Titel: | Die Mitarbeit des Turbineningenieurs am Entwurfe einer Wasserkraftanlage. |
Autor: | Scheuer |
Fundstelle: | Band 324, Jahrgang 1909, S. 114 |
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Die Mitarbeit des Turbineningenieurs am Entwurfe
einer Wasserkraftanlage.
Von Dipl.-Ing. Scheuer, Assistent a.d.
Techn. Hochschule München.
Die Mitarbeit des Turbineningenieurs am Entwürfe einer
Wasserkraftanlage.
Der Entwurf einer technisch vollkommenen und wirtschaftlich günstigen
Wasserkraftanlage bedingt das Zusammenarbeiten von mindestens drei verschiedenen
Fachrichtungen. Bauingenieur, Turbineningenieur und zumeist Elektroingenieur müssen
sich über mehrere Grundfragen beraten und einigen. Soll die Wasserkraftmaschine zum
direkten Antriebe von Arbeitsmaschinen dienen, oder wird mechanische Transmission
der elektrischen vorgezogen, so hat natürlich an die Stelle des Elektroingenieurs
der entsprechende Fachmann zu treten.
Es soll versucht werden, im Folgenden den Wirkungskreis des Turbineningenieurs beim
Entwürfe zu umgrenzen, auf jene Punkte hinzuweisen, bei denen er beratend oder
entscheidend einzugreifen hatFür mehrere
Zahlenangaben bin ich Herrn Prof. Dr. Camerer, der Firma Briegleb Hansen
& Co., Gotha und der Firma Escher, Wyss & Co., Zürich zu erg. Dank
verpflichtet..
A. Die technische Seite des Entwurfes.
1. Die Wahl des Gefälles und der Ausbaustufe (Wassermenge)kann dem Bauingenieur überlassen werden. Von 0,5
bis 920 m Gefälle sind durch Francisturbinen bzw.
Tangentialräder schon mit Erfolg ausgenützt worden.
Sehr kleine Gefälle, solche unter 1,5 m, machen es schwierig, genügende
Wasserdeckung über der Turbine zu erreichen zur Vermeidung von Lufttrichterbildung,
ohne dem Wasser große Reibungswege aufzuzwingen. Technische Grenzen für Größt- oder
Kleinstwerte der Wassermenge sind kaum gegeben. Für Francisturbinen in 0,5 in Gefälle mag als Kleinstwert in Rücksicht auf den
Wirkungsgrad eine Wassermenge von etwa 30 l/sec gelten.
Von Wichtigkeit sind Gefalleschwankungen. Die Saughöhe und Eintauchtiefe der
Saugrohre sind vom Wasserspiegelstand abhängig, es ändert sich mit dem Gefälle die
Leistung und, was besonders zu beachten ist, auch diejenige Drehzahl, bei der die
Turbine den höchsten Wirkungsgrad erreichen kann. Die Abhängigkeit dieser Drehzahl
vom Gefälle läßt Fig. 1 überblicken, die dem Aufsatz
von Prof. Dr. Camerer
„Wirtschaftliche Gesichtspunkte beim Veranschlagen von Wasserkraftmaschinen“
Z.d.V.d.J. 1908, S. 1901 entnommen ist. Es ist hiebei der Rat des Turbineningenieurs
kaum zu entbehren.
Veränderungen in der Wassermenge haben nur Einfluß auf die zu wählende Anzahl der
Maschineneinheiten. (Siehe unter 3.)
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Fig. 1. Drehzahl, Wassermenge und Leistung einer Turbine bei verschiedenem
Gefälle H.
2. Die Wahl des Turbinensystems obliegt dem
Turbineningenieur. Es kommen nur mehr Francisturbinen
und Tangentialräder (Pelton- und Löffelräder) zur
Verwendung. Erleichtert wird die Entscheidung durch Ausrechnung der spezifischen
Drehzahl. Die Ableitung des Ausdruckes dafür n_s=\frac{n}{\sqrt{H}}\cdot
\sqrt{\frac{N}{H\,\sqrt{H}}} sei als bekannt vorausgesetzt und kann
nebst Tabelle 1 im Taschenbuch „Starkstromtechnik,“ Berlin, 1909, S. 266 f.
