Titel: | Das Zugstabwerk von Webb und Thompson in seiner neuesten Ausführungsform. |
Autor: | Oder |
Fundstelle: | Band 324, Jahrgang 1909, S. 561 |
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Das Zugstabwerk von Webb und Thompson in seiner
neuesten Ausführungsform.
Von Professor Dr.-Ing. Oder in
Danzig-Langfuhr.
Das Zugstabwerk von Webb und Thompson in seiner neuesten
Ausführungsform.
Das Zugstabverfahren für eingleisige Bahnen ist bekannt. Eine Strecke A–B darf nur dann von
einem Lokomotivführer in dieser oder jener Richtung befahren werden, wenn er im
Besitze eines „Zugstabes“ sich befindet, der für diese Strecke gilt. Solange
die Züge abwechselnd von A nach B und von B nach A verkehren, genügt ein Stab. Müssen dagegen mehrere Züge hintereinander
in derselben Richtung abgelassen werden, so erhält jede Station einen Behälter mit
zahlreichen Stäben; die Behälter stehen untereinander in elektrischer Abhängigkeit
derart, daß von allen Stäben immer nur ein einziger herausgenommen werden kann,
während die anderen in den Behältern gesperrt bleiben; für das Herausnehmen ist die
Zustimmung der Nachbarstation erforderlich.
Ein Zugstabwerk von Martin, das mit
Wechselstromblockfeldern Siemensscher Bauart arbeitet,
ist im vorigen Jahrgang auf S. 205 beschrieben worden. Es unterscheidet sich
vorteilhaft von den älteren Einrichtungen von Webb und
Thompson, die lediglich mit Batteriestrom arbeiten,
durch eine größere Betriebssicherheit. Inzwischen ist aber das letztgenannte System
für Betrieb mit Gleichstrominduktoren umgearbeitet worden, wodurch zweifellos die
Sicherheit größer und die Unterhaltungskosten kleiner geworden sind.
Die mechanische Einrichtung des neuen Stabwerkes ist in den Grundzügen die gleiche
wie bei der alten Anordnung. Die bisherigen Beschreibungen lehnen sich eng an die
wirkliche Ausführungsform an, die für die Erläuterung sehr unübersichtlich ist. Im
folgenden ist daher versucht worden, durch eine schematische Zeichnung (Fig. 1) das Wesen der Einrichtung klarer
hervorzuheben. Die wirklichen Ausführungsformen werden durch Fig. 2 und 3
dargestellt.
Fig. 1 zeigt die Stabwerke der Stationen A und B in geöffnetem
Zustande.
Die Stäbe sind in dem eigentlichen Behälter a
untergebracht, der zugleich den Fuß des Werkes bildet. Sie ragen mit beiden Enden
seitwärts heraus (Fig. 2 und 3). Will man einen Stab herausnehmen, so muß man ihn
in die Hohe heben bis b (Fig.
1) dann seitwärts nach c schieben; bei d gelangt er ins Freie. Auf der Strecke b bis c stößt der Stab
gegen die Sperrscheibe e und sucht sie im Sinne des
Uhrzeigers zu verdrehen. Diese Bewegung wird im Ruhezustand durch den Sperrhebel f gehemmt. Ueber dem Sperrhebel liegt ein zweiter Hebel
m. Er trägt einen polarisierten Elektromagnet n. Wird dieser in einer bestimmten Richtung (im
„richtigen Sinne“) von einem Strom durchflössen, so wird der Haken l angezogen; er setzt sich unter den Haken h des Sperrhebels, beide Hebel sind also gekuppelt. Das
Anheben dieser Hebel wird nun durch den Stab selbst bewirkt. Er stößt an der
Stelle b gegen den Schenkel g eines um h drehbaren Winkelhebels; beim
Herausnehmen eines Stabes wird dieser Hebel nach rechts gedreht; der andere Schenkel
i stößt mit seinem Kopf gegen das gebogene Ende des
Hebels m und hebt ihn hoch. Ist der Haken l angezogen, so geht die Sperrklinke f mit in die Höhe, die Scheibe e wird frei und man kann den Stab herausnehmen.
Textabbildung Bd. 324, S. 561
Fig. 1.
Textabbildung Bd. 324, S. 561
Fig. 2.
Textabbildung Bd. 324, S. 561
Fig. 3.
