Titel: | Einige Versuche zur Klärung des Vorgangs beim Drahtziehen. |
Autor: | Gewecke |
Fundstelle: | Band 325, Jahrgang 1910, S. 193 |
Download: | XML |
Einige Versuche zur Klärung des Vorgangs beim
Drahtziehen.
Von Dr.-Ing. Gewecke,
Darmstadt.
Einige Versuche zur Klärung des Vorgangs beim
Drahtziehen.
In einer Arbeit über die Strukturänderungen des Kupfers beim DrahtziehenDissertation Darmstadt 1909 und D. p. J. 1909,
S. 737. habe ich versucht, zur Theorie des Drahtzuges einiges
beizutragen. Ich hatte die Verhältnisse zunächst ohne Berücksichtigung der Reibung
behandelt, wobei sich als Ausdruck für die Zugkraft ergab:
K' = c tg α (Q
– q).
Darin ist c eine Konstante, deren
Größe abhängig ist vom Material, der Beschaffenheit des Ziehlochs, der
Ziehgeschwindigkeit u.a.m., α der Steigungswinkel im
Ziehloch und Q bezw. q die
Drahtquerschnitte vor bezw. nach dem Ziehen.
Eine Berücksichtigung der Reibung geschah durch Einführung des Reibungskoeffizienten
μ, wobei wir zu dem Ausdruck für die wirklich
aufzuwendende Kraft K gelangten:
K = c (tg α + μ) (Q – q).
Textabbildung Bd. 325, S. 193
Fig. 1. Ziehkonus von 10°. 12,5fach vergrößert. Fig. 2. Ziehkonus von 40°.
12,5fach vergrößert.
Der Reibungskoeffizient μ war hier als konstant
angenommen. Diese Voraussetzung ist jedoch nur für geringe Drucke innerhalb enger
Grenzen zulässig. In Wirklichkeit ist μ abhängig u.a.
besonders vom Flächendruck, der Temperatur, der Geschwindigkeit des Gleitens usw.,
wie obenl. c. p. 10
ff. ausgeführt. Es ging jedoch über den Rahmen und Zweck der
damaligen Arbeit hinaus, über diese Abhängigkeit Versuche anzustellen.
Denn diese Verhältnisse sind nur durch den Versuch zu klären. Beim Drahtziehen, wo es
sich um Flächendrucke an der Wand des Ziehlochs bis zu mehreren Tausend at handelt,
treten ganz andere Erscheinungen auf, und über die absolute Größe von μ hat man in diesem Bereich gar keinen Anhalt. Um zu
sehen, ob das ohne Berücksichtigung der Reibung zu erwartende Verhalten auch nur
annähernd mit der Wirklichkeit übereinstimmt, ob also μ
nur ein Korrektionsglied oder nicht vielmehr einen Hauptfaktor darstellt, entschloß
ich mich, einige Versuche qualitativer Natur darüber zu machen, wobei die Zugkraft
K bei verschiedenen Winkeln α festgestellt werden sollte.
Bei konstanter Querschnittsabnahme (Q – q) ist ja
der Verlauf von K in Abhängigkeit vom Winkel u eine Tangenslinie.
Denn
K
= c tg α (Q – q)
= c' tg α.
Für α = 0° ist K = 0, für
α = 90° würde K = ∞
werden, wenn der Draht nicht vorher reißen würde. Dieser Kurvencharakter müßte bei
konstantem μ annähernd erhalten bleiben, insbesondere
müßte mit zunehmendem Winkel α auch die Kraft K anwachsen. Einige Vorversuche zeigten, daß das
Gegenteil der Fall war.
Wie die Versuche übereinstimmend zeigen, sinkt K mit
wachsendem Winkel α.
Der Winkel α wurde beim Drehen des Ziehkonus möglichst
genau eingestellt und am gezogenen Draht durch mikrophotographische Aufnahme eines
Längsschliffes kontrolliert.
Fig. 1 und
2
zeigen die Schnitte durch zwei Ziehkonusse von 10° und 40° Steigung. Die Messung der
Zugkraft K erfolgte mittels Federdynamometers. Die
angegebenen Werte sind das Mittel aus mehreren Versuchswerten. Die größte Abweichung
vom Mittelwert betrug ± 3 kg, so daß also die Abnahme von K mit steigendem Winkel unzweifelhaft ist.
Versuchs-reihe
Querschnitts-abnahme\frac{Q-q}{Q}\,.\,100v.
H.
