Titel: | Zuschrift an die Redaktion. |
Fundstelle: | Band 324, Jahrgang 1909, S. 620 |
Download: | XML |
Zuschrift an die Redaktion.
(Ohne Verantwortlichkeit der
Redaktion.)
Zuschrift an die Redaktion.
Die Betriebssicherheit der Heißdampf-Lokomotive, Bauart Schmidt.
Geehrte Redaktion!
Zu der Erwiderung des Herrn Dr. Osthoff S. 553 bemerke
ich noch kurz folgendes:
1. meine Umfrage bei den auswärtigen Bahnverwaltungen bezog sich ausdrücklich auf
„Brüche im Triebwerk und sonstige Betriebsschäden“ unter Hinweis auf die
Quelle. Inzwischen sind gleich günstige Angaben eingelaufen von der Nord
Milano-Eisenbahn, den bosnisch-herzegowinischen Staatsbahnen, der Holländischen
Eisenbahngesellschaft, der Außig-Teplitzer Eisenbahngesellschaft, den
Schweizerischen Bundesbahnen und den schwedischen Staatseisenbahnen. Durchweg sind
von diesen Verwaltungen noch vor der Antworterteilung besondere Untersuchungen
vorgenommen worden. Brüche irgendwelcher Art sind bei keiner dieser Verwaltungen an
Heißdampflokomotiven vorgekommen, irgendwie erhebliche Krustenbildung ist bei
Verwendung des geeigneten und vorgeschriebenen Oels nirgendwo beobachtet. Hr. O. gibt jetzt selbst diesen Teil seiner Angaben schon
als veraltet zu. Bei der französischen Südbahn (Midi) sind weiterhin kürzlich
glänzende Ergebnisse bezüglich der Leistungen und des Kohlen- und Wasserverbrauchs
von 5/5 gek.
Heißdampftenderlokomotiven festgestellt worden, ohne daß sich der Schatten einer
Betriebsunsicherheit bemerkbar gemacht hat;
2. daß geschlossene, ungefederte Dichtungsringe wegen des erforderlichen Spielraums
dampfdurchlässiger sind als federnde, wird nicht in Abrede gestellt, es lag aber
kein Grund vor, auf diesen ebenso sicheren wie bekannten Umstand, der die Rückkehr zu den federnden Ringen veranlaßt hat, noch
besonders hinzuweisen;
3. die preuß. Staatseisenbahnverwaltung besitzt noch eine größere Anzahl
Heißdampflokomotiven mit dem, im übrigen durchaus nicht ganz ungeeigneten,
Rauchkammerüberhitzer und mit geschlossenen Dichtungsringen der Kolbenschieber. Das
Vorkommen von Brüchen bei solchen Lokomotiven ist in meiner Zuschrift ausdrücklich
zugegeben. Es steht dort: vorgekommen sind und nicht etwa: „sein sollen.“ Zu
beherzigen bleibt aber, daß die preuß. Staatseisenbahnverwaltung über 1500
Heißdampflokomotiven besitzt, und daß auch bei anderen Lokomotivgattungen, sowohl
bei Zwilling als bei Verbundlokomotiven, mit zwei wie mit vier Zylindern, Brüche mit
und ohne Verschulden des Personals vorkommen. Das Ergebnis der Umfrage bei der
großen Zahl auswärtiger Verwaltungen, deren Heißdampflokomotiven lediglich den
neueren Rauchröhrenüberhitzer und federnde Schieberringe besitzen, beweist, daß bei
diesen eine erhebliche Gefahr für Wasserschläge und deren Folgen praktisch nicht
besteht. Auch bei dem Rauchkammerüberhitzer ist der Gefahr leicht vorzubeugen. Die
Veranlassungen zu den bei der Preußischen Staatsbahn dennoch an Heißdampflokomotiven
vorgekommenen Betriebsschäden brauche ich nicht weiter zu untersuchen, namentlich,
da Hr. 0. jetzt nähere Gelegenheit hierzu hat. Es sei
nur nochmals darauf hingewiesen, daß bei der großen Anzahl auswärtiger
Eisenbahnverwaltungen, welche Heißdampflokomotiven, durchweg mit dem gleichen
Rauchröhrenüberhitzer und den gleichen gefederten Dichtungsringen der
Kolbenschieber, besitzen, solche Erfahrungen nicht gemacht sind. Jedenfalls
brechen Zylinderdeckel aus den verschiedensten Gründen, die im Betriebe ermittelt zu
werden pflegen und bloße Vermutungen haben hier keine Beweiskraft. Die vielen
neueren, der Not entsprungenen Versuche zur Auffindung eines ausreichenden
