Titel: | Zuschrift an die Redaktion. |
Autor: | Schmidt |
Fundstelle: | Band 324, Jahrgang 1909, S. 554 |
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Zuschrift an die Redaktion.
(Ohne Verantwortlichkeit der
Redaktion.)
Die Betriebssicherheit der Heißdampf-Lokomotive,
Bauart Schmidt.
(s. a. S. 540 d. Bd.)
Die Betriebssicherheit der Heißdampf-Lokomotive, Bauart
Schmidt.
Im Interesse einer gründlichen Klärung der Frage, ob Kolbenschieber- oder
Ventilsteuerung bei Heiß- und auch Naßdampflokomotiven vorteilhafter ist, und bei
der großen Bedeutung dieser Frage für die beteiligten Bahnverwaltungen erscheint mir
eine eingehende Erörterung der in der Zuschrift des Herrn Guillery, S. 537, angezogenen Punkte erforderlich.
Zur Entkräftung des Vorwurfes mangelnder Betriebssicherheit der mit Kolbenschieber
ausgerüsteten Schmidtschen Heißdampflokomotiven werden
diesbezügliche Mitteilungen fremder Bahnverwaltungen, nicht aber solche der
Preußischen Staatsbahnen, angeführt. Die Preußischen Staatsbahnen haben die
Heißdampflokomotiven zuerst eingeführt und haben seither die größte Anzahl im
Betriebe. Daher dürften die Preußischen Staatsbahnen auch die weitest gehenden und
langjährigsten Erfahrungen bez. der Heißdampflokomotiven im allgemeinen und der
Wasserschläge im besonderen besitzen. Gleiches dürfte für. die Lokomotivführer der
Preußischen Staatsbahnen bez. Behandlung und Wartung dieser Lokomotivgattung
zutreffen.
In den jetzt auch zu einem Abonnementspreis von 2 M. vierteljährlich an
Privatpersonen abgegebenen amtlichen „Mitteilungen des Kgl.
Eisenbahn-Zentralamts“ zu Berlin steht nun im 22. Heft vom 15. Mai 1909
unter No. 428, daß auch in letzter Zeit noch Zylinderbrüche an Heißdampflokomotiven
beobachtet sind, und werden u.a. die Eisenbahndirektionen ersucht, gegebenenfalls
Vorschläge zu machen zur Verstärkung der Zylindergußstücke etwa durch Anbringen
von Knaggen und Einziehen von Zugschrauben. Beschädigungen an den Zylindern und
Deckeln der Schmidtschen Heißdampflokomotiven treten
hiernach also auf und werden nicht etwa durch Hinweis auf die peinlichste Beachtung
der Bedienungsvorschriften dieser Lokomotivgattung zu verhüten gesucht, sondern
durch bauliche Aenderungen am Zylindergußstück.
In der Zuschrift werden die bisher vorgekommenen Fälle von Beschädigungen infolge
Wasserschlags einfach auf das Nichtbeachten von Bedienungsvorschriften und grobe
Fahrlässigkeit zurückgeführt. Das bedeutet, eine Betriebssache vom grünen Tisch aus
behandeln. Der Lokomotivführer muß vielmehr im Besitz einer Maschine sein, deren
bauliche Ausbildung bei normalen Ansprüchen an die Zuverlässigkeit und
Geschicklichkeit des Führers Beschädigungen, welche kostspielige Erneuerungen
erfordern und gegebenenfalls den Zugbetrieb durch Unbrauchbarwerden der
Zuglokomotive empfindlich stören können, unter allen Umständen völlig
ausschließt.
Die Lokomotivführer sind bei aller Gewissenhaftigkeit und Zuverlässigkeit auch nur
Menschen und daher Fehlern unterworfen. Bei mehrfacher Besetzung von Lokomotiven
fahren die Führer meist abwechselnd auf Heiß- und Naßdampflokomotiven. Ist nun ein
Führer längere Zeit zufällig nur auf Naßdampflokomotiven gefahren, so ist ihm, auch wenn er
die Bedienungsvorschriften genau kennt, naturgemäß die praktische Behandlung der
Heißdampflokomotive nicht mehr so geläufig, daß er bei dem ohnehin schon so große
Aufmerksamkeit erfordernden Fahrbetriebe nicht einmal gegen die
Bedienungsvorschriften verstoßen sollte. Ebenso etwa (in etwas übertriebenem Maße)
wie man von einem Lokomotivführer, welcher lange Zeit nur Güterzüge mit Handbremse
gefahren hat, nicht verlangen kann, daß er ohne weiteres vollkommene Sicherheit in
der Behandlung der Westinghousebremse auf Personenzügen besitzt.
