Titel: | Die Lentz-Ventilsteuerung an Lokomotiven. |
Autor: | Max Osthoff |
Fundstelle: | Band 324, Jahrgang 1909, S. 164 |
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Die Lentz-Ventilsteuerung an
Lokomotiven.
Von Dr.-Ing. Max Osthoff, Reg.-Baumeister
in Duisburg.
(Fortsetzung von S. 149 d. Bd.)
Die Lentz-Ventilsteuerung an Lokomotiven.
4. Entwurf der Heusinger-Lentz-Ventilsteuerung.
Bei dem Ersatz der Kolbenschiebersteuerung an den Heißdampflokomotiven durch die Lentz-Ventilsteuerung sollten hinsichtlich der
Einströmöffnungen und Dampfgeschwindigkeiten möglichst Verbesserungen erzielt
werden.
Es möge gleich hier bemerkt werden, daß sich durch Vergrößerung des Durchmessers des
Kolbenschiebers von 150 auf 175 mm oder mehr und des Hubes der Umsteuerung bei den
Schieberlokomotiven, wie sich aus der nachstehenden Untersuchung leicht ergibt (die
Ventilerhebungskurven in Fig. 8a bleiben stets unterhalb der zugehörigen Ellipsen), noch geringere
Dampfgeschwindigkeiten erzielen lassen als bei den Ventillokomotiven. Es wird aber
als besonderer Vorzug des Schmidtschen Kohlenschiebers
ohne federnde Ringe der geringe Durchmesser von nur 150 mm angegeben. Sein hierdurch
bedingtes geringes Gewicht ergibt eine geringere Abnutzung der Kolbenkörper und der
Büchsen und demgemäß im Zusammenhang mit seinem geringen Umfang kleinere
Dampfverluste. Aus diesen Gründen und aus Herstellungsrücksichten ist eine
Vergrößerung des Durchmessers der Kolbenschieber vorläufig nicht zu erwarten. Es
erscheint deshalb gerechtfertigt, die neue Ventilsteuerung mit der jetzigen
Ausführung der Kolbenschiebersteuerung zu vergleichen. Etwas unbillig ist jedoch der
Vergleich insofern, als die Umsteuerung der Ventillokomotive einen größeren Hub als
die der Schieberlokomotive besitzt, und die Schiebersteuerung sich durch Anwendung
eines gleichgroßen Hubes noch verbessern läßt. Man kann dem aber entgegenhalten, daß
auch bei der Ventilsteuerung, wo vorläufig verhältnismäßig flache Kurven zur
Ausführung gelangt sind, noch eine Verbesserung bezüglich der Dampfgeschwindigkeiten
usw. möglich ist durch Anwendung steilerer Kurven an der Nockenstange.
Abgesehen hiervon stellt die Ventilsteuerung für die in Fig. 2 angegebene Bauart wohl die Grenze des
Erreichbaren dar.
Die Größe der Ein- und Auslaß Öffnungen ist abhängig von der Größe der
Ventildurchmesser und des Ventilhubes. Der Ventildurchmesser ist bei der für die D
(4/4 gek.) Heißdampf-Güterzuglokomotiven ausgeführten Ventilanordnung (Fig. 2) durch die Länge des Dampfzylinders nach oben
hin begrenzt. Der praktisch noch ausführbare größte Ventildurchmesser ergab sich zu
175 mm. Wegen des beschränkten Konstruktionsraumes sind eingesetzte Ventilsitze
nicht zur Anwendung gelangt. Die Bauart wird hierdurch einfacher und wird auch im
allgemeinen Maschinenbau, wie Ausführungen der Firma Ph.
Swidersky in Leipzig zeigen, bei kleineren Ventildurchmessern wie 175 mm
vielfach benutzt. Alle Ventile sind bis auf die Sitzbreite, welche für Einlaß 3 mm
und für Auslaß 2,5 mm beträgt, völlig gleich.
