwicklung diese Industrie in Europa noch
fähig ist. In England beträgt allerdings der Wert der eingeführten gekühlten
Produkte 3000 Millionen Frs. – Von den 417000 Tonnen Waren verderblicher Natur, die
in den letzten Jahren aus dem Auslande den Londoner Markt passierten, sind 79% dem
Kühlverfahren unterworfen worden, ebenso sind 22% des gesamten in England
verbrauchten Fleisches, dessen Konsum 122 Pfund jährlich pro Kopf beträgt, künstlich
gekühlt. In Deutschland betrug die Zahl der Kühlanlagen Ende 1907 im ganzen etwa
5100 mit einer Leistung von 267 Millionen Kalorien, davon allein etwa 1000 in
Fleischkühlhallen und 2000 in Brauereien. In Oesterreich-Ungarn beträgt die Zahl der
Anlagen etwa 600 mit einer Leistung von 52 Millionen Kalorien. Die gesamten auf der
Erde unter Mitwirkung deutscher Firmen installierten Kühlanlagen werden vom
deutschen Komitee auf etwa 4700 mit einer Gesamtleistung von 376 Millionen Kalorien
geschätzt.
Die in der vierten Sektion durchgeführten Verhandlungen über die Anwendung der
künstlichen Kälte in den verschiedenen Industrien ergaben, daß sie nicht nur in den
Gährungsgewerben, sepeziell in der Brauerei, in welcher die Anwendung der
künstlichen Kühlung die älteste und verbreitetste ist und schon seit 1875 geübt
wird, sondern daß derzeit die künstliche Kühlung bei der Gärung und Konservierung
des Weines Anwendung findet, daß sie auch beim Hochofenbetriebe der Lufttrocknung
dient, ebenso beim Abteufen von Schächten im schwimmenden Gebirge, in der
Fettindustrie, inbesondere zur Abscheidung des Paraffins aus Rohöl und
Petroleumrückständen verwendet wird und auch zur Kühlung von Munitionskammern und
Pulvermagazinen auf dem Festlande und auf Schiffen, besonders in der französischen,
deutschen und englischen Marine erfolgreich in Anwendung steht. Eine der
jüngsten Anwendungen ist die zum Aufbewahren von Gärtnereiprodukten, insbesonders
von angetriebenen Knollen und Blumenzwiebeln, um Blumen das ganze Jahr erhalten zu
können.
Die Arbeiten der V. und VI. Sektion behandelten die Anwendung der Kälte beim
Transport von Waren zu Schiff und auf den Eisenbahnen. Aus diesen Verhandlungen war
zu entnehmen, welch ungeheure weite Bewegungen verderbliche Produkte nehmen können,
daß Südfrüchte, Bananen, englisches und amerikanisches Obst in allen europäischen
Staaten billig zum Verkauf gelangen können, daß Fische aus allen Meeren nach dem
Kontinent gebracht werden, daß sibirische, australische und südamerikanische Butter
die minderwertige europäische Ware verdrängt, daß Milch aus Dänemark nach Berlin und
amerikanische Eier nach Paris gebracht werden. In Amerika waren im letzten Jahre
140000 Eisenbahnkühlwagen im Verkehr und es wurden allein 60000 Waggons Früchte in
Kühlwagen transportiert. Eine einzige Firma hatte im letzten Jahre 15 Schiffe bloß
für den Transport von Bananen von Costa-Rica nach Europa im Verkehr, welche 4,5
Millionen Zweige Bananen transportierten, und weitere 70 Schiffe waren zu demselben
Zwecke in den Vereinigten Staaten in Verwendung. In den Verhandlungen wurde
hervorgehoben, daß dieser internationale Transport von Nahrungsmitteln insbesondere
von Rußland nach den anderen europäischen Staaten und von Frankreich nach Spanien
sich wesentlich erhöhen würde, wenn es möglich wäre, durch geeignete Vorrichtungen
den direkten Uebergang der Waggons aus jenen Ländern, welche nicht normale
Spurweiten haben, zu erleichtern.
In der VI. Sektion gelangte die internationale Gesetzgebung für den Verkehr mit
gekühlten Nahrungsmitteln zur Beratung, und es wurde bezüglich der sanitären
Kontrolle darauf hingewiesen, daß es Aufgabe der Internationalen Vereinigung sein
müsse, dahin zu wirken, daß die künstlich gekühlten Nahrungsmittel bei ihrem
Transport keinen strengeren Bestimmungen zu unterwerfen seien, als die zum Genuß
bestimmten Nahrungsmittel überhaupt. Aus den Verhandlungen gingen die Bemühungen der
überseeischen Staaten, insbesondere von Argentinien und Neu-Seeland hervor, ihren
Massenprodukten an Nahrungsmitteln möglichst zahlreiche Absatzquellen auf dem
europäischem Kontinent zu verschaffen.
Als Endergebnis des Kongresses, welches in der Schluß-Sitzung gezogen wurde, war
zunächst die Bildung einer Internationalen Organisation anzusehen, welche aus den
Delegierten der 43 auf diesem Kongresse vertretenen Staaten besteht und sich mit
allen Fragen der Anwendung der Kälte sowohl mit ihrer wissenschaftlichen Erforschung
als auch mit ihrer Anwendung in allen Industrien, sowie bei der Aufbewahrung und dem
Transport von Nahrungsmitteln beschäftigen soll. Dieser Internationalen Organisation
wurden auch die zahlreichen gefaßten Resolutionen, 70 verschiedene Fragen
betreffend, zum Studium und zur Durchführung überwiesen.
Mit Recht konnte der verdienstvolle Präsident de Kongresses Mr. Lebon auf die Summe von erfolgreichen Arbeiten
hinweisen, welche der Kongreß geleistet, und konnte unter lebhafter Zustimmung aller
Kongreßteilnehmer der unermüdlichen Tätigkeit des Generalsekretärs Ingenieur de Loverdo seine vollste Anerkennung zollen. Die
gleiche Anerkennung wurde in der feierlichen Schlußsitzung von dem erschienenen
Vertreter der französischen Regierung, dem Unterstaatssekretär im Kriegsministerium
Chéron, den französischen und ausländischen
Gelehrten für ihre Mitwirkung gezollt und auf die hohe Bedeutung hingewiesen,
welche die Anwendung der künstlichen Kälte nicht nur für die Ernährung- der großen
Bevölkerungsmassen, sondern insbesondere für die Verpflegung der Armeen im Krieg und
Frieden zukomme. Und so konnte auch der berühmte Akademiker D'Arsonval in seinem glänzenden Schluß vortrage über die Bedeutung der
Wissenschaft für die Kälte-Industrie die hohe Wichtigkeit der Verbindung von
wissenschaftlicher Forschung und Industrie feiern und die Ueberzeugung aussprechen,
daß der erste Kongreß für die Fortschritte der Kälte-Industrie dieselben glücklichen
Konsequenzen haben werde wie seinerzeit der I. Internationale Kongreß für
Elektrizität im Jahre 1881 sie für die Entwicklung der elektrischen Industrie
gezeitigt hat.
Diese Hoffnung soll schon beim nächsten Kongresse, der für das Jahr 1910 nach Wien
einberufen wird, ihrer Verwirklichung näher gebracht werden und es wird eine
dankenswerte, wenn auch schwierige Aufgabe des vorbereitenden Komitees sein, diesem
zweiten Kongreß, welcher durch die gleichzeitig in Wien in diesem Jahre
stattfindende Internationale Jagdausstellung besondere Bedeutung erhalten wird, den
gleichen Erfolg wie dem ersten Pariser Kongreß zu verschaffen.