Titel: | Der gegenwärtige Stand der Motorluftschiffahrt. |
Autor: | Ansbert Vorreiter |
Fundstelle: | Band 324, Jahrgang 1909, S. 617 |
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Der gegenwärtige Stand der
Motorluftschiffahrt.
Von Ingenieur Ansbert
Vorreiter.
(Fortsetzung von S. 285 d. Bd.)
Der gegenwärtige Stand der Motorluftschiffahrt.
Im nachstehenden soll ein Ueberblick gegeben sein über den gegenwärtigen Stand
der Luftschiffahrt mit Fahrzeugen, die so schwer oder leichter als Luft sind, also
mit Motorballons. Auf die geschichtliche Entwicklung soll dabei keine Rücksicht
genommen werden, vielmehr sollen nur die neuesten Konstruktionen beschrieben werden,
die sich bereits bewährthaben. Während ich in meinen Aufsätzen über die dynamischen
Flugapparates. D. P. J.S. 134 u.
ff. d. Bd. meist französische und amerikanische Konstruktionen
beschreiben mußte, da Deutschland auf diesem Gebiete der Luftschiffahrt noch weit
zurücksteht, kann ich in den nachstehenden Aufsätzen an erster Stelle deutsche
Konstruktionen beschreiben, denn im Bau von Aerostaten steht Deutschland
mindestens mit Frankreich auf gleicher Höhe, bezüglich der Größe der Luftschiffe und
der Fahrtdauer und von den Luftschiffen zurückgelegten Entfernung steht Deutschland
unbedingt an der Spitze aller Länder. Auch zu den Luftschiffen anderer Länder wird
deutsches Material verarbeitet; denn fast alle größeren Motorballons haben Gashüllen
aus deutschem Continentalstoff. Deutschland und
Frankreich haben unstreitig zur Zeit die beste Luftflotte. In beiden Ländern stehen
dem Heere je fünf erprobte Motorballons zur Verfügung. Außerdem befinden sich in
Frankreich mehrere brauchbare Motorballons in Privatbesitz, in Deutschland zur Zeit
nur einer, dafür aber ein nach einem vorzüglichem System gebauter Ballon, der grade
für die Verwendung im Kriege viele Vorzüge besitzt.
Es ist dies der Ballon „Parseval I“, im
Besitze des Aero-Clubs, dem inzwischen ein zweiter nach gleichem System, aber etwas
größerer für Frankfurt a.M. sich zugesellt hat. Nachdem inzwischen bereits der
dritte „Zeppelin“ fertiggestellt ist, hat
Deutschland jetzt neun verwendungsfähige Motorballons zur Verfügung, nämlich 3 Parseval, 3 Groß, 3 Zeppelin. Es ist dies ein Luftflotte, wie sie kein
anderer Staat besitzt. Dazu kommt, daß die drei „Zeppelin“-Luftschiffe in ihrer Größe und demnach Tragfähigkeit und
Fahrtdauer allen anderen Motorballons weit überlegen sind, so daß man mit der
Behauptung nicht zu viel sagt, daß die deutsche Luftflotte gegenwärtig den
Luftschiffen aller anderen Staaten zusammen die Spitze bieten kann. Bei der
Bedeutung, welche die Luftschiffahrt als Verteigungsmittel resp. vor allem zur
Beobachtung des feindlichen Heeres bereits erlangt hat, und als Angriffswaffe
namentlich für den Seekrieg noch erlangen wird, sollen daher nachstehend die
hauptsächlichen Typen beschrieben werden.
Konstruktions-Grundsätze der
Motorballons.
Motorballons sind Luftschiffe, bestehend im wesentlichen aus gasgefüllten Ballons,
die ihre Eigengeschwindigkeit durch Propeller erhalten, die von Motoren angetrieben
werden. Dadurch wird es möglich, sie in beliebiger Richtung zu lenken, was bei
Ballons ohne motorischen Antrieb nicht der Fall sein kann. Diese Freiballons können
nur die Geschwindigkeit und Richtung des Windes annehmen. Wenn dem entgegengehalten
wird, daß doch Segelschiffe auf dem Wasser gegen den Wind kreuzen können, so muß
bemerkt werden, daß Luftschiffe nur mit Unterseebooten verglichen werden können. Wie
diese, so schwimmt das Luftschiff nur in einem Medium, während das Segelschiff auf
dem Wasser an der Grenze zweier sehr verschiedener Medien schwimmt; die Segel in der
Luft sind dem Winde, der Schiffskörper ist dem Widerstand des Wassers
ausgesetzt.
