Titel: | Neuerungen an Luftseilbahnen. |
Autor: | P. Stephan |
Fundstelle: | Band 324, Jahrgang 1909, S. 321 |
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Neuerungen an Luftseilbahnen.
Von P. Stephan,
Dortmund.
Neuerungen an Luftseilbahnen.
Die älteren Luftseilbahnen wurden mit verhältnismäßig geringen Steigungen
verlegt, weil die Kupplungsapparate, welche die Wagen mit dem ständig umlaufenden
Zugseil verbinden, bei der großen Seitenkraft, die das Lastgewicht dann parallel zur
Laufbahn und Zugseilrichtung ergibt, nicht zuverlässig genug erschienen. Bei den
heute benutzten Kupplungsvorrichtungen bestehen derartige Bedenken nicht mehr, so
daß jetzt schon vielfach Neigungen von 45° ausgeführt worden sind. Während man
jedoch sonst gern die Kupplung oben auf oder an dem Wagen anbringt, weil so das
Durchfahren von Kurven am Zugseil sehr einfach und bequem ist, wird sie bei starken
Neigungen stets unterhalb des Laufwerkes angeordnet.
Textabbildung Bd. 324, S. 321
Fig. 1.
Als Grund dafür wird gewöhnlich angegeben, daß am Ende einer derartigen großen
Steigung immer ziemlich schroffe Uebergänge in die Wagerechte stattfinden, wobei die
Spannkraft S des Zugseiles einen recht bedeutenden
Druck D liefert, der den Wagen auf die Fahrbahn preßt
(vgl. Fig. 1) und, da das Zugseil immer mehr oder
weniger seitwärts von der Fahrbahn liegt, auf Schiefstellung des Fig. 1. Wagens hinwirkt. Z.B. ist, wenn die beiden
Zugseilrichtungen den Winkel ϕ = 10° einschließen, was
häufig vorkommt, bei S = 750 kg
D=2\,S\cdot \mbox{sin}\frac{\varphi}{2}=130\mbox{ kg.}
Liegt der Gesamtschwerpunkt eines leeren Wagens vom Gewicht
Q + G = 160 kg etwa
u = 50 cm unterhalb des Tragseiles, so ist bei dem
Hebelarm v = 8 cm, um den die Zugseilklemme von der
Laufwerkmitte entfernt ist, die Neigung eines unter dem Druck D = 130 kg stehenden Wagens schon
\mbox{tg}\,\beta=\frac{D\cdot v}{(Q+G)\cdot u}=0,146,
der β = 7°25' entspricht. Bei
einzelnen Ausführungen geht v bis 13 cm, so daß unter
sonst gleichen Verhältnissen β = 11°50' wird.
Zum Teil kann die Schiefstellung ausgeglichen werden, wenn man durch entsprechende
Knickung der Wagengehänge den Schwerpunkt des Ganzen seitlich verschiebt, so daß die
Wagen sich auf der flachen Bahn etwas nach der anderen Seite neigen. Immerhin
pendeln sie dann in dem Bruchpunkt der Strecke, wenn noch ein größerer Winddruck
dazu kommt, soweit aus, daß leicht etwas von der Ladung herausfallen kann.
Jedenfalls bemängelt der Abnehmer eine noch so harmlose Schiefstellung als
groben Konstruktionsfehler.
Textabbildung Bd. 324, S. 321
Fig. 2.
Trotzdem ist die eigentliche Veranlassung zur Tieflegung der Seilklemme bei größeren
Steigungen ein anderer Umstand: In Fig. 2 bezeichnet
bei dem auf der Steigung a° befindlichen Wagen
G sein Eigengewicht,
Q das Gewicht des Gehänges, Kastens
und der Ladung,
S1 und
S2 die Spannkräfte
im Zugseil, die um β1
bzw. β2 gegen die
Fahrtrichtung geneigt sind,
N1 und
N2 die
Raddrücke.
