Titel: | Motorlastzüge und Lastenförderung mit Motorfahrzeugen. |
Fundstelle: | Band 324, Jahrgang 1909, S. 810 |
Download: | XML |
Motorlastzüge und Lastenförderung mit
Motorfahrzeugen.
(Schluß von S. 796 d. Bd.)
Motorlastzüge und Lastenförderung mit Motorfahrzeugen.
Motorlastzüge mit
Kraftübertragung.
Die letzte Stufe in der Erweiterung des Leistungsbereiches der Motorlastzüge bilden
jene, bei denen, dem Gedankengang, der bereits zum Vierräderantrieb geführt hat,
folgend, möglichst das ganze Gewicht des Zuges Adhäsionsgewicht wird, indem man ihn
nicht mehr aus einer Vorspannmaschine und Schleppwagen, sondern aus lauter
Triebwagen zusammensetzt, die ihre Kraft von einem gemeinsamen Maschinenwagen
erhalten. Dadurch wird die auf einmal zu befördernde Nutzlast von der Adhäsion der
Maschine unabhängig und die größte befahrbare Steigung ist theoretisch diejenige,
auf welche ein einzelner Triebwagen des Zuges allein heraufkommen könnte, wenn er
mit eigenem Antrieb versehen wäre.
Die Lösungen der Aufgabe, die Kraft eines Maschinenwagens auf alle Anhänger eines
solchen Lastzuges zu verteilen, welche bis heute vorliegen, erfolgen nach zwei
Verfahren. Die eine auf mechanischem, die andere auf elektrischem Wege.
Die mechanische Kraftübertragung rührt von dem bekannten französischen Luftschiffer
Hauptmann Renard her und besteht im wesentlichen darin,
daß durch den ganzen Zug eine auf den einzelnen Wagen entsprechend gelagerte,
gelenkige Wellenleitung hindurchguführt wird, von welcher die einzelnen Wagen ihre
Antriebskraft durch Rädervorgelege abnehmen. Es ist bezeichnend, daß man sich bei
den meisten Beschreibungen dieses Zuges darauf beschränkt hat, den Beweis zu
erbringen, daß unter bestimmten Bedingungen alle Räder des Zuges in der gleichen
Spur laufen müssen. Diese Bedingung besteht nämlich darin, daß die Summe aus
den Quadraten des Radstandes und der Länge der kurzen Koppelstange gleich sein
muß dem Quadrate des Abstandes der Hinterachse von der Spitze, an welcher die
Koppelstange angreift.
Unseres Erachtens käme es auf das genaue Einhalten der Spur nicht so sehr an. Unter
Umständen wird es vielleicht gar nicht erwünscht sein, weil sonst die Straßendecke
zu stark in Mitleidenschaft gezogen wird. Viel wichtiger ist dagegen, zu erwägen, ob
es möglich sein wird, alle Treibräder, deren Durchmesser und Adhäsionsverhältnisse
immer etwas verschieden sein müssen, so gleichmäßig anzutreiben, daß nicht der
hintere Wagen auf den vorderen, etwas zurückbleibenden aufstößt, oder, daß nicht
umgekehrt, der vordere Wagen den hinteren schleppen muß. Den Grund zu diesen
Bedenken bildet der Umstand, daß die sämtlichen Treibachsen des Zuges mit der
laufenden Welle gewissermaßen starr gekuppelt sein sollen. Man hat diesen Fehler
denn auch bald erkannt und ihm durch Einschaltung von Federn in jeden Wagenantrieb
abzuhelfen gesucht, so daß durch die Unregelmäßigkeiten des Antriebes wenigstens
keine heftigen Stöße mehr auftreten können. Dadurch, daß man die Wagen ferner mit je
drei Achsen versehen hat, einer mittleren durch Ketten bewegten Treibachse und zwei
Lenkachsen, s. Fig. 38 und 39, hat man ferner erreicht, daß der Zug nach beiden Richtungen gefahren
werden kann, ohne umgespannt werden zu müssen.
Die Versuche mit diesen Zügen, welche von der Fabrik Surcouf
& Co. in Bouloque-sur-Seine seit dem Jahre 1903 ausgeführt werden, sind
noch immer im Gange. Von Zeit zu Zeit hört man wieder, daß ein solcher Zug irgendwo mit
gutem Erfolg den Behörden vorgeführt worden ist, daß er die einzig brauchbare Lösung
des Problems der Beförderung von Massengütern ohne Schienen darstelle usw.
Textabbildung Bd. 324, S. 811
Fig. 38.
Textabbildung Bd. 324, S. 811
Fig. 39.
Wegen des Näheren sei in dieser Beziehung auf die recht
umfangreiche Literatur hingewiesen. Selbst in Vorderindien, wo ein ausgedehntes Netz
gut gepflegter Straßen vorhanden ist, aber Mangel an Eisenbahnen herrscht, sind vor
kurzer Zeit von
einer hierzu eigens gegründeten Gesellschaft Versuchsfahrten unternommen worden. Was
vorläufig über die Ergebnisse bekannt worden ist, vermag unsere Meinung darüber kaum
zu ändern, die dahin geht, daß das Uebertragen der Kraft auf rein mechanischem Wege
auf eine Anzahl von Wagen wegen der damit verbundenen Verluste zu unwirtschaftlich
ist, um auch in absehbarer Zeit Vorteile bringen zu können.
