Titel: | Die Lentz-Ventilsteuerung an Lokomotiven. |
Autor: | Max Osthoff |
Fundstelle: | Band 324, Jahrgang 1909, S. 228 |
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Die Lentz-Ventilsteuerung an
Lokomotiven.
Von Dr.-Ing. Max Osthoff, Reg.-Baumeister
in Duisburg.
(Fortsetzung von S. 215 d. Bd.)
Die Lentz-Ventilsteuerung an Lokomotiven.
8. Arbeitsverbrauch und Unterhaltungskosten der
Ventilsteuerung.
In Fig. 18 sind die von den zwei Ein- und zwei
Auslaßventilen in der Nockenstange hervorgerufenen Kräfte, bezogen auf den Hub der
Nockenstange für den Betriebszustand: 40% Füllung und V
= 40 km/St, dargestellt. Nach Fig. 18 wäre
der Arbeitsaufwand für die Steuerung gleich Null, weil die Federn, die in ihnen
aufgespeicherte Arbeit völlig wieder abgeben. In Wirklichkeit ist dieses infolge
Auftretens der Reibung nicht der Fall. Da aber die Reibung wegen der vorzüglichen
und zuverlässigen Dochtschmierung nur gering sein kann, so wird auch der
Arbeitsverbrauch ein nur mäßiger sein.
Der Fortfall jeglicher Stopfbüchsen wirkt ebenfalls verringernd auf den
Arbeitsverbrauch ein. Die Spindeln der Ventile haben einfache Labyrinthdichtung und
liegen zum größten Teil, ebenso wie die anderen Antriebsorgane, außerhalb des
Bereiches des Heißdampfes. Ein Festbrennen von Oel und daher Hängenbleiben der
Ventile ist deshalb wohl so gut wie ausgeschlossen.
Die Fig. 18 soll, weil die Reibung usw. nicht
berücksichtigt sind, eigentlich nur zeigen, daß die Höchstwerte der in der Steuerung
auftretenden Kräfte sich niemals addieren. Für die Auslaßventile tritt sogar eine
Subtraktion ein.
Entsprechend dem geringen Arbeitsverbrauch der Lentz-Ventilsteuerung werden die Unterhaltungskosten gering sein. Da Rolle,
Stange usw. glashart sind, und die Höchstwerte der Kräfte nur momentan auftreten, so
wird auch trotz ihrer Größe kein übermäßiger Verschleiß eintreten. Alle Teile lassen
sich bei genauer Anfertigung austauschbar herstellen und daher leicht auswechseln.
Nach Abheben des Ventilkastens sind alle Teile gut zugänglich. Mit Hilfe von
Schaulöchern, welche im Betriebe durch Schraubenstutzen verschlossen sind, läßt sich
die Steuerung im Gegensatz zu den oft äußerst unzugänglichen Kolbenschiebersteuerungen
sehr genau einregulieren.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß die Lentz-Ventilsteuerung besonders für Heißdampflokomotiven große Vorzüge
gegenüber den bisherigen Steuerungen hesitzt, und ihre Einführung in den
Lokomotivbau daher einen großen Fortschritt bedeutet.
Textabbildung Bd. 324, S. 229
Fig. 18.
Die einzigen Bedenken gegen die Steuerung, die hohen Flächenpressungen zwischen
Ventilrolle und Stange, sind durch die günstigen Erfahrungen an ortsfesten
Dampfmaschinen und durch die bisherigen Fahrten mit Ventillokomotiven beseitigt. Bei
der 2 B I (⅖ gek.) vierzyl. Ventillokomotive haben nach einer Leistung von 85000 km
Rollen und Stangen keine merkliche Abnutzung gezeigt. Auch die Ventile und ihre
Sitze haben sich sehr gut gehalten.
9. Ermittelung der Bewegungsverhältnisse der Ventile mit Lentz-Steuerung.
a) Bei spitzwinkligem
Kurvenschub.
Bei den bisher mit Nockenstangenantrieb ausgeführten Lentz-Steuerungen ist die Ventilspindel gegen die Nockenstange um
einen Winkel von 90° geneigt. Es ist dieses der besondere Fall des
rechtwinkligen Kurvenschubs. Im folgenden sollen ganz allgemein die Verhältnisse
bezüglich Hubgeschwindigkeit und Beschleunigung bei einem „unter einem“
beliebigen Winkel gegen die Nockenstange geneigten Ventil untersucht werden.
Textabbildung Bd. 324, S. 229
Fig. 19. Steuerungsschema für spitzwinkligen Kurvenschub.
Textabbildung Bd. 324, S. 229
Fig. 20a.
Textabbildung Bd. 324, S. 229
Fig. 20b.
Wir betrachten zunächst den spitzwinkligen Kurvenschub, wo der Neigungswinkel des
Ventils gegen die Nockenstange 90° – η beträgt (Fig.
