Titel: | Juristische Fakultät und Juristenmonopol. |
Autor: | Alexander Lang |
Fundstelle: | Band 324, Jahrgang 1909, S. 634 |
Download: | XML |
Juristische Fakultät und
Juristenmonopol.
Von Dr. Alexander Lang
Berlin.
Juristische Fakultät und Juristenmonopol.
In Heft 32, Jahrgang 1909 von „Dinglers
Polytechnisches Journal“ veröffentlicht Professor W. Franz eine Abhandlung über: „Verwaltungsjuristen – Verwaltungsingenieure“. An die Ausführungen des Verfassers
schließt die Redaktion die Aufforderung, zu der Frage Stellung zu nehmen, in welcher
Weise die Ingenieure eine Beteiligung der Technischen Hochschule bei der Ausbildung
der höheren Verwaltungsbeamten von Reich, Staaten, Städten usw. wünschen. Diese
Aufforderung ist sehr zeitgemäß gerade jetzt, wo gewisse Kreise an der Arbeit sind,
die Frage der Verwaltungsreform derart zu lösen, daß sie anstelle der juristischen
Einseitigkeit, die wir heute beklagen, die technische
Einseitigkeit setzen möchten. Dieser revolutionären und ganz
unverständlichen Auffassung gegenüber muß betont werden, daß „Verwalten“ eine
spezifisch geartete Tätigkeit ist und weder von einseitig juristischen noch
einseitig technischen Gesichtspunkten aus geübt werden darf. Es muß deshalb eine differenzierte Schulung bei der Ausbildung der
zukünftigen Verwaltungsbeamten verlangt werden und in der Weise, wie sie an der
Charlottenburger Hochschule in mustergiltiger Weise zur Durchführung gelangt ist.
Nicht Fachtechnikern soll die höhere Verwaltungslaufbahn frei gegeben werden,
sondern Staats wissenschaftlich vorgebildeten Diplomingenieuren (Verwaltungsingenieuren resp. Technokameralisten. Den in Betracht kommenden
Behörden und Kreisen muß nachdrücklichst zur Auflage gemacht werden, daß sie die
Frage der Herbeiziehung der technischen Intelligenz zur allgemeinen Verwaltung
nicht eher entscheiden, als bis sich die breiteste Oeffentlichkeit in
ausgiebigster Weise dazu geäußert
hat. Im Nachstehenden soll indes auf diese Seite des
Gegenstandes zunächst nicht näher eingegangen werden; es soll dagegen das Problem
vom Gesichtspunkt der juristischen Wissenschaft aus betrachtet werden.
Die juristische Fakultät hat von jeher nicht als Arbeitsfakultät gegolten. Den
älteren der heutigen Juristen sind die derben Worte in Erinnerung, die seinerzeit
der Berliner Rechtslehrer Franz von Liszt in seiner
Marburger Rektoratsrede gesprochen hat: „Ohne alle gründlichen Fachkenntnisse,
mit den kümmerlichsten Resten der vom Gymnasium herübergeretteten allgemeinen
Bildung; ohne jede Liebe zur Wissenschaft, auf die sie als graue, im Examen nur
hinderliche Theorie herabblicken; ohne jede Anhänglichkeit an den Lehrer, den
sie vielleicht nur zweimal im Semester bei der Ueberreichung des Anmeldebuches
zu Gesicht bekommen haben; ohne Verständnis und darum auch ohne jede
Begeisterung für die großen, unser Volk bewegenden Zeitfragen, Philister trotz
des dreifarbigen Bandes, dem Handwerkergeiste rettungslos anheimgefallen, so
verläßt die Mehrzahl unserer jungen Juristen den Tempel der Wissenschaft, den
sie, lediglich um ein dürftiges Examen bemüht, zur Krämerbude gemacht haben. Das
ist der Stoff, aus dem Preußen seine Juristen macht, das sind die Männer, aus
welchen das deutsche Volk die künftigen Führer in den Kämpfen des öffentlichen
Lebens entnehmen soll.“ So sprach Franz von
Liszt vor mehr denn 20 Jahren! Ist es inzwischen besser geworden? Lassen
wir diese Frage durch die Fachleute beantworten, die mitten im akademischen Leben
stehen, nämlich die akademischen Lehrer; und von diesen wieder die Juristen selbst, denn sie sind in erster Linie sachverständig. In der Deutschen