Textabbildung Bd. 324, S. 812
Nicht so ablehnend, wenn auch ebenfalls abwartend wird man sich den Motorlastzügen
mit elektrischer Kraftübertragung nach dem Verfahren von W.A. Th. Müller gegenüberstellen, welche von der W.A. Th. Müller, Straßenzug-Gesellschaft, m.b.H., Berlin-Steglitz,
hergestellt werden und von denen einer von 30000 kg Nutzlast für die
Versuchsabteilung der Verkehrstruppen bestellt worden ist. Genau ebenso wie bei den
Motorlastzügen von RenardHerr W.A. Th.
Müller macht übrigens darauf aufmerksam, daß der Antrieb von
Motorlastzügen mit Hilfe einer durchlaufenden Transmissionswelle keine
Erfindung von Renard sei; sie sei vielmehr
schon vielfach von anderer Seite und früher in der Literatur vorgeschlagen
und beschrieben worden. Beispielsweise gebe es ein amerikanisches Patent vom
12. Juli 1898 (L. Watkins), das auch bereits
den gleichen Gedanken verkörpere. Wenn es uns dem gegenüber trotzdem nicht
unberechtigt erscheinen will, von einem Renardschen Antrieb für Motorlastzüge zu sprechen, so liegt das daran,
daß Renard in der Tat der erste gewesen ist,
der diesen Gedanken praktisch durchgeführt hat und daß es bei den meisten
technischen Erfindungen ungeheuer schwierig sein würde, den wahren Urheber
zu ermitteln, wenn man nicht von der ersten wirklichen Ausführung
ausginge. wird auch hier die für den Vortrieb der Wagen
erforderliche Leistung von einer durchlaufenden Leitung, hier einem elektrischen
Kabel, abgenommen, welches auch den Antrieb des Maschinenwagens speist. Auf dem
Maschinenwagen des in Fig.
40 und 41
dargestellten Zuges sind an jedem Ende Benzinmotoren von je 75 bis 90 PS
aufgestellt, welche mit Dynamomaschinen gekuppelt sind. Aus der durchlaufenden
Kabelleitung werden die Elektromotoren gespeist, von denen, wie ersichtlich, je
einer eine Achse antreibt. Der dargestellte Zug befördert auf 6 Anhängern 30000 kg
Nutzlast mit 16 km Geschwindigkeit i.d. Stunde, wobei der Achsdruck 4000 kg nicht
überschreitet. Die Wagen laufen auf zwei einachsigen Drehgestellen, welche sich beim
Fahren in der Krümmung in den jeweiligen Radius einstellen, so daß kein Rad zu
schleifen braucht. Zu diesem Zweck muß zwischen jeden Elektromotor und die
zugehörige Achse ein Vorgelege mit Ausgleichgetriebe eingeschaltet werden. Da sich
beide Drehgestelle eines Wagens gleichzeitig einstellen, so können verhältnismäßig
kleine Krümmungen befahren werden. Der ganze Zug läßt sich mit Hilfe der Motoren auf
elektrischem Wege vom Führersitz aus bremsen, erfordert also sehr wenig
Besatzung.
Textabbildung Bd. 324, S. 812
Fig. 42.
Textabbildung Bd. 324, S. 812
Fig. 43.
Um das Verschieben der Wagen vor der Abfahrt oder am Ankunftsorte zu erleichtern,
wird ein 300 m langes biegsames Kabel mitgeliefert, welches ermöglicht, jeden Wagen
an eine beliebige Stelle zu bringen, ohne daß der Maschinenwagen mitzufahren
braucht.
Besondere, vornehmlich günstige Erfahrungen mit Motorlastzügen dieser Art liegen
vorläufig noch nicht vor. Ein von den Siemens-Schuckert-Werken vor einigen
Jahren für die Heeresverwaltung- erbauter Zug dieser Art, s. Fig. 42, – Fig. 43
zeigt die Ausführung eines neuen Zuges – hat bei den schon einmal erwähnten
Versuchsfahrten im Glatzer Gelände allerhand Schwierigkeiten ergeben, welche aber
nur eine Folge der für das Gebirge unzureichenden Leistung des Benzinmotors auf dem
Maschinenwagen sein sollen, während sich der Zug auf der ganzen übrigen Fahrt von
Berlin über Posen nach Glatz und von dort über Görlitz zurück nach Berlin bewährt
und insbesondere keine Mängel des Systems gezeigt hat. Man wird also immerhin
abwarten müssen, welche Erfolge die neuere Konstruktion zeitigt.
Benutzte Literatur.
Zeitschrift des Vereines deutscher Ingenieure, Jahrgang 1904 bis 1908.
Allgemeine Automobil-Zeitung, Jahrgang 1907.
Der Motorwagen, Jahrgang 1904.
The Engineer, Jahrgang 1907.
Engineering, Jahrgang 1909.
W.A. Th. Müller: Der Automobil-Zug, Berlin, M. Krayn.
Oschmann: Lastkraftfahrzeuge.