| Titel: | Die Herstellung großer nahtloser Rohre. | 
| Autor: | F. Lichte | 
| Fundstelle: | Band 325, Jahrgang 1910, S. 12 | 
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                        Die Herstellung großer nahtloser
                           								Rohre.
                        Von F. Lichte.
                        Die Herstellung großer nahtloser Rohre.
                        
                     
                        
                           Die Herstellung großer nahtloser Rohre – also Rohre ohne Nietung oder Schweißung
                              									aus einem Metallstück – ist eine Errungenschaft der Neuzeit. Die vorher ausgeübten
                              									Verfahren zur Herstellung von nahtlosen Rohren beschränkten sich auf Rohre mit
                              									kleinerem Durchmesser bis zu 300 mm, von denen das Schrägwalzverfahren von Mannesmann (seit 1886), das Loch- und Ausziehverfahren
                              									von Ehrhardt (seit 1892) sowie das Patent von A. Hüsener in Duisburg (1896) zur Herstellung der
                              									Rippenrohre und Rippenmasten aus hohlgegossenen Blöcken am bekanntesten geworden
                              									sind.
                           Von den früheren Versuchen, nahtlose Rohre mit größerem Durchmesser herzustellen, mit
                              									denen man sich seit einer Reihe von Jahren, besonders in England, beschäftigt hatte,
                              									ist kein einziger von Erfolg gekrönt worden, und wohl sämtliche wurden wieder
                              									aufgegeben. Die Hauptursache, daß diese Bestrebungen nicht zum Ziele führten, lag
                              									darin, daß man das zu verwendende Material nicht so zu verarbeiten lernte, daß es
                              									nicht rissig oder sonstwie schadhaft wurde.
                           In neuerer Zeit jedoch gelang es dem Geh. Baurat Ehrhardt in Düsseldorf neben seinem Verfahren zur Herstellung kleinerer
                              									nahtloser Hohlkörper auch solche von größerem Durchmesser – also über 300 mm – als
                              									große, schwere Rohre oder Dampfkesselschüsse ohne jegliche Naht herzustellen. Das
                              									Verfahren ist als D. R. P. Nr. 86375 gesetzlich geschützt und wird von der Preß- und Walzwerk-Aktiengesellschaft
                              									in Düsseldorf ausgeführt, deren Gründer Ehrhardt
                              									ist (1899).
                           Den Anlaß zu dieser Erfindung bilden die vielen Unannehmlichkeiten der genieteten und
                              									geschweißten Rohre mit größerem Durchmesser. Außerdem ist die Nietung solcher Rohre
                              									verhältnismäßig kostspielig, und eine Schweißstelle besitzt eine durchschnittlich
                              									geringere Festigkeit als das ungeschweißte Metall.
                           Infolge der vielen früheren mißlungenen Versuche begegnete man naturgemäß auch diesem
                              									neuen Verfahren zur Herstellung großen nahtlosen Hohlmaterials in der ersten Zeit
                              									mit vielem Mißtrauen, das aber heute immer mehr verschwindet und auch in Anbetracht
                              									der bereits erzielten großen Erfolge in keiner Weise mehr gerechtfertigt erscheint.
                              									Bei der Ehrhardtschen Herstellungsweise erfährt das
                              									Material, nachdem die von vornherein sinnreich durchkonstruierten Einrichtungen
                              									hierzu auf Grund der nachher im Betriebe gemachten Erfahrungen stets vervollkommnet
                              									sind, eine durchaus sachgemäße Verarbeitung, so daß für die Zuverlässigkeit des
                              									Erzeugnisses volle Gewähr geboten werden kann.
                           Die Ausübung des Verfahrens ist in kurzen Zügen folgende:
                           Die rohen Flußeisenblöcke, wie sie das Stahlwerk liefert, werden zunächst erhitzt und
                              									hierauf mit Hilfe einer hydraulischen Presse unter einem Drucke von 1200 t in eine
                              									topfartige Form gebracht, d.h. so gelocht, daß ein Boden von geringer Stärke
                              									verbleibt. In derselben Wärme noch wird der erhaltene Hohlkörper auf einen Ziehdorn
                              									gesteckt und zu einem längeren Zylinder mit einer Querschnittsfläche gleich
                              									derjenigen des fertigen Gegenstandes und etwa der fertigen Länge desselben
                              									ausgezogen. Dieses Ausziehen geschieht ebenfalls auf einer hydraulischen Presse.
                              									Hierbei erfährt das Material eine kräftige Verarbeitung, wobei es hauptsächlich auf
                              									Querfaser beansprucht wird. Der Boden, welcher bei Verwendung roh gegossener Blöcke
                              									den verlorenen Kopf enthält, wird nun abgeschnitten. Vor der nun folgenden
                              									Weiterverarbeitung ist eine abermalige Erwärmung des Zylinders nötig. Um hierauf den
                              									Glühspan zu entfernen, geht der Zylinder zuerst durch ein Walzenpaar mit unebener
                              									Fläche, welches zur Erhöhung seiner Wirkung außerdem noch durch einen
                              									Hebelmechanismus in eine schüttelnde Bewegung versetzt wird. Der gelöste Glühspan
                              									kann nun mittels eines Dampf- oder Wasserstrahlgebläses leicht entfernt werden. Mit
                              									reiner Oberfläche gelangt der Zylinder jetzt in das Fertigwalzwerk, in welchem er
                              									zwischen zwei übereinander liegenden Walzen auf den gewünschten Durchmesser
                              									ausgewalzt wird. Hierbei tritt eine Beanspruchung des Materials nur in der Richtung
                              									des Umfanges auf. Die obere der beiden Walzen ist so angeordnet, daß ein
                              									Zurückziehen möglich ist, um den Hohlzylinder auf die untere Walze bringen zu
                              									können. Ist dieses geschehen, so wird die obere, zurückgezogene Walze durch die
                              									Oeffnung des Zylinders hindurch wieder in die Betriebslage geschoben. Aus Fig. 1a und b ist zu
                              									ersehen, wie das Rohrstück zwischen den Walzen liegt.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 325, S. 12
                              Fig. 1a.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 325, S. 12
                              Fig. 1b.
                              
