Titel: | Neue Wege der Fahrzeugmotorentechnik. |
Autor: | Dierfeld |
Fundstelle: | Band 325, Jahrgang 1910, S. 661 |
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Neue Wege der Fahrzeugmotorentechnik.
Von Regierungsbaumeister Dierfeld.
(Fortsetzung von S. 647 d. Bd.)
Neue Wege der Fahrzeugmotorentechnik.
I 3 b. Kolbenschieber mit
konzentrischer Schieberhülse für einen Zylinder.
Bei den angeführten Motoren mit zwei getrennten Kolbenschiebern ist der
schädliche Raum allgemein ziemlich groß, daher versuchten einige
Konstrukteure durch Anwendung eines Steuerkolbens mit konzentrischer
Schieberhülse den schädlichen Raum zu verkleinern. Eine der ersten
Konstruktionen dieser Art ist die von Francis J
Bostock, nach dessen Lizenzen die englische de Dietrich-Gesellschaft baut. Seit Juni 1909 liefen Bostock-Motoren in englischen Wagen und haben
sich gut bewährt; sie werden jetzt nach Schnittzeichnung Fig. 21 ausgeführt. Oben längs des Motors ist
eine Exzenterwelle gelagert, von der aus mit Schubstangen die beweglichen
Schieberhülsen B und die Kolbenschieber A angetrieben werden. Zwischen beiden ist eine
feste Hülse F angeordnet, die den Zylinder für
den Kolbenschieber A bildet, während die
Schieberhülse B sie umgibt und auf ihr gleitet.
Der Zylinderkopf ist als Gehäuse C für die
Schieberhülse ausgebildet; die Oeffnungen der Schieberhülse B korrespondieren mit Kanälen in der festen
Hülse F und dem Gehäuse C, das ringförmig von dem Eintrittsraum zum Zylinder umgeben
ist.
Textabbildung Bd. 325, S. 661
Fig. 21.
Das frische Gemisch tritt bei D ein, während der
Auspuff bei E erfolgt. Die Hülse B ist das einzige Steuerorgan, das mit den
Verbrennungsgasen direkt in Berührung kommt und gasdichten Abschluß
erfordert. Sie hat außen gewöhnliche Kolbenringe, innen einen breiten, die
feste Hülse F umgebenden Dichtungsring.
Vom Ende des Explosionshubes an bis zum Schlusse des Saughubes hält die
Hülse B ununterbrochen die Verbindung mit dem
Zylinder offen und schließt für den Rest des Viertaktes die Verbindung ab.
So ist nur eine geringe Hülsenbewegung notwendig, und die Kühlung durch die
nach den Auspuffgasen über die Hülsenwände strömenden frischen Gase ist sehr
wirksam. Der Kolbenschieber A braucht nur gut
eingepaßt zu sein, ohne Dichtungsringe, da weder Explosions- noch
Kompressionsdruck auf ihn wirken. Er hat nur den Zweck, einmal die
Auspuffgase vom Zylinder durch die Schlitze der Hülse B in das Rohr E
strömen zu lassen, wobei er eine Stellung links von den Schlitzen annimmt,
während bei seiner rechtsseitigen Stellung frisches Gemisch vom Rohr D durch die Hülse in den Zylinder eintritt.
Textabbildung Bd. 325, S. 661
Fig. 22.
Der Antrieb der Exzenterwelle durch Renold-Kettes. D. p. J. 1907, Bd. 323, S.
699.) sowie die Gesamtanordnung des Motors ist
aus Fig. 22 zu ersehen. Bezeichnend für den
geringen Kraftverbrauch des Steuerantriebes ist, daß eine ½ zöllige Kette,
wie sie für Ventilatoren benutzt wird, zum Antriebe der Exzenterwelle
genügt.
Die Vorzüge dieses Motors wurden schon oben erörtert, wir erwähnen noch die
gute Kühlung der Hülse B. Der einzige nicht
wassergekühlte Teil ist der Boden des Kolbenschiebers A, der aber von den darüberstreichenden
frischen Gasen genügend gekühlt wird. Ungünstig wird der ringförmige
schädliche Raum wirken.
J. Staar in Paris (s. Fig. 23) ordnet neben dem Motorzylinder a einen kleinen Zylinder d an, in dem die Steuerhülse g und der Kolbenschieber h, die konzentrisch zueinander sind, gleiten.