Juristenzeitung (1. Mai 1909) macht der bekannte Bonner Rechtslehrer Geh. Justizrat
Professor Dr. Zitelmann den Vorschlag, das akademische
Studium der Juristen in zwei Teile zu zerlegen, zwischen denen eine praktische
Betätigung von zweijähriger Dauer einzuschalten wäre. Geben wir zur Begründung
dieses Vorschlages dem Verfasser selbst das Wort; Zitelmann sagt: „Vor allem – man muß hier wieder einmal laut werden –
verfehlen die juristischen Fakultäten als Lehranstalten heute ihren wesentlichen
Zweck, da die Studierenden in großer Zahl, ja ich fürchte, sagen zu müssen, in
der Mehrzahl, von den Lehreinrichtungen und Lehrmitteln der Universität keinen
oder nur mangelhaften Gebrauch machen.“ Und weiter: „Das ist doch ein
seltsames Bild: auf der einen Seite mit großem Geldaufwand erhaltene und mit
Lehrmonopol ausgestattete staatliche Lehranstalten, die nicht benutzt werden,
auf der anderen Seite staatlich nicht anerkannte, außerhalb der Universität
stehende Vorbereitungskurse, in denen die jungen Juristen ihre Bildung
suchen.“ – „Alles dies gilt übrigens nicht nur in der eigentlichen
Jurisprudenz, sondern ebenso in den ja ganz unentbehrlichen nationalökonomischen
Fächern.“ – Zitelmann ist der Ansicht, daß es
so nicht weitergehen könne. „Andere Nationen, im Osten und Westen, dringen rasch
vorwärts, und die Zeit ist zu ernst, als daß wir es verantworten könnten, wenn
unsere edelste deutsche Jugend, die sich dem Beamtenstand widmen will, gerade
zur Zeit ihrer stärksten Aufnahmefähigkeit und inneren Biegsamkeit für ihre
Ausbildung mehrere Jahre verliert oder doch nicht voll, ausnutzt. Wer bei dem
gesteigerten Wettkampf der Völker nicht alle Kräfte anspannt, der bleibt eben
zurück und wird überrannt. – Das gilt wie von Einzelnen so auch von
Nationen.“
So schreibt heute einer unserer besten Rechtslehrer.
Danach muß es also beim alten geblieben sein. Und so ist es auch. Aber noch mehr:
Jeder Einsichtige muß sich sagen, daß es auch in Zukunft beim alten bleiben wird,
greift man das Uebel nicht an der Wurzel an. Es wäre oberflächlich und ungerecht,
die Schuld den juristischen Professoren in die Schuhe schieben zu wollen, als seien
sie nicht tüchtig genug und als seien sie nicht in der Lage, den Stoff interessant
genug gestalten zu können. Die Rechtswissenschaft ist nicht mehr und nicht weniger
gestaltungsfähig wie jede andere Wissenschaft. Der Mißstand wurzelt also in anderen
Ursachen. Sind es nicht die Professoren und ist es nicht die Wissenschaft, so können
es nur die Studierenden sein. So ist es in der Tat. Die Schuld trägt die eigenartige Zusammensetzung der Studentenschaft der
juristischen Fakultät. Die Studierenden der juristischen Fakultät bilden
wie bei keiner anderen Fakultät ein buntes Durcheinander. Während man in der
Mathematik, der Physik, der Chemie, der Technik, der klassischen und neueren
Philologie, der Medizin usw. in der Hauptsache durchweg Leute findet, die durch
Neigung und Veranlagung an die betreffenden Wissenschaften gefesselt werden, ist
dies in der juristischen Fakultät anders. Neigung und Veranlagung bilden hier nicht
immer das leitende Motiv; ja man geht nicht fehl, wenn man behauptet, daß die
Mehrheit der Rechtsstudierenden zu allen anderen Wissenschaften besser geeignet
gewesen wäre wie für Jurisprudenz. Diese Mehrheit von Interesselosen, von
Mitläufern, die gar nicht Juristen werden wollen, geben der juristischen Fakultät
das Gepräge und nicht die berufenen und wirklichen Jünger der Rechtswissenschaft.
