Titel: | Die größte und stärkste Lokomotive der Welt. |
Autor: | Fr. Bock |
Fundstelle: | Band 324, Jahrgang 1909, S. 667 |
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Die größte und stärkste Lokomotive der
Welt.
Von Ingenieur Fr.
Bock-Berlin.
Die größte und stärkste Lokomotive der Welt.
Die Baldwin-Lokomotivwerke in Philadelphia in den
Vereinigten Staaten von Amerika haben kürzlich für die Southern Pacific Company zwei
Compound-Lokomotiven, System Mallet, fertiggestellt,
die zweifellos die stärksten und schwersten aller bisher gebauten Lokomotiven
darstellen; die Maschinen sind 8/10 gekuppelte Verbundlokomotiven und sind nach den
praktischen Erfahrungen des Erbauers mit Vorder- und Hinterlaufachse versehen Die
Konstruktionseinzelheiten sind in mancherlei Hinsicht so charakteristisch, daß sie
Interesse verdienen.
Die Zugkraft dieses Lokomotivtyps wird auf 43000 kg geschätzt. Die Maschinen
sollen im Sacramento-Gebiete zwischen Roseville und Truckee benutzt werden, und bei
einer Maximalsteigung von 2 v.H. eine abgeschätzte Wagen- und Nutzlast von 1212 t
befördern können.
Textabbildung Bd. 324, S. 668
Fig. 1.
Die außerordentliche Größe der Maschine läßt sich aus folgenden Ziffern erkennen: Die
Hochdruckzylinder haben 660 mm bei 725 mm Hub, und die Niederdruckzylinder
haben 1000 mm und 725 mm Hub. Der Kessel hat 2,1 m ; die Heizfläche
der Feuerkiste beträgt 21,6 qm, die der Rohre 459 qm und die des Vorwärmers 113 qm.
Die Gesamtheizfläche stellt sich auf 594 qm, der Dampfdruck beträgt 14 Atm. Das
Gesamtdienstgewicht ist 193 t und das Gesamtdienstgewicht mit Tender 272 t, davon
sind 179 t als Reibungsgewicht ausgenutzt. Die Länge der Lokomotive ist 17,15 m, und
Lokomotive und Tender zusammen sind 25,45 m lang.
Der Kessel ist für Oelfeuerung eingerichtet. Die Heizröhren münden in eine 1372 mm
lange Rauchkammer, vor welcher sich ein 1575 mm langer Vorwärmer befindet. Ferner
sind zwei ununterbrochen arbeitende Injektore vorhanden, die rechts und links Wasser
in den Vorwärmer pumpen, der beständig mit Wasser gefüllt ist. Das Speisewasser
tritt oben aus dem Vorwärmer heraus und fließt dann in den Kessel durch zwei
selbsttätig arbeitende Rückschlagventile, die sich unmittelbar hinter der vorderen
Rohrwand befinden. Der Ueberhitzer, welcher in dem Rohrsystem zwischen den Hoch- und
Niederdruckzylindern angeordnet ist, ist in die Rauchkammer eingebaut.
Um Ausbesserungen leichter ausführen zu können, ist der Kessel mit einem lösbaren
Kesselstoß versehen und kann so leicht in zwei Längsteile zerlegt werden. Dieser
Stoß wird durch zwei Ringe gebildet, die in jeden Kesselteil eingenietet sind und
deren Verbindung durch 42 Bolzen von 32 mm geschieht. Die Fig. 1 und 2 zeigen
den Kessel, wie er an dieser Stelle auseinander genommen ist; die vordere
Kesselhälfte ruht auf einem Wagengestell, von dem auch die Niederdruckzylinder
getragen werden; während die hintere Kesselhälfte mit den Hochdruckzylindern von
ihrem eigenen Rahmengestell und Rädern getragen wird.
Textabbildung Bd. 324, S. 668
Fig. 2.
Der mittlere Rahmenstuhl ist unterhalb der Rauchkammer fest verbolzt, während der
gegenüberstehende mittlere Rahmenstuhl und der Hochdruckzylindersattel an den
Kesselmantel angenietet sind. Der aus Stahlguß hergestellte Kesseldom ist direkt
über den Hochdruckzylindern angebracht, während die Anordnung der Einlaß- und
Hochdruck-Dampfrohre derjenigen ähnelt, wie sie in früheren Jahren von genanntem
Werke bei schweren Lokomotiven üblich war. Der Abdampf der Hochdruckzylinder strömt
durch zwei Rohre nach dem Ueberhitzer, wo er an dessen vorderem Ende eintritt und
durch sechs Röhrenbündel hindurchgeht. Hierauf gelangt der Dampf in ein T-förmiges
Verbindungsstück, von wo aus er durch eineinziges Rohr, das an jedem Ende ein
Kniegelenk und in der Mitte eine Gleitfuge hat, nach den Niederdruckzylindern
strömt. Die Dampfverteilung geschieht durch 15-zöllige Kolbenschieber, die also
doppelt so groß sind, als diejenigen, welche bei den Hochdruckzylindern Verwendung
finden. Der verbrauchte Dampf strömt von der vorderen Seite der Dampfzylinder aus in
ein T-förmiges Verbindungsstück, welches wiederum mit einem biegsamen Rohre
verbunden ist, das nach der Rauchkammer führt. Die Gleitfuge in diesem Rohre wird
mittels Spannringen und Dichtungsfugen abgedichtet. Am Ende der Rauchkammer ist das
Kniegelenk mit einer metallenen Springfeder versehen, die das Rohr an seinen Platz
drückt.
