Titel: | Polytechnische Rundschau. |
Fundstelle: | Band 324, Jahrgang 1909, S. 733 |
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Polytechnische Rundschau.
Polytechnische Rundschau.
Schwimmkran.
Die Firma Applebys in Leicester hat für Montreal in
Kanada einen Schwimmkran für 75 t Tragkraft geliefert. Die Abmessungen des Pontons
sind: Länge 62,5 m, Breite 13,2 m, Höhe 3,05 m. Zur Sicherung der Stabilität sind an
geeigneter Stelle 300 t Ballast vorhanden. Der Kran in Drehscheibenkonstruktion ruht
auf einem Rollenkranz und kann sich in vollem Kreise drehen. Ein in dem Pontondeck
befestigter Königzapfen dient zur Zentrierung. Die Ausladung ist veränderlich; es
ist zulässig: 22 m bei 10 t, 20 m bei 60 t und 15,6 m bei 75 t. Die geringste
Ausladung beträgt 12,2 m. Die Hubhöhe bei 15,6 m Ausladung beträgt 30,5 m.
Der drehbare Teil des Kranes ist noch für sich ausgeglichen durch ein festes
Gegengewicht an der dem Ausleger entgegengesetzten Seite der Drehscheibe und durch
zwei verschiebbare an den dem Ausleger gleichlaufenden Seiten. Als Antriebsmaschinen
dienen zwei liegende Zwillingsdampfmaschinen; die eine bewirkt die Hub- und
Wippbewegung, die andere die Schwenkbewegung und das Verschieben der seitlichen
Gegengewichte. Die Last hängt an acht Drahtseilen, wovon zwei auf die Trommel
auflaufen. Mittels ausrückbarer Vorgelege kann man drei Hubgeschwindigkeiten
erreichen. Die Auslegerwippkante liegt 13,5 m über der Drehscheibenplattform. Der
Ausleger ist in Fachwerk ausgeführt; er bildet ein Dreieck, an dessen hinterem
Eckpunkte ein Lenker angreift. Das andere Ende des letzteren ist wiederum an einen
zweiten Lenker angeschlossen, dessen Drehpunkt sich an dem Drehscheibengerüst
befindet. Der eine Auslegerstab und die beiden Lenker bilden zusammen mit der festen
Stütze ein Gelenkviereck, in dessen unterem Gelenkpunkte zum Zweck des
Auslegerwippens eine Schraubenspindel angreift.
Die beweglichen Gegengewichte werden von der Maschine mittels Gelenkketten
verschoben. Die Arbeitsgeschwindigkeiten sind folgende:
Heben:
75 t
mit
1 m
in
der
Min.
25 t
„
3 m
„
„
„
10 t
„
6,1 m
„
„
„
Schwenken:
75 t
eine
Umdrehung
in
4
Minuten
10 t
„
„
„
2½
„
Wippen:
von größter zu kleinster Ausladungin 8 Minuten .
Zum Getreideausladen kann ein Elevator in den Kranhaken eingehängt werden; dieser
Elevator leistet 80 t/St. Er wird durch einen Elektromotor angetrieben, dessen Strom
sowie den für die Beleuchtung eine Dynamo an Bord erzeugt. (Engineering 1909, II, S.
380 bis 382).
Ds.
Eichen von Pitotschen RöhrenD. P. J.S. 687 d.B..
Das vor jeder Geschwindigkeitsmessung erforderliche Eichen der Pitotschen Röhren pflegt noch häufig in ruhendem Wasser
vorgenommen zu werden. Man befestigt die Pitot-Röhre
auf einem schwimmenden oder unmittelbar über der Oberfläche des Wassers geführten
Wagen derart, daß die untere mit den Drucköffnungen versehene Spitze des Röhrchens
auf eine gewisse Tiefe in das Wasser hinabreicht und bewegt sodann den Wagen
mit einer bekannten Geschwindigkeit vorwärts. Die hierbei beobachteten
Druckunterschiede in den beiden Schenkeln des Pitot-Röhrchens werden dann in Abhängigkeit von der Wagen- bezw.
Wassergeschwindigkeit aufgetragen und ergeben eine gekrümmte Linie, an welcher man
bei der Vornahme der eigentlichen Wassermeß-Versuche aus den beobachteten
Druckhöhen-Unterschieden umgekehrt wieder die Wassergeschwindigkeit ablesen
kann.
