Titel: | Der gegenwärtige Stand der Motorluftschiffahrt. |
Autor: | Ansbert Vorreiter |
Fundstelle: | Band 324, Jahrgang 1909, S. 134 |
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Der gegenwärtige Stand der
Motorluftschiffahrt.
Von Ingenieur Ansbert
Vorreiter.
Der gegenwärtige Stand der Motorluftschiffahrt.
I. Dynamische Flugapparate.
In der Konstruktion dynamischer Flugapparate sind im letzten Jahre sehr große
Fortschritte gemacht worden. Am meisten ist auf diesem Gebiete in Frankreich und den
Vereinigten Staaten gearbeitet worden. Nachdem die erfolgreichsten Konstrukteure
Amerikas, die Gebrüder Wrigth, ihre Tätigkeit nach
Frankreich verlegt haben, dürfte die im Entstehen begriffene Industrie der
Flugapparate ebenso wie die Automobil-Industrie ihren Hauptsitz in Frankreich haben.
Deutschland hat zu tun, den Vorsprung Frankreichs einzuholen. Hierzu ist notwendig,
daß den Konstrukteuren wie in Frankreich die Mittel zur Ausführung der Versuche zur
Verfügung gestellt werden.
Textabbildung Bd. 324, S. 134
Biplan System Voisin (Farman, Delagrange, Zipfel).
A Höhensteuer. B obere. C untere
Tragfläche. D Schwanzflächen. E1 vordere, E2 hintere vertikale Flächen. F
Führersitz. G Schraube. H Motor. K Kühlapparat. L. Lenkrad. R Benzinreservoir. S
Seitensteuer. W Wasserreservoir.
Die dynamischen Flugapparate werden bekanntlich in 3 Klassen eingeteilt: Drachenflieger, Schraubenflieger und Schwingenflieger. Die besten Erfolge sind bisher mit
Drachenfliegern erzielt worden, indem Flüge von 20 km und nach Angabe der Gebrüder
Wrigth, 36 km. bereits erreicht sind. Schrauben-
und Schwingenflieger sind noch in den ersten Versuchsstadien. Namentlich erstere
dürften für militärische Zwecke Bedeutung erlangen, die
Konstruktions-Schwierigkeiten sind auch bei den Schraubenfliegern nicht so groß wie
bei den Schwingenfliegern, nächst den Drachenfliegern dürften daher die
Schraubenflieger zur Ausbildung gelangen.
Nachstehend sollen die Drachenflieger als die Gruppe
der dynamischen Flugapparate, die bisher am erfolgreichsten war, zuerst beschrieben
werden. Drachenflieger sind bekanntlich Flugapparate, die im wesentlichen aus durch
Propeller vorgetriebenen Tragflächen bestehen, die sich dadurch in die Luft erheben
und in dieser halten, daß die Tragflächen gegen die Bewegungsrichtung geneigt sind
(um 3 bis 8 Grad), so daß die Luft unter den Flächen verdichtet wird.
Nach der Anzahl der über einander angeordneten Tragflächen werden die Drachenflieger
in Monoplane oder Eindecker
und Biplane oder Doppeldecker
eingeteilt. Die längsten Flüge wurden mit den Doppeldeckern erreicht, da diese
Apparate leichter im Gleichgewicht zu erhalten sind.
Biplane.
Den ersten Drachenflieger, der öffentlich vorvielen Zuschauern geflogen ist,
baute Santos-Dumont 1906 in Paris. Gleichzeitig mit
ihm versuchte der Däne Ellehammer auf der Insel
Lindholm einen Drachenflieger, möglicherweise ist dieser sogar einige Tage eher
geflogen als Santos. Beide, Ellehammer und Santos-Dumont, benutzten
Doppel deck er nach Chanute. Dieser erste
Drachenflieger von Santos war sogar verkehrt
gebaut, indem er das Seitensteuer vorn statt hinten hatte, und ist doch
geflogen. Aber schon bei einem geringen Seitenwind würde der Flieger gedreht
worden sein, Santos-Dumont hatte also Glück, ein
zweites Mal versuchte er den Flug mit diesem Drachenflieger nicht mehr.
Einer der bekanntesten Drachenflieger und der erfolgreichste von allen
französischen Konstruktionen ist der Doppeldecker von Farman. Fast gleich konstruiert ist der Flieger von Delagrange. Beide sind in den Werkstätten der
Gebrüder Voisin in Paris-Billancourt gebaut. Der
Drachenflieger von Farman hat mit 20 km Fluglänge
den offiziellen Rekord für dynamische Flugapparate bis zum 12. September 1908
gehalten. In Fig.