19, 20a, 20b). Dieser Fall läßt sich zurückführen auf eine feste Kurve, gegen
welche mit der Geschwindigkeit c = R . sin α . w ein Gitter verschoben wird, auf dessen unter dem
Winkel η geneigter Diagonale eine Schneide gleitet. In der rechten Hälfte
der Fig. 21 ist dies für die Kurve I
dargesteltt. In der linken Hälfte gleitet die Gerade b1 auf den Schenkeln eines festen
Winkels ANA0 = 90°
+ η Für den ersten Teil des Ventilhubes, von A0 bis T, gleitet
der Endpunkt B von b1 auf der rechten Seite von A0T, und der Endpunkt A
von b1 auf der
Geraden M1N. Sobald b1 die Lage NT
überschritten hat, gleitet B auf der linken Seite
von TN, und A links
von N.
Aus Fig. 21 ergibt sich der Weg der Nockenstange
zu s'_1=N\,A+N\,M_1=\frac{b_1}{\mbox{cos}\,\eta} \cdot
\mbox{sin}\,(\varphi_1-\eta)+b_1 \cdot \mbox{tang}\,\eta.
Die Geschwindigkeit der Nockenstange c = R . sin
α1w ist
gleich
\frac{d\,s_1'}{dt}=\frac{b_1}{\mbox{cos}\,\eta} \cdot
\mbox{cos}\,(\varphi_1-\eta) \cdot \frac{d\,\varphi_1}{dt}.
Der Weg der Ventilspindel ist
s_1=N\,A_0-B\,N=\frac{b_1}{\mbox{cos}\,\eta}\,(1-\mbox{cos}\,\varphi_1).
Die Ventilgeschwindigkeit ist
v_1=\frac{d\,s_1}{dt}=R \cdot \mbox{sin}\,\alpha_1 \cdot w \cdot
\frac{\mbox{sin}\,\varphi_1}{\mbox{cos}\,(\varphi_1-\eta)}.
Für rechtwinkligen Kurvenschub war
v_1=R \cdot \mbox{sin}\,\alpha_1 \cdot w \cdot
\frac{\mbox{sin}\,\varphi_1}{\mbox{cos}\,\varphi_1}.
Da ϕ1 größer ist als ϕ1 – η, so ist cos (ϕ1 – η) größer als cos ϕ1. Es wird
daher bei spitzwinkligem Kurvenschub die Ventilgeschwindigkeit
\frac{\mbox{cos}\,\varphi_1}{\mbox{cos}\,(\varphi_1-\eta)}
mal kleiner als bei rechtwinkligem Kurvenschub. Trotz des erzielbaren größeren
maximalen Ventilhubes bietet daher der spitzwinklige Ventilantrieb wegen der
geringeren Ventilgeschwindigkeit keinen Vorteil gegenüber dem rechtwinkligen. Es
rührt dies daher, daß die Nockenstange (Fig. 21)
einen viel größeren Weg zurücklegt, also längere Zeit gebraucht, um das Ventil
um die gleiche Größe zu heben, wie beim rechtwinkligen Kurvenschub.
Entsprechend der geringeren Ventilgeschwindigkeit ist auch die
Ventilbeschleunigung kleiner als bei rechtwinkligem Kurvenschub. Es ist
f_1=\frac{dv_1}{dt}=R \cdot \mbox{cos}\,\alpha_1 \cdot w^2 \cdot
\frac{\mbox{sin}\,\varphi_1}{\mbox{cos}\,(\varphi_1-\eta)}
+\left[R \cdot \mbox{sin}\,\alpha_1 \cdot w\right]^2 \cdot
\left[\frac{\mbox{cos}\,\varphi_1 \cdot \mbox{cos}\,\eta}{b_1 \cdot
\mbox{cos}^2\,(\varphi_1-\eta)}+\frac{\mbox{sin}\,\varphi_1 \cdot
\mbox{sin}\,(\varphi_1-\eta) \cdot \mbox{cos}\,\eta}{b_1 \cdot
\mbox{cos}^3\,(\varphi_1-\eta)}\right].
In ganz ähnlicher Weise wie für Kurve I finden wir in Fig. 22 für Senken des Ventils bei Kurve II den Ventilweg:
s_2=\frac{b_2}{\mbox{cos}\,\eta}\,(1-\mbox{cos}\,\varphi_2);
die Ventilgeschwindigkeit:
v_2=\frac{R \cdot \mbox{sin}\,\alpha_2 \cdot w \cdot
\mbox{sin}\,\varphi_2}{\mbox{cos}\,(\varphi_2-\eta)}
die Ventilbeschleunigung:
f_2=R \cdot \mbox{cos}\,\alpha_2 \cdot w^2 \cdot
\frac{\mbox{sin}\,\varphi_2}{\mbox{cos}\,(\varphi_2-\eta)}
+\left[R \cdot \mbox{sin}\,\alpha_2 \cdot w\right]^2 \cdot
\left[\frac{\mbox{cos}\,\varphi_2 \cdot \mbox{cos}\,\eta}{b_2 \cdot
\mbox{cos}^2\,(\varphi_2-\eta)}+\frac{\mbox{sin}\,\varphi_2 \cdot
\mbox{sin}\,(\varphi_2-\eta) \cdot \mbox{cos}\,\eta}{b_2 \cdot
\mbox{cos}^3\,(\varphi_2-\eta)}\right].