Die in bezug auf das Fehlen der Wasserschläge für die Schmidtschen Heißdampflokomotiven günstigen Mitteilungen der fremden
Bahnverwaltungen erklären sich vielleicht folgendermaßen: Meist werden nur die
Brüche an Zylindern und evtl. Deckeln, welche unmittelbar mit dem Wasser in
Berührung kommen, auf Wasserschlag zurückgeführt. Beschädigungen an den übrigen
durch Wasserschlag so enorm (vgl. S. 167) beanspruchten Teilen (Kolben,
Kolbenstange, Kreuzkopf, Kurbelzapfen, Treibachse und Rahmen) des im erweiterten
Sinne aufzufassenden Triebwerks werden dagegen einfach auf im Verhältnis zur
Vergrößerung der Heißdampfzylinderdurchmesser zu geringe Materialstärken
zurückgeführt. Wahrscheinlich bildet bei diesen Bahnverwaltungen einer von den
letzteren Teilen die schwächste Stelle im Triebwerk. So z.B. sind bei den Schmidtschen Heißdampflokomotiven auf russischen Bahnen
nach einer Mitteilung von Herrn Prof. Stumpf in Berlin
Verbiegungen von Schubstangen infolge Wasserschlag vorgekommen. Bei den älteren D-(4/4 gek.) Heißdampf-Güterzuglokomotiven (G8) mit offenem
Schubstangenkopf ist z.B. der Schlußkeil in diesem Kopf das schwächste Stück im
Triebwerk, und kommen häufig Verbiegungen und Brüche dieses Keiles vor.
Aus meinen persönlichen Erfahrungen hauptsächlich in den Hauptwerkstätten Osnabrück
und Dortmund kann ich mitteilen, daß ich eine große Anzahl von Beschädigungen an
allen Teilen des Triebwerks gesehen habe. Zylinderbrüche werden bei kleineren Rissen
durch aufgeschraubte Flicken oder Schweißen ausgebessert. Wo dies nicht möglich ist,
müssen neue Zylindergußstücke zum Preise von rd. 1000 Mk. von den Lokomotivfabriken
bezogen werden. Die näheren Umstände beim Eintreten des Wasserschlags ließen sich in
den meisten Fällen nicht ermitteln, u.a. auch wohl deshalb, weil wahrscheinlich
schon vorher Anbrüche vorhanden gewesen waren.
Nun zu den einzelnen Punkten der Zuschrift. Den Vorwurf geringer Einlaßquerschnitte
habe ich der Kolbenschiebersteuerung garnicht gemacht. Es liegen nur zufällig
infolge geschickter Anordnung bei der untersuchten D-(4/4 gek.) Güterzuglokomotive die
Verhältnisse für die Ventile günstiger, als für die Schieber. Es ist auf Seite 164
gesagt, daß sich auf verschiedene Weise mit dem Schieber leicht geringere
Dampfgeschwindigkeiten erzielen lassen als mit den Ventilen.
Auf den tatsächlich erhobenen Vorwurf der großen Dampflässigkeit der Kolbenschieber
geht die Zuschrift dagegen garnicht ein.
Der Rauchröhrenüberhitzer bildet in genau derselben Weise einen Wassersack wie der
Rauchkammerüberhitzer. Nur liegt er wärmer, weil im Langkessel befindlich, und sind
Undichtigkeiten des Reglers nicht von solcher Bedeutung wie bei dem in der kälteren
Rauchkammer liegenden Ueberhitzer.