1 und 2
ist dieser Drachenflieger gezeichnet. Fig. 3
zeigt eine Abbildung des Anlaufgestelles und des Motors mit Schraube. An einem
Körper von der Form eines Obelisken, der nach Art eines Gitterträgers aus
Holzstäben zusammengesetzt und mit kreuzförmigen Stahldrähten verspannt ist,
sind unten ein Paar Tragflächen angesetzt. Das Gerüst derselben besteht
ebenfalls aus Holzstäben, die mittels Winkeln aus Alluminium zusammengesetzt
sind. Mittels vertikaler Holzstäbe werden die in gleicherweise gebauten oberen
Tragflächengetragen. Vorn an der Spitze des Körpers ist das um eine wagerechte
Achse drehbare Höhensteuer angebracht. Zur Erhaltung der Stabilität in der
Flugrichtung ist noch eine Schwanztragfläche vorgesehen, die anlangen Streben,
ausgehend von dem oberen und unteren Tragflächenpaar, befestigt ist. Der Schwanz
ist als Kastendrachen ausgebildet, hat also auch senkrechte Wände, deren
hinteres Ende, um senkrechte Achsen drehbar, das Seitensteuer bilden. Als
Ueberzug für Tragflächen und Steuer dient Leinwand, in letzter Zeit Ballonstoff,
da dieser wasserundurchlässig ist. Auch der vordere Teil des obeliskartigen Körpers
ist mit Stoff überzogen. Der Körper ruhtauf einem federnden Gestell, das mit
Velozipedrädern versehen ist. Beide Räder sind um etwas zur Senkrechten geneigte
Zapfen drehbar. Zwei kleinere, wie die vordere mit Pneumatiks bespannte Räder,
sind unter der Schwanzfläche angebracht. Der Motor ist im hinteren Teil der
Tragfläche untergebracht und treibt direkt eine Schraube mit 2 Flügeln an.
Ursprünglich benutzte Farman den bekannten Antoinette-Motor mit 8 Zylindern, später einen
besonders für Flugapparate konstruierten Motor von der Firma Renault Frères, einer der größten französischen
Automobilfabriken. Die Beschreibung der Motore soll in einem späteren Aufsatz
erfolgen. Ueber dem Motor ist das Benzinreservoir angebracht, vor dem Motor der
Sitz des Führers, ein einfaches Holzbrett mit Rücklehne. Vor dem Sitz befindet
sich ein Lenkrad der bei Automobilen üblichen Art, womit das Höhen- und
Seitensteuer gleichzeitig bedient wird und zwar durch Drehen des Rades das
Seitensteuer, durch Vor- oder Zurückschieben des Lenkrades mit seiner Welle, das
Höhensteuer. Zu diesem Zwecke faßt am Ende der Steuerwelle eine Muffe an, von
der eine Schubstange nach einem an der Welle des Höhensteuers befestigten Hebel
führt.
Textabbildung Bd. 324, S. 135
Fig. 3. Körper des Biplanes „Farman'“ mit Anlaufrädern und
Moter.
Die Tragflächen ergeben zusammen 48 qm Fläche, das Höhensteuer etwa 4 qm, die
Schwanzfläche 9 qm. Das Gewicht des ganzen Drachenfliegers beträgt 360 kg. Der
Motor soll 50 PS leisten, doch dürfte die Höchstleistung beim Fliegen etwa 40 PS
betragen.
Die Tragflächen sind in Richtung der Flugbahn parabolisch gekrümmt und stehen in
einem Winkel von 8 Grad zur Wagerechten. Beim Anlauf, der durch die Kraft der
Treibschraube, bzw. des Motors allein stattfindet, heben sich infolge des
Luftwiderstandes zuerst die Schwanztragflächen und der Drachenflieger läuft auf
den Vorderrädern allein weiter. Hat der Apparat eine genügende Geschwindigkeit
erreicht, etwa 15 bis 18 m i.d. Sek., so dreht der Führer das Höhensteuer
in die Position A2
der Zeichnung Fig.
2 und der Flugapparat erhebt sich von der Erde.
Die Anlaufstrecke beträgt im günstigsten Falle 50 m, oft aber über 100 m. Im
glänzen arbeitet der Anlaufapparat sehr gut, sein Vorteil ist, daß der
Drachenflieger ohne besondere Einrichtungen auf jedem ebenen Felde von etwa ½
qkm Größe aufsteigen kann. Der Nachteil des Anlaufgestelles ist das hohe Gewicht
von über 100 kg, auch werden die leicht gebauten Räder beim Landen oft
beschädigt.