Die Gleichgewichtsbedingungen ergeben dann
N2+ N1= Q cos α + G cos α + S1 sin β1 + S2 sin β2,
0 = Q sin α + G sin α – S1 cos β1 + S2 cos β2,
(N_2-N_1)\,\frac{a}{2}=-Q\,\mbox{sin}\,\alpha\,(b+c)-G\,\mbox{sin}\,\alpha\,(b+d).
Textabbildung Bd. 324, S. 321
Fig. 3.
Dabei sind die sehr kleinen Bewegungswiderstände μ0N1 und μ0N2 vernachlässigt worden, weil ihr Einfluß innerhalb
der Genauigkeitsgrenzen der vorliegenden Rechnung bleibt, wie eine Proberechnung
zeigt. Die obigen
Gleichungen gelten dann für beide Bewegungsrichtungen.
Aus der zweiten erhält man
S_2=S_1\,\frac{\mbox{cos}\,\beta_1}{\mbox{cos}\,\beta_2}-(Q+G)\,\frac{\mbox{sin}\,\alpha}{\mbox{cos}\,\beta_2}
. . . (1)
Textabbildung Bd. 324, S. 322
Fig. 4.
Wird dies in die erste eingesetzt und die dritte durch
\frac{a}{2} dividiert, so folgt durch Addition
N_{\frac{1}{2}}=\frac{Q+G}{2}\,\mbox{sin}\,\alpha\,\left[\mbox{cotg}\,\alpha-\mbox{tg}\,\beta_2\pm\frac{2\,b}{a}\pm2\cdot
\frac{Qc+Gd}{(Q+G)a}\right]+\frac{S_1}{2}\cdot
\frac{(\mbox{sin}\,\beta_1+\beta_2)}{\mbox{cos}\,\beta_2} . (2)
Nun greift der Seilzug
S1 cos
β1 – S2 cos β2 = (Q + G) sin α
um die Strecke v exzentrisch am
Wagen an und ruft eine Drehung desselben hervor, so daß sich die Räder nach Fig. 3 an das Tragseil legen. In bezug auf den
Auflagerpunkt des stärker belasteten Rades gilt dann mit
N_0=\frac{N}{\mbox{cos}\,\gamma}
(N tg γ +
μ . N0 cos γ)a = (Q + G) sin α . v.
Hieraus folgt für das entlastete Rad
\mbox{tg}\,\gamma=\frac{(Q+G)\,v}{N\cdot
a}\,\mbox{sin}\,\alpha-\mu_2 . . . . (3)
Textabbildung Bd. 324, S. 322
Fig. 5.
worin die Reibungsziffer μ
zwischen Rad und Seil zu ∾ 0,1 angenommen werden kann.
Setzt man noch den aus Gleichung (2) erhaltenen Wert von N in (3) ein, so wird schließlich
\mbox{tg}\,\gamma+\mu=\frac{\frac{2\,v}{a}}{\mbox{cotg}\,\alpha-\mbox{tg}\,\beta_2\pm\frac{2b}{a}\pm
2\,\frac{Qc+Gd}{(Q+G)\,a}+\frac{S_1}{Q+G}\cdot
\frac{\mbox{sin}\,(\beta_1+\beta_2)}{\mbox{cos}\,\beta_2\,\mbox{sin}\,\alpha}}
(4)
Um einen guten Ueberblick über die tatsächlichen Verhältnisse zu erhalten, wurde
die Größe von N1 und
N2, sowie des sich
ergebenden größten Betrages von tg γ + μ für einige Zahlenwerte berechnet.
Textabbildung Bd. 324, S. 322
Fig. 6.
In allen Fällen wurde angenommen
der Radabstand a = 40 cm,
die Zugseilneigung β1 = β2 = 1°, ein sehr kleiner Wert dafür,
die Zugseilspannkraft S1 = 350 kg, die den unteren Grenzwerten der Praxis
nahekommt,
das Wagengewicht G = 75 kg,
die Belastung Q = 75 (leer) bzw. 600
kg (gefüllt).