Die Einschaltung des Ueberhitzers von großem Rauminhalt zwischen Regler und
Schieberkasten hat folgenden grundsätzlichen Uebelstand zur Folge. Verbindet man den
Kessel mit dem Ueberhitzer, welcher einen verhältnismäßig großen Rauminhalt
besitzt, durch weites Oeffnen des Reglers, so erfolgt aus dem Kessel eine plötzliche
starke Dampfentnahme. Es wird ähnlich wie beim Oeffnen einer Selterwasserflasche
eine Menge Wasser mit in den Ueberhitzer und weiter in die Zylinder übergerissen.
Dies tritt nicht nur beim Anfahren ein, sondern auch auf freier Strecke, wenn nach
Durchfahren einer Gefällestrecke bei geschlossenem Regler derselbe wieder geöffnet
wird. Je nachdem man den Regler weit oder wenig öffnet, macht sich der Uebelstand in
größerem oder geringerem Maße bemerkbar. Die ungünstige Wirkung steigert sich ferner
bei hohem Wasserstand und schäumigem Kesselwasser. Bei Naßdampflokomotiven fehlt der
große Raum zwischen Regler und Schieberkasten; es tritt demgemäß hier bei gleichweit
geöffnetem Regler niemals eine so plötzliche starke Dampfentnahme und demgemäß
starkes Ueberreißen von Wasser ein. Hieraus erklären sich die im Verhältnis zu Schmidtschen Heißdampflokomotiven selteneren
Beschädigungen an Triebwerksteilen von ebenfalls mit Kolbenschiebern ausgerüsteten
Naßdampflokomotiven.
Die Hoffnung, daß durch Einführung von federnden Kolbenschieberringen Wasserschläge
vermieden werden, ist trügerisch. Ist ein solcher Ring auch in der Trennfuge zur
Vermeidung von Dampfverlusten dicht schließend, so kann das Material des Ringes beim
Zusammenpressen desselben von allen Seiten her nirgends hin. Hat der Schlitz Luft,
so ist das Spiel zwischen Ring und Kolbenkörper in radialer Richtung bei den an
Heißdampflokomotiven wegen der Gefahr des Verziehens der Kolben und Büchsen
möglichst klein gehaltenen Durchmessern des Kolbenschiebers viel zu gering, um dem
Wasser einen Ausweg von genügendem Querschnitt zu bieten. Am besten wird die
Unbrauchbarkeit der federnden Ringe bewiesen durch die Deckelbrüche an den mit
Kolbenschiebern ausgerüsteten Hochdruckzylindern 2 B 1 (⅖ gek.) 4 zyl.
Naßdampfschnellzuglokomotiven Gattung S7 der
Preußischen Staatsbahnen, und dabei fehlt hier noch der bei den Heißdampflokomotiven
eingeschaltete Ueberhitzer von großem Rauminhalt. Vgl. auch die Mitteilungen der
Württembergischen Staatsbahnen am Schluß der Zuschrift!! Nach Angabe der Hannoverschen Maschinenbau A.-G. sind dortseits für 122
Stück S7-Lokomotiven im ganzen 11 Stück
Hochdruckzylinderdeckel nachgeliefert worden. Hierzu kommt noch eine weit größere
Zahl von Deckeln, welche von den Hauptwerkstätten (in Dortmund für 16 Stück S7-Lokomotiven 14 Deckel) nach eigenen Modellen von
benachbarten Eisengießereien bezogen sind. Abgesehen von äußeren Beschädigungen, wie
Zusammenstößen usw. dürfte die Ursache der Deckelbrüche einzig und allein auf
Wasserschlag zurückzuführen sein. Auch für die neu gelieferten S9-Lokomotiven, welche vier federnde Kolbenschieber
besitzen, sind bereits 6 Stück Deckel nachbestellt worden.
Die Brüche an den Bügeln der Schubstangen Grafenstadener
Bauart der S7 Lokomotiven sind m.E. ebenfalls als
Folgen des Wasserschlags anzusehen. Die neuerdings veranlaßte Ersetzung des Whitworthgewindes durch Gasgewinde und Verstärkung der
auf Zug beanspruchten Bügelschrauben dürfte die Brüche nicht völlig verhindern.