Hülse und Kolben werden durch Schubstangen l
und k, deren Zapfen auf Kurbelscheibe o um 90° versetzt sind, angetrieben, während
die Kurbelscheibe von der Motorwelle aus durch Räderübersetzung in
Pfeilrichtung betätigt wird. Durch den ringförmigen Raum e stehen Haupt- und Steuerzylinder in
Verbindung; bei q tritt das frische Gemisch
ein, während die Auspuffgase bei p ausströmen.
Die Schieberhülse g ist mit einem Kranz von
Oeffnungen i versehen und der Steuerkolben h ist in der Mitte, bei j, etwas eingezogen.
Textabbildung Bd. 325, S. 662
Fig. 23.
Textabbildung Bd. 325, S. 662
a Auspuff – b Kompression – c Saugen – d Explosion.
Wenn die Steuerorgane in der Stellung 1 stehen,
befindet sich der Motorkolben b am Schlusse des
Auspuffhubes und will den Saughub beginnen. Dann stehen die Oeffnungen i der Schieberhülse dem Ringraum e gerade gegenüber, sind aber vom Steuerkolben
h verschlossen. Bei der Abwärtsbewegung des
Kolbens b sinkt die Hülse g, der Steuerkolben h steigt und frisches Gemisch tritt durch q, Ringraum f, die Oeffnungen i, bei e in den
Zylinder (Stellung 2). In dem Verhältnis, wie
Kolben b sich nach unten bewegt, wird
fortschreitend der Eintrittsquerschnitt für das frische Gemisch vergrößert,
so daß die Gasgeschwindigkeit stets dieselbe bleibt. Am Schlusse des
Saughubes hat die Kurbelscheibe o sich um 90 °
gegen Stellung 1 verdreht und Hülse nebst
Steuerkolben schließen den Gaseintritt ab. Man sieht leicht, daß während des
nun folgenden Kompressions- und Explosionshubes alle Oeffnungen verschlossen
bleiben, erst bei Beginn des Auspuffhubes bewegen sich Hülse g und Steuerkolben langsam aufwärts und die
heißen Gase entströmen durch Oeffnungen i nach
p. Die Dichtung von Hülse und Steuerkolben
wird durch Kolbenringe bewirkt, so daß die Anordnung von Bostock einfacher erscheint.
Bei dem Motor von Sainturat & Tüche (Fig. 24) ist
neben dem Zylinder ebenfalls ein Gehäuse angeordnet, in das eine
beiderseitig offene, mit Schlitzen C versehene
Schieberhülse B gleitet, die als Zylinder für
den Kolbenschieber A dient. Die Hülse B wird von der mit halber Geschwindigkeit
laufenden Welle E betätigt, während der
Steuerschieber A durch Lenkergestänge von der
Kurbelwelle angetrieben wird. Das frische Gemisch tritt bei G ein, der Auspuff erfolgt bei H.
Die Stellung der beiden Schieber bei den einzelnen Phasen läßt sich aus den
Fig. 24a–d ersehen,
übersichtlicher kann man dies aber in dem Diagramm (Fig. 25)
verfolgen, in dem die Kolbenwege als Abszissen und die jeweiligen Stellungen
des Schiebers A sowie des Schlitzes C der Schieberhülse B als Ordinaten eingetragen sind.
Textabbildung Bd. 325, S. 662
Fig. 26.
Während Kompression und Explosion steigen Kolben A und Hülse B gemeinsam; der Kolben
A bewegt sich wohl schneller als die Hülse,
hält aber wegen seiner größeren Breite den Schlitz C geschlossen. Am Schluß des Explosionshubes fängt A an herabzusinken, während die Hülse noch
etwas steigt; der Schlitz C wird für den
Auspuff freigelegt. Beim Niedergang der Hülse steigt A gleichzeitig an, kreuzt sehr schnell den Schlitz C, der dann für den Saughub offen bleibt. Die
Dichtungsringe der Hülse kommen mit den Verbrennungsgasen nicht in
Berührung, dagegen aber die Ringe des Steuerschiebers A, die recht schnell abgenutzt werden.
Textabbildung Bd. 325, S. 662
Fig. 27.
Um den schädlichen ringförmigen Raum zu vermeiden, baut eine englische Firma
ihren Motor nach Fig. 26. C ist der Auspuff, D der Einlaß. In der Schieberhülse E
gleitet wie früher ein Kolbenschieber G, der
beiderseitig geschlossen ist, und den Eintritt frischen Gases von D nach dem Zylinder durch einen eingegossenen
Kanal HH1 vermittelt. So wird der schädliche Raum möglichst beschränkt und
die angesaugten Gase ändern nur sehr wenig ihre Richtung.
