Titel: | Das Eisenbahnwesen auf der Weltausstellung in Brüssel 1910. |
Autor: | A. Bucher |
Fundstelle: | Band 326, Jahrgang 1911, S. 65 |
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Das Eisenbahnwesen auf der Weltausstellung in
Brüssel 1910.
Von Ingenieur A. Bucher,
Tegel bei Berlin.
Lokomotiven.
(Fortsetzung von S. 42 d. Bd.)
Das Eisenbahnwesen auf der Weltausstellung in Brüssel
1910.
1. 2 B-Heißdampf-Schnellzuglokomotive Gattung S 6 der Preußischen Staatsbahnen
K. E. D. Breslau, Betriebs-Nr. 632, gebaut von der Maschinenbau-Anstalt Breslau, Fabrik-Nr. 800.
Textabbildung Bd. 326, S. 65
Fig. 10.
Die 2 B-Schnellzuglokomotive mit Schmidtschem
Ueberhitzer der Preußischen Staatsbahn hat bis zu ihrer heutigen Vervollkommnung
eine sehr interessante Entwicklung durchlaufen. Bereits im Jahre 1898 wurde diese
Gattung als erste mit einem Langkessel-Ueberhitzer, Patent Wilhelm Schmidt, in einem weiten Flammrohr von 445 mm lichtem Durchmesser,
von der Stettiner Maschinenbau- A.-G. „Vulkan“
in Stettin-Bredow für die K. E. D. Hannover ausgeführt, fast gleichzeitig mit einer
2 B-Personenzuglokomotive von Henschel & Sohn in Kassel für die K. E. D. Kassel. Die mit diesen
beiden ersten Vorläufern der Heißdampflokomotiven erhaltenen Betriebsergebnisse
erfüllten zwar die Erwartungen in bezug auf wirtschaftliche und betriebssichere
Verwendbarkeit des Heißdampfes im Lokomotivbetriebe in vollem Maße, führten aber ein
Jahr später zur Einführung des Schmidtschen
Rauchkammer-Ueberhitzers bei zwei weiteren 2B-Schnellzuglokomotiven, von denen die
erste wiederum vom „Vulkan“ in Stettin, die
zweite von A. Borsig in Tegel gebaut und auf der
Weltausstellung in Paris 1900 ausgestellt war. Dieser Ueberhitzer erreichte im
preußischen Lokomotivbau etwa 500 Ausführungen, bis im Jahre 1905 die Preußische
Staatsbahnverwaltung mit ihrem hochverdienten Schöpfer der Heißdampflokomotive, dem
Geheimen Baurat Garbe, zur allgemeinen Einführung des
jetzigen, auf Seite 41 beschriebenen Rauchröhren-Ueberhitzers, Patent W. Schmidt, überging, mit welchem nun allein von der
Gattung S6 schon etwa 200 Lokomotiven ausgerüstet sind. Mit der Vervollkommnung des
Heißdampfkessels Hand in Hand ging das Bestreben nach ständiger Verbesserung der
Maschine bei gleichzeitiger Vergrößerung der Zylinder infolge der erst nach und nach
erkannten vorzüglichen Eigenschaften des Heißdampfes als schlechter Wärmeleiter und
seinem größeren Volumen.
Eine Zusammenstellung der bis jetzt gebauten 2B-Schnellzuglokomotiven der Preußischen
Staatsbahnen mit Schmidt-Ueberhitzern ergibt die
Uebersicht Tab. 4.
Die in Brüssel ausgestellte Schnellzuglokomotive (Fig.
10 und 11) zeigt gegenüber einer ähnlichen
schon 1906 in Mailand ausgestellten Maschine eine Reihe von Aenderungen bezw.
Verbesserungen.
Der Kessel mit tiefer, zwischen den Rahmen liegenden Feuerbuchse aus 16
mm Kupferblech und langem Feuergewölbe, zeigt die bewährten Normalien der
Preußischen Staatsbahnen. Der Rundkessel mit 1500 mm besteht aus zwei langen
Schüssen von 15 mm Blechstärke, deren Zugbeanspruchung beträgt bei 12 at
k\,z=\frac{151,1\,.\,12}{2\,.\,15}=606kg/qcm.
Textabbildung Bd. 326, S. 66
Fig. 11.