Obgleich man nun annehmen sollte, daß es ganz gleichgültig für das Ergebnis sein
müßte, ob die Pitot-Röhre bewegt wird und das Wasser
stillsteht oder ob umgekehrt die Pitot-Röhre bei
bewegtem Wasser festgehalten wird, da es doch nur auf die Relativbewegung ankommt,
führt dennoch das oben beschriebene Eichverfahren zu Ungenauigkeiten, was durch
Versuche des United States Geological
Surwey bewiesen wird. Bei diesen Versuchen hat man
nämlich eine und dieselbe Pitot-Röhre auf mehrere
verschiedene Arten geeicht und jedesmal verschiedene Werte erhalten. In der
nachstehenden Zahlentafel sind die bei verschiedenen Wagen- bezw.
Wassergeschwindigkeiten gemachten Ablesungen an einer zur Erhöhung der Genauigkeit
unter etwa 22° (1 : 2,5) geneigten Pitot-Röhre
enthalten, und zwar beziehen sich die Zahlen bei
Versuch I auf die Versuche in dem stillstehenden Eichbecken der erwähnten Behörde zu
Los Angeles, bei denen die Spitze des Pitot-Röhrchens
150 bis 200 mm unter Wasser gehalten wurde und mehr als 3 m vom Boden und von der
Seitenwand entfernt war.
Versuche II bis IV auf die Versuche in einem 0,6 m breiten, 45 m langen
Versuchsgerinne mit stillstehendem Wasser. Bei Versuch II betrug die Wassertiefe
0,137 m, die Höhe des Pitot-Röhrchens über dem Boden
0,006 m, bei Versuch III betrug die Wassertiefe ebenfalls 0,137 m, die Höhe des Pitot-Röhrchens über dem Boden 0,076 m und bei Versuch
IV betrug die Wassertiefe 0,134 m und die Tiefe der Pitot-Röhre unter der Wasseroberfläche 0,0092 m.
Versuch V ist in fließendem Wasser in einem 0,3 m breiten Gerinne angestellt und die
angegebenen Zahlen sind die Mittelwerte von 21 bis 35 Beobachtungen an verschiedenen
Stellen eines und desselben Querschnittes.
Wasserge-schwindigkeitin m in
derSekunde
0,457
0,610
0,762
0,914
1,067
1,219
1,372
1,524
Ablesung beiVersuch I
inmm
36,83
62,99
90,32
146,05
200,66
262,89
330,19
398,77
Ablesung beiVersuch II
inmm
36,58
67,82
122,42
147,32
196,34
252,98
318,76
–
Ablesung beiVersuch III
inmm
33,53
63,50
99,06
140,46
188,72
244,60
308,60
–
Ablesung beiVersuch IV
inmm
31,75
57,15
88,39
125,70
170,43
223,52
286,50
–
Ablesung beiVersuch V
inmm
39,37
72,39
114,30
161,29
210,82
–
–
–
Aus den obigen Zahlen ist der Einfluß der äußeren Verhältnisse auf die Ergebnisse der
Eichung von Pitot-Röhren ohne weiteres zu ersehen. Bei
den Versuchen hat man nun ferner die Ergebnisse der Eichung bei Versuch I, die in
der Form einer Linie aufgetragen waren, durch Vergleich mit den wirklichen
Wassermengen nachgeprüft. Es ergaben sich hierbei folgende Werte:
Wasertiefe inm
0,088
0,075
0,060
0,047
0,113
0,127
0,184
Abflußmenge incbm in der
Se-kunde
0,0261
0,0208
0,0154
0,0103
0,0208
0,0208
0,0261
Druckhöhen-Un-terschiedAn der
geneigten Pitot-Röhre (1 :
2,5). inmm
177,80
161,04
145,29
105,16
67,31
55,63
40,13
Aus der Abfluß-menge
berech-nete Wasserge-schwindigkeit inm.i.d. Sekunde
0,978
0,908
0,838
0,716
0,604
0,533
0,466
Aus dem
Druck-höhen-Unter-schied
ermittelteWasserge-schwindigkeit inm i.d. Sekunde
1,036
0,978
0,930
0,786
0,622
0,567
0,478
Fehler in v.H.