Wie das Unterseebot, braucht der Motorballon Mittel, um sich in der gewünschten Höhe
zu halten. Früher standen hierfür nur wie beim Freiballon die Mittel zur Verfügung,
Ballast auszugeben, wenn der Ballon steigen oder sein Fallen verhindert bzw.
aufgehalten werden sollte, oder Gas auszulassen, wenn der Ballonfallen bzw. nicht
höher steigen sollte. Außer diesen Mitteln wendet man jetzt bei Motorballons wie bei
Unterseeboten Höhensteuer an, das sind bis zu einem Winkel von ca. 30 Grad aus der
Horizontalen nach beiden Seiten drehbare Flächen, die, wenn der Luftdruck von unten
kommt, den Motorballon heben, beim Luftdruck von oben, senken. Diese Höhensteuer
können natürlich nur funktionieren, wenn der Motorballon eine Eigengeschwindigkeit
gegenüber der Luft hat, da sonst kein Druck auf die Flächen entstehen kann. Mit
diesen Flächen ist eine Höhensteuerung bzw. Höhendifferenz von über 500 m erreicht
worden. Natürlich wird durch die Schrägstellung der Höhensteuer die
Fahrgeschwindigkeit der Motorballons verringert, da der Widerstand vergrößert wird
und ein Teil der Motorkraft zum Heben bzw. Senken des Luftschiffes verbraucht wird.
Bemerkt sei, daß bei einer Fahrgeschwindigkeit von 12 m gegenüber der Luft ein
Höhensteuer von einem Quadratmeter Fläche bei 15 Grad Neigung gegen die Horizontale
einen Druck von 13 kg ergibt.
Die Wirkung des Höhensteuers läßt sich auch durch Schrägstellung des Ballons
erreichen, ein Mittel, das Parseval und Maleçot anwendet. Auch Zeppelin hat es versucht, in dem er unter dem Ballon ein Laufgewicht
anbrachte. Parseval benutzt hierfür zwei
Ballonets, d.h. Luftsäcke, die im Gasballon liegen. Wird der hintere Luftsack mehr
mit Luft gefüllt als der vordere, so wird der Ballon hinten entsprechend schwerer
und neigt sich hinten. Maleçot benutzt eine seiner zwei
Gondeln als Laufgewicht und erreicht durch die Verschiebung der zweiten Gondel eine
Schrägstellung des Ballons. Das Ballonet, eine Erfindung des französischen Oberst,
späteren Generals Meusnier, dient noch anderen
wichtigen Zwecken; nämlich den Ballon bei konstantem Volumen zu erhalten und einen
steten Druckausgleich zu erreichen, so daß die Ballonhülle ihre pralle Form behält.
Zu diesem Zwecke wird mittels eines Ventilators Luft in das Ballonet geblasen und
zwar mit einem Ueberdruck von 15 bis 30 mm Wassersäule. Hierdurch werden Gasverluste
ausgeglichen; dehnt sich aber das Gas durch Erwärmung aus, so wird Luft aus dem
Ballonet durch ein Ueberdruck-Ventil herausgedrückt; bei Abkühlung des Gases
vergrößert sich wieder wie bei Gasverlust das Ballonet.
Die sogenannten starren Ballons, deren Hauptrepresentant „Zeppelin“ ist, haben ein Ballonet nicht durchaus notwendig,
obgleich auch bei dieser Bauart, namentlich in der mehrfachen Ausführung wie bei Parseval, die Balloneteinrichtung für die
Höhensteuerunggute Dienste leisten würde.
Die beiden hauptsächlichen Ballontypen mit starr und unstarr zu bezeichnen, ist
eigentlich nicht richtig, denn auch der Motorballon von Parseval ist starr. Der Ballon muß starr sein, da es sonst nicht möglich
wäre, ihn zu steuern. Richtiger wäre es, die sogenannten starren Ballons mit Gerüstballons zu benennen, da die Ballonhülle durch ein
festes Gerüst in der starren Form erhalten wird. Die unstarren Ballons könnte man
gerüstlose Ballons oder besser Druckballons nennen, da sie kein Gerüst haben, vielmehr die starre Form
durch den inneren Ueberdruck erhalten wird. Die
halbstarren Ballons wie die „Republique,“ den neuen französischen
Militärballon, würde man mit Halbgerüst-Ballon oder
richtiger mit Kielgerüst-Ballon bezeichnen, da diese
Ballontype nur unten am Kiel der Ballonhülle ein Gerüst hat, im übrigen aber die
starre Form durch den Ueberdruck des Gases bzw. des Ballonets gewahrt wird. Einen
Uebergang zu den gerüstlosen Ballons bilden die Motorballons, bei denen die Gondel
zu einem „Kielgerüstbalken“ ausgebildet ist. Die
Gondel wird dann fast so lang wie der Ballon selbst und wird möglichst nahe an der
Ballonhülle befestigt. Der bekannteste Vertreter dieser in Frankreich mehrfach
ausgeführten Ballontype ist der Motorballon „Ville de Paris“.