I 3 c. Ein Kolbenschieber für
einen Zylinder.
Nur einen Kolbenschieber A (Fig. 21) wendet Haubner bei seinem Motor an, doch ist diese anscheinende
Vereinfachung ziemlich teuer erkauft durch Verwendung der genuteten
Kurvenscheibe B im Antriebe. D ist der Gaseintritt, E der Auspuff; der ringförmige Raum C vermittelt den Gasübergang vom
Schiebergehäuse nach dem Zylinder. Die Fabrikation der Kurvenscheibe ist
schwierig und teuer, Stöße in den Gelenken sind bei ungenauer Herstellung
unvermeidlich, daher auch geräuschvoller Gang wahrscheinlich.
Textabbildung Bd. 325, S. 663
Fig. 28.
II. Oszillierende Bewegung der
Abschlußorgane.
Nachdem wir im Voraufgehenden die Besprechung der Motoren mit geradlinig hin- und
hergehenden Steuerorganen abgeschlossen haben, wenden wir uns zu den Motoren mit
oszillierenden Abschlußorganen, welche, wie wir gleich vorausschicken, keine
Bedeutung erlangen konnten und die wir deshalb nur kurz behandeln.
Taylor setzt oben in den Zylinderkopf einen breiten Ring
R (Fig. 28) ein,
der durch Kurvenscheibe K und Doppelhebel eine hin- und
herschwingende Bewegung erhält. Der Ring hat eine rechteckige Oeffnung, die mit zwei
Oeffnungen für Ein- und Auslaß im Zylinder korrespondiert. Gerade über der Oeffnung
ist Ring R durch eine senkrechte Teilfuge geteilt, um
sich während Kompression und Explosion selbsttätig auszudehnen und so abzudichten.
Während des Saughubes soll die Reibung vermindert werden, indem sich der Ring
zusammenzieht, und Oel zwischen Ring und Zylinder gelangt.
Textabbildung Bd. 325, S. 663
Fig. 29.
Die amerikanische Maxwell-Briscoe-Gesellschaft ordnet
einen hohlen Drehschieber über dem Zylinderkopf an (Fig.
29), der von einer Steuerwelle S aus mittels
Stoßstange und Winkelhebel gedreht wird, während die Rückschwingung durch eine
starke Feder veranlaßt wird. Der Schieber (Fig. 30)
hat zwei Schlitze d' und a' für Gasein- und Auslaß; beides erfolgt von der dem Antriebe
entgegengesetzten Seite aus, ein etwaiger Achsialdruck auf den Schieber wird durch
sein konisches Ende aufgenommen. Damit sich der Schieber überall gleich ausdehnt,
ist er der Länge nach aufgeschnitten. Die Kühlung des Schiebers läßt sich gut
durchführen, doch ist keine Ablichtung vorgesehen und der Antrieb hat alle Mängel
des heutigen Ventilantriebes. Endlich wollen wir noch die Steuerung von Legrand, als zu derselben Gruppe gehörig,
erwähnen. Legrand wendet eine Scheibe A an (Fig. 31), die
oben im Zylinderkopf gelagert ist und durch Stoßstange, Sektor D und Kegelrad in schwingende Bewegung versetzt wird.
Die Oeffnungen in der Scheibe vermitteln den Gasdurchgang zum Zylinder. Eine Feder
C preßt die Scheibe A
stets gegen ihren Sitz im Zylinder, außerdem sichert der Gasdruck hier Dichtigkeit.
Abgesehen von dem komplizierten Antriebe, der nicht einmal zwangläufig ist, hat
diese Anordnung den Nachteil, daß infolge der starken Pressung und hohen Temperatur
im Zylinder während der Explosion die Scheibe A in
ihrem Sitze bald fressen wird.
Textabbildung Bd. 325, S. 663
Fig. 30.
III. Kontinuierlich rotierende
Bewegung der Abschlußorgane.
Sehr zahlreich sind die Motorkonstruktionen der Gruppe III, bei denen das Abschlußorgan ständig rotiert. Hier ist der Antrieb von
der Kurbelwelle aus der denkbar einfachste und geräuschlos, der ganze Aufbau des
Motors wird vereinfacht, die Kühlung läßt sich in den meisten Fällen gut
durchführen, nur die Abdichtung der rotierenden Schieber verursacht
Schwierigkeiten.