Der Drachenflieger von Delagrange (Fig. 4 u. 5) ist
mit dem Farmanschen ganz gleich konstruiert, nur
ist der Motor mit einem Wasserkühler ausgerüstet, so daß er länger in Betrieb
sein kann. Der Kühlapparat ist vorn zu beiden Seiten des Körpers angebracht und
besteht aus vielen dünnen senkrechten Rohren. Beim Antoinette-Motor Farmans war kein Kühler
vorhanden und das Wasser verdampfte allmählich. Die 20 Liter Wasser, die die
Kühlmäntel der Zylinder und das Wasserreservoir enthalten, sind bei voller
Leistung des Motors in etwa 20 Minuten verdampft. Der luftgekühlte Motor Renault hat bei gleicher Leistung fast das doppelte
Gewicht des Antoinette-Motors, der etwa 50 kg
wiegt, hierzu kommt noch das Gewicht des Kühlwassers. Der Renault-Motor hat den Vorzug eines geringeren
Benzin-Verbrauchs als der Antoinette-Motor, dieser
hat nämlich keinen Vergaser, sondern spritzt den Brennstoff direkt in die
Saugventil-Kammer. Die Vergasung und Luftmischung ist dabei nicht so gut wie bei
einem guten Vergaser.
Textabbildung Bd. 324, S. 135
Fig. 4. Biplan Delagrange.
Bemerkenswert ist noch, daß sowohl Farman als Delagrange mit ihren Drachenfliegern bereits Flüge
mit 2 Personen besetzt, ausgeführt haben. Ebenso auch die Gebrüder Wright.
Textabbildung Bd. 324, S. 135
Fig. 5. Delagrange am Steuer seines Drachenfliegers.
Die deutschen Konstrukteure und Interessenten, welche nicht Gelegenheit haben,
nach Frankreich zu reisen, konnten die Konstruktion dieser vielgenannten
Drachenflieger System Voisin auf dem Tempelhofer
Felde bei
Berlin sehen, und daher verdient Herr Hauptmann Hildebrandt, welcher diese Flugversuche von Amand Zipfel arrangierte unsern Dank. Am Biplan-Zipfel ist zu ersehen, daß Voisin wieder die vertikalen Flächen zwischen den Tragflächen
eingesetzt hat, weil dadurch die Stabilität eine bessere ist. Allerdings ist es
diesen Drachenfliegern nicht möglich, so kurze Kurven zu fliegen wie mit
Apparaten von Wright oder Blemot. Im übrigen zeigt der Zipfel-Biplan keine Verbesserungen gegen die früher von Voisin gebauten Drachenflieger. Sein Motor ist ein
50 PS Antoinette.
Die Erfolge Farmans und Delagranges haben natürlich die anderen französischen Flugtechniker
mächtig angespornt, und so wurde längere Zeit fast jede Woche in Issy les
Moulineaux – dem Exerzierfeld bei Paris – einneuer Drachenflieger versucht.
Diesen sehrgünstig gelegenen und mit einer Mauerumgebenen Platz von etwa 1 qkm
Größe, stellte die Militärbehörde den Flugtechnikern zur Verfügung und erlaubte
ihnen dort Hallen zur Unterbringung der Flugapparate zu bauen. Jetzt ist die
Erlaubnis insofern eingeschränkt worden, als nur zu gewissen Stunden die
Versuche stattfinden dürfen, weil die Absperrung Schwierigkeiten macht und bei
einem Fluge von Delagrange einige der Zuschauer
umgeworfen wurden, als der Drachenflieger unvorhergesehener Weise landete; zum
Glück wurde jedoch niemand verletzt.
Textabbildung Bd. 324, S. 136
Biplan von Ferber. A Höhensteuer. B obere, C untere Tragfläche. D
Schwanzfläche. E, F Steuer- und Stabilitätsflächen. G Schraube. H Motor. J
Reservoire für Benzin und Wasser. K Führersitz.
Von Doppeldeckern seien noch erwähnt der Drachenflieger von Pichof, der durch sein geringes Gewicht von etwa
100 kg, mit einem Esnault-Pelterie-MotorS.D. P. J., 1909, Bd. 324, S. 7.
von 20 Ps ausgerüstet, bemerkenswert ist, aber keine besondere Leistungen
erreichte, weil er sich als wenig stabil erwies.
Der Doppeldecker des Hauptmanns Ferber dagegen hat
bereits bei seinen ersten Versuchen gute Ergebnisse geliefert. Bemerkt sei, daß
Ferber in gewissem Sinne als der Vater der
französischen Flugtechnik anzusehen ist. Ferber war es, der bald nach dem Auftreten Lilienthals in Deutschland Versuche mit Gleitfliegern in Frankreich
anstellte. Auch nach Lilienthals Tode setzte er
diese Versuche fort, während in Deutschland die Sache einschlief. Ferber sah bald ein, daß der Doppeldecker nach Chanute weit stabiler ist als der Eindecker
(Monoplan) Lilienthals und verbesserte wesentlich
den Chanute-Gleitflieger, namentlich durch
Hinzufügung eines langen Schwanzes mit wagerechter Fläche, wodurch die
Stabilität in der Flugrichtung gewährleistet war. Die seitliche Stabilität
verbesserte Ferber indem er die äußeren Enden der
Tragflächen etwas nach oben krümmte. Auch die Schwanztragfläche bog Ferber, in V-Form nach oben.