Der oberhalb des aus 130 Siederohren von 41/46 mm bestehenden
Rohrbündels befindliche Ueberhitzer ist dreireihig und zählt 21 Rauchrohr-Elemente
von 124/133 mm , die darin liegenden 4 × 21 = 84 Ueberhitzerröhren von 30/38
mm münden wie bei allen preußischen Ausführungen vorn wagerecht in den
Dampfsammelkasten aus Stahlguß. Diese Röhren-Anordnung erfordert eine erhebliche
Vergrößerung des Rauchkammer-Durchmessers und ein starkes Vorschieben der Blasrohr-
und Schornsteinmitte, wodurch der vordere Aufbau der preußischen
Heißdampflokomotiven ein eigenartiges Aussehen
Tabelle 4.
Textabbildung Bd. 326, S. 66
Gruppe; Erbauungsjahr; Baufirma;
Vulkan, Stettin; A. Borsig, Tegel; Maschinenbau-Anstalt Breslau; Ueberhitzer;
oberes Flammrohr; Rauchkammer-Ueberhitzer mit unter. Flammrohr von; Rauchrohre
von; Rostfläche; Siederohrheizfläche; Verdampfungsheizfläche;
Ueberhitzerheizfläche; Gesamtheizfläche; Mittlerer Kesseldurchmesser; Rohrlänge;
Kesselmitte über Schienenoberkante; Zylinderdurchmesser; Kolbenhub;
Treibraddurchmesser; Reibungsgewicht; Dienstgewicht; Heizfläche; Rostfläche;
Zylinderinhalt; Charakteristik. Garbe
erhält, über dessen Schönheit die Ansichten der Fachwelt
sehr geteilt sind. – Die Bewegung der nach Fig. 12
fächerartig übereinander verschiebbaren Ueberhitzerklappen erfolgt durch einen
Automaten (Fig. 13), der mittels Dampfkraft die
Klappen offen hält, so lange der Regulator geöffnet ist. Die Klappen können außerdem
durch einen besonderen Zug vom Heizerstande aus beliebig geöffnet oder geschlossen
werden.
Zum besseren Dichthalten der Rauchrohre in der 26 mm starken Feuerbuchswand erhalten
dieselben vor dem Einwalzen an ihrem äußeren glatt gedrehten Durchmesser 3–5
eingedrehte Rillen von ½ mm Tiefe, wodurch eine gute Verbindung mit der kupfernen
Rohrwand hergestellt wird.
Textabbildung Bd. 326, S. 67
Fig. 12.
Das Einbringen der Feuerbuchse in den Stehkessel geschieht infolge ihrer oberen
Breite und ihrer großen vorderen Tiefe von hinten, die Kesselrückwand wird also
zuletzt eingenietet und ist zu diesem Zweck nach außen gekümpelt. Die Verbindung des
reichlich mit Waschluken versehenen Kessels mit dem Rahmen erfolgt vorn durch zwei
seitliche Rauchkammerträger aus 15 mm Blech, die Auflagerung auf dem Rahmen
geschieht durch je zwei seitliche Feuerbuchsträger und einen Lagkesselträger,
außerdem hat der Feuerbuchsbodenring an der Kesselrückwand ein doppeltes
Schlingerstück mit einer Verbreiterung nach hinten erhalten.
Textabbildung Bd. 326, S. 67
Fig. 13.
Die Anordnung der Armaturen ist aus Fig. 14
ersichtlich.
An Stelle des bisherigen Schieber-Regulators enthält der Dampfdom einen Ventilregler,
Patent Schmidt und Wagner,
(Fig. 15), bei welchem die Voröffnung durch ein
kleines Entlastungsventil erfolgt, dem bei weiterer Oeffnung ein größeres
tellerförmiges Hauptventil mit im Dampfe schwimmendem Kolben selbsttätig nachfolgt,
so daß zur Handhabung dieses Reglers nur ein sehr geringer Kraftaufwand erforderlich
ist.
Rauchverbrennungs-Einrichtung Marcotty.