Abschnitt Wasserkraftanlagen von Professor Dr. Camerer
nachgeschlagen werden, dem sie entnommen istTabelle, der spezifischen Drehzahlen moderner Turbinen.. Bei
Tangentialrädern ist zu entscheiden, ob eine oder mehrere Düsen f.d. Rad zu
verwenden sind, ob ein oder mehrere Räder auf eine Welle zu setzen sind. Bei Francisturbinen ist die Anzahl der Laufräder auf einer
Welle festzulegen und zu entscheiden, ob eine Turbine in offenem Wasserkasten oder
eine Turbine in geschlossenem, gußeisernem oder schmiedeeisernem Gehäuse mit
Druckleitung mehr Vorteile bietet. Bis zu 10 m Gefalle herrscht der offene Einbau
vor, der gegebenenfalls; auch noch bei 15 bis 20 m Gefälle angewendet werden kann.
In Zweifelsfällen hat der Bauingenieur gehört zu werden. Bei Tangentialrädern
in Kraftzentralen wird nur wagerechte Welle ausgeführt. Ob bei Francisturbinen liegende oder stehende Welle und damit
meist im Zusammenhang, ob direkte Kupplung zwischen Turbine und Generator, bzw.
Arbeitsmaschine oder Uebersetzung durch Riementrieb, Seiltrieb oder Kegelräder
bevorzugt werden soll, haben Turbinen-, Elektro- und Bauingenieur gemeinsam zu
entscheiden.
Tabelle 1.
Spezifische Drehzahlen moderner
Turbinen.
Peltonräder
(Löffelräder)
mit
1
Düse
beaufschlagt
n
s
= 11,5
„
„
„
2
Düsen
„
„
= 16,2
„
„
„
3
„
„
„
= 19,9
„
„
„
4
„
„
„
= 23,0
Zentripetal- (Ueberdruck-Francis-)
Turbinen
Vierstufenlangsamläufer
n
s
= 15
Zweistufenlangsamläufer
„
= 21
Langsamläufer
„
= 40
bis
100
Normalläufer
„
= 100
„
200
Schnelläufer
„
= 200
„
300
Zwillingsschnelläufer (2 Laufräder auf einer Welle)
„
=
„
425
Vierfachschnelläufer (4 „ „ „ „
)
„
=
„
600
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Fig. 2. Abhängigkeit des Preises und der Grundfläche für 1 PS von der
Turbinengröße. Gefälle konstant.
3 Die Anzahl der Maschineneinheiten bestimmt unter
beratender Beihilfe des Elektroingenieurs am besten der Turbineningenieur. Dazu muß
die Aenderung der Wassermenge im Verlaufe des Jahres bekannt sein. Seit die
Beherrschung großer Massen in Herstellung, Montage und Betrieb der Turbinen keine
unüberwindlichen Schwierigkeiten mehr bietet, ist die Anzahl der Maschinensätze in
einer Anlage zurückgegangen, da größere Maschinen besseren Wirkungsgrad wegen der
verhältnismäßig kleineren benetzten Flächen und des geringeren Prozentsatzes der
mechanischen Reibung erreichen und, was eigentlich nur wirtschaftlich eine gewisse
Rolle spielt, da bei größeren Maschinen die Kosten für die 1 PS-Leistung geringer
ausfallen. Auch der Platzbedarf für die Einheit der Leistung sinkt bei steigender
Gesamtleistung der Maschine, wenngleich nur gering. Der Charakter dieser
Abhängigkeit des Preises und des Platzbedarfes f.d. PS-Leistung von der
Maschinengröße ist in Fig. 2 für offene vertikale
Francisturbinen in gleichbleibendem Gefälle bei
größer werdendem Durchmesser also steigender Leistung dargestellt. Wohl schreibt die
Rücksicht auf Transport größte Gewichte und Maße vor, doch sind in der Regel
Schwankungen in der verfügbaren Wassermenge, d.h. das Bestreben, auch bei
verringerter Wassermenge noch hohen Wirkungsgrad zu erzielen, die Grenzen der
spezifischen Drehzahl (siehe unten) und der Hinblick auf Betriebssicherheit für die
Wahl der Anzahl der Maschinensätze maßgebend. Bei einer größeren Maschinenanzahl,
also stärkerer Unterteilung der gesamten Werkleistung, wird man sich Schwankungen in
Wassermenge und Kraftbedarf besser anschmiegen können, Störungen und Reparaturen an
einzelnen Maschinen werden nicht so viel Kraft entziehen. Man strebt an, auch mit
der kleinsten, längere Zeit andauernden Wassermenge eine Maschine mindestens noch mit 1/2, wenn nicht 3/4 ihrer
Normalwassermenge speisen zu können, da sonst der Wirkungsgrad zu sehr sinkt. Die
Veränderung des Wirkungsgrades bei wechselnder Beaufschlagung und die Verwendung
mehrerer Maschinensätze bei wechselnder Wassermenge zeigt Fig. 3, die dem schon genannten Aufsatze Prof. Dr. Camerers entnommen ist.