Wasserabscheiders für Lokomotiven mit gesättigtem Dampf sind Hr. O. wohl bekannt? Die Beobachtungen der
Württembergischen Staatsbahn sprechen, wie von ihm übersehen zu sein scheint,
durchaus zugunsten der größeren Betriebssicherheit der Heißdampflokomotiven;
4. das für die besonderen Einrichtungen der Heißdampflokomotiven, wie für jede
besondere Einrichtung: Bremsen, Sandstreuer und Schmiervorrichtungen, erforderliche
Maß an besonderer Umsicht wird von unserem Lokomotivpersonal, wie von dem
ausländischen, durchweg ohne Unbequemlichkeit aufgewendet. Der Hinweis auf
vereinzelte Unachtsamkeiten ist in amtlichen Blättern durchaus sachgemäß;
5. die auf das amerikanische first in, first out hinauslaufende mehrfache Besetzung der Lokomotiven ist eine längst als solche erkannte
verfehlte Einrichtung;
6. daß bei Lokomotiven mit Lentz-Ventilsteuerung
vielfach Betriebsstörungen und Brüche vorgekommen sind, trotz der bei
Versuchslokomotiven stets verwendeten besonderen Aufmerksamkeit, ist in Fachkreisen
bekannt. Die Behauptung, daß selbst in Zukunft niemals eine Betriebsstörung
vorkommen wird, ist deshalb mit Rücksicht auf diese, wie auf die bei ortsfesten
Maschinen gemachten Erfahrungen sehr gewagt;
7. die von mir angegebene Berechnung des zum Oeffnen der Lentz-Ventile erforderlichen Druckes ist nicht widerlegt. Wenn die Lentz-Ventile, wie Hr. O.
annimmt, vollkommen dicht sind, so ist seine Theorie von dem nach außen hin
gleichmäßig abnehmenden Druck falsch und es ist ferner eine bekannte Tatsache, daß
dampfdicht aufgeschliffene Flächen saugend aufeinander haften. Wird durch Drehen der
Spindel für eine kleine Undichtheit gesorgt, so läßt sich allerdings leicht zeigen,
daß ein Lentz-Ventil dann als Sicherheitsventil wirken
kann;
8. Hr. O. vergißt, daß, übrigens nach seinen eigenen
Ausführungen, die Lentzschen Auslaßventile bei
liegenden Dampfmaschinen normaler Anordnung, bei denen sie unten an den
Dampfzylindern angebracht sind, das Niederschlagwasser sehr wohl ablassen können,
indem die Auslaßventile während fast der halben Kurbelumdrehung offen stehen und
indem während dieser ganzen Zeit das Niederschlagwasser durch die Auslaßventile
abfließen kann. Nur während der kurzen Kompressionszeit ist der Wasserabfluß
unterbrochen. Ein Wasserschlag kann aber nicht mehr eintreten, wenn das Wasser schon
vor der Beendigung des Kolbenrücklaufs aus den Dampfzylindern entfernt ist Bei
obenliegenden Lentzschen Auslaßventilen, wie bei
Lokomotiven die Regel ist, bleibt das Wasser dagegen so lange in den Dampfzylindern,
bis der schädliche Raum vollständig mit Wasser ausgefüllt ist, und gerade hierdurch
werden die Wasserschläge mit zwingender Notwendigkeit herbeigeführt. Diesen
grundsätzlichen Unterschied in der Wirkung von oben- und untenliegenden
Auslaßventilen scheint Hr. O. übersehen zu haben;
9. es ist richtig, daß die Preuß. Staatseisenbahnverwaltung- die
Heißdampflokomotiven zuerst eingeführt hat. Es verdient deshalb hervorgehoben zu
werden, daß gerade bei den ersten Heißdampflokomotiven dieser Verwaltung, mit
normaler Zylindergröße, keine Brüche an Zylindern oder Triebwerksteilen vorgekommen
sind, die durch Wasserschläge verursacht sein könnten;
10. Bitte Hrn. O. um Angabe, an welchen Lokomotiven vier
Stück Sicherheitsventile von 100 mm angebracht sind.
C. Guillery.
Geehrte Redaktion!
Zu den einzelnen Punkten der vorstehenden Entgegnung- des Herrn G. Guillery bemerke ich folgendes:
1. So dankenswert die Mitteilungen der auswärtigen Bahnverwaltungen auch sind, für
mich sind bezüglich der Beschädigungen infolge Wasserschlags meine persönlichen
Erfahrungen und das, was ich mit eigenen Augen gesehen habe, maßgebend.