Ferber baute zuerst in Frankreich einen Motor in
seinen Gleitflieger und schuf so den ersten französischen Drachenflieger. Die
Versuche begann Ferber, um die Gefahr zu
verringern, indem er seinen Flugapparat an einen hierfür konstruierten Mast bzw.
Galgen aufhing, um den herum der Flug ausgeführt wurde. Durch Ferber angeregt und von ihm unterstützt, begann nun
auch der bekannte Fabrikant Bleriot sich der
Flugtechnik zu widmen, von dessen Versuchen, einen Monoplan zu konstruieren,
noch später die Rede sein wird. Auch Santos-Dumont,
der bis dahin sich der Konstruktion von Motorballons gewidmet hatte, baute
nunmehr Drachenflieger und stellte mit einem Doppeldecker am 12. November 1906
den ersten Rekord mit einem dynamischen Flugapparat auf, indem es ihm gelang,
220 min freiem Fluge zurückzulegen. Die Gebrüder Voisin, die sich auch mit Gleitflugversuchen beschäftigten, eröffneten
jetzt ihre Werkstatt für Flugapparate, während es in der Fabrik von Levaseur bereits eine Werkstatt für die Herstellung
leichter Motore gab. Voisin baute mit Ferbers Unterstützung die Drachenflieger für Farman, der bis dahin Automobil-Rennfahrer war, und
für Delagrange, einen bedeutenden Bildhauer, und
diese Apparate überboten sich gegenseitig in ihren Leistungen. Auch andere
Konstrukteure, wie Mengin und Gastambid unterstützte Ferber mit Rat, wie es überhaupt lobend anerkannt werden muß, daß
zwischen den französischen Flugtechnikern keine Eifersüchteleien bestehen, sie
sich vielmehr gegenseitig um Rat fragen und ihre Erfahrungen austauschen.
Abgesehen davon, daß den französischen Konstrukteuren die Mittel für die
Versuche zur Verfügung gestellt wurden, ist dies wohl der Hauptgrund für den
Vorsprung, den Frankreich auf dem Gebiete der Flugtechnik erlangt hat. Erst
nachdem die Wrights das Feld ihrer Versuche nach
Frankreich verlegten, fanden sie die längst verdiente Anerkennung. Hauptmann Ferber scheint die Versuche der Gebrüder Wright verfolgt zu haben, denn in manchen Punkten
ist sein Drachenflieger dem der Wrights ähnlich. So
in der Anordnung des vorderen Höhensteuers, das auch Farman und Delagrange anwendet und wohl
allgemein eingeführt werden dürfte. Fig. 6 bis 8 zeigte den
Drachenflieger von Ferber in der Ansicht von vorn,
oben und von der Seite. Die Tragflächen, die wie ein stumpfes V nach oben
gebogen sind, haben eine Breite von um und bei einer Länge von 1,8 m eine
Oberfläche von 40 qm. Der über der unteren Tragfläche gelagerte Antoinette-Motor von 50 Ps treibt die vor der
Tragfläche gelagerte Schraube direkt an. Die Schraube hat 2 Flügel, der
Durchmesser beträgt 2,20 m, die Steigung 1,10 m. Das Anlaufgestell hat 2
hintereinander angeordnete Räder, die mit Pneumatiks bespannt sind. Das
Seitensteuer ist doppelt vorhanden und zwar als 2 an den äußersten vertikalen
Verbindungsstangen der Tragflächen drehbar befestigte dreieckige Segel. Diese
Segel dienen auch zur Erhaltung der Seitenstabilität, Die Flächen der
Seitensteuer erscheinen etwas zu klein, auch wirkt das Seitensteuer besser, wenn
vor demselben eine feststehende Fläche angebracht ist. Das einfache Höhensteuer
wird in ähnlicher Weise wie bei den Drachenfliegern von Farman und Delagrange
durch dasselbe Steuerrad betätigt. Der Ferber-Drachenflieger hat ein Gewicht von etwa 300 kg.
Schon bei seinem ersten Flugversuch am 14. Juli in Issy konnte Hauptmann Ferber Flüge bis 150 m ausführen. Durch die
Wiederindienstberufung des für 2 Jahre beurlaubten Hauptmanns haben die Versuche
eine Unterbrechung erfahren. Die Konstruktion erscheint, weil einfacher und
billiger herzustellen als Drachenflieger nach Farman, sehr aussichtsreich.
(Fortsetzung folgt.)