Um möglichst rasches Eröffnen und Schließen der Ventile zu erzielen, wurde der Hub
der Heusinger-Steuerung vergrößert bei gleichzeitiger
Verlängerung der äußeren Deckung a von 37 mm auf 45 mm.
Derselbe beträgt z.B. für die Füllung von 40% 119 mm bei der Ventil-, gegenüber 102
mm bei der Schiebersteuerung. Dieselbe Wirkung hätte man, wie sich nachher ergeben
wird, durch eine etwas steilere Ventilerhebungskurve erzielen können. Die
Vergrößerung des Hubes hat übrigens noch den Vorteil, daß der Einfluß des toten
Ganges in der Steuerung verringert wird.
In Fig. 8b ist das Zeuner-Diagramm der Heusinger-Ventilsteuerung, in Fig. 8a sind die
Ellipsen, welche von irgend einem Punkte der Nockenstange beschrieben werden,
dargestellt. Durch Uebertragen der Wege der Nockenstange, welche gleich den
Ordinaten o bzw. q der
Ellipsen in Fig. 8a
sind, in die zugehörigen Ventilerhebungskurven (Fig. 9b und 9a), findet man die
Ventilhübe p für Einlaß bzw. s für Auslaß. Dieselben sind in Fig. 8a auf den
Kolbenweg und in Fig.
8b, hier allerdings nur für die größte Füllung, auf den Kurbelwinkel
bezogen dargestellt.
Besonders schwierig gestaltet sich die Wahl der Ventilerhebungskurven in Fig. 9a und 9b. Die Gestalt dieser
Kurven wird bedingt durch die Größe des Ventilrollendurchmessers und der
Hubkurvenhalbmesser an der Nockenstange. Mit Rücksicht auf die später zu
behandelnden Ventilbeschleunigungen wurden die in Fig. 9a und 9b dargestellten
Rollen und Halbkurven mit einem größten Ventilhub von nur 13 mm gewählt. In dem
Falle, daß die Ventilerhebungskurve eine unter 45° geneigte Gerade wäre, würde das
Ventil in gleichen Zeiten ebenso große Hübe ausführen wie die Nockenstange bzw. ein
Schieber. Dieser Fall ist aber wegen des dann zwischen Rolle und Stange auftretenden
Stoßes nicht ausführbar.
Textabbildung Bd. 324, S. 165
Fig. 8a u. 8b. Heusinger-Lentz-Ventilsteuerung.
Aus den Ventilerhebungen p und s in Fig.
9b und 9a
erhalten wir die Ein- bzw. Auslaßquerschnitte in demselben Maßstab wie die
Schieber-Ein- bzw. Auslaßquerschnitte, wenn wir p bzw.
s mit den Faktoren 2 (doppelte Ein- und
Ausströmung) und
\lambda=\frac{\mbox{Ventilumfang}}{\mbox{Schieberumfang}}=\frac{108}{83,2}=1,296
multiplizieren. Im übrigen sind die Dampfgeschwindigkeiten vv in derselben Weise
ermittelt, wie bei der Schiebersteuerung.
5. Vergleich der Kolbenschieber mit der
Ventilsteuerung.
Der leichteren Uebersicht halber sind in Fig. 10 die
Größen fv und vv der Ventilsteuerung
in demselben Maßstab wie die sich auf die Schiebersteuerung beziehenden Größen fs und vs übereinander
gezeichnet. Die ausgezogenen Linien gelten für die Ventile, die punktierten für den
Schieber.
Die mittleren Einlaßdampfgeschindigkeiten in m/Sek. (vgl. Seite 148) ergeben sich für
Ventil und Schieber bei Vmax = 50 km/St, wie folgt:
Füllung
70%
50%
40%
25%
Ventil
126,6
142
164,5
227
Schieber
161
166,2
176,5
236,5
Im Schieber größer in %
27,3
16,8
7,3
4,2
Es sind also durchweg, wie auch aus Fig. 10 zu
ersehen ist, geringere Dampfgeschwindigkeiten erreicht, die für Lokomotivsteuerungen
als niedrige zu bezeichnen sind. Infolge der geringeren Einlaßdampfgeschwindigkeiten
werden sich auch die Drosselverluste vermindern. Je geringer aber die
Drosselverluste, um so geringer sind der Spannungsabfall im Dampfdiagramm und der
Dampfverbrauch selber.