+ 6,0
+ 7,7
+ 10,9
+ 9,3
+ 3,0
+ 5,1
+ 2,6
Wie aus Obigem ersichtlich, liefert die Eichung in ruhendem Wasser um 2,6 bis 10,9
v.H. fehlerhafte Ablesungen für die Wassergeschwindigkeit. Es ist daher notwendig,
Pitot-Röhren stets in fließendem Wasser und unter
solchen Tiefenverhältnissen zu eichen, wie sie voraussichtlich bei der späteren
wirklichen Messung vorkommen werden. (Murphy)
[Engineering News 1909 II S. 174 bis 175].
H.
Metallschneiden mittels Sauerstoff.
Im Jahre 1901 machte Dr. Menne in Deutschland schon
Versuche über Metallschneiden mittels Sauerstoff, die zwar Erfolg hatten, aber eine
praktische Bedeutung nicht erlangen konnten. Es war nämlich schwierig, alles
Eisenoxyd zu entfernen, welches sich während des Prozesses bildete, das teilweise
geschmolzene Metall umgab und die innige Berührung von Metall und Sauerstoff
hinderte, so daß der Schneideprozeß bald aufhörte. Der Prozeß war also nur
intermittierend, der Gasverbrauch viel größer, als er sein sollte und der Schnitt
roh und unregelmäßig.
Diese Schwierigkeiten wurden behoben durch ein der Société
Anonyme L'Oxhydrique Internationale in Belgien im Jahre 1904 patentiertes
Gebläse mit besonderem Mundstück für den Sauerstoff. Der Apparat ist sehr einfach
und besteht aus einem Gebläse, das mit einer Mischung von Sauerstoff-Wasserstoff
oder Sauerstoff-Leuchtgas oder Sauerstoff-Azetylen betrieben werden kann und dazu
dient, den zu schneidenden Metallteil bis zur Weißglut zu erhitzen. Durch ein
besonderes Mundstück strömt dann ein Strahl von reinem Sauerstoff auf die
weißglühende Stelle und durchschneidet sie sofort. Verschiedene Formen sind jetzt in
Gebrauch, die sich nur durch die Zuführung des Sauerstoffs zum Schneiden
unterscheiden, im Prinzip aber gleich sind. Entweder ist die Gebläsedüse ringförmig
und der Schneidstrahl tritt in der Mitte aus, oder es sind zwei besondere Mundstücke
für Gebläsegas und Schneidstrahl nebeneinander angeordnet, wobei das
Gebläsemundstück etwas über das Schneidemundstück hervorragt.
Für gewöhnliche Zwecke scheint die letztere Anordnung, bei der der Schneidestrahl der
Gebläseflamme nachfolgt, besser zu sein, da sie weniger Gas verbraucht. Es ist
erstaunlich, wie schnell und sauber diese Apparate schneiden, die Schnittfläche ist
ziemlich glatt, ähnlich wie beim Warmsägen. Man kann mit Leichtigkeit Kurven oder
gerade Linien schneiden und jede Art Metall, ob Stahl oder Bronze, bearbeiten.
Für neues und reines Metall wird Leuchtgas als Gebläsebeimischung empfohlen, weil es
hierbei besonders wirksam und auch billig ist. Wo dagegen das Metall abgeblättert
oder oxydiert ist, oder die betr. Teile schwer zugänglich sind, wird die größere
Hitze eines Sauerstoff-Azetylengebläses die Arbeit erleichtern. Der
Schneidapparat sieht ähnlich aus wie ein Drucklufthammer und wird von einem Mann
bedient.