Textabbildung Bd. 324, S. 322
Fig. 7.
Für eine Reihe von Seilbahn wagen mit hochliegender, zum Durchfahren von Kurven jeder
Richtung geeigneter Kupplung gelten etwa die Maße b =
20 cm, c = 5,5 cm, d ∾ 0,
v = 8 cm. Trägt man die Raddrücke als Vielfaches
des auf der wagerechten Strecke auftretenden \frac{Q+G}{2} bei
den einzelnen Bahnneigungen a auf, so ergeben sich die Kurvenzüge a1 für den leeren
Kasten von 75 kg Gewicht bzw. a2 für den vollen 600 kg wiegenden in den Fig. 4 und 5. Man
erkennt, daß das untere Rad 2 bei der Neigung 39° schon völlig entlastet ist. Die in
Fig. 6 aufgezeichneten Kurven für tg γ + μ, haben
ausgesprochenen Hyperbelcharakter und ergeben, daß die Anordnung höchstens bis zu
Steigungen von 29° anwendbar ist (a1 und a2), wenn man den Winkel y der Fig. 3 nicht größer als 30° werden läßt.
Weitergehende Abweichungen könnten bei Schwankungen im Winde oder plötzlichen Rucken
im Zugseil leicht zum Herabfallen der Wagen führen.
Textabbildung Bd. 324, S. 323
Fig. 8.
Die Tieflegung der Kupplung, wie sie beispielsweise Fig.
7 nach einer Ausführung von Ceretti und Tanfani in Mailand angibt, – im Gegensatz zu der
bekannten Bleichertschen Ausführung mit glatten
Stahlblechen als Wagenwangen sind hier der im übrigen wenig belangreichen
Gewichtsersparnis wegen offene Gußeisenkörper gewählt worden – verbessert die
Verhältnisse keineswegs, wie die Kurvenzüge b1 und b2 (Fig. 4–6) erweisen: Es wird jetzt das obere Rad 1 entlastet,
und zwar schon bei rund 30° Steigung, wenn gerechnet wird mit b = – 40 cm, c = 5,5 cm,
v = 2 cm und der Einfachheit halber d = 5,5 cm. Auch die Kurven für tg γ + μ, verlaufen bei
größeren Steigungen noch etwas steiler als die Kurven a; allerdings ergeben sie bei Neigungen bis 25° wesentlich vorteilbaftere
Verhältnisse. Im übrigen müssen beide Anordnungen als die extremsten, etwa gleich
ungünstigen bezeichnet werden, obwohl sie natürlich für Bahnen mit geringen
Neigungen ihren Wert behalten.
Da die Kupplung ziemlich weit herunterreichen muß, damit sie an den Tragbalken für
die Auflager des Tragseiles vorbeikommt, so haben A.
Bleichert & Co. die Konstruktion dadurch erheblich verbessert, daß sie
das Gehänge in der Mitte zwischen dem Hauptbolzen und der Kupplung an dem letztere
betätigenden Hebel angreifen lassen (Fig. 8), wofür
etwa die Zahlenwerte gelten b = – 40 cm, c = 20 cm, d ∾ 6 cm, v = 2 cm. Wie die Kurven c1 und c2 für die beiden Belastungen 75 und 600 kg angeben,
tritt völlige Entlastung des oberen Rades 1 bei 39° ein. Mit Sicherheit anwendbar
erscheint die Ausführung nach den Kurven der Fig. 6
bei den genannten Zahlenverhältnissen bis zu etwa 35° Neigung, also bis dicht an das
völlige Aufhören des Raddruckes heran.
Textabbildung Bd. 324, S. 323
Fig. 9.
Am günstigsten verlaufen diese Drücke, wenn die Kupplung in Höhe des Gehängebolzens
liegt, wie z.B. bei der bekannten Pohlig-Ottoschen
KonstruktionD. P. J. 1904, S.
