Titel: | Die Abschreibungsfrage in industriellen Betrieben. |
Fundstelle: | Band 324, Jahrgang 1909, S. 748 |
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Die Abschreibungsfrage in industriellen
Betrieben.
(Ohne Verantwortlichkeit der
Redaktion.)
Die Abschreibungsfrage in industriellen Betrieben.
Zuschriften an die Redaktion.
Geehrte Redaktion!
In der Nummer vom 11. September d. Js. bringen Sie unter dem Titel: „Die
Abschreibungsfrage in industriellen Betrieben“ einen Auszug aus meinen
Ausführungen in der Zeitschrift für Werkzeugmaschinen und Werkzeuge und bemerken in
einer Fußnote, daß mein Standpunkt – die tatsächlich erfolgenden Abschreibungen mit
in die Selbstkostenberechnung einzubeziehen – als unhaltbar bezeichnet werden
muß.
Ich bemerke dazu folgendes:
Meine Ausführungen fußen darauf, daß den tatsächlichen Betriebsverhältnissen
angemessene Abschreibungen gemacht werden und diese – wie auch Sie erkennen – in die
Selbstkostenberechnung dadurch einbezogen erscheinen, daß sie einen Teil der
Unkosten des laufenden Betriebsjahres bilden und durch Zuschläge irgendwelcher Art
in die Kalkulation eingeführt werden. – Nun ist aber eine dem Praktiker bekannte
Tatsache, daß nur in einer verschwindenden Anzahl von Fällen die Abschreibungen
genügend hoch bemessen erscheinen; fast allgemein wird mit einer zu großen
Lebensdauer der Fabriken und ihrer betrieblichen Einrichtungen gerechnet, und die
Folge davon ist, daß die jährliche Abschreibungsquote viel zu gering bemessen wird.
Es wird daher in die Selbstkostenberechnung meist ein zu niedriger Betrag für die
Amortisation der Anlagewerte in Rechnung gestellt und die Selbstkosten der Fabrikate
dadurch zu niedrig veranschlagt.
Was ist die Folge dieser Vorgänge? Nach kürzerer oder längerer Zeit entdeckt man die
Notwendigkeit stärkerer Abschreibungen auf die Anlagewerte, die, durch jahrelange zu
geringe Amortisation viel zu hoch bewertet mit ihrem wahren Werte in Einklang
gebracht werden müssen. Handelt es sich um ein sicher fundiertes Unternehmen mit
reichen Reserven, das jährlich erhebliche Gewinne ausschüttet, dann können solche
Extraabschreibungen aus einer dieser Quellen gedeckt werden. – Da es aber auch eine
große Zahl gar nicht oder nur schlecht rentierender Unternehmungen gibt, entsteht
die Frage, was für einen Einfluß die zu geringe Bemessung- der
Abschreibungen hier zu bedeuten hat? –
Im allgemeinen wird dann ein Verlust, bezw. eine Erhöhung der bisherigen Unterbilanz
die Folge eines derartigen Vorgangs sein müssen–, ist noch ein Reservefonds
vorhanden, so kann dieser bis zur Erschöpfung herangezogen werden.
Man sieht also, daß auch ein Teil jener Abschreibungsbeträge – die den durch die
Leitung der Gesellschaft als Mindestwert der
Abschreibungen gekennzeichneten Betrag überschreiten – von Rechts wegen auch als
Anteil der Unkosten in die Selbstkostenberechnung gehört: denn wären die
Amortisationsquoten von Haus aus richtig bemessen worden, dann war nicht notwendig,
späterhin Extraabschreibungen vorzunehmen. – Jener Teil der Abschreibungen aber, der
dadurch notwendig wird, daß Teile der Anlagewerte bis auf M, i.- in der Bilanz
abgeschrieben erscheinen, gehört meines Erachtens als Unkostenpost auch in die
allgemeine Unkostenberechnung. Ob und in welchen Fällen
er in seiner vollen Höhe in die Selbstkostenberechnung einzubeziehen sein wird,
entscheidet die Sachlage des einzelnen Falles. – Für die Unkostenberechnung des
abgelaufenen Jahres kommt ja die nach Jahresschluß tatsächlich erfolgende
Abschreibungshöhe praktisch gar nicht mehr in Frage, weil für alle Vorkalkulationen
des verflossenen Jahres mit anderen --niedrigeren – Ziffern gerechnet worden ist.