Die lange Gondel hat den Vorteil, daß die Last ziemlich gleichmäßig auf die ganze
Länge des Ballons verteilt werden kann, ferner kann, ohne befürchten zu müssen, daß
der Ballon durch die von den Enden ausgehenden Tragseile gestaucht wird, die Gondel
so nahe an den Ballon befestigt werden, als es die Gefahr, daß etwa austretendes Gas
sich am Motor entzünden könnte, gestattet. Durch die nahe Aufhängung der Gondel am
Ballon wirkt die Schraube auch günstiger, die bei Druckballons an der Gondel
gelagert werden muß und bei naher Aufhängung der Gondel am Widerstandmittelpunkt,
der etwas unter der Mitte des Ballons liegt, günstiger wirkt, da dann kein so großes
Kippmoment auf den Ballon ausgeübt wird. Bei Gerüstballons können die Schrauben zu
beiden Seiten des Ballons in Höhe des Widerstandsmittelpunktes gelagert werden, da
man am Gerüst des Ballons feste Stützpunkte hat. Dies ist ein großer Vorteil des
Gerüstballons, welchen Vorteil Parseval durch die
besondere Art der Aufhängung seiner Gondel und Anordnung seiner Schraube, wie
später beschrieben wird, ebenfalls sehr gut erreicht. Bei Lagerung der Schrauben an
der Gondel hat man beim Landen darauf zu achten, daß die Schraube nicht auf den
Boden oder gegen ein Hindernis stößt. Bei der Verwendung von Schrauben mit zwei
Flügeln ist dies leicht zu erreichen, indem die Schraube vor dem Landen quergestellt
wird. Julliot bringt unter der Gondel einen Fuß an, so
daß die Schrauben bei der Landung noch mindestens einen Meter über dem Boden stehen.
Bei Parseval ist keine Gefahr für die Schraube, da
deren Flügel aus mit Stoff überzogenen Drahtseilen bestehen, also nachgeben können.
Auch ist die Schraube auf einem Lagerblock zwischen Gondel und Ballon gelagert.
Was die Schraube selbst anbelangt, so finden wir noch große Verschiedenheiten. Große
und kleine, langsam und schnell rotierende Schrauben. Ebenso ist die Anzahl der
Flügel wechselnd von zwei bis vier Flügeln. Es scheint jedoch, daß sich die Schraube
mit zwei Flügeln als etwas überlegen erweist, jedenfalls werden immer mehr Schrauben
mit zwei Flügeln angewendet. Das Material, aus welchem die Schrauben hergestellt
sind, ist meist Aluminium oder Holz, vielfach auch Stahl, oder es sind Stofflügel
auf ein Stahlgerippe aufgezogen. Der Antrieb der Schrauben von großem Durchmesser,
die entsprechend langsamer rotieren müssen, erfolgt meist durch ein Zahnradvorgelege
oder durch Seile. Bei Zeppelin I und II erfolgt der Antrieb durch konische Zahnräder.
Die Seitensteuerung hat weniger Schwierigkeiten gemacht als die Höhensteuerung. Bei
allen Luftschiffen ist das Steuer hinten angebracht, entweder unmittelbar am Ballon,
bzw. zwischen dessen Stabilisierungflächen, oder an Verbindungen zwischen Ballon und
Gondel. Das Seitensteuer besteht aus einer oder mehreren parallelen Flächen. Häufig
ist dasselbe hinter einer feststehenden Fläche angebracht, weil die Erfahrung
gelehrt hat, das es dann besser wirkt. Bei mehreren neuen Luftschiffen, z.B. den
französischen Militärballons System Julliot, ist das
Steuer über den Drehpunkt hinaus nach vorn verlängert, so daß vor der Drehachse etwa
die Hälfte der Fläche liegt wie hinter der Achse. Dadurch wird erreicht, daß sich
das Steuer leichter betätigen läßt. Zeppelin ordnet aus
gleichem Grunde die Drehachse bei seinen Seitensteuern ebenfalls etwa in der Mitte
der Flächen desselben an. Die Höhensteuer haben die Achse stets in der Mitte.