Auch für Auslaß gibt das Ventil (Fig. 10) schneller
größere Querschnitte frei als der Schieber; allerdings ist der größte
Auslaßquerschnitt des Schiebers größer als der des Ventils.
Ergeben sich diese eigentlich nicht sehr bedeutenden Vorteile bezüglich der
Dampfersparnis aus der geometrischen Konstruktion der Ventilsteuerung, so gestalten
sich die Verhältnisse im Betriebe für die Ventile sehr viel günstiger.
Die Ventile lassen sich mit wenig Arbeit fast völlig dampfdicht einschleifen, und,
was die Hauptsache ist, sie behalten diese gute Eigenschaft auch im Betriebe dauernd
bei. Ja, man behauptet sogar, die Dampfdichtigkeit der Ventile nähme immer mehr zu
im Betriebe. „Die Ventile schlagen sich dicht,“ so lautet der technische
Ausdruck. Weil das Ventil ein einfacher Drehkörper ist, so tritt ein Werfen und
Ziehen bei Erwärmung nicht ein. Ein Unrundwerden infolge Ausdehnung der Rippen wäre
bei geraden Sitzflächen erstens nicht besonders schädlich, zweitens wird dasselbe
durch die tangentiale Anordnung der Rippen wirksam beschränkt.
Undichtigkeitsverluste können eintreten durch Verziehen der Ventilsitze im
Zylindergußstück. Durch zweckmäßige Bauart der Zylinder läßt sich das Verziehen aber
vermeiden. Die bisher ausgeführten Lokomotiven zeigen auf dem ganzen Umfang blanke
Ventilsitze.
Flachschieber lassen sich anfangs auch gut dampfdicht herstellen. Mit der Zeit
aber nutzen sich die durch den Dampfdruck stark beanspruchten Berührungsflächen am
Zylinder und Schieber infolge Werfens besonders bei schlechter Schmierung
ungleichmäßig ab, so daß der Schieber durchzuheulen beginnt. Hierzu trägt auch der
Umstand bei, daß der Schieber bei den einzelnen Füllungen verschieden große Wege
zurücklegt. Man vergleiche Metzeltin, Organ für
Fortschritte 1906, S. 198 und 199.
Günstiger verhalten sich die Kolbenschieber, wie sie an ortsfesten Dampfmaschinen
gebräuchlich sind. Wegen der völligen Entlastung ist die Abnutzung nur gering.
Federnde Ringe sorgen für ein einigermaßen gutes Dichthalten. Derartige
Kolbenschieber mit Federringen haben in neuerer Zeit auch vielfach bei
Näßdampflokomotiven Anwendung gefunden.
Am ungünstigsten scheinen die Verhältnisse für den Kolbenschieber ohne federnde
Dichtungsringe zu liegen. Derselbe muß schon von Anfang an ein gewisses Spiel in
seiner Büchse haben, damit er nicht bei größerer Ausdehnung als die der Büchse und
bei Unrundwerden sich in der Büchse festklemmt, und an der schwächsten Stelle der
Umsteuerung ein Bruch erfolgt. Um die Zerstörung der Steuerung auf jeden Fall zu
verhindern, neigen die Werkstätten dazu, den Kolbenkörper eher etwas kleiner im
Durchmesser herzustellen, als es die – Ausdehnung des Kolbenkörpers und der Büchse
erfordert. Aus diesen Gründen und besonders wenn der Schieber sich abgenutzt hat,
ist auf gutes Dichthalten desselben nicht zu rechnen.