Daß mit den Lokomotiven der Midi-Bahn eine Lokomotivgattung ohne den Schatten einer
Betriebsunsicherheit gefunden sein soll, dürfte mit Vorsicht aufzunehmen sein.
2. Von mir ist darauf hingewiesen, daß Herr Guillery auf
die große Dampflässigkeit der Kolbenschieber im Vergleich zu Ventilen in seiner ersten Zuschrift gar nicht eingegangen ist. Von einem
Vergleich bzgl. Dampflässigkeit der federnden und nicht federnden Kolbenschieber
untereinander ist gar nicht die Rede gewesen.
3. Die Preußischen Staatsbahnenbesitzen eine große Anzahl von Heißdampflokomotiven
mit Rauchkammerüberhitzer. Die Lokomotiven mit Rauchröhrenüberhitzer wurden m.W. zuerst 1906 angeliefert. Es
besitzen entgegen den Angaben des Herrn Guillery
sämtliche Schmidtschen Heißdampflokomotiven der
Preußischen Staatsbahnen (ca. 2000 Stück) auch die aller neuesten, vielleicht mit
Ausnahme einzelner Versuchslokomotiven, Kolbenschieber mit nicht federnden Ringen
von 150 mm .
Selbstverständlich kommen Triebwerksbeschädigungen, vor allem Deckelbrüche, infolge
Wasserschlags auch bei anderen als Heißdampflokomotiven vor. Es sind dies aber nur
solche Naßdampflokomotiven, welche mit Kolbenschiebern ausgerüstet sind. Das
Entscheidende ist nicht etwa der Heißdampf, dessen Ueberlegenheit dem Naßdampf
gegenüber allgemein bekannt ist, sondern der Kolbenschieber, ganz gleich, ob er
federnde oder nicht federnde Ringe besitzt. Für die Schmidtschen Heißdampflokomotiven kommt nur noch als erschwerendes Moment
der zwischen Regler und Schieberkasten eingeschaltete Ueberhitzer hinzu, welcher
erstens einen großen Rauminhalt besitzt, und zweitens einen Wassersack bildet.
Fraglos würde Herr Guillery sich ein großes Verdienst
erwerben, wenn er näher angäbe, wie der Gefahr des Wasserschlages bei den
Rauchkammerüberhitzerlokomotiven leicht vorzubeugen
ist.
Die greifbar nahe liegende Vermutung, daß Kolbenschieber bei Wasserschlag dem Wasser
keinen Ausweg gestatten, und deshalb Brüche vorkommen müssen, erhält ihre
Beweiskraft durch die Tatsache, daß die Gesamtzahl der Deckelbrüche (aus allen
möglichen Ursachen) bei Kolbenschieberlokomotiven im Verhältnis zu
Flachschieberlokomotiven eine ganz auffallend große ist. Die Frage der
Wasserabscheidung gehört nicht hierher, weil dieselbe bei
Naßdampfflachschieberlokomotiven selbstverständlich ganz andere Zwecke verfolgt
als die Vermeidung von Triebwerksbrüchen. Ich habe die Mitteilungen der
Württembergischen Staatsbahnen mit Recht als Bestätigung dafür angezogen, daß bei
Kolbenschieberlokomotiven, ganz gleich ob Heiß- oder Naßdampf, Brüche infolge
Wasserschlags vorkommen. Eines besonderen Hinweises, daß die
Heißdampfkolbenschieberlokomotiven mit Sicherheitsventilen betriebssicherer sind als
die zum Vergleich herangezogenen Naßdampfkolbenschieberlokomotiven ohne
Sicherheitsventile, bedurfte es doch sicherlich nicht.
4. Fehler und Irrtümer in der Behandlung der Heiß- und Naßdampflokomotiven kommen
stets vor, da die Lokomotivführer auch nur Menschen sind. Der springende Punkt ist
der, die Heißdampflokomotiven so einzurichten, daß die Folgen der Fehler und
Irrtümer in der Behandlung nicht so schwere Beschädigungen wie Zylinderbrüche usw.
hervorrufen. Bei Lokomotiven mit Flachschiebern, welche bei Wasserschlag einfach
abklappen, sind die Folgen der fehlerhaften Behandlung unerheblich. Mir ist kein
Fall bekannt, daß ein Zylinder mit Flachschieber infolge Wasserschlag geplatzt
ist.
Wenn im übrigen in den ersten Jahren der Heißdampflokomotiven der Kolbenschieber das
einzig brauchbare Steuerungsorgan war, so daß man die Brüche am Triebwerk mit in den
Kauf nehmen mußte, so liegt jetzt nach Ausbildung der Ventilsteuerung zu einer
durchaus brauchbaren und betriebssicheren Lokomotivsteuerung kein Grund vor, an
Stelle des Guten nicht das Bessere zu setzen.