Ueber den Druck des Sauerstoffs, Schnittgeschwindigkeit u.a.m. gibt folgende Tabelle
Aufschluß:
DickederPlatte
Durch-messer
desSchneid-mund-stückes
AbstandzwischenSchneidmund-stück
undArbeitsstück
Druck
desSauerstoffesamSchneid-mundstück
Druck
desSauerstoffesamRegulator-Auslaß
Sauerstoff-verbrauchpro Stunde
Durch-schnitteLänge proStunde
mm
mm
mm
kg/qcm
kg/qcm
cbm
m
6,35
2,1
4,76
0,5
1,27
1,34
19,8
12,7
„
„
0,703
1,5
1,68
18,2
13
„
„
0,85
1,71
2,1
15,2
25,4
„
„
1,00
1,91
2,52
12,19
31,7
„
4
1,135
2,10
2,72
10,6
38
„
„
1,27
2,3
2,94
9,14
50,8
„
„
1,41
2,6
3,36
7,6
76,2
2,76
„
„
3,16
5,6
6,09
101,6
„
„
1,65
3,52
8,4
„
127
„
6,35
1,91
3,83
11,76
„
152
3,4
„
2,2
4,00
14,1
5,48
178
„
„
2,5
5,01
13,1
„
203
„
„
2,81
5,62
24,2
„
228
4,19
„
„
6,00
26,8
4,87
254
„
„
3,16
6,32
33,6
„
279
„
„
3,52
6,67
40,3
„
305
„
„
3,87
7,03
43,2
„
Platten von 6–100 mm werden leicht mit dem gewöhnlichen Mundstück geschnitten, für
die stärkeren Platten werden größere Spezialmundstücke verwandt. Wenn der Schnitt
einmal angefangen ist, ist es ziemlich gleichgültig, ob Azetylen, Wasserstoff oder
Leuchtgas als Beimischung zum Gebläsesauerstoff gebraucht wird. Jedes dieser Gase
muß aber, bevor es verbrennt, mit der nötigen Menge Sauerstoff gemischt werden und
darf nicht etwa bei seiner Verbrennung von dem besonders zugeführten Sauerstoff zum
Schneiden abhängen.
Die Anwendung dieses Prozesses zum Schneiden von Metall ist sehr mannigfaltig, er ist
eigentlich überall zu gebrauchen; wir wollen nur das Zertrennen starker
Panzerplatten erwähnen, die Demontage alter Eisenschiffsrümpfe, alter eingemauerter
Dampfkessel usf. (Engineering 1909. S. 168–170.)
Renold.
Konservierung von Bausteinen.
Kubelka in Butschowitz in Mähren gibt das folgende
Verfahren zur Härtung und Sicherung natürlicher Gesteine gegen Verwitterung an.
Die Oberfläche der Steine wird zunächst vollständig gereinigt, wodurch die Poren
freigelegt werden müssen. Oelfarbenanstrich ist mit Benzin oder Spiritusflamme zu
beseitigen. Fehlende Steinteile werden durch einen Mörtel aus Portlandzement und
Quarzsand, der mit Wasserglaslösung im Mischungsverhältnis 1 : 7 angemacht ist,
ersetzt. Nachdem der Stein vollständig getrocknet ist, wird er im Sommer bei
günstiger Witterung zuerst mit einer Lösung Kali- oder Natronwasserglas in Wasser
getränkt. Sollte hiernach Regen eintreten, so muß der Stein wieder abgewaschen
werden, trocknen und von neuem getränkt werden. Dann folgt eine Tränkung mit
geschmolzenem Chlorkalzium. Nach dieser Tränkung schadet Regen nicht mehr. Durch die
chemische Einwirkung des Chlorkalziums auf die Wasserglaslösung entsteht in den
Poren unlöslicher, fester kieselsaurer Kalk, während das gleichfalls entstehende
Chlornatrium auswittert und durch Regen abgespült wird.
Man kann auch nach einem zweiten Verfahren von Kubelka
die Steine zuerst mit einer Lösung von schwefelsaurer
Tonerde in Wasser und nach dem Trocknen derselben mit einer Lösung von
Kaliwasserglas tränken. Häufig ist eine Wiederholung des Verfahrens erforderlich. Es
genügt, wenn der Stein bis auf 1 cm Tiefe getränkt wird. Weißliche Pinselspuren auf
der Oberfläche können durch Abreiben mit einem ähnlichen Stein, durch Ueberarbeiten
mit dem Steinhauerwerkzeug und durch Abbürsten entfernt werden. Wenn die Lösung
nicht rasch genug in den Stein eindringt, muß sie mit Wasser verdünnt werden.