Textabbildung Bd. 324, S. 166
Von welchem Einfluß auf die Betriebskosten das Dichthalten der Steuerungsorgane ist,
zeigen die Versuchsfahrten, welche bei der Kgl. Eisenbahndirektion Berlin Mitte 1904
mit 1C (¾ gek.) Naßdampf-Tenderlokomotiven unternommen
worden sind. Die Versuchsergebnisse dieser Fahrten sind in folgender Tabelle
enthalten:
Mittlerer Verbrauch für 1000 km
Kohlen
Oel
Entlasteter Flachschieber
12,92 t
21 kg
Kolbenschieber mit Federringen
12,32 „
20,4 „
Kolbenschieberohne Federringe
Kolbenkörp. 0,10 mm do. 0,13 mm
im klein.als Büchse
16,63 „18,33 „
19,18 „18,55 „
Da das Ventil noch besser dichtet als ein Flachschieber oder Kolbenschieber mit
Federringen, so würde sich bei der Ventilsteuerung noch ein geringerer
Kohlenverbrauch ergeben.
Die obigen Versuche sind, was die Kolbenschieber ohne Federringe anbelangt,
allerdings mit Schiebern, welche nicht so zweckmäßig gebaut sind, wie die von Schmidt, vorgenommen. Wenn auch die neueren Schmidtschen. Heißdampf-Kolbenschieber mit geheizter
Büchse dampfdichter sind, als die bei den Versuchsfahrten benutzten, so werden sie
in dieser Beziehung doch niemals das Ventil erreichen. Endgültige Ergebnisse sind
allerdings erst nach längerer Versuchszeit im regelrechten Zugdienst zu
erwarten,
6. Verhalten der Schieber- und Lentz-Ventilsteuerungen bei eintretendem Wasserschlag.
Ein großer Vorzug der Lentz-Ventile besteht darin, daß
dieselben den Dampfzylinder gegen Wasserschläge schützen.
In dieser Hinsicht steht zwar der Flachschieber oben an; er klappt einfach ab und
läßt das Wasser in den Schieberkasten zurücktreten, von wo es dann bei dem nächsten
Kolbenhube durch den Zylinder während der Ausströmung mit dem Abdampf in das
Blasrohr gelangt. Für Heißdampflokomotiven ist der Flachschieber aber als
Steuerungsorgan nicht anwendbar, weil er bei der durch die hohen Dampftemperaturen
verringerten Schmierfähigkeit der Oele zum Fressen neigt.
Textabbildung Bd. 324, S. 166
Fig. 10.
Als einzig bei den hohen Temperaturen brauchbares Steuerungsorgan gelangte bis jetzt
bei den Heißdampflokomotiven der Kolbenschieber zur Anwendung. Derselbe kann aber,
weil er nicht abklappen kann, dem Wasserdruck nicht nachgeben.
Die am Dampfzylinder befindlichen Sicherheitsventile, welche möglichst geraden
Durchgang besitzen sollten, um Richtungsänderungen des mit großer Geschwindigkeit
austretenden Wassers zu vermeiden, geben bei größerer Kolbengeschwindigkeit einen
für Dampf oder Luft vielleicht genügenden, aber für Wasser zu geringen
Auslaßquerschnitt frei. Bei einem Zylinderdurchmesser von 600 mm, einem
Ventildurchmesser von 36 mm und einem größten Ventilhub
von etwa 10 mm ist die Wassergeschwindigkeit \frac{600^2\,\pi/4}{10\cdot
36\cdot \pi}= rund 250 mal größer als die Kolbengeschwindigkeit.
Rechnen wir beim Schleudern der Lokomotive als Kolbengeschwindigkeit etwa 1 m/sek.