Textabbildung Bd. 324, S. 669
Fig. 3.
Die Umsteuerung wird durch die Raggonetsteuerung, welche durch Luftdruck betrieben
wird und automatisch arbeitet, bewirkt. Das Steuerungsgetriebe ist direkt mit der
Hochdruck-Umsteuerungswelle verbunden. Die lange Verbindungsstange mit der
Niederdruck-Umsteuerungswelle ist in der Mittellinie der Maschine angeordnet und ist
mit einem Universalgelenk versehen, das sich unmittelbar über derjenigen Stelle des
Lokomotivrahmens befindet, an der dieser zusammengefügt ist. Dieses Gelenk wird
zwischen den inneren Wangen des Hochdruckzylindersattels hindurchgeführt, wodurch
eine Vereinfachung der Coulissensteuerung erzielt wird. Bemerkenswert ist noch, daß
die Winkelstellung der großen Verbindungsstange beim Passieren einer Kurve praktisch
keine Wirkung auf die Bewegung des Vorwärtsventiles ausübt, eine Anordnung, die sich
die Erbauer der Maschine patentieren ließen.
Die eine der beiden vorbeschriebenen Lokomotiven ist mit einem Vanadiumstahlrahmen
versehen, während der Rahmen der anderen Lokomotive aus Kohlenstoffstahl gefertigt
ist. Die Verbindung zwischen den Lokomotivrahmen ist ziemlich einfach und wird durch
eine stählerne Leitstange bewirkt, welche gleichzeitig auch eine sehr kräftige
Verbindung für den hinteren Teil des Vorderrahmens bildet. Der Drehbolzen, welcher
von unten eingesetzt wird, hat 178 mm im Durchmesser und wird durch eine Platte
festgehalten, welche wiederum von einer Stahlgußquerschwelle gestützt wird; letztere
umspannt gleichzeitig die unteren Querbänder des Hinterrahmens zwischen den
Hochdruckzylindern. Die auf den beiden Radsätzen ruhenden Lasten werden durch
Kontakt des vorderen mit dem hinteren Lokomotivrahmen im Gleichgewicht gehalten;
Ausgleichsgewichte fallen also bei diesem Lokomotivtyp gänzlich fort.
Der Kessel wird auf dem vorderen Lokomotivrahmen von zwei Lagerböcken getragen, die
in bekannter Weise mit dem Kessel verbunden sind. Der vordere Lagerbock trägt die
Zentrierfedern, und die Abnutzung sucht man in jedem Falle durch einen gußeisernen,
50 mm starken Schuh zu verhindern. Beide Kesselböcke sind mit Klammern versehen, um,
wenn der Kessel gehoben wird, die Lokomotivrahmen vor dem Herunterfallen zu
schützen.
Die Lokomotive ist leicht auseinander zu nehmen, da der Kesselstoß sich nur in
geringer Entfernung über der Rahmenverbindung befindet und alle Röhren, die an
dieser Verbindungsstelle vorbeiführen, mit Schlauchverbindungsstücken ausgestattet
sind. Diese zweiteilige Kessel- und Rahmenkonstruktion wurde von den Erbauern
ausprobiert und als praktisch sehr gut durchführbar befunden.
Der Tender ist in Uebereinstimmung mit den Vorschriften der Associated Line Standards gebaut, faßt 41 cbm Wasser und 13 cbm Rohöl. Die
Wagengestelle unter der Lokomotive und dem Tender sind mit massiven, geschmiedeten
und gewalzten Rädern aus Standardstahl versehen.
Sämtliche Teile dieser Lokomotive sind, soweit möglich, in Uebereinstimmung mit den
herrschenden Vorschriften der Associated Lines nach dem
Standard-System konstruiert. Die Maschine kommt
sowohl an Gewicht, wie auch Leistungsfähigkeit zwei großen Lokomotiven der
Consolidatios-Bauart gleich und besitzt trotz ihrer Größe ein gefälliges und
symmetrisches Aeußere (s. Fig. 3.)