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 325, S. 12
                              Fig. 2.
                              
                           Im Laufe der Versuche hat sich herausgestellt, daß die obere Walze einen nur
                              									verhältnismäßig geringen Durchmesser haben darf. Um zu verhindern, daß infolge ihrer
                              									Durchbiegung ungleiche Wandstärken entstehen, ist die Unterwalze derart verstellbar
                              									eingerichtet, daß sie, hydraulisch angestellt, eine oszillierende Bewegung macht.
                              									Hierdurch ist erreicht, daß der Druck auf das Walzgut stets gleichmäßig und
                              									allmählich ausgeübt wird, das Auswalzen also gleichmäßig erfolgt.
                           Die oszillierende Anordnung der Unterwalze besteht darin, daß letztere während des
                              									Betriebes an den beiden Enden hin- und hergeschwenkt wird, wie dies in Fig. 2 näher dargestellt ist. Die bedeutenden
                              									Vorteile einer solchen Anordnung erklären sich folgendermaßen.
                           In der ausgeschwenkten Stellung der Unterwalze trifft der beim Walzen auftretende
                              									Druck hauptsächlich die Mitte der beiden Walzen und erst beim Einschwenken der
                              									unteren Walze wandert derselbe allmählich nach den Enden der Walzen zu. Es ist also
                              									klar, daß dadurch, daß die Ausübung des Walzdruckes nicht sogleich auf die ganze
                              									Länge der Walzen erfolgt, letztere zunächst nur verhältnismäßig gering beansprucht
                              									werden, um dann allmählich den höheren Druck bis zum entstehenden Maximaldruck
                              									aufzunehmen. Fig. 3 gibt ein Bild davon, wie sich
                              									der Druck auf das Walzgut in der Mitte der Walze zu dem Druck an den Enden bei
                              									ausgeschwenkter Walzenstellung verhält. Um den Unterschied recht deutlich zu zeigen,
                              									ist die Ausschwenkung übertrieben dargestellt. Es ist sehr leicht zu ersehen, daß
                              									der Abstand der Walzen voneinander in der ausgeschwenkten Stellung in der Mitte
                              									geringer ist, als an den Enden. Wird nun die Walze allmählich eingeschwenkt, d.h. in
                              									die Mittelstellung gebracht, so erhalten auch die Enden der beiden Walzen einen
                              									gleichen Abstand und somit auch einen gleichen Druck. Außer dieser Erleichterung der
                              									Arbeit des Walzens bietet eine solche oszillierende Anordnung der Unterwalze den
                              									Vorteil, daß die Ungleichmäßigkeiten in der Wandstärke der Hohlzylinder, welche eine
                              									Folge der Durchbiegung der Walzen, besonders bei dünner Oberwalze, sind, durch das
                              									Ausschwenken vermieden werden.
                           Um dem Zylinder, welcher sich im warmen Zustande leicht verbiegen oder elliptisch
                              									werden kann, die kreisrunde Form während des Walzens zu erhalten, bringt man
                              									seitliche Führungswalzen an, die ein Schleudern des Zylinders verhindern. Bei der
                              									Anordnung der Führungswalzen ist darauf Bedacht genommen, daß sie durch einen
                              									einfachen Hebel angestellt werden können und je nach dem Durchmesser des Walzringes
                              									nachzustellen sind.
                           In Vorstehendem ist also dargetan, daß durch diesen Walzprozeß das Walzstück die
                              									besagte kräftige und zweckentsprechende Verarbeitung erfährt und hiernach auch die
                              									Zuverlässigkeit des Erzeugnisses gewährleistet ist. Das Fertigfabrikat ist z.B.
                              									kleineren Zylindern, die durch Ausbohren geschmiedeter Blöcke hergestellt sind, an
                              									Festigkeit und Dehnung überlegen. Zerreißversuche und Biegeproben sowohl in der
                              									Längs- wie auch in der Querrichtung sind vielfach mit dem in dieser Weise
                              									hergestellten nahtlosen Hohlmateriale – und besonders mit großen nahtlosen
                              									Blechringen – angestellt und zugunsten des neuen Verfahrens ausgefallen. Das
                              									verarbeitete Material verfügt zum mindesten über Eigenschaften, welche einem guten
                              									und sachgemäß hergestellten Kesselbleche zukommen.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 325, S. 12
                              Fig. 3.
                              