Nachdem seit längerer Zeit bei den preußischen Staatsbahnen eine regelmäßige
Reinigung der Kolbenschieber und Sicherheitsventile gelegentlich des Auswaschens
eingeführt ist, und geeignete Oele ausprobiert sind, ist die Bildung von Oelkrusten
in den Zylindern und Dampfräumen so gut wie beseitigt. Bzgl. des Festbrennens der
Sicherheitsventile möchte ich bemerken, daß ich seinerzeit Ventile gesehen habe, bei
welchen der
Ventilkegel mit einem Dorn aus seinem Sitz herausgeschlagen werden mußte.
Es ist von mir weder mittelbar noch unmittelbar zugegeben, daß n ur in dem Falle, wo
der Führer das Oeffnen der Ablaßventile beim Anfahren unterläßt, Wasserschlag
eintritt. (Außer den Sicherheitsventilen an den Zylinderdeckeln befinden sich auch
noch Sicherheitsventile an den Ablaßventilen). Um die Entstehung des Wasserschlags
zu veranschaulichen, ist von dem ungünstigsten Falle, geschlossene Ablaßventile und
ungangbare Sicherheitsventile, ausgegangen. Auf Seite 167 steht, daß bei hoher
Kolben- bzw. Wassergeschwindigkeit, also z.B. infolge Schleuderns der Lokomotive
beim Anfahren, die Sicherheits- und Ablaßventile einen für Wasser zu geringen freien
Querschnitt bieten, und daher eine solch starke Drucksteigerung des Wassers im
Zylinder erfolgt, daß eine Zerstörung des Triebwerkes eintritt.
Ein ganz typischer Fall von Wasserschlag ereignete sich am 24. 8. 09. in der
Hauptwerkstätte Dortmund. Mit der ganz neuen, eben von der Probefahrt
zurückgekehrten G8-Lokomotive No. 4814 mit Rauchröhrenüberhitzer
wurde eine kalte Lokomotive verschoben. Da die zwei Lokomotiven nicht weit genug
gelaufen waren, Öffnete der Führer den Regler wieder ein wenig. Als die Lokomotive
sich nicht in Bewegung setzte, öffnete der Führer den Regler etwas weiter. Es trat
plötzlich Schleudern ein (höchstens eine Radumdrehung), und mit lautem Knall
zerbarsten der rechte Zylinder und der hintere zugehörige
Deckel. Von sämtlichen Augenzeugen wurde angegeben, daß die Ablaßventile während der
ganzen Zeit geöffnet waren. Eine Untersuchung ergab, daß
das zugehörige Sicherheitsventil bei 12 Atm. abblies, und der rechte Kreuzkopf keil
durchgedrückt war. Es muß also das Ventil funktioniert haben, und hat hiernach
ferner die Kolbenkraft des linken Zylinders vermittels der Hebelübersetzung (vgl. S.
167 links unten) den rechten Zylinder zum Platzen gebracht.
Textabbildung Bd. 324, S. 555
Auch auf freier Strecke kommen derartige Fälle vor, bei welchen infolge Ueberreißens
von Wasser mehr oder weniger große Stücke des Zylinders fortgeschleudert werden.