Textabbildung Bd. 324, S. 116
Fig. 3. Wirkungsgradkurven einer Turbinenanlage mit 1, 2, 3 und 4
Maschinensätzen.
Ist so die Leistung der einzelnen Maschine bestimmt, dann kann der Elektroingenieur
einige passende Drehzahlen vorschlagen. Auch damit bestimmt sich ein Kleinstwert von
Maschinensätzen, da die nunmehr leicht festgestellte spezifische Drehzahl in den
oben angegebenen Grenzen bleiben muß. Nun erst kann endgültig die Anzahl der
Laufräder auf einer Welle bzw. die Düsenzahl bestimmt werden. Bei geschlossenen Francisturbinen führt man nicht mehr als zwei, bei
offenen Francisturbinen nicht mehr als vier
Laufräder auf einer Welle aus. Wie beim Generator ergibt auch beider
Wasserkraftmaschine eine größere Drehzahl kleinere Abmessungen, doch ist dies bei
den letzteren weniger ausgiebig und muß beachtet werden, daß der Wirkungsgrad mit
der spezifischen Drehzahl sich ändert, wie aus Fig.
4 zu ersehen ist, die Graf und Thoma in ihrem Aufsatze „Neuere
Schnelläuferturbinen“ Z.d.V.d.J. 1907 S. 1005 veröffentlicht haben.
4. Außer dem Platzbedarf der Turbine hat der
Turbineningenieur auch Gestalt und Maße der Turbinenkammer, bzw. den Anschluß der
Druckrohre, die Maße und Gestaltung des Betonablaufkrümmers und die Maße des Sumpfes
unter dem Ablauf anzugeben. Wie aus Fig. 5 zu sehen
ist, sinkt natürlich der Platzbedarf für 1 PS Maschinenleistung, wenn die gleiche
Turbine in größeres Gefälle gesetzt wird. Das gleiche gilt natürlich auch für die
Fundamente und Ablautkammern von Peltonrädern, bei
denen es besonders wichtig ist, daß das Wasser ohne Stauung unter dem Laufrad
wegfließt. Die Höhenlage der Turbine zwischen Oberwasser- und Unterwasserspiegel
legten am besten Bau und Turbineningenieur gemeinsam fest, da die Saughöhe der Turbine
(höchstens 7 m) und die Wasserüberdeckung über dem Leitrad davon abhängen,
anderseits natürlich auch die Wasserbauten. Bei Peltonrädern ist die Höhe über dem Unterwasserspiegel in der Regel verlorenes
Gefälle.
Ueber die Notwendigkeit und den Platzbedarf der Regulatoren hat der Turbineningenieur
Angaben zu machen. Bei kleineren Anlagen, die nicht zugleich Licht und Kraft
liefern, kann ja von einer selbsttätigen Regulierung oft abgesehen werden.
5. Sicherheitsvorrichtungen an Rohrleitungen, Hilfseinrichtungen und
Hilfsrohrleitungen (Hochquellwasserleitung für die Regulatoren, Warmwasserleitungen
für Schützen, Rechen und Turbinen) sind schon beim Entwürfe vom Turbineningenieur
vorsusehen, sonst werden sie aus falscher Sparsamkeit oder Bequemlichkeit nicht
ausgeführt, sehr zum Schaden der Betriebssicherheit, oder müssen später mit
unverhältnismäßig größeren Kosten nachgeholt werden.
6. Es soll hier noch angeführt werden, daß Geh. Baurat Prof. Pfarr in der Z.d.V.d.J. 1908 S. 2011, wohl auf Grund schlechter
Erfahrungen, auch die Anordnung des Wehres mit Kanaleinlaufschützen, Kiesfang und
der Hauptsache nach die Schützen und Druckrohre für den Turbineningenieur
reklamiert.
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Fig. 4. Spezifische Drehzahl.
B. Die wirtschaftliche Seite des Entwurfs.
Es ist von vorneherein klar, daß der Turbineningenieur auf den gesamten
wirtschaftlichen Plan wenig Einfluß haben kann, da die Kosten der Turbinen gegenüber
den Gesamtkosten, von denen sie etwa 4 bis 12% in normalen Verhätnissen ausmachen,
wenig ins Gewicht fallen.