                           Im Dampfkesselbau bieten daher derartig hergestellte große, nahtlose Rohre als
                              									Kesselstücke gegenüber den anders hergestellten Schüssen große Vorteile, welche, wie
                              									bereits erwähnt, hauptsächlich durch das Fehlen jeglicher Längsnaht in der größeren
                              									Festigkeit und Sicherheit liegen. An jeder Stelle besitzt der nahtlose Kesselschuß
                              									die Festigkeit des vollen ausgewalzten Bleches, was bei genieteten oder geschweißten
                              									Schüssen niemals zu erreichen ist. Wenn bei einer Schweißnaht zuweilen auch eine
                              									ziemlich hohe Festigkeit erzielt wird, so kommt dabei die Zuverlässigkeit des
                              									einzelnen Arbeiters doch in Frage und eine unbedingte Gewähr für eine bestimmte
                              									Festigkeit kann nicht gegeben werden. Neben der größeren Sicherheit trägt die
                              									Verwendung der nahtlosen Kesselschüsse statt der genieteten zur besseren Erhaltung
                              									und längeren Lebensdauer der DampfkesselHerm. F. Lichte: Beiträge zur Erhaltung der
                                    											Dampfkessel und zur Wirtschaftlichkeit im Dampfkesselbetriebe; Vulkan 1904,
                                    											Nr. 5–12. bei, denn dadurch, daß die Längsnähte ganz wegfallen, sind
                              									Leckagen und infolgedessen Rostfressungen so gut wie ausgeschlossen, welche aber bei
                              									den genieteten Nähten immer wieder vorkommen. Auch die Dichtigkeit der Rundnähte der
                              									nahtlosen Schüsse ist eine viel größere, weil man es nur mit einer gleichmäßigen,
                              									glatten Stemmkante zu tun hat, so daß sich diese Rundnähte viel vollkommener
                              									dichtstemmen lassen, als solche mit den ausgezogenen Blechecken.
                           Aus nahtlosen Schüssen zusammengesetzte Kessel findet man heute schon häufig und zwar
                              									als Landkessel jeder Art, wie auch als Schiffskessel; selbst Lokomotiv- und
                              									Lokomobilkessel werden aus nahtlosen Schüssen gefertigt.
                           
                              
                              Textabbildung Bd. 325, S. 13
                              Fig. 4. Zweiteiliger Lokomotivkessel aus nahtlos gewalztem Material.
                              
                           Fig. 4 zeigt als Beispiel zwei nahtlose Schüsse für
                              									einen Lokomotivkessel zusammengebaut; der Dampfkesseldom ist ebenfalls ohne
                              									Längsnaht.
                           Zur Verwendung als Kesselschuß muß der ausgewalzte Blechring an beiden Enden von
                              									genauem Durchmesser sein, damit er sich fest an die anschließenden Schüsse anpaßt.
                              									Zu diesem Zwecke kommt jeder fertig aufgewalzte Ring auf eine besondere
                              									Reguliermaschine, die ihm den genauen und überall gleichen Durchmesser gibt. Nach
                              									dieser Richtarbeit wird jeder Ring je nach der Art der Verbindung in der Rundnaht
                              									der einzelnen Kesselschüsse auf genaue Länge entweder nur gerade abgestochen, oder
                              									beim Abstechen mit Stemmkanten versehen. Beides erfolgt auf der Drehbank. Zum
                              									Schlusse wird der so vorbereitete Blechring noch in einem besonderen Ofen stehend
                              									ausgeglüht, um etwaige Spannungen auszugleichen.
                           
                              
                                 (Schluß folgt.)