Den inbezug auf Verhütung des Wasserschlags sehr wichtigen Unterschied in der
Wirkungsweise der Auslaßventile an ortsfesten Dampfmaschinen (Fig. 28) und
Lokomotiven bzw. Lokomobilen (Fig. 2, 23c und 24a) hat der Herr Verfasser der
Zuschrift garnicht erkannt. Es ist irrig, daß die Auslaßventile der liegenden
Dampfmaschine, welche hier nicht weiter behandelt werden sollen, das Wasser ablassen
können. Der Wasserdruck wirkt hier auf Schluß der Ventile (Fußnote auf S. 168), und
das Wasser muß durch die Einlaßventile entweichen. Bei den Auslaßventilen der
Lokomotiven (vgl. S. 215) ist die zugehörige Ventilfeder gerade so kräftig bemessen,
daß sie das Ventil bei Einströmung von Frischdampf (12 Atm.) bzw. Kompression noch
mit einer Sicherheit von z.B. 15 kg (vgl. Fig. 17) auf seinen Sitz preßt. Der auf
Oeffnen wirkende Dampfdruck auf die Ringfläche des 17,5 und nicht 15 cm großen
Auslaßventils (S. 215) war auf folgende übliche Art berechnet (vgl. obenstehende
Skizze). Unter der Annahme, daß von der Innenkante des Auslaßventils bis zur
Außenkante ein gleichmäßiger Abfall der Spannung von 12 Atm. Ueberdruck (Einströmmug
von Frischdampf) auf o Atm. Ueberdruck (Außenluft bzw. Blasrohr) erfolgt, also ein
mittlerer Druck von 6 Atm. auf jeder der 0,25 cm breiten Ringflächen lastet,
ergibt sich der Gesamtdruck auf die beiden Ringflächen zu:
[0,25 (17,5 + 0,25) . π + 0,25 (17,5 – 0,25) . π] . 6 = 27,5 . 6 =
165 kg
Um bei 15 kg Sicherheit gegen Oeffnen des Ventils im normalen
Betriebe (Fig. 17) das Ventil bei eintretendem Wasserschlag von seinem Sitz zu
heben, wäre eine Erhöhung des mittleren Druckes von 6 auf
\frac{165+15}{27,5}=6,55 Atm.
oder des Druckes im Zylinder von 12 auf 2 . 6,55 = 13,1 Atm.
erforderlich. Dies stimmt sehr gut mit den Messungen von ter
Meer überein.
Daß keine 35 oder gar 334 Atm. im Dampfzylinder nötig sind, um das Ventil zu öffnen,
ergibt sich außer aus vorstehender Ueberlegung am besten aus der Tatsache, daß meine
Berechnung der Auslaßventilfedern nach Mitteilung des Herrn Direktor Metzeltin von der Hannoverschen
Maschinenbau-A.-G.
zuschwache Federn ergeben hat. Die Auslaßventile haben
sich bereits in normalem Betriebe geöffnet, und sind die Federn, um Dampfverluste zu
vermeiden, durch stärkere ersetzt worden. Es ist also der mittlere Dampfdruck im
normalen Betriebe noch größer als der berechnete von 6 Atm. Auch die Erhöhung des
Oeffnungsdruckes im Zylinder, verursacht durch die Masse des zu beschleunigenden
Ventils, kann hiernach nur von geringer Bedeutung sein. Es erscheint vielmehr die
Annahme berechtigt, daß der Strömungsdruck bzw. Stoß des Dampfes bezw. unelastischen
Wassers an dem hierfür sehr günstig geformten oberen Ventilrand (vgl. Fig. 2 u.
Skizze) das Ventil derartig beschleunigt, daß keine Erhöhung des Oeffnungsdruckes im
Zylinder eintritt. Ein weiteres Eingehen auf die in der Zuschrift angeführte
Berechnung des Oeffnungsdruckes erscheint daher überflüssig.
Der Hinweis auf Seite 168, daß man bei ortsfesten Lentzmaschinen Sicherheits- und Ablaßventile einfach fortläßt, sollte nur
andeuten, daß die Lentzventile allein genügen, um
Beschädigungen infolge Wasserschlags zu verhüten. Es ist von mir gar nicht
vorgeschlagen, die Ablaßventile an Lokomotiven wegzulassen (Sicherheitsventile sind
dagegen überflüssig); in meiner ungekürzten Doktorarbeit (der Aufsatz in Dinglers
Pol. Journal stellt nur einen Auszug aus dieser Arbeit dar) ist gerade das Gegenteil
empfohlen. Man wird doch den Hahnzug, ein solch einfaches Hilfsmittel, um das
Niederschlagswasser beim Anwärmen der Zylinder und beim Anfahren auf unschädliche
und bequeme Weise (man bedenke nur wie lästig das Spucken der Lokomotive für das
Publikum auf den Bahnsteigen sein kann) zu entfernen, nicht fortlassen.