(gegen Ende der Kompression vgl. Fig. 4a), so erhalten
wir als Wassergeschwindigkeit 250 m/sek. Größere Ventile mit einem für alle Fälle
genügenden Querschnitt an den Zylinderdeckeln, besonders am hinteren,
unterzubringen, ruft bauliche Schwierigkeiten hervor. Man hat deshalb auch noch an
den Schlamm- oder Ablaßhähnen, welche einen sehr kleinen freien Durchflußquerschnitt
besitzen,
Sicherheitsventile angebracht, so daß dann an jedem Zylinder sich bereits 4 Ventile
befinden.
Oft sitzen die Sicherheitsventile, wie alle nur selten gebrauchten Ventile, fest,
besonders dann, wenn die Ringe der außen befindlichen, auf Druck beanspruchten
Ventilschraubenfedern durch dazwischen sitzenden. Schmutz gehindert werden, sich
einander zu nähern.
Gerade bei den Schmidtschen Ueberhitzern der üblichen
Bauart ist aber die Gefahr des Wasserschlages besonders groß. Sowohl die
Rauchkammer- als auch die Rauchröhrenüberhitzer von Schmidt bilden nämlich in den nach unten hängenden Rohrbündeln Wassersäcke
von großem Inhalt. Beim Stillstand der Lokomotive, wo die Ueberhitzerklappen
geschlossen sind, um ein Ausglühen der Rohre zu vermeiden, bildet sich in den
Rohrbündeln Niederschlagswasser. Dies tritt besonders bei dem Rauchkammerüberhitzer
ein, wo die Ueberhitzerrohre nicht innerhalb des warmen Kessels liegen wie beim
Rauchröhrenüberhitzer.
Das Wasser kann aus diesen Ueberhitzern nicht durch Hähne, wie z.B. bei dem wegen
Röstens der Rohre nur vereinzelt ausgeführten Pielock-Ueberhitzer oder bei den Dampfzylindern entfernt werden. Durch
vorsichtiges Anwärmen des Ueberhitzers beim Stillstand läßt sich zwar das darin
befindliche Wasser teilweise verdampfen. Wollte man alles Wasser verdampfen, so
läuft man leicht Gefahr, die Rohre auszuglühen. Im übrigen läßt sich das Wasser aus
den Schmidtschen Ueberhitzern nur durch starke
Dampfströmung entfernen, also beim Fahren der Lokomotive.
Wasserschlag tritt besonders beim Anfahren ein, wenn sich noch viel
Niederschlagswasser im Ueberhitzer befindet, oder wenn infolge Schleuderns der Räder
eine plötzliche starke Dampfentnahme stattfindet, so daß bei schäumigem Kesselwasser
viel Wasser durch den Ueberhitzer hindurch mit in die Zylinder übergerissen wird.
Sobald bei Beginn der Kompressionsperiode mehr Wasser im Zylinder zurückbleibt, als
der Inhalt des schädlichen Raumes beträgt, so ist die Bedingung für ein Eintreten
des Wasserschlages kurz vor dem Beginn der Voreinströmung bzw. der Endlage des
Kolbens gegeben.
Bei Heißdampflokomotiven nimmt der Inhalt des schädlichen Raumes mit der Zeit immer
mehr ab, weil sich in ihm Oelkohle, welche aus dem Zylinder- und Schieberschmieröl
durch die Einwirkung- des Heißdampfes entsteht, in dicken Krusten absetzt. Wird der
Zylinder nicht Öfters gereinigt, so wächst die Gefahr des Wasserschlages, je länger
sich die Heißdampflokomotive im Betrieb befindet.
Nehmen wir nun einmal den ungünstigsten Fall an, daß sich beim Anfahren die am
rechten Zylinder befindlichen Sicherheitsventile nicht öffneten infolge
Verschmutzens der Ventilfedern, und man den Zylinderhahnzug zu betätigen unterlassen
habe. Alsdann werden der Dampf und das Wasser, welche etwa im vorderen
Kompressionsraum abgeschlossen sind, vermittels des rechten Kolbens durch folgende
Kräfte zusammengedrückt:
Erstens durch den auf der anderen Seite des rechten Kolbens wirkenden Druck des
expandierenden oder bereits ausströmenden Dampfes. Diese Kraft ist nur gering.