Innerhalb einer Minute muß alle Flüssigkeit aufgesogen sein. Ein auf der Oberfläche
verbleibender Ueberschuß muß durch Abtupfen mit einem Lappen entfernt werden, weil
sonst die nach der Verdunstung des Wassers zurückbleibenden Kristalle ein
nachträgliches Abschleifen und Abbürsten der Oberfläche erforderlich machen. Für
jede Lösung ist ein besonderer Pinsel zu nehmen, damit die verschiedenen Lösungen
erst in den Poren aufeinander einwirken. Für größere Flächen empfiehlt sich,
Messingspritzen mit feinen Löchern oder Zerstäuber anzuwenden.
Durch die Verfahren von Kubelka wird jeder weiche
Kalkstein oder Sandstein gedichtet und gehärtet. Die Porosität und die
Wasseraufnahmefähigkeit dieser Steine wird derjenigen der härtesten Gesteine gleich.
Auch lassen sich die Steine nach der Inkrustierung schleifen und polieren. Man kann
also die Vorteile der weichen Gesteine – billige Gewinnung und leichte Bearbeitung –
ausnutzen und nachträglich den weichen Steinen die Vorzüge der harten Gesteine
geben.
In gleicher Weise lassen sich Mörtelkörper und Betone härten und dichten, so daß man
bei Fassaden, Wasserbauten, Behältern, Straßenpflasterungen, Trottoirs, Kunststeinen
und Zementwaren dauerhafte Inkrustationen erhält.
Ebenso werden bestehende Baudenkmäler, die sonst der Verwitterung anheimfallen
würden, wirksam vor dem Untergang bewahrt. (Setz.)
(Oesterreichische Wochenschrift für den öffentlichen Baudienst 1909. S.
411–413.)
Dr.-Ing. Weiske.
Die Wasserkräfte von Kanada.
Die eigenartigen Verhältnisse Kanadas in bezug auf Kohlenlager haben frühzeitig die
Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf die Bedeutung der Wasserkräfte gelenkt. Während
im äußersten Osten und Westen verschiedene Kohlenfelder vorhanden sind, darunter
diejenigen von Alberta, welche vielleicht zu den wertvollsten der ganzen Erde
zählen, ist der ganze, dicht bevölkerte, fast 3200 km breite Landstreifen östlich
davon hinsichtlich der Zufuhr von Kohle für Heizungs- und Kraftzwecke auf die
Einfuhr aus den Vereinigten Staaten angewiesen. Anderseits sind die Verhältnisse für
die Ausnutzung von Wasserkräften so günstig wie selten in einem Lande. Der große
Wasserreichtum der Flüsse, die ausgedehnten, regenreichen Niederschlagsgebieten
entströmen, und die verhältnismäßig hohe Lage des Landes gegenüber dem weit ins Land
einschneidenden Hudson-Meer bilden außerordentlich verlockende Bedingungen für die
Anlage von Wasserkraftwerken. Die neuere Entwicklung der Fernübertragung von
elektrischem Strom hat auch hier ihre Folgen gezeitigt, insofern als die
Ansiedlungen nicht mehr wie früher unmittelbar an die Kraftwerke herangelegt,
sondern nach anderen wirtschaftlichen Gesichtspunkten gewählt werden.
Verhältnismäßig wenige Anlagen finden sich an der atlantischen Küste selbst, wo
vielleicht auch die Kohle leichter beschafft werden kann. Erst in der letzten Zeit
ist am St. John River an einer etwa 35 m Gefälle aufweisenden Stelle bei Grand Falls
ein Werk entstanden, welches 10000pferdige Maschineneinheiten von stehender
Bauart enthält und bis zu 80000 PS für elektrische Schmelzöfen, Holzschleifereien
und für die Versorgung einiger Städte liefern soll. Das Werk ist aber gegenwärtig
noch im Bau begriffen.
An der pazifischen Küste sind die Wasserkraftverhältnisse insofern verschieden von
denjenigen im übrigen Kanada, als hier mit sehr stark wechselnden Wassermengen
gerechnet werden muß. Nur in der Nähe der Küste, wo die Regenmenge hoch ist und
einige Seen als Speicher wirken, sind einige Wasserkraftwerke vorhanden, von denen
dasjenige am Stave River mit 27 m Gefälle und 25000 PS und das am Butzin Lake mit
120 m Gefälle und 12000 PS Gesamtleistung die bemerkenswertesten sind. Beide Werke
dienen zur Versorgung der Stadt Vancouver. Sie sind mit Pelton-Turbinen ausgestattet, wie die meisten kalifornischen Kraftwerke
und arbeiten mit Fernleitungen für sehr hohe Spannungen. Im Innern von Britisch
Kolumbien ist ferner die Anlage an den Bonnington-Fällen des Kootenay River zu
erwähnen, die bei 19,5 m bis 16,5 m Gefälle bis zu 24000 PS liefern kann, und welche
für die Bergwerke an der Grenze der Vereinigten Staaten einige Bedeutung besitzt.