Die Erzielung einer rationellen Verbrennung der Kohlen bei Lokomotiven setzt eine
Reihe von Bedingungen voraus, die sich in erster Linie aus der Gangart der
Lokomotive (Leerfahrt, Arbeit, Stillstand usw.) ergeben. Eine arbeitende Maschine
saugt durch ihren Auspuff die zur Verbrennung der Kohle erforderliche Luftmenge auf
dem Wege durch den Aschenkasten und die Rostspalten an. Die ausgestoßenen
Dampfmengen stehen dabei in gewissem Verhältnis zu der angesaugten Luftmenge, so daß
mit der Steigerung der Beanspruchung einer Maschine auch größere Luftmengen für
den notwendig werdenden größeren Brennstoffverbrauch zur Verfügung stehen. Während
also bei einer arbeitenden Maschine gewissermaßen eine Regelung in der Luftzuführung
an sich vorhanden ist, sich somit auch die Bedingungen einer vollkommenen
Verbrennung aufstellen lassen, zeigt eine mit abgestelltem Regler fahrende oder
stillstehende Maschine mangelhaften oder gänzlich fehlenden Schornsteinzug, so daß
der Brennstoff auf dem Rost infolge Luftmangels mehr oder weniger einer trockenen
Destillation unterworfen ist. Die unvollkommene Verbrennung macht sich hierbei in
der Entwicklung starken Qualms bemerkbar.
Textabbildung Bd. 326, S. 67
Fig. 14.
a Feuertür (Marcotty-Kipptür) – b
Regulatorhebel – c Regulator-Stopfbuchse – d Wasserstand – e Probierhähne, 3
Stück – f Injektoren „Strube“ – g Dampfventile – h Armaturstutzen – i
Pfeife – k Pfeifenzug – l Manometer für Kesseldruck – m Manometer für
Schieberkastendruck – n Manometer für Heizung (l, m, n Wellenrohrmanometer von
R. Gradenwitz) – o Thensionsthermometer von Steinle und Hartung – p Manometer
für Bremsdruck – q Manometer für Brems-Leitungsdruck – r Manometer für
Brems-Behälterdruck (p, q, r von Westinghouse) – s Bläserventilzug – t
Klappenzug zum Ueberhitzer – u Dampfventil zur Luftpumpe – v Schmierapparat zur
Luftpumpe – w Umsteuerung – x Druckausgleichzug – y Führerbremsventil – z
Schmierpresse „Dicker & Werneburg“ – 1 Kohlennäßhahn – 2
Aschkastenzüge – 3 Dreiweghahn zur Dampfheizung – 4 Waschluken – 5 Hohle
Stehbolzen für Marcotty-Dampfschleier – 6 Kessel-Konzessionsschild – 7
Oelkannenhalter – 8 Schlauchkupplung zum Tender – 9 Zylinderventilzug – 10
Geschwindigkeitsschild – 11 Haken zum Abnehmen des Fahrerhauses.
Die erste Bedingung für eine rauchschwache Verbrennung ist demnach die Forderung nach
einem selbsttätigen Hilfsbläser, der mit dem Schluß des Regulators in Kraft tritt,
mit dem Oeffnen des Regulators dagegen wieder abgestellt wird. Diese Forderung
erfüllt die Marcottysche Rauchverbrennungs-Einrichtung,
mit welcher alle
ausgestellten Lokomotiven der Preußischen Staatsbahn ausgerüstet waren, in folgender
Weise:
Textabbildung Bd. 326, S. 68
Fig. 15.
Textabbildung Bd. 326, S. 68
Fig. 16.
Textabbildung Bd. 326, S. 68
Fig. 17.
Am Domfuß links sitzt das Absperrventil 6, das mit dem
Bläserventil und dem Steuerventil 9 vereinigt ist. Bei
den bisherigen Ausführungen war das Steuerventil 9 oben
auf dem Rauchkammermantel angebracht und durch ein besonderes Rohr mittels ⊤-Stück mit dem Bläserrohr verbunden. Das Steuerventil
9 steht durch eine Rohrleitung mit dem
Schieberkasten des Dampfzylinders in Verbindung. (Bei Heißdampfmaschinen ist das
Anschlußrohr mit jenem des Automaten vereinigt.) Wird der Regulator geöffnet,
so tritt Dampf in den Schieberkasten des Dampfzylinders der Maschine und von hier
aus durch das Verbindungsrohr nach dem Steuerventil 9, dessen Kolben auf seinen
Ventilsitz gedrückt wird, so daß ein Dampf zutritt nach dem Bläser nicht erfolgen
kann. Beim Schluß des Regulators wirkt dagegen der vom Absperrventil 6 kommende Dampf auf den Kolben des Steuerventils 9, der sich wegen des fehlenden Gegendrucks vom
Schieberkasten her zurückbewegt und den Dampfzutritt nach dem Bläser öffnet. Der
Bläser wirkt also bei geschlossenem Regulator, dagegen wird er mit dessen Oeffnen
selbsttätig abgestellt. Das Ventil 6 bleibt während des
Dienstes der Maschine geöffnet, kann indessen durch einen Griff mit besonderer,
inwendig durch das Rohr des Hauptbläserzuges hindurchgehender Zugstange vom
Heizerstande aus beliebig eingestellt werden, um die Bläserwirkung zu regulieren und
damit eine unnütze Dampfentwicklung zu verhüten.