Ist der Elektromagnet stromlos oder wird er im „falschen Sinne“ von einem
Strom durchflössen, so bleiben die Hebel f und m ungekuppelt. Beim Herausheben eines Stabes und
Verdrehung des Winkels ghi wird zwar der
Elektromagnethebel m gehoben, aber der Sperrhebel f bleibt unten liegen und hält die Scheibe e fest; ein vollständiges Herausnehmen des Stabes ist
mithin unmöglich. Der Winkelhebel ghi trägt einen
Doppelhaken p1 und p2; dieser umfaßt einen
Stift o, der am vorderen Ende des Hebels f befestigt ist. Beim Beginn der Drehung des
Winkelhebels gelangt o unter den Zwischenraum zwischen
p1 und p2. Erfolgt dann die
Hebung von f, so schlüpft o hindurch. Wird f aber nicht gehoben, so
wird der Stift o von p1 festgehalten. So lange dieser Doppelhaken p1 und p2 fehlte, war es
möglich, durch Einführung eines gebogenen Drahtes den Sperrhaken f anzuheben (was in Rußland wiederholt beobachtet
worden ist), ohne daß ein Zustimmungsstrom vorhanden war.
Textabbildung Bd. 324, S. 562
Vorrichtungen zum Aufnehmen und Abwerfen des Stabes während der Fahrt.
Die Wirkung des Apparates ist mithin folgende. Wird der Elektromagnet im
„richtigen Sinne“ von einem Strom durchflössen, so hebt ein Stab den
Sperrhaken f in die Höhe, sobald er nach b gelangt; mithin ist eine Drehung der Scheibe e und ein vollständiges Herausnehmen des Stabes
möglich. Ist der Magnet stromlos oder wird er in „falschem Sinne“
durchflössen, so läßt sich kein Stab herausnehmen. Das Hineinlegen eines Stabes ist
stets möglich, da hierbei die Scheibe e sich gegen die
Uhrzeigerrichtung dreht und den Sperrhebel f selbst
beseitigt.
Durch Herausnehmen oder Hineinlegen der Stäbe findet jedesmal eine Drehung der
Scheibe e um 90° statt. Dadurch wird zugleich die
elektrische Leitung umgeschaltet. Auf der Welle der Scheibe e sitzt ein Stück q; auf dieses stützt sich
der Hebel r. Das rechte Ende des Hebels r verstellt die beiden Schalter s1 und s2. In der gezeichneten Lage sind die unteren
Kontakte 4 und 5
geschlossen, nach einer Drehung der Scheibe e um 90°
dagegen die oberen Kontakte 6 und 7. Ferner ist noch ein weiterer Schalter s8 vorhanden. Er wird
durch die Stange t von dem Winkelnebel ghi aus gesteuert. In der Ruhestellung ist der Kontakt
8 geschlossen. Beim Herausnehmen oder Hineinlegen
eines Stabes dagegen dreht sich der Winkelhebel nach rechts und legt mittels der
Stange t den Schalter s8 an den Kontakt 9.
Die weitere elektrische Einrichtung besteht aus einem Galvanoskop x, einer Klingel u, einem
Induktor w, der Gleichstrom liefert, und einem
dazugehörigen Taster v.
Im Ruhezustande liegen sämtliche Stäbe in den Behältern. Dabei stehen auf Station A und B die Schalter s1 und s2 in der gleichen
Lage; es möge z.B. die in Fig. 1 gezeichnete
Tieflage sein. Wird in A ein Stab herausgenommen, so
kommen dort die Schalter s1 und s2 in
die Hochlage, während sie in B in der Tieflage
verbleiben. Der Stab wird durch den Zug nach B gebracht
und in den Behälter eingeführt. Jetzt kommen auch in B
die Schalter s1 und s2 in die Hochlage.
Der Grundgedanke der Einrichtung ist nun bekanntlich der folgende:
Sind die Schalter s1 und
s2 auf beiden
Stationen in der gleichen Lage, so ist es möglich, der Nachbarstation einen Strom im
„richtigen Sinne“ durch den Elektromagneten zu senden, ihr mithin die
Herausnahme eines Stabes zu ermöglichen; sind die Schalter s1 und s2 dagegen auf den beiden Stationen in verschiedenen
Lagen, so durchfließt der Strom den Elektromagneten im „falschen Sinne.“ Das
Herausnehmen eines Stabes ist dann nicht möglich. In Fig.
1 befinden sich die Schalter der Station A
und B in gleicher Lage, beide stehen tief. Soll in A ein Stab herausgenommen werden, so drückt der Beamte
in B auf den Taster v und
dreht den Induktor. Der Strom läuft von der + Klemme über Kontakt 11, 8, Schalter s3, Kontakt 5, Schalter
s1 und Leitung L zur Station A.