Steigungswinkelim Ziehlochα°
Zugkraft Kkg
I
11,9
2
187,5
4
181,7
II
23,9
2
195
10
152
III
2
190
18,9
10
164
20
157
Bei den drei Versuchsreihen kamen verschiedene Drahtsorten zur Anwendung; es ist
daher Uebereinstimmung in den Zahlenwerten nur innerhalb der drei Gruppen vorhanden
Nunmehr wurde eine vierte Versuchsreihe unternommen, bei der außer den bisherigen
Steigungen noch eine solche von 40° angewandt wurde, denn schließlich mußte doch K bei immer steiler werdendem Winkel α wieder anwachsen. Der Nachweis gelang, wie folgende
Angaben zeigen:
IV. Versuchsreihe: \frac{Q-q}{Q}\,100=32\,.\,3 v.H.
α
K
2°
147 kg
10°
111 „
20°
129 „
40°
141 „
Jeder Wert von K wurde als das Mittel von wenigstens
drei Versuchen erhalten, wobei die Einzelwerte um höchstens 5 kg vom Mittel
abwichen. Hier liegt das Minimum von von K sogar schon
unter 20°, weil wir eine stärkere Querschnittsabnahme bei dieser Versuchsreihe
haben.
Textabbildung Bd. 325, S. 194
Fig. 3.
Während dieselbe bei Reihe III 19 v. H. betrug, hatten wir bei IV eine solche bis 32
v. H. Es scheint also, was ja auch naheliegend ist, daß, das Minimum des
Kraftbedarfs bei um so kleineren Steigungswinkeln auftritt je größer die
Querschnittsabnahme ist.
Textabbildung Bd. 325, S. 194
Fig. 4.
Der Verlauf der Kraft K, wie er sich aus der
Versuchsreihe IV ergibt, wurde in einer Kurve (Fig.
3) in Abhängigkeit von α aufgetragen. Danach
fällt K mit anwachsendem Winkel bis zu einem Minimum,
um dann weiterhin wieder zuzunehmen. Fig. 4 zeigt in
Kurve K' den Verlauf wie er ohne Vorhandensein der
Reibung sein würdeDie Aufzeichnung
geschah mit der später berechneten Konstanten c, nach Gleichung K' = c (Q – q) tg
α. und dann in Kurve K den wirklichen Verlauf. Der im Anfang von der
Tangenslinie völlig abweichende Kurvencharakter ist nur zu erklären durch eine
Veränderung des Reibungskoeffizienten μ. Dieser muß
einen verhältnismäßig hohen Wert bei kleinem Winkel, also großer Berührungsfläche im
Ziehloch haben, und mit wachsendem Winkel bedeutend abfallen, so daß er in der
Formel
k = c (tg φ +μ) (Q – q)
anfangs den kleinen Tangens überwiegt, später gegenüber dem
größeren Tangens nicht mehr zur Geltung kommt.
Es ist sehr schwer, sich über dieses Verhalten des Reibungskoeffizienten eine
Vorstellung zu machen. Mit zunehmendem Winkel wird die Reibungsfläche kleiner,
andererseits wächst der Flächendruck, welch' letzterer nach den bisherigen
Erfahrungen eine Vergrößerung von μ bewirkt. Es wirken
da eine ganze Reihe Faktoren zusammen, die sich z. T. addieren, z. T. subtrahieren,
und deren Einfluß schwer zu übersehen ist. Wir können daher unsere Formel nur
insofern abändern, als wir für μ einführen
μ = μ' f (α),
wobei μ' eine Konstante bedeutet,
und f (α) eine unbekannte Funktion des Steigungswinkels
α im Ziehloch. Es wurde versucht, einzuführen:
f\,(\alpha)=\frac{l}{\mbox{tg}\,\alpha^n}
und aus den Versuchswerten der Reihe IV die unbekannten Größen
zu berechnen.
Das Rechnungsverfahren sei kurz angedeutet: Mit den vier Werten der Versuchsreihe
ließen sich vier Gleichungen aufstellen von der Form
K=c\,(Q-q)\,\left(\mbox{tg}\,\alpha+\frac{\mu'}{\mbox{tg}\,\alpha^n}\right),
welche die drei Unbekannten c, μ'
und n enthielten. Durch Eliminierung der beiden ersten
und Verwendung von je drei Versuchswerten ergaben sich vier Exponentialgleichungen
für n von der vereinfachten Form:
I a1
b1n + a2
b2n
– a3
b3n = 0
II a1
b1n
+ a2
b2n
– a4
b4n = 0
III a1
b1n + a3
b3n
– a4
b4n = 0
IV a2
b2n + a3
b3n
– a4
b4n = 0
Bei Einsetzung beliebiger Zahlen für n erhalten wir
rechts im allgemeinen von Null verschiedene Werte z.
Stellen wir für jede Gleichung die Kurve auf
z = f
(n),
so erhalten wir aus ihnen den Wert von n für z = 0. Die vier Kurven sind in Fig. 5 dargestellt, sie ergaben für n den Wert von rund ⅓.