707, Fig. 47., wo der Mittelbolzen gleichzeitig die die Kupplung
festziehende Schraube bildet. Die mit den Zahlenwerten b = – 5 cm, c = 0, d=
– 2 cm, v = 13 cm und, um den wirklichen
Verhältnissen näher zu kommen, a = 35 cm erhaltenen
Kurvenzüge d1 und d2 zeigen, daß der
Raddruck des unteren Rades 2 sich überhaupt nicht wesentlich ändert und der des
Rades 1 noch bei Neigungen von 60° ein hinreichend großer ist. Jedoch greift das
Zugseil besonders weit außerhalb an, so daß die Fig.
6 nur eine Verwendung bis zu Neigungen von etwa 35° als unbedenklich
zuläßt.
Textabbildung Bd. 324, S. 323
Fig. 10.
Die Gleichung (4) lehrt, daß die Anordnung die beste ist, die ein kleines v besitzt. Aus dem Grunde hat Georg Heckel in Saarbrücken die Obachsche
Schraubenkupplung dahin abgeändert, daß die Klemmbacken sich direkt über dem Wagen
befinden, so daß bei v ∾ 3 cm das durchhängende Zugseil
gerade noch an dem Tragseil vorbeikommt (Fig. 9). Da
die Verhältnisse im übrigen etwa denen der Kurven a
entsprechen, so sind deren Ordinaten in Fig. 6 mit ⅜
zu multiplizieren, um für den vorliegenden Fall zu gelten. Man erhält so bis
Steigungen von 30° wesentlich günstigere Verhältnisse als die Kurven d für die Pohlig-Ottosche
Anordnung angeben.
Die Verbesserung kann jedoch beliebig weit getrieben werden, wenn man das Gehänge
nicht in der Mittellinie des Wagens anhängt, sondern exzentrisch dazu. Einen
zweiten, unter Umständen nicht unerheblichen Vorteil erzielt man noch, wenn die
Seilklemme gleichfalls aus der Mittellinie gerückt wird, was allerdings nur bei
wenigen Ausführungen gut möglich ist. Man erhält dann mit den Bezeichnungen der
schematischen Fig. 10 für die Raddrücke
N_{\frac{1}{2}}=\frac{Q+G}{2}\,\mbox{sin}\,\alpha\,\left[\mbox{cotg}\,\alpha\,\left(1\mp\frac{Q}{Q+G}\cdot
\frac{2\,e}{a}\right)-\mbox{tg}\,\beta_2\,\left(1\pm\frac{2\,f}{a}\right)\pm\frac{2\,b}{a}\pm\frac{Q}{Q+G}\cdot
\frac{2\,c}{a}+\frac{S_1}{Q+G}\,\frac{\mbox{sin}\,(\beta_1+\beta_2)}{\mbox{cos}\,\beta_2\,\mbox{sin}\,\alpha}\,\left(1\pm\frac{2\,f}{a}\right)\right]
(5)
Wird beispielsweise eingesetzt: b = 20 cm, f = – 9,5 cm, e = 10 cm,
e = – 8 cm, v = 3 cm,
eine Anordnung, die in Fig. 11 dargestellt ist, so
ergeben sich die Kurven e1 bzw. 62 in den Fig. 4–6. Wie man sieht, findet eine völlige Entlastung des
unteren Rades erst bei einer Steigung von 60° statt, was dadurch erreicht wird, daß
die Raddrücke schon auf der wagerechten Strecke verschieden sind. Trotz der
hochliegenden Seilklemme ist die Anordnung für Steigungen bis über 50° gut
verwendbar, besonders da sie wegen des kleinen v auch
bei großem S nur wenig seitlich auspendelt. Besitzt die
Strecke an einer anderen Stelle ein größeres Gegengefälle, so wird der schräge Hebel
der Fig. 11 durch eine entsprechende Führung nach
der Gegenseite herumschlagen.
Textabbildung Bd. 324, S. 323
Fig. 11.
(Schluß folgt.)