Wird der Rost mit Kohle beschickt, beginnt infolge der hohen Temperatur in der
Feuerkiste sofort die Entgasung, die am Anfang sehr stark ist, dann aber allmählich
sinkt, so daß die sich entwickelnden Gasmengen sehr verschieden ausfallen. Soll die
Verbrennung rationell sein, d.h. will man unverbrannte Gase (Kohlenwasserstoff,
Kohlenoxydgas und Wasserstoff) vermeiden, muß man der Brennschicht kurz nach der
Beschickung mehr Luft zuführen als nach gewisser Zeit, d.h. bis die Beschickung von
neuem erfolgt.
Die Luftzuführung geschieht bei der Marcottyschen
Kipptür (Fig. 17) selbsttätig durch seitliche
Luftkanäle, welche je nach der Größe des Vakuums einstellende Klappen enthalten. Da
das Vakuum von der Höhe der Brennschicht abhängig ist, kann man sich leicht
vorstellen, daß kurz nach der Beschickung des Rostes, wo also die Brennschicht hoch
ist, das Vakuum größer ist, als nach abgebrannter Brennschicht. Diesem Unterschied
entspricht eine verschiedene Einstellung der Klappen; sie öffnen sich mehr kurz nach
der Beschickung als vor dieser, so daß in dieser Tatsache eine selbsttätige Regelung
dem Bedarf der Verbrennung entsprechend erzielt wird.
Die Luftzuführung durch die seitlichen Kanäle war auf Grund langjähriger Erfahrungen
im Betriebe bedingt, weil das Personal sich gegen jede sichtbare Luftzuführung
sträubt. Aus diesem Grunde dürfen auch keine Vorrichtungen, wie Katarakte, die Größe
der Luftzuführung beeinflussen, weil sie abgestellt werden.
Um die Luft mit den Verbrennungsgasen in Berührung zu bringen, zeigt die Marcottysche Einrichtung einen Dampfschleier über der
Brennschicht, der mittels Düsen in zwei hohlen Stehbolzen 5, (Fig. 14) ausgebildet wird. Die
Strahlen sind fächerartig über den Rost gebreitet, lassen aber in der Mitte und zu
beiden Seiten freie Zwicken übrig, die dem Durchgange der Verbrennungsgase dienen.
Die Rohrleitung zu den Düsen ist vom Ventil 6
abgezweigt und führt auf der Feuerbuchsrückwand zu einem Verteilungs-⊤-Stück.
Die Wirkung des Dampfschleiers beginnt selbsttätig mit dem Oeffnen des Regulators,
beim Schließen desselben hört der Gegendruck vom Schieberkasten auf den kleinen
Kolben im Steuerventil 9 auf, die Dampfzuführung zu den
Düsen wird abgesperrt und der Bläser tritt in Tätigkeit. Der Dampfschleier hat den
Vorzug, die Flammen anzufachen, die Lösche und den Funkenauswurf zu verringern und
Fehler, die der Heizer bei der Beschickung des Rostes macht, auszugleichen.
Die Kipptür selbst ist federnd gelagert, so daß man sie nach geringem Anheben des
linken Hebelgewichtes in eine Ruhrast stellen kann (vergl. Fig. 17 unten). Die Tür hat den großen Vorzug, daß sie nicht glühend
wird, also auch nicht verschleißt, sie nimmt keinen Platz fort, da sie nach innen
schlägt, ist bequem zu handhaben, sie braucht bei der Bearbeitung des Rostes mit der
Krücke nicht gänzlich geöffnet zu werden, schützt also den Heizer vor Ausstrahlung
der Hitze und erfüllt vor allen Dingen die Bedingung der Sicherheit, zumal sie bei
Siederohr- oder Stehbolzendefekten zuschlägt und das Personal vor dem Verbrühen
schützt.
Die hier beschriebene Rauchverzehrungs-Einrichtung Marcotty hat nach mehrfachen Konstruktionsänderungen seit ihrer Einführung
im Jahre 1894 (Konstruktion Th. Langer mit
Kreisschieber) bereits über 8000 Ausführungen erreicht und bewährt sich in ihrer
neuesten Bauart mit Kipptüre vorzüglich.
(Fortsetzung folgt.)