Was diese Mitläufer erstreben, ist nicht Wissenschaft, sondern das sind die
Privilegien, deren sich diejenigen in geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen
erfreuen, die „Jura studiert“ und die juristische Prüfung abgelegt
haben. Es ist also die Monopolstellung der juristisch Vorgebildeten, die das
wissenschaftliche Niveau der juristischen Prüfungen drückt und damit die
Studierenden der juristischen Fakultät in den Ruf des Unfleißes bringt. Man beseitige also die Monopolstellung der juristisch
Vorgebildeten, und die beklagten Mißstände sind beseitigt. Wird durch die
Beseitigung dieses Monopols einerseits die Möglichkeit einer vertieften
wissenschaftlichen Ausbildung und einer Steigerung der Prüfungsforderungen gegeben,
so hat anderseits die Nation auch ein direktes Interesse daran; denn die heute
künstlich zusammengekuppelte Ausbildung der zukünftigen Richter einerseits und der
Verwaltungsbeamten anderseits würde einer natürlichen Arbeitsteilung Platz machen;
die Verwaltungsbeflissenen könnten von vornherein eine der Eigenart ihrer
Veranlagung und des Verwaltungsberufes entsprechende Ausbildung erhalten, ohne zuvor
einen ganz überflüssigen und sinnwidrigen Umweg durch juristische Spezialgebiete
machen zu müssen. Es ist eine ganz verkehrte Auffassung, als seien
Rechtswissenschaft und Verwaltungswissenschaft dasselbe. Der
Beruf des Richters und der Beruf des Verwaltungsbeamten sind grundsätzlich
verschieden voneinander. Im „Tag“ 17. 3. 06 schrieb ein
Verwaltungsbeamter: „Der Beruf der Verwaltungsbeamten ist ein eminent
praktischer, auf konkrete Lebensverhältnisse angewandter und man darf wohl
vermuten, daß die jungen Leute, die ihn aus Neigung zu seiner besonderen Art
ergreifen und nicht aus anderen Gründen dies tun, weil sie bewußt oder unbewußt
die Fähigkeit besitzen, praktisch gestaltend in die Verhältnisse des Lebens
einzugreifen; weil sie mehr praktisch als theoretisch, mehr real als abstrakt
veranlagt sind. Und gerade dieser Veranlagung der künftigen Verwaltungsbeamten
bietet die juristische Fakultät so gut wie gar nichts.“ In der Frankfurter
Zeitung (5. 6. 07) wird von einem Landrat berichtet, der gesagt haben soll: „Der
uns anerzogene juristische Formalismus kann direkt eine Gefahr sein für jeden,
der ins Verwaltungsfach übertritt. Das sogenannte juristische Gefühl ist es, das
sich oft und leider meist erfolgreich dagegen sträubt, praktischen und
menschlich zwingenden Gründen nachzugehen. – Es erscheint daher dringend nötig,
daß das Juristentum in der Verwaltung auf ein Mindestmaß eingeschränkt
wird.“ – Die Ansicht, die hier derb zum Ausdruck kommt, kennzeichnet
treffend den Fehler unseres Erziehungssystems. Gewiß wird kein vernünftiger Mensch
bestreiten, daß der Verwaltungsbeamte (in Staat, Gemeinde usw.) ein gewisses Maß von
juristischen Kenntnissen besitzen muß. Die Verwaltungsbeamten brauchen aber keine
Juristen zu sein – weil sie eben Verwaltungsbeamte sein
sollen, und deshalb ist es ein Mißstand, sie zu demselben Studium zu zwingen, das
man in genau übereinstimmender Form von denjenigen verlangt, die in der Rechtspflege ihren Lebensberuf suchen. Wollen also unsere
juristischen Fakultäten in Verbindung mit den Volksvertretungen dafür sorgen, daß
ein großer Teil unserer „edelsten, deutschen Jugend“ gerade zur Zeit der
stärksten Aufnahmefähigkeit nicht mehrere Jahre verliert oder doch nicht voll
ausnutzt, so breche man mit dem Grundsatz, daß der zukünftige Verwaltungsbeamte in
der juristischen Fakultät „eingeschrieben“ gewesen sein müsse–, man nehme für
die Verwaltung die „Geeignetsten“ überall da her, wo sie zu finden sind;
nicht nur aus der juristischen Fakultät, sondern in gleicher Weise aus den anderen
Fakultäten, namentlich den Technischen Hochschulen, sofern sie neben allen andern
Erfordernissen ein entsprechendes Maß von Rechtskenntnissen nachweisen. Daß diese Kenntnisse auch
an den genannten Lehrstätten erlangbar sind und daß deren Lehrer wohl ebenso guten
Unterricht zu erteilen vermögen als die heute beigezogenen „Einpauker,“
bedarf keiner Erörterung. Wenn aber ein solch „kühner“ Schritt nicht gewagt werden kann, dann sollte man denjenigen
Akademikern, die Verwaltungsbeamte werden wollen, wenigstens eine längere
informatorische Beschäftigung in den Aemtern der Staatsverwaltungen gestatten. Eine
dahingehende Anregung haben bekanntlich die Abgeordneten Eickhoff, Rosenow und Faßbender bei den
letzten Beratungen des Unterrichts et ats im preußischen Abgeordnetenhaus gegeben,
und die vom preußischen Minister des Innern einberufene Immediat-Kommission sollte
diese Anregung aufnehmen. Auf diese Weise könnte ein Teil der
Verwaltungsbeflissenen von dem Zwange eines für sie nicht passenden Studiums in der
juristischen Fakultät befreit werden und bei den juristischen Fakultäten würden sich
in der Hauptsache nur noch diejenigen einschreiben lassen, die Juristen werden wollen. Die Zahl der Mitläufer würde auf ein Minimum
reduziert und der juristische Unterricht, namentlich der seminaristische Unterricht,
auf die volle Höhe gehoben. Deshalb muß die Parole bei der nunmehr in Preußen
eingeleiteten Verwaltungsreform lauten: Beseitigung des
Juristenmonopols. Dies Ziel wird nicht ohne erbitterten Kampf erreicht
werden. Aber so sicher, wie seinerzeit das Privileg des humanistischen Gymnasiums
gefallen ist, so sicher wird auch die Beseitigung des Juristenmonopols kommen.