Zweitens durch den Dampfdruck auf den um 90° versetzten linken Kolben. Der
Dampfdruck im linken Zylinder ist etwa gleich der Spannung im Schieberkasten. Die
Kraft des linken Kolbens, welcher ungefähr in der Hubmitte sich befindet, wirkt auf
die Treibachse mit einem Hebelarm etwa gleich dem Kurbelhalbmesser. Auf der rechten
Treibachsseite ist dagegen der Hebelarm des rechten Kolbens nur gering, weil die
Kurbel hier beinahe schon im Totpunkte steht. Es wird daher, weil das
Drehmoment dasselbe bleibt, die auf den rechten Kolben ausgeübte Kraft sehr groß
werden.
Außerdem sucht drittens das Arbeitsvermögen, oder die lebendige Kraft der Treib- und
Kuppelachsen, den rechten Kolben im Sinne der Fahrrichtung zu bewegen. Die
umlaufende Masse der Treib- und Kuppelachsen und ebenfalls die Masse des Gestänges
besitzt schon beim Anfahren ein gewisses Arbeitsvermögen, welches beim Schleudern
der Lokomotive einen bedeutend höheren Wert, entsprechend dem Quadrat der
Umdrehungszahl, annimmt. Wir ersetzen das Arbeitsvermögen durch eine Kraft, welche
drehend am rechten Kurbelhalbmesser wirkt und einen Weg dieser Kurbel von dem Punkte
des Kurbelkreises an, wo der Wasserschlag beginnt, bis zu ihrem Totpunkt. Aldann ist
der Hebelarm dieser stets tangential am Kurbelzapfen wirkenden Massenkraft wieder
viel größer als der des rechten Kolbens. Die Größe der auf diesen Kolben ausgeübten
Kraft wird daher ebenfalls vervielfältigt.
Nicht berücksichtigt ist die Kraft, welche die Masse des sich in Bewegung setzenden
Zuges vermittels der Reibung auf den Schienen durch die Treibachse auf den rechten
Kolben überträgt, weil für den Fall des Schleuderns (Reibung annähernd gleich Null)
diese Kraft nur in geringer Größe am rechten Kolben auftritt.
Die drei angeführten Kräfte können, wie oben ausgeführt, also eine sehr große Kraft
auf das im Kompressionsraum eingeschlossene Gemisch von Dampf und Wasser vermittels
des Kolbens ausüben. Das Gemisch kann aber, besonders bei viel Wasser und wenig
Dampf, schon bei einer geringen Volumenverkleinerung einen beliebig hohen Widerstand
leisten. Sobald jedoch der im Kompressionsraum hervorgerufene Druck die
Kesselspannung um eine gewisse Größe übersteigt, erfolgt ein Bruch an der
schwächsten Stelle des auf den größten Dampfdruck berechneten Triebwerks. Bieten die
Sicherheits- und die Zylinderablaßventile bei großer Kolben also auch
Wassergeschwindigkeit infolge Schleuderns der Lokomotive einen für Wasser zu
geringen freien Querschnitt, so erfolgt ebenfalls eine so hohe Drucksteigerung des
Wassers, daß eine Zerstörung des Triebwerks eintritt.
Anfangs brachen bei den D (4/4 gek.) Heißdampflokomotiven die Kreuzkopfkeile und
Köpfe der Schubstangen, Mit deren Verstärkung trat gleichzeitig bei eintretendem
Wasserschlag eine Erhöhung des Wasserdruckes im Zylinder auf. Es traten alsdann
Brüche der Kurbelzapfen und Zylinderdeckel oder gar ein Reißen der Zylinder selbst
ein. Bei dieser erhöhten Beanspruchung des Triebwerkes bekommen gleichzeitig die
Treibachsen Anbrüche, worauf nach längerer oder kürzerer Zeit ein vollständiger
Bruch derselben erfolgt.