Bemerkenswert ist, daß die in unmittelbarer Nähe dieses Werkes befindlichen
Kohlengruben am Crow's Nest Pass keinen ernstlichen Wettbewerb damit aufnehmen
können, soweit die Kraftversorgung der Bergwerke in Betracht kommt. Auch das
günstige Verhalten der Fernleitung, welche Hochspannungsstrom von 60000 V führt und
auf kräftigen Holzstangen verlegt ist, sei hervorgehoben, weil es im Widerspruch
steht mit der fast allgemein gültigen Annahme, daß für solche Zwecke nur aus
Eisenfachwerk hergestellte Turmstützen brauchbar seien.
Von den zum Teil recht ansehnlichen Wasserkräften im Stromgebiete des Nelson River
ist noch fast nichts nutzbar gemacht. Dabei ist zum Beispiel am Saskatchewan-Fluß
etwa 400 km von Winnipeg entfernt ein Gefälle von über 35 m auf wenige Kilometer
Flußlänge verfügbar zu machen, welches mindestens 300000 PS liefern könnte. Der
Grund hierfür liegt darin, daß das ganze Gebiet noch verhältnismäßig wenig
erschlossen ist. Nur am Winnipeg-Fluß selbst, und zwar auf der amerikanischen Seite,
sind einige Kraftwerke errichtet worden. Aber auch hier ist von den etwa 1 Million
PS betragenden Wasserkräften, die von Kenora bis zur Mündung be- Fort Alexander
verfügbar gemacht werden könnten, nur der geringste Teil nutzbar gemacht. Von den
bei stehenden Anlagen an diesem Wasserlaufe wären zu nennen diejenige in Kenora,
welche 5500 PS leistet, aber bis auf 42000 PS ausbaufähig ist und zum Antrieb von
großen Mühlen dient, die im Bau befindliche Anlage bei Point du Bois, wo zunächst 5
Einheiten von je 5300 PS aufgestellt werden, und welche mit Hilfe einer 120 km
langen, 77 000 V führenden Hochspannungsleitung die Stadt Winnipeg versorgen soll,
sowie das Werk bei Upper Seven Portages, das bis zu 136000 PS ausgebaut werden kann,
vorläufig aber nur 18700 PS leistet.
Zwischen dem Winnipeg-See, einem Becken von etwa 24000 qkm Oberfläche und der
Hudson-Bai befinden sich keine Wasserkraftanlagen. Wenn man aber berücksichtigt, daß
der Höhenunterschied etwa 220 m betrag, so kann man ermessen, welche ungeheuren
Mengen von Wasserkräften hier ihrer Ausnutzung noch harren. Diese Unerschöpflichkeit
der natürlichen Kraftquellen kennzeichnet ganz allgemein die kanadischen
Verhältnisse. Sie ist der Beweis, daß dieses Land noch eine große Zukunft
besitzt.
Aehnlich liegen die Verhältnisse im übrigen auch am St. Lorenzstrom und an den
Niagarafällen, aufweiche, da sie hinreichend bekannt sind, nicht näher eingegangen
werden soll, die aber ebenfalls noch lange nicht weitgehend ausgenutzt sind. In der
Tat, die Frage der Ausnutzung der Wasserkräfte Kanadas könnte eine Beachtung auch
außerhalb dieses Landes rechtfertigen, wenn nicht die Vereinigten Staaten
selbst vorläufig noch nicht am Ende ihrer nutzbaren Wasserkraftanlagen angelangt
wären. Sie wird daher erst in späteren Jahren, wenn auch die Elektrochemie und die
Fernleitungen sich weiterentwickelt haben werden, hervortreten. (Proceedings of the
American Society of Civil Engineers 1909, S. 454 bis 493.)
H.