Textabbildung Bd. 325, S. 663
Fig. 31.
Textabbildung Bd. 325, S. 663
Fig. 32.
III 1. Zum Kolben konzentrische
Schieberhülse.
Von den Motoren mit zum Kolben konzentrischer, rotierender Schieberhülse ist
zuerst zu nennen die Konstruktion von Henry Clegg
(Fig. 32). In jedem Zylinder befindet sich
eine den Kolben umschließende Schieberhülse S, die
von einer durchgehenden Seitenwelle aus mittels Schraubenräder in Drehung
versetzt wird. Die Schieberhülse enthält einen schrägen Kanal, der durch zwei
Oeffnungen im Zylinder den Gasein- und Austritt vermittelt.
Bemerkenswert sind die elliptischen, geneigt angeordneten Dichtungsringe D der Schieberhülse, die aber schwierig genau
herzustellen sein werden. Zwar gibt Clegg an, daß
eine einfache Vorrichtung an der gewöhnlichen Drehbank genügt, um die
elliptischen Ringe und Nuten ebenso genau wie die üblichen Kolbenringe
herzustellen, doch erscheint dies nicht ohne weiteres einleuchtend. Diese
geneigten Dichtungsringe werden angewandt, um die Abnutzung auf eine größere
Fläche der Zylinderwand zu verteilen, als es bei gewöhnlichen Dichtungsringen
möglich wäre. Zu demselben Zwecke pumpt Clegg mit
der unten angedeuteten Oelpumpe Oel unter den Ansatz B der Hülse; dieser Ansatz ist kolbenartig in den Kurbelkastendeckel
bei C gepaßt. Bei jedem Hube der Oelpumpe hebt sich
die Hülse etwas, und die Abnutzung an einer Stelle wird vermieden.
Textabbildung Bd. 325, S. 664
Fig. 33.
Trotzdem die Schmierung der einen Schieberhülse wohl nicht große Schwierigkeiten
verursachen wird, soll besonders die geneigte Anordnung von Ringen und Nuten
eine vollkommene Schmierung sichern. Ein Vorteil dieser Anordnung ist die
einfache Gestaltung der Zylinder, die in einem Stück gegossen werden können und
keinen eingesetzten Zylinderkopf erfordern, endlich aber kann bei passender
Ausbildung von Kolben- und Zylinderboden die Kompressionskammer kugelige Gestalt
erhalten. In dem Mittelpunkte dieser Kugel könnten die Spitzen der
Zündkerze sitzen und der Funken hätte nach allen Teilen der Kammer den gleichen
Weg zurückzulegen. Dies wäre theoretisch richtig und der Wirkungsgrad des Motors
würde durch die vollkommenere Verbrennung erheblich verbessert werden. Fraglich
ist die Abdichtung, besonders da die Ringe so dicht am Durchlaßkanal der
Schieberhülse sitzen, auch dürften der Reibungsverlust durch seitlichen
Zahndruck und die einseitige Abnutzung der Hülse nicht unerheblich sein.
Aehnlich konstruiert ist der Motor von Kitchen (Fig. 33). Abgesehen von den nach üblicher Art
eingesetzten Dichtungsringen, die sich bald in die Zylinderwand einfressen
werden, hat der Konstrukteur noch den Durchlaßkanal in der Schieberhülse mit
einem erhabenen Rande A versehen, der nach seiner
Ansicht bei der Drehung der Hülse als Mischflügel wirken soll, um die schweren
Kohlenwasserstoffe zu verflüchtigen und die Verbrennung zu vervollkommnen. Ob
diese Wirkung erreicht wird, ist sehr fraglich, jedenfalls wird die Verbrennung
der Gase durch den in die Kammer hereinragenden Ansatz A nicht gefördert.
Textabbildung Bd. 325, S. 664
Fig. 34.
Um die Abdichtung und Kühlung der rotierenden Schieberhülse zu erleichtern, wählt
eine andere englische Firma eine Anordnung nach Fig.
34. Die Hülse A umgibt hier den
Zylinderkopf, sie ist mit Stirnradverzahnung versehen und wird durch Rad B und senkrechte Welle von der Motorwelle
angetrieben. Bemerkenswert ist die Lagerung der Hülse A auf Kugeln; die eine Oeffnung der Hülse korrespondiert mit dem
Einlaß D und Auspuff E. Diese Konstruktion ist teuer, auch werden die Ecken in der
Verbrennungskammer nicht günstig wirken.
(Schluß folgt.)