Dem Inhalt des letzten Satzes wird jedermann beistimmen. Es ist mir nur
unverständlich, aus welchen Gründen Herr Guillery
diesen Satz hier anführt, und ich muß daher annehmen, daß er mich mißverstanden
hat.
5. Daß einfache Besetzung der Lokomotiven für die Wartung und Behandlung derselben
die beste ist, ist allgemein bekannt. Mit modernen Anschauungen über wirtschaftliche
Ausnutzung des Lokomotivparkes ist die einfache Besetzung der Lokomotiven
unvereinbar.
6. Ich habe nicht, wie es nach Herrn Guillerys
Darstellung scheint, behauptet, daß die Ventillokomotiven unter allen Umständen betriebssicher sind, sondern nur, daß sie bei
Wasserschlag völlig betriebssicher sind, wie dies auch die Erfahrungen an ca. 40
Ventillokomotiven bestätigen.
Selbstverständlich ist die Uebertragung der Lentzsteuerung von ortsfesten Dampfmaschinen auf Lokomotiven, ebenso wie
seinerzeit die Einführung der Kolbenschieber, nicht ohne Schwierigkeiten vor sich
gegangen. So z.B. sind an den 1 C (¾ gek.) Heißdampf-Personenlokomotiven Gattung
P6 infolge ungenügender Schmierung Anfressungen
der Ventilspindeln vorgekommen. Ferner haben Versuche mit Ventilen aus Weichguß
statt Grauguß zu unangenehmen Brüchen der Ventile geführt. Die Härtung der Stangen
und Rollen war anfangs auch nicht so sachgemäß, um Betriebsstörungen zu vermeiden.
Nach Umbau bzw. Auswechseln der betr. Teile im vorigen Jahre laufen die Maschinen
jetzt tadellos. Auch die Ventillokomotiven der Oldenburgischen Staatsbahnen, ebenso
wie die 2 B 1 (⅖ gek.) Mailänder Ausstellungslokomotive Gattung S7 von 1906 bewähren sich aufs beste.
7. Nach Herrn Guillerys Theorie auf Seite 538 sind die
beiden äußersten Grenzfälle bzgl. des erforderlichen Druckes zum Oeffnen der Lentzventile 35 und 334 Atm. Tatsächlich haben sich im Betriebe die im übrigen dampfdichten
Auslaßventile schon bei einem Druck von 12 Atm. geöffnet. Herrn Guillerys Berechnung des Druckes auf Seite 539 dagegen ist erst nach Kenntnisnahme meiner
Berechnungsweise auf Seite 555 nachträglich eingeschoben. Ein weiteres Eingehen auf
die Ventilberechnung- darf ich mir danach wohl versagen. Ich lege auch keinen Wert
darauf, zu erfahren, nach welcher Theorie der Durchmesser der feinen Bohrungen in
den federnden Ringen der Schmidtschen Kolbenschieber
(vgl. Seite 438) derart bemessen ist, daß die Ringe bei normalem Dampfdruck an der
Schieberbüchse anliegen, bei höherem Druck infolge Wasserschlags aber
zusammenklappen sollen.
8. Daß die Betrachtungen über oben und unten liegende Ventile mir, der ich selbst Lentzventilsteuerungen entworfen habe, nicht fremd
sind, bedarf wohl keiner weiteren Erörterung. Ich habe nur den Wasserschlag selbst
behandelt und die Vorgänge vor dem Wasserschlag als selbstverständlich Vorausgesetz.
Daß auch bei Ventillokomotiven das Niederschlagswasser ebenso wie bei den
Kolbenschieberlokomotiven durch die Ablaßhähne entfernt wird, ist bereits
erwähnt.
9. Die Behauptung, daß bei den ersten Schmidtschen
Heißdampflokomotiven mit normalen Zylindergrößen keine Brüche in den
Triebwerksteilen vorgekommen sind, nachzuprüfen, ist mir nicht möglich. Mir steht
leider keine Stelle zur Verfügung, von der ich Informationen historischer Art über
Schmidtsche Heißdampflokomotiven einholen
könnte.
10. Ich bedaure, zu dem Mißverständnis Veranlassung gegeben zu haben, als ob die
belgischen Lokomotiven 4 Sicherheitsventile von 100 mm pro Zylinder besäßen.
4 Ventile allerdings von kleinerem Durchmesser pro Zylinder besitzen dagegen die
preußischen Lokomotiven.
Dr.-Ing. Max Osthoff,
Reg.-Baumeister.