Was die Gashülle selbst anbelangt, so herrscht über die Form derselben jetzt
Einigkeit. Die Torpedo- oder Zigarrenform, wie sie zuerst Renard an seinem Motorballon „la France“ in den achziger Jahren des
vorigen Jahrhunders angewandt hat, ist die beste Form. Renard hatte diese Form durch Rechnung gefunden, jetzt hat Professor Prandl in Göttingen durch eingehende Versuche
festgestellt, daß diese Form den geringsten Widerstand hat, nämlich gleich etwa ein
Fünftel des Widerstandes, den ein Zylinder gleichen Durchmessers und gleichen
Inhalts der beiderseits flach abgeschnitten ist, haben würde. Der größte Durchmesser
befindet sich im vorderen Drittel der Länge, die hintere Spitze ist schlanker
verlaufend als die vordere, die nach den Feststellungen von Prandl abgerundet sein kann, ohne daß der Widerstand nennenswert vermehrt
würde; dagegen vermehrt eine stumpfe Abrundung hinten den Widerstand erheblich.
Als Stoff für die Gashüllen wird fast ausschließlich deutscher gummierter
Baumwollstoff der „Continental“ verwendet. Je nach Größe der Hüllen werden
mehrere Lagen von Stoff und Gummi aufeinander geklebt, bis zu drei Stofflagen.
Bei großem Durchmesser wächst natürlich der Druck, den der Stoff auszuhalten hat,
doch wird der Stoff stets so stark gewählt, daß mehrfache Sicherheit vorhanden
ist.
Von großer Wichtigkeit für die ruhige Fahrt eines Luftschiffes sind die
Stabilisierungsflächen. Diese werden heut direkt am Ballon angebracht. Renard und Krebs hatten
die Stabilisierungsflächen hinten am oberen Rand der Gondel montiert. Ihr
Motorballon „la France“ war die erste Ausführung eines Luftschiffes mit
Stabilisierungsflächen und der Anwendung derselben war die ruhige Fahrt ihres
Luftschiffes zu danken. Bis dahin waren bei allen Motorballons die Stampf- und
Schlingerbewegungen sehr stark, namentlich sobald eine gewisse Geschwindigkeit
überschritten wurde. Auch Zeppelin erreichte erst nach
Anbringung von vertikalen und horizontalen Stabilisierungsflächen einen ruhigen Gang
seines Luftschiffes. Bei den Gerüstballons ist die Anbringung dieser Flächen nicht
schwierig, wohl dagegen bei den Druckballons. In vorzüglicher Weise sind die
Schwierigkeiten bei der Anbringung der Flächen am Ballon gelöst durch Renard und Kapferer;
ausgeführt an den Motorballons „Ville de Paris“ und „Clement Bayard.“
Bei diesen Ballons sind hinten kleine Ballons angebracht, die mit dem Hauptballon in
Verbindung stehen, Auch Parseval hatte die
Stabilisierungsflächen an seinem ersten Motorballon ähnlich als luftgefüllte Polster
konstruiert. Da jedoch wegen des großen Querschnitts der Widerstand der aus Luft-
oder Gasballons hergestellten Stabilisierungsflächen ein großer ist, benutzt Parseval jetzt wie die meisten Konstrukteure mit Stoff
überzogene Gerüste aus Holz, in letzter Zeit aus Stahlrohr, da durch Bruch einer
solchen Fläche im vorigen Jahr der Ballon aufgerissen wurde. Nach einem Vorschlage
vom Verfasser lassen sich die Stabilisierungsflächen ohne Anbringung besonderer
Ballons aus dem Ballon selbst bilden, wenn der Hülle eine entsprechende Form gegeben
wird und zwar kreuzförmig oder flach, wie die schematischen Zeichnungen (Fig. 1 u. 2) zeigen.
Textabbildung Bd. 324, S. 619
Hüllen mit StabilisierungsflächenFig. 1: Ballon mit kreuzförmigem
hintererem Ende. Fig. 2: Ballon mit flachem hinterem Ende.
Als Motoren kommen nur Explosionsmotore in Betracht, da alle anderen Kraftmaschinen
im Verhältnis zur Leistung zu schwer sind. Der Luftschiffmotor ist wie der
Fliegermotor aus dem Automobilmotor hervorgegangen, die Anforderungen an den Motor
sind jedoch im Luftschiff noch größer. Der Motor soll möglichst leicht sein, dabei
dauernd mit voller Leistung arbeiten. Ferner muß der Motor frei von Erschütterungen
laufen und im Verhältnis zur Leistung wenig Brennstoff und Oel verbrauchen, damit
das Luftschiff einen möglichst großen Aktionsradius erreicht.
Bei der Wichtigkeit der Motoren für die Luftschiffe sollen dieselben in besonderen
Aufsätzen zusammen mit den Motoren der dynamischen Flugapparate beschrieben
werden.
(Fortsetzung folgt.)