Wenn man die wirklich erfolgenden Abschreibungen in die zu Kontrollzwecken
aufgemachte Unkostenberechnung einbezieht, hat dies nur für die Bewertung der
Bestände zur Zeit der Bilanz eine Bedeutung und zwar eine von nicht zu
unterschätzender Wichtigkeit. –
Lewin.
–––––
Zu den Ausführungen des Herrn Lewin bemerke ich
folgendes:
Die ersten Absätze bis „herangezogen werden“ unterschreibe ich Wort für Wort;
die Unsitte – um sich ganz vorsichtig auszudrücken – der zu geringen Abschreibungen
ist tatsächlich viel weiter verbreitet, als man gewöhnlich glaubt–, und es ist Herrn
Lewin nur dafür zu danken, daß er in Fachschriften
mit solcher Energie gerade auf dieses tadelnswerte Vorgehen aufmerksam macht. Es war
das für mich sogar ein wichtiger Grund mit, einen Bericht über den Aufsatz des Herrn
Lewin in der Zeitschrift für Werkzeugmaschinen und
Werkzeuge für D. P. J. auszuarbeiten. Der Folgerung aber, die alsdann Herr Lewin aus der Tatsache der häufig zu gering bewerteten
Abschreibungen zieht, kann ich mich nicht anschließen. Die aufzustellende Forderung
lautet vielmehr m.E. folgendermaßen: Man bemesse die Höhe der Abschreibung nach
gewissenhafter Prüfung der Verhältnisse so, daß sie der tatsächlich zu erwartenden
Entwertung- entspricht. Es ist dies der Betrag, der in der Fußnote der „durch die
Leitung der Gesellschaft als Mindestwert gekennzeichnete“ genannt ist.
Dieser Betrag ist unbedingt ein Unkostenposten, der bei der Selbstkostenberechnung
sowohl von der Vor- wie von der Nachkalkulation in Gestalt eines Aufschlags auf die
Auslagen für Material und Löhne berücksichtigt werden muß. Will nun aber am
Jahresschlusse die Leitung der Gesellschaft aus irgend welchem Grunde noch über
diesen „Mindestwert“ hinausgehen, so bleibt ihr das selbstverständlich
unbenommen. Nur hat sie jetzt den betr. Mehrwert als Verlustposten in der Gewinn-
und Verlustrechnung zu buchen. Die Richtigkeit dieser Auffassung wird für mich
grade durch die letzten Ausführungen des Herrn Lewin
bestätigt; er sagt: „für die Unkostenberechnung des abgelaufenenen Jahres kommt
ja die nach Jahresschluß tatsächlich erfolgende Abschreibungshöhe gar nicht mehr
in Frage, weil für alle Vorkalkulationen des flossenen Jahres mit anderen –
niederen – Ziffern gerechnet ist.“ Und, füge ich hinzu, das gleiche gilt
auch für die Nachkalkulationen des verflossenen Jahres, die in einer wohlgeordneten
Fabrik so rasch als nur irgend angängig nach Fertigstellung der Ware vorliegen
sollen. Für das kommende Jahr aber mit höherem, als dem nach bestem Wissen und
Gewissen festgesetzten „Mindestwert“ zur Bemessung der Unkostenaufschläge
arbeiten, heißt diese Aufschläge höher rechnen, als sie voraussichtlich zu sein
brauchen, d.h. die Selbstkosten des einzelnen Stückes zu hoch einschätzen, also sich
selbst den Abschluß von Geschäften erschweren.
Ueber die Bedeutung des letzten Satzes der Lewinschen
Ausführungen bin ich mir nicht recht klar. Wenn ich den Verfasser recht verstehe, so
will er die gesamten Abschreibungen zur Bestimmung des Unkostenaufschlags bei
Bewertung der Inventurbestände benutzen; dadurch werden diese Bestände höher
bewertet, als wenn die sonst in der Kalkulation benutzten Aufschläge sinngemäß zur
Anwendung kommen, was mir nicht richtig erscheint; denn auf diesem Wege könnte man
zu einer Ueberwertung der Inventurbeständekommen.
Friedrich Meyenberg, Dipl.-Ing.