Wollte man mit dem spitzwinkligen Kurvenschub gleich große und schnelle
Ventilöffnungen, also gleich großes v, erzielen wie
beim rechtwinkligen Kurvenschub, so müßte man steilere Ventilerhebungskurven
bzw. größere Nockenstangengeschwindigkeiten c
nehmen. Die Ventilbeschleunigungen werden dann ebenso groß wie beim rechtwinkligen
Kurvenschub. Alsdann bietet der spitzwinklige Kurvenschub den Vorteil, daß die
Kräfte in Richtung Nockenstange sich auf die Ventilspindel oder umgekehrt (vgl.
Fig. 14 mit 21 bzw. 15 mit 22) besser übertragen, und die Führungen
der Nockenstange und Spindel nicht so stark beansprucht werden. Die
Reibungsverluste werden daher in der Steuerung geringer ausfallen. Ein großer
Nachteil, welcher eine Anwendung dieses Ventilantriebes ausschließt, ist die
schwierige bauliche Ausführung wegen der geneigten Ventillage.
Textabbildung Bd. 324, S. 230
Fig. 21.
b) Bei stumpfwinkligem
Kurvenschub.
Für den stumpfwinkligen Kurvenschub lassen sich die Formeln für s1, s2, v1, v2, f1 und f2 leicht aus den
betreffenden Formeln für spitzwinkligen Kurvenschub ermitteln, wenn man
dieselben statt des Winkels – η den Winkel + η einführt. Also:
s_1=\frac{b_1}{\mbox{cos}\,\eta}\,(1-\mbox{cos}\,\varphi_1);
s_2=\frac{b_2}{\mbox{cos}\,\eta}\,(1-\mbox{cos}\,\varphi_2);
v_1=R \cdot \mbox{sin}\,\alpha_1 \cdot w \cdot
\frac{\mbox{sin}\,\varphi_1}{\mbox{cos}\,(\varphi_1+\eta)}
v_2=R \cdot \mbox{sin}\,\alpha_2 \cdot w \cdot
\frac{\mbox{sin}\,\varphi_2}{\mbox{cos}\,(\varphi_2+\eta)}
f_1=R \cdot \mbox{cos}\,\alpha_1 \cdot w^2 \cdot
\frac{\mbox{sin}\,\varphi_1}{\mbox{cos}\,(\varphi_1+\eta)}
+\left[R \cdot \mbox{sin}\,\alpha_1 \cdot w\right]^2 \cdot
\left[\frac{\mbox{cos}\,\varphi_1 \cdot \mbox{cos}\,\eta}{b_1 \cdot
\mbox{cos}^2\,(\varphi_1+\eta)}+\frac{\mbox{sin}\,\varphi_1 \cdot
\mbox{sin}\,(\varphi_1+\eta) \cdot \mbox{cos}\,\eta}{b_1 \cdot
\mbox{cos}^3\,(\varphi_1+\eta)}\right];
f_2=R \cdot \mbox{cos}\,\alpha_2 \cdot w^2 \cdot
\frac{\mbox{sin}\,\varphi_2}{\mbox{cos}\,(\varphi_2+\eta)}
+\left[R \cdot \mbox{sin}\,\alpha_2 \cdot w\right]^2 \cdot
\left[\frac{\mbox{cos}\,\varphi_2 \cdot \mbox{cos}\,\eta}{b_2 \cdot
\mbox{cos}^2\,(\varphi_2+\eta)}+\frac{\mbox{sin}\,\varphi_2 \cdot
\mbox{sin}\,(\varphi_2+\eta) \cdot \mbox{cos}\,\eta}{b_2 \cdot
\mbox{cos}^3\,(\varphi_2+\eta)}\right].
Textabbildung Bd. 324, S. 230
Fig. 22.
Wollte man beim stumpfwinkligen Kurvenschub dieselbe Ventilgeschwindigkeit und
demgemäß Beschleunigung haben wie beim rechtwinkligen Kurvenschub, so müßte man
die Ventilerhebungskurven flacher gestalten, bzw. die
Nockenstangengeschwindigkeiten c verkleinern. Außer
der schwierigen baulichen Ausführung bietet dann aber dieser Ventilantrieb den
Nachteil, daß die Führungen der Nockenstange und Spindel sehr stark beansprucht
werden, und daher die Reibungsverluste sehr groß werden. Der Reibungswiderstand
kann bei großem Winkel η leicht so bedeutend werden, daß die Ventilspindel sich
in ihrer Führung festklemmt und eine Zerstörung der Steuerung erfolgt.
(Schluß folgt.)