Dort geht er über s1,
5, s3, 8, 10 zur Glocke u, sodann
über 13, das Galvanoskop x, 4,
s2 zur Erde, von hier aus nach Station B zurück und durch s2, 4, das Galvanoskop
x, 13, 14 und sodann, da der Taster v nach rechts gelegt ist, über 12 zur – Klemme des Induktors.
Hebt der Beamte in A einen Stab in die Höhe, so wird auf
Station A der Schalter s3 durch Vermittlung des Winkelhebels ghi umgeschaltet und legt sich an 9. Der Strom geht nunmehr durch 9, den Elektromagneten n [im „richtigen
Sinne“] 13, Galvanoskop x, Kontakt 4, Schalter s2 zur Erde usw. Die
Scheibe e läßt sich entriegeln, und der Stab
herausnehmen. Dadurch wird aber die Scheibe e und das
Stück q um 90° gedreht. Der Hebel r wird von der Feder y in
die Höhe gezogen und bringt die Schalter s1 und s2 in die punktierte Hochlage. Sendet Station B von neuem einen Strom und versucht man in A einen zweiten Stab herauszunehmen, so ist der
Stromlauf hier der folgende: Leitung L, Schalter s1, Kontakt 7, Galvanoskop x, 13,
Elektromagnet w [im „falschen Sinne“]; dann über Kontakt 9 zum Schalter s3, der beim Versuch des Heraushebens eines
Stabes nach rechts gedreht wird, über 6 und s2 zur Erde.
Da der Magnet in falschem Sinne durchflössen wird, bleibt die Sperrung bestehen.
Ist der Zug in B angekommen, und der Stab dort in den
Behälter eingelegt, so gelangen auch in B die Schalter
s1 und s2 in die punktierte
Hochlage. Soll ein zweiter Zug von A nachfolgen, so
drückt der Beamte in B wiederum auf den Schalter v und kurbelt.. Der Strom läuft dann von der -f- Klemme
des Induktors über 11, 8, s3, 6, s2 zur
Erde, durch die Erde nach A und hier über s2, 6, s3, 9 im „richtigen Sinne“ durch den Magneten n, über 13, x, 7, s1 zur Leitung, hierin nach B und über s1, 7, x, 13, 14 und 12 zur – Klemme des Induktors. Es kann mithin in A ein Stab herausgenommen werden.
Auf jeder Station ist ein Leitungsunterbrecher angebracht, der aber in den
Abbildungen nicht dargestellt ist. Hat ein Beamter einen Stab entnommen, so
unterbricht er die Leitung; auf der Nachbarstation gelangt das Galvanoskop in die
Ruhestellung, und auf dieses Zeichen hin hört der Beamte dort auf, die
Induktorkurbel zu drehen. Außer der beschriebenen elektrischen Sperreinrichtung sind
noch drei mechanische Sperren vorhanden. Sie sind im wesentlichen wie Zuhaltungen
eines gewöhnlichen Schlosses eingerichtet und verhindern das Einlegen von Stäben,
die nicht zu der betreffenden Strecke gehören.
Müssen Stationen ohne Halt durchfahren werden, so sind besondere Vorrichtungen zum
Aufnehmen und Abgeben der Stäbe nötig. Eine neuere Ausführungsform ist in den Fig. 4–7 dargestellt. Für
Bahnen, deren Züge auf allen Stationen halten oder langsam fahren, sind derartige
Einrichtungen nicht erforderlich; es genügt also die Ausnutzung der
Zwischenstationen mit je zwei Stabwerken, deren Kosten sich zusammen auf etwa 1600
Mk. stellen dürften.
Nach einer Mitteilung der vor kurzem in Berlin-Friedenau gegründeten Continentalen
Gesellschaft für das System Webb-Thompson waren Ende
1908 in England, Rußland und anderwärts zusammen etwa 10000 Apparate, allerdings
meist älterer Bauart, im Betrieb.
Auf den deutschen Hauptbahnen wird das Zugstabverfahren die bewährte Streckenblockung
von Siemens & Halske schwerlich verdrängen. Dagegen
wäre vielleicht eine ausgedehnte Anwendung auf stärker belasteten Neben- und
Kleinbahnen zu empfehlen, da hierdurch mit verhältnismäßig geringen Anlagekosten
eine weitaus größere Betriebssicherheit erreicht wird als durch das meist übliche
Zugmeldeverfahren mittels Fernsprechers.