–––––
Die Ansichten über die vorliegende Frage gehen weit auseinander; gehen doch manche
Fachleute hierbei soweit, daß sie die ganzen
Abschreibungen aus der Unkostenberechnung ausgeschaltet sehen wollen und
soll zur Deckung dieser Amortisationsbeträge der sich ergebende Reingewinn verwendet
werden. Sie begründen ihre Meinung wie folgt: Manche Unternehmen haben z. Zt. den
größten Teil bezw. fast alle Anlagewerte total abgeschrieben; die Unkosten solcher
Werke sind daher stets geringer als die von Konkurrenzunternehmungen, die ihre
Anlagen noch mit deren Zeitwert zu Buch stehen haben. Wird nun von beiden Seiten
kalkuliert, dann müssen jene Werke stets leistungsfähiger sein, die ihre Anlagen
schon amortisiert haben; will man daher richtig kalkulieren, dann sind die
Abschreibungen aus der Selbstkostenberechnung gänzlich wegzulassen. Bei Kalkulation
der Verkaufs- bzw. Offertpreise wird zu den Selbstkosten ein entsprechender
Verdienstbetrag zugeschlagen, der die Erzielung eines Reingewinns zur Folge haben
soll und aus diesem müssen evtl. noch erforderliche Abschreibungen gedeckt werden.
Selbstkosten sind nur Materialien. Löhne und reine Betriebsunkosten exkl.
Amortisation. –
Diese Theorie hat viele Anhänger, und nachdem die Fabrikorganisation eine ganz junge
Wissenschaft ist, fällt die Aufstellung allgemein giltiger Fundamentalsätze noch
schwer: wird die Bedeutung der Organisation allgemeine Anerkennung finden, dann
werden die grundlegenden Fragen wohl bald Klärung finden.
Das gleiche gilt auch von der Frage der Bestandbewertung. Einzelne Schriftsteller, so
z.B. die bekannte Autorität im Bilanzwesen Veit Simon
bestehen darauf, daß Abschreibungen nicht in eine zwecks Bestandsbewertung
aufgemachte Unkosten- und Selbstkostenberechnung einbezogen werden dürfen. Veit Simon begründet dies mit dem in der Praxis wohl
nicht anzutreffenden Beispiel, daß die gesamte Produktion eines Werks noch
unveräußert zur Zeit der Inventur und Bilanz vorhanden sei. Würde man bei Bewertung- dieser
Bestände die Abschreibungen in die Kalkulation einbezogen haben, dann wären de facto
gar keine Abschreibungen erfolgt. Denn derselbe Betrag, der unter Aktiva auf
Anlagewerte für deren Entwertung in Abzug gebracht erscheint, ist unter einer
anderen Positur der Aktiva – hier unter den Beständen – in dem Wertansätze mit
eingeschlossen. Und tatsächlich muß diese Frage genaue Berücksichtigung finden, wenn
z.B. ein großer Teil der Jahresproduktion noch unter den Beständen erscheint, ein
Fall, der in Wirklichkeit oft vorkommen kann und wird. Auch hier erscheint die
Festlegung elementarer Grundsätze für die Bewertung von Beständen noch nicht
angängig und ist erst ein weiterer Ausbau der Organisation als Wissenschaft nötig,
um Uebereinstimmung bezw. Klärung der Meinungen zu ermöglichen.
Zivil-Ingenieur Lewin.
–––––
Auch die obigen Ausführungen des Herrn Lewin vermögen
mich in keiner Weise von der Unrichtigkeit der von mir ausgesprochenen Ansicht zu
überzeugen.
Ich erblicke in dem im ersten Absatze erläuterten Verfahren eine
Selbsttäuschung, indem man dabei etwas als „Selbstkosten“ betrachtet, was
tatsächlich unter dem bleibt, was „einem die Sache selbst kostet.“ Sagt doch
Herr Lewin, daß der „Verdienstbetrag,“ der
Unterschied zwischen „Verkaufspreis“ und „Selbstkosten,“ bei dieser
Auffassung der Sachlage gar nicht in vollem Umfange „Verdienst“ ist.
Der Ansicht des Herrn Veit Simon in bezug auf die
Bewertung der Bestände vermag ich nicht beizustimmen. Grade das von ihm gewählte
Beispiel zeigt m.E. ihre Unrichtigkeit: eine wirkliche Aufhebung der einmal
gemachten Abschreibungen findet gar nicht statt; es erscheint nur unter Aktiva ein
Wert, durch den die für Abschreibungen unbedingt notwendigen Ausgaben, d.h. also
deren zu den Herstellungskosten gehöriger Teil, Deckung finden. Dieser Wert ist aber
immer da, ob die hergestellten Waren nun verkauft sind oder nicht: im ersten Falle
durch das dafür eingegangene Geld, im zweiten Falle durch die Waren selbst, die ja
jeden Augenblick durch Verkauf sich in Geld verwandeln können. Etwas Unlogisches
vermag ich in diesem Gedankengange nicht zu erblicken.
Friedrich Meyenberg, Dipl.-Ing.