Auch das scheinbar sehr gefürchtete Flattern der Ventile, mittelbar dadurch bedingt,
daß die Auslaßventile nicht an der tiefsten Stelle des Lokomotivzylinders liegen,
wird durch Oeffnen der Ablaßventile verhütet bzw. sofort beseitigt. Die bekanntlich
nicht für Wasser sondern für Dampf gebauten, in steter Bewegung befindlichen
Auslaßventile sollen nur in solch außergewöhnlichen Fällen als so gut wie nie
versagende Auslaßorgane für das Wasser dienen, in welchen bei
Kolbenschiebersteuerung die Ablaßventile und die nur selten bewegten
Sicherheitsventile einen zu geringen freien Querschnitt für das Wasser bieten, und
Brüche an Triebwerksteilen eintreten.
Die Vergrößerung der Sicherheitsventile von 35 mm (Preußische Staatsbahnen)
auf 100 mm (Belgische Staatsbahnen), welche am hinteren Zylinderdeckel wegen
fehlenden Konstruktionsraumes sicherlich mehrfache Richtungsänderung des
Wasserstrahles und daher zusätzliche Drucksteigerung im Zylinder bedingt, bedeutet bei
gleichem Hub von 10 mm eine Vergrößerung- des Austrittsquerschnitts von 11,3 auf
31,4 cm. Großer als 10 mm dürfte der Hub bei dem einsitzigen Ventil von 100 mm
wegen der starken Feder von etwa 950 kg Vorspannung bei 12 Atm. nicht sein.
Weshalb benutzt man diese Sicherheitsventile, deren bereits 4 Stück sich an jedem
Zylinder befinden, nach entsprechendem Umbau (Doppelsitz) nicht gleich als
vorzügliche, in bezug auf Dampfdichtigkeit unerreichte Steuerungsorgane und macht
ganze Arbeit, statt den federnden Kolbenschieber jetzt anstelle des nicht federnden
einzuführen.
Der Hinweis auf ein evtl. Schadhaftwerden des Ventilkastens und eine daraus am
letzten Ende folgende Beschädigung des Triebwerks infolge Wasserschlags erscheint
sehr gesucht. Bleibt bei schadhaftem Ventilkasten ein Ventil infolge Verschmutzung
hängen, so kann es dies für gewöhnlich nur in geöffnetem Zustand, weil ja die
Nockenstange das Ventil sofort wieder heben würde. Sollte aber trotzdem noch z.B.
ein Auslaßventil nach Abreißen der Rolle in geschlossenem Zustand festsitzen
bleiben, und als dritter außergewöhnlicher Fall Wasser mit in die Zylinder
übergerissen werden, so kann dasselbe immer noch durch das Einlaßventil wie bei
ortsfesten Maschinen nach Fig. 28 aus dem Zylinder in den Ventilkasten
zurückgelangen. Brennt z.B. auch das Einlaßventil in geschlossenem Zustand
fest, so kommt überhaupt kein Dampf bwz. Wasser in den Zylinder.
Daß sich durch peinlichste Beachtung der Bedienungsvorschriften das Schleudern der
Lokomotiven unter allen Umständen, wie z.B. bei Vorhandensein von Wasser, Oel oder
Laub auf den Schienen, vermeiden läßt, ist irrig. Hiervon kann man sich leicht auf
jedem größeren Bahnhof überzeugen, wie z.B. hier in Duisburg, wo Führer der Bezirke
Münster, Elberfeld, Köln und Essen verkehren.
Aus dem Angeführten ergibt sich also, daß Kolbenschieber sowohl mit geschlossenen als
auch federnden Dichtungsringen in Verbindung mit Sicherheits- und Ablaßventilen die
mit den Wassersäcke bildenden Schmidtschen Ueberhitzern
ausgerüsteten Lokomotiven nicht in solchem Maße vor Beschädigungen infolge
Wasserschlags schützen, daß man dieselben bei normalen Ansprüchen an die
Zuverlässigkeit und Geschicklichkeit der Lokomotivführer unter allen Umständen als
betriebssicher wie z.B. Naßdampflokomotiven mit Flachschiebern bezeichnen kann. Lentzventile sind neben dem großen Vorzug völliger
Dampfdichtigkeit inbezug auf Wasserschlag völlig betriebssicher, wie außer den
vorstehenden Ueberlegungen die Erfahrungen an den bisher ausgeführten etwa 45 Stück
Ventillokomotiven zeigen.
Dr.-Ing. Max Osthoff,
Regierungsbaumeister.