Danach würde unsere Gleichung für K lauten
K=c\,(Q-q)\,\left(\mbox{tg}\,\alpha+\frac{\mu'}{\sqrt[3]{\mbox{tg}\,\alpha}}\right)
Durch Einsetzen ergaben sich für μ' folgende Werte:
μ' =
0,30
0,27
0,45
0,24
0,51
und das Mittel μ' = 0,35.
Ferner war im Mittel c = 70.
Textabbildung Bd. 325, S. 194
Fig. 5.
Die geringe Uebereinstimmung für μ' erklärt sich wohl
einerseits daraus, daß der Ausdruck
\frac{\mu'}{\sqrt[3]{\mbox{tg}\,\alpha}} die Verhältnisse nur
ganz angenähert wiedergibt, andererseits aus den mit nicht allzu genauen Apparaten
ausgeführten, mehr qualitativen Messungen.
Es hatte \mu=\frac{\mu'}{\sqrt[3]{\mbox{tg}\,\alpha}} für die
verschiedenen Werte von α folgende Größen:
α
tg α
μ
2°
0,013
1,08
10°
0,176
0,63
20°
0,364
0,49
40°
0,849
0,37
Die Kurve μ = f (α) wurde in Fig. 6
dargestellt und zeigt, daß μ in der Tat mit zunehmendem
Steigungswinkel bedeutend sinkt. Aus der vorstehenden Tabelle ist auch das
Ueberwiegen von μ bei den kleineren, von tg α bei den größeren Winkeln zu ersehen.
Textabbildung Bd. 325, S. 195
Fig. 6.
Aus den vorliegenden wenigen Versuchen kann nur mit Sicherheit entnommen werden, daß
die Zugkraft beim Drahtziehen mit anwachsendem Steigungswinkel von durch den hohen
Reibungskoeffizienten hervorgerufenen größeren Werten zunächst auf ein Minimum sinkt
und dann bei weiterer Vergrößerung des Winkels ansteigt, wie es bei einem konstanten
Reibungskoeffizienten der Fall sein würde. Für die bei Versuch IV vorliegenden
Verhältnisse lag das Minimum von K bei etwa 10°;
allgemein läßt sich der günstigste Wert für den Steigungswinkel nicht angeben, da
sich das Minimum des Kraftverbrauchs, wie erwähnt, mit der Größe der
Querschnittsabnahme Δ Q und der Konstanten c verschiebt. Es wäre Sache von in größerem Maßstabe
auszuführenden Versuchen, dieses Verhalten der Zugkraft bei veränderlichem
Steigungswinkel durch zahlreiche Bestimmungen festzulegen, weil dadurch wohl am
ersten ein weiteres Eindringen in die Ziehvorgänge möglich ist, und auch für die
Praxis wichtige Gesichtspunkte gewonnen werden können.
Einen mathematischen Ausdruck für das Verhalten der Zugkraft K bei veränderter Steigung im Ziehloch zu finden konnte man nicht
erwarten, dazu sind die Vorgänge beim Ziehen viel zu komplizierter Natur. Der Draht
wird bei diesem Prozeß zum Teil gedrückt, zum Teil auseinandergezogen, vielleicht
bleiben auch die äußeren Schichten infolge der Reibung an den Wänden des Ziehloches
zurück und der Kern wird schneller durchgezogen, wie Th.
Demuth in seiner „Mechanischen Technologie der Metalle und des
Holzes“Wien und Leipzig, Franz Deuticke, 1907. auf S. 135
angibt vielleicht kommt auch das Material bei diesen hohen Flächendrucken in eine
Art zähflüssigen Zustandes hinein, und alle diese Faktoren werden durch den Winkel
des Ziehkonus in bedeutender und kaum kontrollierbarer Weise beeinflußt.
Ueber den zuletzt erwähnten Punkt, die Aenderung der Struktur des Drahtes im
Ziehloch, versuchte ich mit Hilfe der Mikroskopie Aufschluß zu gewinnen. Zu dem
Zwecke wurden die Drähte nur zum Teil durch das Ziehloch hindurchgezogen,
wodurch man den Draht in dem Zustande erhielt, wie er sich im Ziehkonus befunden
hatte. Es wurde nun ein Längsschliff angefertigt und derselbe mikroskopisch
untersucht resp. pholographiert. Die Einzelheiten des Verfahrens sind a. a. O.Dissertation Darmstadt 1909, S. 75 und D. p. J.
1909. ausführlich beschrieben.
Dabei zeigte sich eine ganz auffallende Erscheinung: Während vor dem Ziehloch und
nach demselben der Schliff die bei gezogenem Draht stets auftretenden Längsstreifen
aufweist, die gebildet werden aus den in die Länge gezogenen Kupferkristallen,
verschwinden diese im Ziehkonus vollständig und machen einer feinkörnigen Struktur
Platz, wie Fig.
7 und in stärkerer Vergrößerung Fig. 8 zeigt.