Daß die Brüche der Kurbelzapfen z.B. nicht durch die infolge der größeren
Zylinderdurchmesser erhöhten Kolbendrücke, sondern durch Wasserschlag bei den Schmidtschen Heißdampflokomotiven veranlaßt werden,
zeigt folgende Zusammenstellung. In derselben sind die größten
Biegungsbeanspruchungen in kg/qcm angegeben, welchen die Kurbelzapfen ausgesetzt
sind, wenn in ihren Mittelebenen der volle Dampfdruck auf die Kolben wirksam ist,
was z.B. eintritt, wenn ein Kurbelzapfen beim Anfahren sich in der Totlage befindet.
In diesem Falle nehmen die zugehörigen Kuppelstangen keine Kräfte auf.
2B (2/4
gek) Personenzuglokomotive, Verbund,Pr. St.
kb =
1900 kg/qcm
2C (⅖
gek.) Personen- und Güterzuglokomotive,Zwilling, Argentinien
kb =
1875 kg/qcm
1B (⅔
gek.) Personenzuglokomotive, Verbund,Pr. St.
kb =
1735 kg/qcm
C (3/3
gek.) Tenderlokomotive, Zwilling, Pr. St.
kb = 1590
kg/qcm
1C (¾
gek.) Güterzuglokomotive, Verbund, Pr.St.
kb = 1490
kg/qcm
D (4/4
gek.) Güterzuglokomotive, Zwilling, Pr. St.
kb = 1345
kg/qcm
D (4/4
gek.) Heißdampf-Güterzuglokomotive,Zwilling, Pr. St.
kb =
1075 kg/cm2
Man sieht aus der obigen Darstellung, daß ein Kolbenschi eb er in Verbindung mit Schmidtschen Ueberhitzern nicht unter allen Umständen
betriebssicher ist.
Völlig betriebssicher, auch bei eintretendem Wasserschlag, sind dagegen die
kraftschlüssigen Lentz-Ventile. Diese Eigenschaft der
Ventile ist daher von außerordentlicher Bedeutung für Heißdampflokomotiven mit Schmidtschen oder ähnlich gebauten Ueberhitzern. Die
Ventile sind schon aus Pierstellungsrücksichten nicht völlig entlastet. Bereits eine
geringe Steigerung des Druckes des eingeschlossenen Wassers über die Kesselspannung
genügt, um die auf Ventil Schluß wirkenden Kräfte, insbesondere die Federkraft, zu
überwinden und die Ventile zum Oeffnen zu bringen, wodurch sofort ein großer
Auslaßquerschnitt freigegeben wird. Ein Versagen der Ventile infolge
Festsitzens tritt nicht ein, weil die Ventile sich in stetigem Gebrauch befinden und
die staubdicht im Ventilkasten eingeschlossenen Federn nicht verschmutzen
können.
Mit den Lentz-Ventilen sind inbezug auf Wasserschlag von
ter Meer (vgl. Z.d.V.D. Ing. 1905, S. 79)
eingehende Versuche angestellt, auf welche hier verwiesen werden werden mögeBei diesen Versuchen, welche an einer liegenden
Dampfmaschine nach Fig. 28 unternommen
wurden, öffneten sich die Einlaßventile, weil der Wasserdruck auf die nicht
entlastete Ringfläche der Auslaßventile auf Schluß derselben wirkt. Bei der
Ventilanordnung nach Fig. 2 dagegen, wo der
Wasserdruck auf Oeffnen der Auslaßventile wirkt, tritt das Wasser durch die
letzteren sogleich in den Auspuffraum bzw. das Blasrohr.. Die Lentz-Ventile haben sich hier bei derart gegen
Wasserschlag bewährt, daß man im Gefühl der Sicherheit an den Zylindern ortsfester
Dampfmaschinen mit Lentz-Ventilsteuerung Ablaßhähne und
Sicherheitsventile einfach fortläßt.
(Fortsetzung folgt.)