Der Turbineningenieur hat natürlich die Kosten der Turbinen, vielleicht für mehrere
in Betracht kommende Aufstellungsarten, Größen und Systeme angeben. In der Regel
wird es sich, eben wegen des zu den Gesamtkosten geringen Preises, nicht darum
handeln, eine billige Ausführung zu wählen, sondern einfach die technisch beste,
also Entscheidungen zu treffen, die unter A besprochen sind. Aus den in der
Literatur zugänglichen Daten (siehe Thielsch
„Baukosten von Wasserkraftanlagen,“ Zeitschrift f.d. ges. Turbinenwesen 1908
S. 357 f.; Mattern
„Die Ausnutzung der Wasserkräfte“ Leipzig 1908; besonders auch Koehn
„Ausbau von Wasserkräften“ Leipzig 1908, das ausgezeichnetes und reichliches
Material für den technischen und wirtschaftlichen Entwurf bietet) folgt, daß für Francisturbinen in Gefällen von 2 bis 20 m mit
durchschnittlichen Gesamtanlagekosten (für Wasserbau, Hochbau, elektrische
Einrichtung und Fernleitung) die Anlagekosten der Turbinen mit steigendem Gefälle
von 12 bis 4,5% der Gesamtanlagekosten sinken, bei Tangentialrädern in Gefällen von
60 bis 350 m von 7 bis 4%. Wollte man also an den Turbinenkosten sparen, so könnte
dies im Gesamtbild aller Anlagekosten nur wenig ausmachen, wohl aber könnten
dadurch die direkten Betriebskosten (Wartung, Schmier- und Putzmaterial) und die
Reparaturkosten (schlechteres Material, schlechtere Ausführung, starker Verschleiß
noch dazu an nicht auswechselbaren Teilen) und auch die Tilgungsziffer in ungleich
größerem Maße wachsen, der Wirkungsgrad sinken und die Betriebssicherheit, besonders
bei Einsparung an Sicherheitsvorrichtungen, sehr leiden und Einnahmeausfall durch
Betriebsstillstand verursacht werden.
Textabbildung Bd. 324, S. 117
Fig. 5. Abhängigkeit des Preises und der Grundfläche für 1 PS von Gefälle.
Turbinengröße konstant.
Die Abnahme des Anlagepreises für I PS Maschinenleistung bei steigender Leistung der
Turbine in gleichem Gefälle ist bereits unter 3) vorausgreifend erwähnt worden und
in Fig. 2 dargestellt. In welcher Art dieser Preis
für 1 PS Maschinenleistung abnimmt, wenn die gleiche Turbine in größeres Gefälle
gesetzt wird, könnte aus Figur 1 gefolgert
Tabelle 2.
Technischer Entwurf.
1
2
3
Gefälle
B
T
–
Wassermenge
B
(T)
–
Turbinensystem
T
E
B
Maschinenzahl
T
(E)
(B)
Drehzahl
T
E
–
Platzbedarf
T
–
–
Turbinenkammer, Druckrohranschluß
T
(B)
–
Betonkrümmer, Sumpf, Saughöhe
T
B
–
Regulator, Sicherheits- u. Hilfseinrichtungen
T
(E)
(B)
Wirtschaftlicher
Entwurf.
Kosten der Turbinen
T
–
–
Schmiermaterial
T
–
–
Normale Reparatur
T
–
–
Tilgung der Turbine
T
–
–
Wirkungsgrad bei versch. Beaufschlagg.
T
–
–
T =
Turb.-Ing.; B = Bau-Ing.; E = Elektro-Ing.
werden und ist in Fig. 5 zu ersehen. Natürlich
ist zu beachten, daß dies nur so lange gilt, als nicht wegen zu großen Gefälles eine
andere Turbine zu wählen ist. Die geschlossene Turbine ist etwa um 30% teurer als
die offene gleichen Durchmessers, die horizontale Doppelturbine mit zwei getrennten
Abläufen etwa um 90%, die Zwillingsturbine im groben Durchschnitt 20% teurer als die
horizontale, einfache, gleichen Durchmessers und natürlich halber Leistung. Obgleich
größere Drehzahl bei gleichem Gefalle kleineren Durchmesser gibt, so bleibt doch
wegen Vergrößerung der Laufradhöhe und etwas schwierigerer Ausführung der Preis der
gleiche.
Die Tigungsziffer der Turbinen ist vom
Turbineningenieur anzugeben, womöglich auch der normale Verbrauch an Schmiermaterial
und die Durchschnittskosten für normale durch den Verschleiß hervorgerufene
Reparaturen.
Zur Wirtschaftlichkeitsrechnung sind Angaben über die Leistung, d.h. den Wirkungsgrad der Turbinen bei verschiedenen Wassermengen
nötig, die selbstverständlich die Turbinenfabrik zu liefern hat.
Die Mitwirkung des Turbineningenieurs hat sich also gewöhnlich auf die in der
vorstehenden Tabelle 2 zusammengestellten Gesichtspunkte zu erstrecken.