Textabbildung Bd. 325, S. 195
Fig. 7. Ziehkonus von 20°. 10fach vergrößert. Fig. 8. Ziehkonus von 20°.
14fach vergrößert.
Eine Erklärung für diese Erscheinung möchte ich noch nicht geben. Unzweifelhaft liegt
eine Strukturänderung vor, ob aber ein zähflüssiger Zustand vorhanden gewesen ist
während des Ziehvorganges, ob ferner die Ursache davon der große seitliche Druck
oder Temperatureinflüsse sind, ist vor der Hand schwer zu entscheiden. Ich habe die
Erscheinung oft beobachtet, es macht aber große Schwierigkeiten, sie auf die
photographische Platte zu bringen; in Wirklichkeit fängt die körnige Struktur in
einer ziemlich scharfen Kante an und hört ebenso scharf wieder auf.
Die sämtlichen vorstehenden Untersuchungen wurden an Kupferdrähten durchgeführt; die
Resultate werden aber auch generelle Gültigkeit haben für die anderen dehnbaren
Metalle, Gold, Silber, Platin und mehr oder weniger auch für Eisen.
Versuch zur Sichtbarmachung des Rekristallisationsvorganges
beim Erhitzen von durch mechanische Bearbeitung gehärteten Metallen.
Mit dem Ausdruck der Rekristallisation bezeichnet man die Erscheinung, daß die durch
Kaltbearbeiten, Hämmern, Ziehen und dergl. zerstörte kristallinische Struktur der
Kristalle mittels Erhitzen wieder zum Vorschein gebracht wird. Man hat
Rekristallisation bei vielen Metallen festgestellt, aber stets nur nachträglich an
dem erkalteten
Stück, niemals aber hat man den Vorgang selbst beobachtet. Es wäre jedoch von hohem
Interesse, die Umbildung aus dem feinkörnigen Zustand in den kristallinischen, das
Entstehen und Anwachsen der großen Kristalle zeitlich im Mikroskop verfolgen zu
können. Zu diesem Zwecke wurde eine Vorrichtung konstruiert, die im folgenden kurz
beschrieben sei.
Textabbildung Bd. 325, S. 196
Fig. 9.
Textabbildung Bd. 325, S. 196
Fig. 10.
Auf eine Grundplatte a (Fig.
9 und 10), die mittels der Klammern auf
dem senkrecht stehenden Mikroskoptisch – wobei also die Achse des Mikroskops
wagerecht liegt – zu befestigen ist, wurde ein Hohlzylinder b aus feuerfestem Material eingesetzt, der hinten mit einer durchbohrten
Glimmerplatte c, vorn mit einem runden Deckgläschen d verschlossen werden konnte. Im Innern dieser Kammer
befand sich der zu untersuchende Draht e, gestützt an
seinem hinteren Ende durch die Bohrung der Glimmerplatte, vorn fest gefaßt durch
zwei mit Spitzen versehene Schrauben f, die
gestatteten, seine Lage ein wenig zu ändern. Die von einem Heizstrom
durchflossene Platinspirale g diente zum Erhitzen des
Probestückes. Die Klemmen h sind die
Stromzuführungsklemmen zur Heizspirale.
An seinem vorderen, dem Mikroskop zugekehrten Ende besitzt der Probedraht eine ebene
polierte und angeätzte Fläche; kurz hinter derselben ist er durch die beiden
Schrauben gefaßt. Infolgedessen kann er sich beim Erwärmen nur nach rückwärts
ausdehnen, so daß die Einstellung des Mikroskops kaum zu verändern ist.
Zum Versuch wird die Vorderfläche des Probestückes scharf eingestellt, so daß die
feinkörnige Struktur zu sehen ist, und nun durch Einschalten des Heizstromes der
Draht auf die nötige Temperatur gebracht, wobei eventl. durch Nachregulieren am
Mikroskop die Einstellung stets scharf zu erhalten ist.
Bei Kupfer war die Erscheinung der Rekristallisation leider nicht zu beobachten, weil
sich bei höherer Temperatur auf der Untersuchungsfläche eine dünne Oxydhaut bildete,
die die Vorgänge im Innern des Drahtes verdeckte. Nach Wegpolieren derselben und
Anätzen der Fläche kamen die großen Kristalle zum Vorschein. Es ist aber zu
erwarten, daß bei Platin, das ja an der Luft nicht oxydiert, sich der Vorgang
unmittelbar dem Auge darbieten wird. Zeit und Gelegenheit fehlen mir, um
diesbezügliche weitere Versuche zu machen. Für die leicht oxydierbaren Metalle
müsste der Apparat vielleicht so abgeändert werden, daß sich das Probestück im
Vakuum befindet oder in einem Gase, in dem die Oxydation unmöglich ist.
Darmstadt, 11. November 1909.